Absichtlich schlampige Anordnungen bei Atom-Moratorium? Bundesregierung antwortet auf Zdebels Fragen

Haben politisch verantwortliche Vertreter der Bundesregierung und der hessischen Landesregierung möglicherweise durch absichtliche Unterlassungen den Schadensersatzklagen von RWE zum Atom-Moratorium nach Fukushima zum Erfolg verholfen? Diesem Verdacht ist der Bundestagsabgeordnete Hubertus Zdebel, Sprecher für Atomausstieg der Fraktion DIE LINKE, mit drei Schriftlichen Fragen an die Bundesregierung nachgegangen. RWE hat den Bund und das Land Hessen wegen der fehlerhaften Stilllegung des AKW auf Schadenersatz in Höhe von 235 Millionen Euro verklagt.

„Die Antworten der Bundesregierung auf meine Schriftlichen Fragen sind nicht davon geleitet, Aufklärung zu betreiben. Zu der brisanten Frage über die Aktivitäten und Motive des damaligen Abteilungsleiters Gerald Hennenhöfer weicht die Bundesregierung aus. Allerdings räumt sie ein, dass es Widersprüche durch „unterschiedliche Vorgaben aus den Hierarchieebenen des damaligen BMU, die telefonisch oder persönlich an die AG übermittelt wurden“, gegeben habe. Diesem Hinweis wird nachzugehen sein. Ob möglicherweise mit Absicht Unterlassungen von politisch Verantwortlichen erfolgten, die die Schadensersatzklagen von RWE begünstigten, muss zunächst weiter in Hessen untersucht werden. Davon wird es abhängen, ob zu einem späteren Zeitpunkt in Berlin weitere Schritte erforderlich werden. Als Bundestagsabgeordneter werde ich mich mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln aber weiter bemühen, die Aufklärung zu unterstützen“, so Hubertus Zdebel.

Ein ungeheuerlicher Verdacht

Im Rahmen der Arbeit des parlamentarischen Untersuchungsaussschusses im hessischen Landtag ist durch Recherchen des ARD-Magazins Monitor der Verdacht aufgekommen, dass die erfolgreiche Schadensersatzklage von RWE gegen das Atom-Moratorim nach Fukushima möglicherweise durch absichtlich mangelhafte Rechtsanordnungen begünstig worden sein könnte.

Ein Schriftwechsel zwischen dem damaligen RWE-Chef Grossmann und dem hessischen Ministerpräsidenten Bouffier legen diesen Verdacht nahe. Außerdem berichtete Monitor über Auseinandersetzungen im Bundesumweltministerium. Demnach habe es schwere Konflikte zwischen dem damaligen Bundesumweltminister Röttgen und seinem Atom-Abteilungsleiter Hennenhöfer einerseits und der Fachabteilung RS I 3 andererseits über das gebotene rechtliche Vorgehen gegeben.

  • Bürger haben inzwischen Strafanzeige gegen den hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier gestellt, berichtet die Frankfurter Rundschau.

Die Abteilung warnte demnach über „rechtliche und finanzielle Risiken“ hinsichtlich der fehlenden konkreten Risiken und Gefahren in der Begründung der atomrechtlichen Anordnungen zur vorübergehenden Betriebseinstellungen der Atommeiler. In einem Brief von Hennenhöfer, in dem die Fachabteilung von der Teilnahme an einer Sitzung ausgeschlossen wurde, weil man „ohne Aufpasser“ diskutieren wollte, ist auch die Rede von einem „massiv gestörten Vertrauensverhältnis“ zu dieser Abteilung und von jahrelangen anderen Konflikten.

 

Die drei schriftlichen Fragen von Hubertus Zdebel und die Antworten der Bundesregierung (25.2.2015)

Ihre Schriftlichen Fragen mit den Arbeitsnummern 2/146, 2/147 und 2/148 vom 16. Februar 2015 (Eingang im Bundeskanzleramt am 18. Februar 2015) beantworte ich wie folgt:

Frage 2/146

„Warum hat der damalige Bundesumweltminister Norbert Röttgen nicht auf ihm offenbar durch Schriftverkehr bekannte Hinweise vom 31. März 2011 und 4. April 2011 des Referats RS I 3 als auch z. B. des Hessischen Ministe­riums für Justiz (Vermerk vom 17. März 2011, siehe Bericht ARD-Magazin Monitor vom 5. Februar 2015) auf „rechtliche und finanzielle Risiken“ hin­ sichtlich der Begründungfür die einstweilige Betriebseinstellung und auf das Drängen, dass konkrete Gefahren und Risiken stärker einbezogen wer­den müssten, reagiert, und welche Mängel hat das Fachreferat Bundesauf­ sichtbei Atomkraftwerken (RS I 3) an der Begründung zur einstweiligen Betriebseinstellung der von RWE betriebenen AKW Biblis A und B vorge­ tragen (bitte einzeln auflisten)?“

Antwort Frage 2/146:

In der vom Magazin Monitor zitierten Vorlage der Arbeitsgruppe RS I 3 des damaligen Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit vom 4. April 2011 wird auf die in einer Vorlage vom 31. März 2011 aufgezeigten „rechtlichen und finanziellen Risiken“ hingewiesen. Die Vorlage vom 31. März 2011 vertritt grundsätzlich die Auffassung, dass die Rechtsgrundlage des § 19 Absatz 3 des Atomgesetzes einen einheitlichen Gefahren- und Risikobereich erfasst, der insofern auch einstweilige Be­triebseinstellungen zwecks „Gefahrenerforschung“ erfasst. Die Vorlage weist ausdrücklich daraufhin, dass die in der Vorlage erörterte Anordnung des Sofortvollzugs durch die Länder rechtmäßig erlassen werden konnte. Darüber hinaus weist die Vorlage lediglich darauf hin, dass im Hinblick auf die in der Vorlage dargelegte Rechtsauffassung generell ein gewisses rechtliches und somit auch finanzielles Risiko verbleibt.

 

Frage 2/147

„Um welche Sachverhalte mit Blick auf das Referat RS I 3 geht es nach Kenntnis der Bundesregierung in dem Schreiben des Abteilungsleiters Atomenergie, Gerald Hennenhöfer, vom 8. April 2011, in dem er mitteilte, dass er die in „beigefügter Vorlage von den Mitarbeitern des Referats RS I 3 vertretenen Positionen“ nicht teile und in dem er von einem „massiv ge­störten Vertrauensverhältnis“ bzw. von einem „auch aus den letzten Legislaturperioden bekannte(n) Versuch, die Akteure des deutschen Aufsichtssys­tems (damit auch den Vorsitzenden der Reaktorsicherheitskommission, RSK) zu delegitimieren“ spricht, die ihn offenbar dazu veranlassten, ein Vorbereitungstreffen der „Redaktionsgruppe der RSK“ … „ohne Aufpas­ser“ durchzuführen (siehe Bericht des ARD-Magazins Monitor vom 5. Februar 2015) und das Referat RS I 3 entsprechend einem Wunsch der RSK nicht daran zu beteiligen, und wie bewertet die Bundesregierung die Sorge, dass das in dem Brief genannte Problem zwischen RS I 3 und der BehördenIeitung möglicherweise negativen Einfluss auf die fachliche Qualität der Tätigkeit im BMU hinsichtlich der einstweiligen Betriebsstilllegung für einige AKW nach der Katastrophe von Fukushima gehabt haben könnte (bitte um detaillierte Darstellung der Vorgeschichte „auch aus den letzten Legislaturperioden bekannte Versuch …“und im Zusammenhang mit dem geplanten Treffen „ohne Aufpasser“)?

Antwort Frage 2/147

2011 wie heute gehört es zu den Aufgaben des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (Arbeitsgruppe RS I 3, AG RS I 3), bundesaufsichtliche Fragestellungen zu sicherheitstechnisch relevanten Themen bei Kernkraftwerken in Deutschland gegebenenfalls auch durch ein Beratungsgremium, die Reaktor-Sicherheitskommission (RSK), klären zu lassen. Dabei stößt die AG RS I 3 die Beratungen der RSK durch Beratungsaufträge mit konkreten Fragestellungen an und bringt durch aktive Beteiligung an den Beratungen die bundesaufsichtlichen Fragestel­lungen und Anmerkungen direkt in die Diskussion ein. Die Ministervorlage der AG RS I 3 vom 4. April 2011 hatte das Ziel, diese Aufgaben und Ver­antwortung der AG gegenüber der Leitung des damaligen Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) deutlich zu machen und eine Entscheidung zu erbitten, falls diese Verantwortung in diesem speziellen Fall nicht gewünscht wäre. Diese Klarstellung wurde aus Sicht der AG RS I 3 notwendig, weil sich unterschiedliche Vorgaben aus den Hierarchieebenen des damaligen BMU, die telefonisch oder persönlich an die AG übermittelt wurden, zunächst widersprachen.

Ohne die genaue Begründung für die Argumente des damaligen Abteilungs­leiters für Reaktorsicherheit in seinem Vermerk vom 8. April 2011 im Einzelnen zu kennen bzw. zu bewerten, hat dieser jedenfalls insbesondere auf die politische Entscheidungslage hingewiesen, wonach die Robustheitsprüfung der Kernkraftwerke durch eine in jeder Hinsicht unabhängige Exper­tenkommission erfolgen sollte.

Die Ministervorlage vom 4. April 2011 und der Vermerk vom 8. April 2011 hatten keinen unmittelbaren Bezug zu der den Ländern übermittelten For­mulierungshilfe des damaligen BMU vom 16. März 2011 für die Bescheide der Länder zur einstweiligen Betriebseinstellung der sieben ältesten deutschen Kernkraftwerke. Wie sich aus der in der Antwort auf Frage 2/146 genannten Vorlage der AG RS I 3 vom 31. März 2011 ergibt, ging auch die AG RS I 3 davon aus, dass auf der Grundlage der Formulierungshilfe gemäß § 19 Absatz 3 Atomgesetz rechtmäßige Anordnungen der Länder bzw. eventuell ergänzender Anordnungen zu deren Sofortvollzug erlassen werden konnten.

Frage 2/148

“ Welche Hinweise (Stellungnahmen, Bewertungen, Briefe) haben im Zusammenhang mit der einstweiligen Betriebseinstellung der AKW nach der Katastrophe von Fukushima dem BMU aus dem eigenen Ministerium, aus den jeweiligen Landesministerien oder anderen Bundesministerien zwischen März bis Juni 2011 vorgelegen, in denen Risiken hinsichtlich von Schadens­ersatzklagen und der zu wählenden Begründung für die einstweilige Be­triebseinstellung behandelt und vorgetragen wurden (bitte um Auflistung
der Dokumente mit Verfasser, Titel und Datum), und aus welchen Gründen wurde diesen Hinweisen, konkrete Gefahren und Risiken in die Begründung für die einstweilige Betriebseinstellung aufzunehmen, nicht gefolgt?“

 

Antwort Frage 2/148

Über die in der Antwort auf Frage 2/146 genannten Aspekte hinaus lagen im März 2011 im damaligen BMU Hinweise im Zusammenhang mit der Frage von eventuellen Schadensersatzansprüchen bezüglich der Anordnungen zur einstweiligen Einstellung des Leistungsbetriebs der in Rede stehenden Anlagen bzw. der von den Ländern dabei in eigener Sachkompetenz verwende­ten und zu verantwortenden Begründung nicht vor.

Eine in der Besprechung auf Ministerebene am 15. März 2011 vorliegende, von der AG RS I 3 erstellte, Liste mit zu prüfenden sicherheitstechnischen Fragestellungen und möglichen neuen Auslegungsanforderungen für Kern­kraftwerke betraf die Frage, wie und in welchem Umfang die seitens der Reaktor-Sicherheitskommission innerhalb von drei Monaten vorzunehmende Sicherheitsüberprüfung durchgeführt werden sollte, nicht jedoch Gefah ren und Risiken, die über die in der Handreichung enthaltene allgemeine Begründung für die einstweilige Einstellung des Leistungsbetriebs hinaus – zur weiteren Begründung der einstweiligen Einstellung des Leistungsbe­triebs herangezogen werden sollten.

Die Unklarheiten über Ursachen und Abläufe der Ereignisse in Japan und die daraus resultierende Ungewissheit, ob bisher unbekannte Schadensursa­chen aufgetreten waren und in Deutschland sicher ausgeschlossen werden konnten, rechtfertigte und gab Veranlassung, von einem Gefahrenverdacht im Sinne des § 19 Absatz 3 des Atomgesetzes auszugehen und auf dieser Basis die getroffenen Anordnungen bezüglich der so genannten Altanlagen zu erlassen.

Zu den konkreten Inhalten der Akten der betroffenen Länder kann das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit in Er­mangelung der Überleitung der Sachkompetenz keine Angaben machen.

Mit freundlichen Grüßen

Rita Schwarzelühr-Sutter

Dse4Zdebel

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