Atommülllager-Suche: Anforderungen von Konflikt-BeraterInnen in einer Stellungnahme an das Nationale Begleitgremium

Atommülllager-Suche: Anforderungen von Konflikt-BeraterInnen in einer Stellungnahme an das Nationale Begleitgremium

Wie kann die Suche nach einem Atommülllager für hochradioaktive Abfälle im gesellschaftlichen Konsens funktionieren? Die Rahmenbedingungen dafür hat eine von Bundestag und Bundesrat eingesetzte Kommission über zwei Jahre diskutiert und Vorschläge unterbreitet, die jetzt vom Bundestag und Bundesrat in das Standortauswahlgesetz eingearbeitet werden sollen. Dieses Gesetz und auch die Kommission waren und sind vor allem aus den Reihen der Anti-Atom-Gruppen und -Organisationen massiv kritisiert worden. Jetzt  wenden sich KonfliktberaterInnen zweier Mediations-Verbände an das neue Nationale Begleitgremium mit einem Appel, wichtige Regeln der Konfliktbewältigung zu beachten. Dazu gehöre auch die Aufarbeitung der Fehler bei der Atomenergienutzung in der Vergangenheit und der ernsthafte Versuch, mit den Anti-Atom-VertreterInnen endlich in die Debatte zu kommen. umweltFAIRaendern dokumentiert den Offenen Brief und die Stellungnahme zum bisherigen Entwurf der Novelle des StandAG.

Dokumentation: Offener Brief: Änderung des Standortauswahlgesetzes (PDF)// Anlage: Stellungnahme zum StandAG-Fortentwicklungsgesetz (PDF)

Neuss/Köln, 19. Januar 2017

Sehr geehrte Frau Professorin Schreurs, Frau Gaebel, Frau Dr. Müller, Frau Suckow, sehr geehrter Professor Töpfer, Herr Brunsmeier, Professor Grunwald, Professor Lambrecht und Professor Niebert,

wir sind eine verbandsübergreifende Arbeitsgruppe von Konfliktexpert*innen zweier Mediationsverbände und möchten Ihnen für Ihre Arbeit im neuen Nationalen Begleitgremium zunächst einen guten Start und viel Erfolg wünschen!

Viele „Altlasten“ aus der Geschichte des Atommülls und der Entstehung des Standortauswahlgesetzes sowie der daraus resultierende Vorschlag der Kommission stellen eine große Herausforderung dar und werden aus unserer Sicht Ihre Arbeit von Anfang an belasten. Wir
möchten Sie gerade deswegen darin bestärken, sich für eine tatsächliche Partizipation einzusetzen, bei der die Beteiligten auch den Rahmen selbst mitgestalten und so nicht der Eindruck einer inszenierten „Beteiligungssimulation“ entsteht, wie es bisher bisweilen der Fall war. Wir glauben aus unserer Erfahrung, dass eine allseits akzeptierte „gute Lösung“ nicht von oben verordnet werden kann, sondern mit den Bürger*innen entwickelt werden muss. Dies bedeutet vor allem, die „Expertenbürger“ der Anti-AKW-Bewegung neu zu gewinnen – diese waren von Anfang an bedeutsame Treiber*innen für mehr Sicherheit und Mahner*innen gegenüber der Hochrisikotechnologie. Das bedeutet auch, die Mitwirkungsrechte der betroffenen Regionen zu stärken über das bisher im Standortauswahlgesetz hinaus vorgesehene Maß. Eine partizipative Beteiligung braucht den Dialog, und der kann nicht ausschließlich über Konsultation entstehen.

Dazu braucht es vielmehr tatsächliches Austauschen und Mitsprache auf Augenhöhe, und zwar sowohl über Inhalte wie Sicherheitskriterien und Standortauswahl, als vor allem auch über das Verfahren der Entscheidungsfindung selbst.

Wir Unterzeichnenden haben den Prozess der Kommission seit ihrer Entstehung intensiv verfolgt und kommentiert, siehe zum Beispiel unser abschließendes Fazit, welches als Kommissions-Drucksache Nr. AG1-73 in den Endbericht der Kommission eingeflossen ist (einsehbar unter http://www.bundestag.de/blob/425832/61d77bb9cf3465b4f05f0f675c2400a8/drs_073-data.pdf ).

Unseres Erachtens braucht dieses Suchverfahren einen tragfähigen Konsens, und zu diesem Konsens führen nur „Zu-hören“ statt bloßem „An-hören“ sowie echte Mitsprache im Dialog. Der Prozess der Kommission hat uns hierbei in unserer Auffassung bestätigt, dass es nicht nur „Öffentlichkeitsbeteiligung“, sondern vor allem auch „Konfliktbewältigung“ braucht, um in einem derart konfliktreichen Feld zu gemeinsam getragenen Ergebnissen zu kommen.

Das Nationale Begleitgremium ist vorbelastet durch die mangelhafte Bürgerbeteiligung im Prozess der Entstehung des Standortauswahlgesetzes. Als besonders problematisch sehen wir außerdem, dass die vor fast einem Jahr angekündigte öffentliche Diskussion der Ergebnisse der Kommission nicht stattgefunden hat. Statt dies offen einzugestehen, wurden ersatzweise „Kernbotschaften“ ohne Ergebnisrelevanz in kleinen Veranstaltungen diskutiert. Diese notwendige Öffentlichkeitsbeteiligung kann nun aus unserer Sicht leider nicht nachträglich durch Anhörungen nachgeholt werden, die keine Relevanz mehr für Gesetzgebungsverfahren oder die so bedeutsame Prozessgestaltung haben.

Die große Herausforderung für das NBG besteht darin, glaubwürdig eine Lücke zu füllen, die von der Kommission nicht gefüllt wurde. Solche Teufelskreise erleben wir seit Jahrzehnten bei komplexen gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen. Heute gibt es indes Wissen über Beteiligungs- und Konfliktbewältigungsverfahren, das helfen kann, diesen Teufelskreis zu verlassen. Dadurch kann verloren gegangene Glaubwürdigkeit in die Arbeit von Gremien zurück gewonnen werden. Ein wichtiger Schlüssel dazu ist, alle potenziell Betroffenen bereits in die Prozessgestaltung einzubeziehen.

Wir wünschen Ihnen und den nachfolgenden Generationen, dass dies gelingen möge, und sind gerne bereit, Sie mit unserer Konfliktkompetenz darin zu unterstützen, Bürgerbeteiligung so zu gestalten, dass sie sich den Konflikten tatsächlich stellt und vor allem Betroffene durch Mitsprache/Mitwirkung Einfluss gewinnen können. Wir halten dies für eine unverzichtbare Voraussetzung, um langfristig tragfähige Lösungen zu finden. Andernfalls finden Bürger*innen in Protest und Widerstand einen größeren und für sie attraktiveren Gestaltungsspielraum.

Im Zusammenhang mit der Standortsuche wird von „Generationengerechtigkeit“ gesprochen. Dieses Gerechtigkeitsempfinden kann nicht durch Zeitdruck entstehen, sondern ausschließlich durch allseits als bestmöglich akzeptierte Entscheidungen. Hier besteht ein genereller gesellschaftlicher Diskussionsbedarf, nicht nur in den betroffenen Regionen.

Gerechtigkeit bedeutet auch „restaurative Gerechtigkeit“ („restorative justice“): Fehler und Unrecht der Vergangenheit müssen aufgearbeitet, benannt und beendet werden. Dies betrifft u.a. die Havarien der Lagerstätten Morsleben und Asse. Darüber hinaus ist speziell im Landkreis Lüchow-Dannenberg seit 40 Jahren aufgrund fragwürdiger, teilweise geheimer oder als manipuliert empfundener Entscheidungen ein tiefgreifendes Misstrauen entstanden. Jahrzehnte polizeilicher Großeinsätze haben das Vertrauen in ein gerechtes Verfahren bei der Suche nach einer Lagerstätte zerstört. Wir erhoffen uns, dass Ihr Gremium sich nachdrücklich dafür einsetzt, im Sinne der restaurativen Gerechtigkeit einen neuen, dialogischen Weg mit dieser Region einzuschlagen, denn das hätte bundesweite Strahlkraft: Nur wenn die Region um Gorleben das Suchverfahren als gerecht empfindet, kann es auch insgesamt zum Erfolg führen, so dass dieser Region in der Konfliktbewälti-
gung unseres Erachtens eine zentrale Bedeutung zukommt.

Wir wünschen uns von Ihnen aus diesem Grund eine zeitnahe Entwicklung von Formaten für die partizipative Bearbeitung der Fehler der Vergangenheit auf Augenhöhe und für eine gesellschaftliche Debatte über alternative Lageroptionen, bevor der Weg der tiefengeologischen Endlagerung beschritten werden kann.

Anliegend fügen wir zu Ihrer Kenntnis unsere Stellungnahme zu den vorliegenden Entwürfen eines Standortfortentwicklungsgesetzes bei. Es geht uns dabei nicht darum, uns auf diese Weise für Aufträge im Rahmen der Standortsuche zu empfehlen; über ein Gespräch über die Möglichkeiten des NBG im Hinblick auf die oben angesprochenen Punkte würden wir uns gleichwohl freuen.

Für den Förderverein Mediation im öffentlichen Bereich (FMöB) e.V.: Dr. Dieter Kostka, Vorsitzender des FMöB e.V.

Für den Bundesverband MEDIATION (BM) e.V.: Roland Schüler, in Abstimmung mit dem Vorstand des BM e.V.

 

Stellungnahme zum StandAG-Fortentwicklungsgesetz

Neuss/Köln, 19. Januar 2017

Als Konfliktexpert*innen zweier Mediationsverbände nehmen wir zu der Umsetzung des Berichtes der Kommission im Entwurf des StandAG-Fortentwicklungsgesetzes Stellung:

1. Aufarbeitung der Fehler der Vergangenheit
Für einen konstruktiven Umgang mit dem jahrzehntelangen Konflikt um die Lagerung von Atommüll fehlt eine ernsthafte Aufarbeitung der Fehler der Vergangenheit gemeinsam mit den Betroffenen und den Laien-Expert*innen der Anti-AKW-Bewegung. Eine ernsthafte Aufarbeitung der Erfahrungen aus der Vergangenheit hat bislang weder in der Kommission noch mit der Gesellschaft stattgefunden.

Nötig sind:

die Betrachtung der havarierten Lager Asse und Morsleben und der Fehler, die zur zeitnahen Havarie geführt haben, sowie einer Benennung der für diese Fehler Verantwortlichen, denn diese sind für künftige Expertisen kaum glaubwürdig.

Aufarbeitung der Standortbenennung und der jahrzehntelangen politischen Konflikte um Gorleben – insbesondere mit den Betroffenen am Standort.

Ohne diese Aufarbeitung hat sich der Standort Gorleben erwartungsgemäß als „Elefant am Kommissionstisch“ erwiesen: Als Beratende in Konflikten wissen wir, dass Tabuthemen explizit besprochen werden müssen, da sie sich sonst implizit Raum greifen und den Prozess blockieren, wie im Verlauf der Kommissionsarbeit z.B. bei der Benennung von Eignungskriterien.
Ohne einen konsensualen Umgang mit dem Standort Gorleben wird es jedoch bundesweit kein Vertrauen in die Standortsuche der nächsten Jahre und Jahrzehnte geben. Die Konflikte werden so weiter getragen in die kommende Standortsuche.

Aus unserer Sicht braucht es eine zeitnahe Entwicklung und Anwendung von Formaten für die Aufarbeitung der konflikthaften Erfahrungen der Vergangenheit. Hierbei ist es unabdingbar, dass die Betroffenen dabei bereits das Verfahrensdesign mitbestimmen können.

2. Ergebnisoffener Blick auf Lageroptionen

Mit Ruhe und Zeit sowie unter Beteiligung der Öffentlichkeit – vor allem der erfahrenen und engagierten Öffentlichkeit – benötigt es dringend eine Abwägung Alternativer Lageroptionen jenseits der tiefengeologischen Lagerung, um eine breite gesellschaftliche Debatte zum am wenigsten risikoreichen Umgang mit dem Atommüll zu gewährleisten.

Dies wurde in der Kommission versäumt und stattdessen konsequent die tiefengeologische Lagerung verfolgt, obwohl eine breite Debatte bereits Jahre zuvor vom AKEnd und dann erneut in der Diskussion um das Standortauswahlgesetz wohlbegründet empfohlen worden war.

Aus unserer Sicht braucht es zeitnah eine gesellschaftliche Debatte über alternative Lageroptionen. Nur wenn es danach einen breiten gesellschaftlichen Konsens gibt, dass der Weg der tiefengeologischen Endlagerung der bestmögliche ist, könnte dieser auch beschritten werden.

3. Wirksame Beteiligung

Die Kommission hat es – vielfach aus Zeitmangel – versäumt, frühzeitig Formate einer ergebniswirksamen Öffentlichkeitsbeteiligung zu installieren. Die gewählten Formate entsprachen der Beteiligungsstufe der Information und teilweise der Konsultation, jedoch ohne den notwendigen dialogischen Anteil, denn die Ergebnisse wurden nur mittelbar wieder in die Kommissionsarbeit zurückgeführt. Diese unterste Stufe der „Beteiligung“ wird der Bedeutung und Tiefe des gesellschaftlichen Konflikts nicht gerecht.

Es bedarf zukünftig des Dialogs, bei dem nach kritischem Diskurs die Ergebnisse der Beteiligung nachvollziehbar und verbindlich im Sinne einer Mitwirkung in die Suche nach einer Lagerstätte einfließen.

4. Die Beteiligungsrechte müssen erweitert werden zu Mitsprache auf Augenhöhe

Die vorliegenden Gesetzentwürfe sehen lediglich Unterrichtung und einseitige Konsultation vor. Unseres Erachtens reichen die Rechte der betroffenen Regionen nicht aus.

a) Mitspracherechte der betroffenen Regionen

Wir sehen Vetorechte für betroffene Regionen als konsensstiftend an: Nur wer das Recht hat, „nein“ zu sagen, kann auch in Freiheit „ja“ sagen. Vetorechte könnten hierbei ggf. beschränkt sein auf einen Rücksprung im Verfahren oder auf einen temporären Stopp der Standortauswahl. Dies gälte es im Vorfeld mit den betroffenen Regionen zu klären.

b) Beteiligungstiefe

Der AK End hat in einem langen Diskussionsprozess Beteiligungsrechte über Information und Anhörung am Ende des Verfahrens hinaus empfohlen. Die einseitige Top-Down-Beteiligung analog der üblichen Erörterungsverfahren hat zur Entstehung und Stärke der gesellschaftlichen Konflikte um die Atomenergie geführt. Um einen anderen, gemeinwohl-verträglichen Prozess der Standortsuche einzuleiten, braucht es nun substantielle Änderungen: Transparente Abläufe, gesicherte Information und Akteneinsicht, Transparenzportale im Internet, Informationskampagnen, Bürgerforen vor Ort und vor allem Beteiligungsmöglichkeiten auf Augenhöhe.

Für den Förderverein Mediation
im öffentlichen Bereich (FMöB) e.V.: Für den Bundesverband MEDIATION (BM) e.V.:
(Dr. Dieter Kostka) (Roland Schüler)
Vorsitzender des FMöB e.V. in Abstimmung mit dem Vorstand des BM e.V.

Dirk Seifert

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