Beteiligung ohne Beteiligung – Rot-grüner Senat verordnet Beirat für Hamburger Energiewende (HEW)

Beteiligung ohne Beteiligung – Rot-grüner Senat verordnet Beirat für Hamburger Energiewende (HEW)

Demokratische Teilhabe bei der Energiewende und den neuen rekommunalisierten Energienetzen. Das ist Auftrag für den Hamburger Senat und die Bürgerschaft nach dem erfolgreichen Volksentscheid „Unser Hamburg Unser Netz“. Zur demokratischen Beteiligung war der Energienetzbeirat (2015) eingerichtet worden, in dem Umwelt- und Verbraucherverbände, Wirtschaft, Wissenschaft und Gewerkschaften beteiligt waren, die den Umbau der neuen kommunalen Energieunternehmen, die Energiewende und den Klimaschutz mitgestalten, aber auch den Senat kontrollieren sollten. Dafür war eine Geschäftsstelle eingerichtet worden und ein Etat festgelegt. Keine einfache Sache nach den Problemen, die Vattenfall und E.on hinterlassen hatten, aber eine wichtige Sache, um die Energiewende demokratisch zu gestalten. Doch seit den Wahlen im Februar 2020 und Corona haben weder Senat noch Fraktionen sich um die Fortsetzung des Energienetzbeirats gekümmert. Jetzt aber geht es nicht schnell genug: Ohne jede Beteiligung des bisherigen Beirats hauen die rot-grünen Fraktionen aus dem Nichts und von Oben verordnet einen eilig gestrickten Neuvorschlag raus. Demokratische Beteiligung soll am besten erstmal ohne demokratische Beteiligung verordnet werden.

Schon im Herbst letzten Jahres hatte der BUND informell beim grünen Umweltsenator angeklopft, was denn mit dem Energienetzbeirat und einer Sitzung in der neuen Legislatur nun wäre. Klimaschutz, Kohleausstieg, Wedelersatz. Alles Themen die ja möglicherweise nicht unwichtig wären. Und der BUND hatte ja schon Rücksicht auf die Corona-Pandemie genommen und Videokonferenzen waren nun längst zum neuen Standard geworden. Doch erst im Januar meldete sich die Behörde über den Verteiler des Energienetzbeirats, übermittelte die Protokolle der Sitzung vom Jahreswechsel 2020/21 und versprach, im ersten Quartal 2021 eine Sitzung einzuberufen. Aber: Es kam nichts.

Der BUND fasste schließlich mit einem neuerlichen Appell an die Behörde nach, verteilte den Brief auch an die anderen Mitglieder des Netzbeirats. Gewerkschaften, Handelskammer und ein Verband aus den Erneuerbaren Energien unterstützen die Initiative, forderten die Behörde auf, eine Fortsetzung des Beirates aufs Gleis zu setzen. Doch es passierte seitens der Behörde: Nichts. Dort werkelte man an einem neuen Klimabeirat, in dem ausschließlich Wissenschaftler:innen vertreten sein sollen (siehe dazu unten). Am unbequemen Netzbeirat hatte der Senator wenig Freude, wie einem Beitrag von ihm vor der Bürgerschaft zu entnehmen war. Hier und da nachvollziehbar, aber Klimaschutz ist ja nun nicht so sehr eine Frage von Befindlichkeiten, sondern eine, bei der dicke Bretter zu bohren sind und um Lösungen nun mal gerungen wird.

Doch während die Behörde die Füße still hielt, wurden die Regierungsfraktionen offenbar an ihre Aufgabe erinnert. Und zack: Da ist ein Antrag aus dem Hut gezaubert. Da wird vieles neu gestrickt, erweitert, verändert und gebastelt. Nur: Kein einziges Gespräch mit denen, die bislang Energienetzbeirat waren, wie das nun denn weitergehen könnte. Dabei hatte der Energienetzbeirat seine Arbeit vor Ende der letzten Legislatur sogar noch evaluiert und mit einer externen Moderation gemeinsam Vorschläge zur Reform erarbeitet. Aber das muss natürlich für einen rot-grünen Senat nicht weiter von Bedeutung sein, schon gar nicht, wenn es um Beteiligung an politischen Vorgängen geht, die in einem Volksentscheid mit Mehrheit beschlossen worden sind.

Da werden alle möglichen neuen Baustellen in den Antrag reingeschrieben, die irgendwie gut klingen, aber doch sehr wenig fundiert wirken. Die öffentlichen Unternehmen im Netzbeirat waren bislang verpflichtet, an den Sitzungen teilzunehmen, Rede und Antwort zu stehen und Maßnahmen, die den Vorschlägen des Beirats zuwider liefen, zu begründen. Von dieser für demokratische Beteiligung wichtigen Festlegung ist jetzt keine Rede mehr. Der neue Beirat für die Hamburger Energiewende bekommt haufenweise Rahmendaten von oben gesetzt, eigene Spielräume sind nicht vorgesehen. Der Kreis der Akteure wird deutlich ausgeweitet. Die Anzahl der NGOs wird zwar vergrößert, nicht aber die Anzahl der Personen. Genauer: Im Grunde wird der Teil der Umwelt- und Klimaaktiven strukturell sogar verkleinert und z.B. Wirtschaft erweitert. Nicht wirklich jetzt eine Ansage, die zu einer Verstärkung von Klimaschutzaktivitäten führt – wenn man für einen Moment mal ganz spekulativ davon ausgeht, dass Rot-Grün vielleicht doch hier und da noch ein klein wenig Nachholbedarf hat. Ach naja, das ruckelt sich natürlich irgendwie alles schon mal hin und wichtig ist ja, dass der Senat entscheidet, wo es lang geht.

Nächste Woche wollen die Regierungsfraktionen ihren Antrag direkt in der Bürgerschaft beschließen. Nun, nachdem sie weit über ein Jahr die Öffentlichkeitsbeteiligung irgendwie übersehen, vergessen oder sonstwie nicht so wichtig gefunden hatten und der Sommer vor der Tür steht, muss alles ganz schnell gehen. Das müssen die Bürger:innen und die Öffentlichkeit einsehen, dass man das mal schnell von Oben entscheidet. Da ist kein Platz mehr für eine Beratung in den Ausschüssen, eine Beteiligung in Form einer Anhörung oder gar: Einfach den alten Beirat einberufen und gemeinsam klären und vereinbaren, wie demokratische Teilhabe und Demokratie am besten gemeinsam funktionieren und weitere notwendige Handlungsbereiche und Akteure einbezogen werden können? Puh, das wäre zuviel des Guten. Sowas können nämlich nur Regierungsfraktionen – nicht aber diese Souveräne, die im Volksentscheid mehr demokratische Kontrolle in der Energieversorgung den Fraktionen und dem Senat ins Stammbuch geschrieben haben. Habe die Ehre!

Um auch das nicht zu vergessen: Es gibt nach der Volksinitiative Tschüss Kohle, die statt einem Kohleausstieg für 2025 (ehemaliges Ziel) eine gesetzliche Vereinbarung für einen Kohleausstieg spätestens bis 2030 erreicht hat und dazu ein Beteiligungsgremium für einen möglichst früheren Ausstieg aus der Kohle im Heizkraftwerk Tiefstack vereinbart hat. Dieses Gremium arbeit befristet, um Vorschläge für einen schnelleren Ausstieg zu erarbeiten. Diese Runde soll nun dauerhaft in den neuen Beirat integriert werden. Außerdem soll Fridays for Future in den HEW. Das ist durchaus zu begrüßen. Nach den vorliegenden Informationen sind diese neuen Akteure aber von den Regierungsfraktionen nicht befragt worden, ob sie eigentlich dabei sein wollen. Aber das sind natürlich Kleinigkeiten.

 

Dirk Seifert