Analyse des Koalitionsvertrags von CDU/CSU und SPD in den Bereichen Atom und Fracking

Das Büro des Bundestagsabgeordneten Hubertus Zdebel (Fraktion DIE LINKE) bewertet im Folgenden den Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD (PDF) zur Energiepolitik und zum Klimaschutz und mit besonderem Blick auf die Vereinbarungen zur Atompolitik und zum Fracking (Berlin 09. Februar 2017):

Vorbemerkungen zu Energiepolitik und Klimaschutz

Was für den Koalitionsvertrag  insgesamt gilt, zeigt sich in den Abschnitten zur Energiepolitik und zum Klimaschutz erst recht: Union und SPD bringen lediglich ein mutloses Stückwerk mit vereinzelten kosmetischen Korrekturen, vielen Ankündigungen für die ferne Zukunft und wenig konkreten Maßnahmen fürs Hier und Jetzt zustande. Statt „Aufbruch“ und „neuer Dynamik“ ist nur Stillstand und Verwaltung des Status Quo zu erkennen.

Mit der weiterhin bestehenden Zuordnung des Energiebereichs zum Wirtschaftsministerium zeigt die große Koalition, auf welcher Seite sie beim Zielkonflikt Klimaschutz vs. Kapitalismus im Zweifel steht. Dabei haben die Erfahrungen der letzten Jahre hinreichend gezeigt, dass eine marktgesteuerte Energiewende zum Scheitern verurteilt ist und die großen Energiekonzerne mit aller Macht den Klimaschutz ausbremsen. Es wäre ein Zeichen gewesen, hätte die Bundesregierung den Energiebereich wieder dem Umweltministerium eingegliedert, dem er bis 2013 noch angehörte. Stattdessen setzen Union und SPD voll auf „grünen Kapitalismus“ und hofieren die Energiekonzerne mit wirtschaftsfreundlichen Maßnahmen.

Das Klimaziel 2020 wird im Vorbeigehen abgeräumt, womit Merkel und Schulz eines ihrer zentralen Wahlkampfversprechen brechen. Das Klimaziel 2030 soll zwar per Gesetz verbindlich gemacht werden, doch es bleibt völlig unklar, wie die Bundesregierung dieses Ziel erreichen will. Der Kohleausstieg wird in eine zahnlose Kommission ausgelagert und auf den Sankt Nimmerleinstag verschoben. Ohne Abschaltung der 20 schmutzigsten Braunkohlekraftwerke bis 2020 wird Deutschland seine Klimaziele jedoch nicht erreichen können, darüber sind sich mittlerweile die meisten Experten einig.

Penetrant wird im Koalitionsvertrag auch in den Kapiteln zur Energieversorgung und zum Klimaschutz auf die „internationale Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandorts Deutschland“ und die „Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen“ abgezielt (vgl. S. 57, 71, 72, 75, 143). Mehrfach wird betont, dass die Energiewende „marktorientiert“ gestaltet werden muss (vgl. S. 14, 71, 72), der Emissionshandel soll gestärkt werden (vgl. S. 143). Dass sich das eine – Wachstum um jeden Preis – und das andere – konsequenter Klimaschutz – gar nicht vereinbaren lassen, erwähnen Union und SPD nicht. Nur am Rande sei erwähnt: Insgesamt taucht die Vokabel „Wettbewerbsfähigkeit“ bzw. „wettbewerbsfähig“ 35-mal im Koalitionsvertrag auf.

Nicht unwichtig dürfte in diesem Zusammenhang die CDU-Verhandlungsführerschaft von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet im Bereich Umwelt und Klima gewesen sein. Hatte die NRW-CDU bereits im vergangenen Sommer mit der Lindner-FDP als Koalitionspartner ein klimapolitisches Rollback in NRW eingeleitet, setzt sich diese Linie nun auf Bundesebene fort. Da der Klimapart des Koalitionsvertrags überraschend schnell konsensfähig war, ist davon auszugehen, dass auch die SPD kaum Probleme damit hatte, konkretere Maßnahmen wieder einzukassieren bzw. gar nicht erst anzupeilen.

 

Atompolitik:

Die atompolitischen Vereinbarungen im Koalitionsvertrag sind mangelhaft und inkonsequent. Die angestrebte große Koalition aus CDU/CSU und SPD will nur kleinere Korrekturen ihrer bisherigen Atompolitik vornehmen.

Neben den mangelhaften und inkonsequenten Aussagen zu den Atomanlagen zur Stromerzeugung und den damit verbundenen Atommüll- und anderen Handlungsfeldern, ist deutlich zu kritisieren, dass keinerlei Aussagen zum Abzug der Atomwaffen in Büchel sowie zur Unterzeichnung des Atomwaffenverbots-Vertrages der UN im Koalitionsvertrag enthalten sind.

Atomausstieg – Beschleunigter Atomausstieg – Stilllegung Uranfabriken – Brennstoff-Exporte

Eine mögliche und notwendige Beschleunigung des Atomausstiegs – auch um die Stromnetze frei von Atomstrom und damit frei für den Ausbau der erneuerbaren Energien zu machen – hat die neue GroKo nicht vereinbart. Sie hält am Ausstiegsdatum 2022 fest. Damit bleiben die atomaren Risiken schwerer Unfälle auch in Deutschland weiter möglich.

Die längst überfällige Einbeziehung der Uranfabriken in Gronau und Lingen in den Atomausstieg – und damit deren Abschaltung – wurde nicht vereinbart. Dabei liegen im Bundesumweltministerium die Gutachten in der Schublade, wie die endgültige Stilllegung dieser Uranfabriken möglich ist, die weltweit den Betrieb von Atommeilern sicherstellen. DIE LINKE fordert, die Stilllegung der Uranfabriken in Gronau und Lingen endlich umzusetzen.

Unzureichend ist, dass die Verhinderung des Einsatzes von Kernbrennstoffen aus den deutschen Uranfabriken in besonders marode ausländische Anlagen, deren „Sicherheit aus deutscher Sicht zweifelhaft ist“ (Tihange, Doel, Fessenheim, Cattenom etc.), zunächst lediglich „geprüft“ werden soll. Es gibt keine sicheren Atomkraftwerke, da in keiner Anlage ein Super-Gau ausgeschlossen werden kann. Somit ist die Stilllegung der deutschen Uranfabriken der beste Weg, um die deutsche Beihilfe zum Betrieb von Atommeilern zu beenden.

Atommüll: Zwischenlagerung und dauerhafte Lagerung

Die wachsenden Probleme bei der Zwischenlagerung von Atommüll werden im Koalitionsvertrag weitgehend ausgeblendet. Stattdessen soll bei der „Endlagersuche“ für hochradioaktiven Atommüll nach dem politischen Willen der GroKo mit Hochdruck eine Standortentscheidung bis 2031 abgeschlossen sein. Das haben wiederholt unterschiedliche Experten aus rein sachlichen Gründen als unrealistisch bezeichnet, wenn die im Standortauswahlgesetz vorgesehen Regelungen beachtet werden. Politischer Druck auf das Verfahren birgt das Risiko, dass die Fehler von Gorleben wiederholt werden und verloren gegangenes Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in staatliches Handeln dauerhaft verspielt wird.

Selbst wenn der Termin eingehalten werden könnte und ein Endlager um 2050 in Betrieb gehen würde: Eine Einlagerung der Castoren bräuchte Jahrzehnte. Auch dies führt zu deutlich längeren Zwischenlager-Zeiten als bislang genehmigt.

Außerdem erfordern wachsende Terrorrisiken neue Sicherheitskonzepte. In Brunsbüttel ist wegen fehlender und falscher Sicherheitsnachweise die Genehmigung für das dortige Zwischenlager gerichtlich aufgehoben worden, in Jülich lagert hochradioaktiver Atommüll ebenfalls ohne atomrechtliche Genehmigung und in Lubmin an der Ostsee muss sogar ein neues Zwischenlager errichtet werden, weil das bisherige baulich nicht ausreichend gesichert werden kann. Fachleute, Umweltorganisationen und auch das mit dem Standortauswahlgesetz geschaffene unabhängige „Nationale Begleitgremium“ fordern deshalb eine Überprüfung des Zwischenlagerkonzepts mit gesellschaftlicher Beteiligung.

Wir meinen: Eine sicherheitsorientierte Suche nach einem Standort für die dauerhafte Lagerung hoch radioaktiver Atomabfälle braucht seine Zeit und muss auf Transparenz, eine möglichst gute Öffentlichkeitsbeteiligung mit umfassenden Beteiligungs- und Klagerechten basieren. Wegen der Zusammenhänge zur „Endlagersuche“ und aufgrund wachsender Risiken muss auch das Zwischenlagerkonzept einem gesellschaftlichen Beteiligungsprozess unter Einbeziehung der betroffenen Standorte unterzogen werden.

In Sachen Atommüll-Export fehlt eine klare Vereinbarung, die den Export des Atommülls aus Jülich in die USA unterbindet und ein neues Zwischenlager vor Ort regelt.

Schacht Konrad: Bisherige Pläne werden revidiert – Neues Bereitstellungslager

Bislang war vorgesehen, die leicht- und mittelradioaktiven Atomabfälle, die in den aus unser Sicht ungeeigneten Schacht Konrad dauerhaft eingelagert werden sollen, direkt vom Verursacher-Standort in den Schacht zu verbringen. Mit der Verabredung, jetzt unverzüglich mit den Planungen und dem Bau eines neuen Bereitstellungslagers für den Betrieb des Schacht Konrad zu beginnen, machen die Koalitionsparteien klar: Das bisherige Konzept für Schacht Konrad ist gescheitert. Mit dem neuen Lager wird in der Region erneut eine große Atomanlage entstehen, zusätzliche Atomtransporte werden die Folge sein. Das wird für Zündstoff sorgen, aber zu einer Öffentlichkeitsbeteiligung sagt die Bundesregierung nichts.

Aus Kostengründen will die Groko den politischen Druck für die zügige Inbetriebnahme von Schacht Konrad forcieren. Das kann zum Bumerang werden. Die ASSE II zeigt, dass die Kosten für ein falsches, unsicheres Endlager schnell explodieren können. Stattdessen ist eine Sicherheitsüberprüfung des völlig veralteten Projekts nach dem heutigen Stand von Wissenschaft und Technik dringend notwendig.

Gescheiterte Atommülllagerung: ASSE II – Morsleben

Die Rückholung der ASSE-Abfälle soll mit „hoher Priorität“ weitergeführt werden. Das muss in der Praxis mit entsprechenden Maßnahmen unterlegt werden.

Mit Blick auf das von der DDR-übernommene und in den 1990er Jahren vor allem mit leicht- und mittelaktivem Atommüll der westdeutschen AKWs befüllte „Endlager“ Morsleben gesteht die Bundesregierung indirekt ein, dass es wegen anhaltender Probleme bei den Sicherheitsnachweisen seit Jahren kein Vorwärtskommen bei der geplanten Schließung der Anlage gibt. Sicherheit und nicht Zeitdruck muss weiterhin Priorität haben! Auch hier muss die Bevölkerung endlich beteiligt werden und gemeinsam ein sicherheitsorientierter Umgang mit diesen Abfällen gesucht werden.

Finanzierung der Atommülllagerung

Unverständlich ist, dass die SPD nicht darauf bestanden hat, die Atomkonzerne stärker an der Finanzierung der Atommülllagerung zu beteiligen, in dem eine verfassungskonforme Regelung zur Brennelementesteuer neu geschaffen wird. Auch von einer Nachschusspflicht der Konzerne, für den (mehr als wahrscheinlichen) Fall, dass die Kosten bei der Atommüllentsorgung über die bisher eingezahlten Beträge der Atomkonzerne in den 2017 eingerichteten Atomfonds („Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung“) nicht ausreichen, findet sich im Vertrag keine Spur. So bleiben die Konzerne, die inzwischen eine Art finanzieller „Wunderheilung“ durchlaufen haben, ungeschoren und die SteuerzahlerInnen tragen das volle Risiko.

Atomausstieg und Europa

In der EU wird sich die Groko dafür einsetzen, dass die Zielbestimmungen des EURATOM-Vertrages hinsichtlich der Nutzung der Atomenergie an die „Herausforderungen der Zukunft“ angepasst werden. Immerhin haben auch CDU/CSU und SPD endlich erkannt, dass der eindeutige Atom-Förder-Auftrag des immer noch gültigen EURATOM-Vertrags aus dem Jahr 1957 nicht wirklich mit dem in Deutschland beschlossenen Atomausstieg zusammenpasst. Im Kontext des britischen Ausstiegs aus Euratom wird das zu beachten sein.  DIE LINKE strebt einen Vertrag zum Atomausstieg und zum Ausbau der Erneuerbaren Energien in Europa an. Entsprechende Anträge wurden in der vergangenen Legislaturperiode von der Groko abgelehnt.

Ferner will die Groko keine EU-Förderung für neue Atomkraftwerke und eine konsequente Beendigung aller Beteiligungen staatlicher Fonds an AKWs im Ausland umsetzen. Eigentlich längst überfällige Schritte, denen aber die Konkretisierung fehlt, z.B. eine Vereinbarung, gegen AKW-Neubauten innerhalb der EU-Staaten und Europa mit rechtlichen Schritten vorzugehen, oder eine Neuregelung bei den Hermes-Kreditbürgschaften für Exporte, mit der Atomenergie-Projekte ausgeschlossen werden.

Zur Beurteilung der Sicherheit bei Atomanlagen ist entsprechendes Knowhow von großer Bedeutung. Dies gilt nicht nur für immer älter werden Reaktoren in Deutschland und Europa, sondern auch hinsichtlich von Weiterentwicklungen neuer Reaktorkonzepte. Dieses Knowhow birgt aber auch die Gefahr, dass in Deutschland derartige Entwicklungen bis hin zum Wiedereinstieg weiter möglich bleiben. Für DIE LINKE ist daher die Verankerung des Atomausstiegs im Grundgesetz von zentraler Bedeutung.

 

Fracking:

Dass CDU, CSU und SPD das Thema Fracking im Koalitionsvertrag mit keinem Wort erwähnen, ist ein äußerst negatives Signal für die Betroffenen vor Ort. Denn dies bedeutet, dass das in der letzten Legislaturperiode von der Großen Koalition durchgepeitschte Pro-Fracking-Recht in vollem Umfang bestehen bleiben soll. Damit kann die Fracking-Technik großflächig in bestimmten Gesteinsformationen, sogenannten Tight-Gas-Reservoirs, u.a. in Niedersachsen zum Einsatz kommen. Die Folgen sind Grundwasserkontaminationen, Erdbeben und die Freisetzung des klimaschädlichen Methans in die Atmosphäre. Eine überwiegend mit Vertretern frackingfreundlicher Institutionen besetzte Expertenkommission soll vier Forschungs- und Erprobungsbohrungen im Schiefer-, Ton-, Mergel- und Kohleflözgestein begleiten. Damit wird der Weg bereitet, Fracking in allen Gesteinsarten zuzulassen. Und das Moratorium für die Schiefergasgewinnung, bei der Fracking zum Einsatz kommt, soll 2021 auf den Prüfstand. Bereits jetzt betreiben die Gaskonzerne Lobbyarbeit, um das Moratorium zu kippen. Beim industriefreundlichen Zuschnitt des Koalitionsvertrages braucht man keine große Fantasie, um die Erfüllung dieser Forderung durch die Große Koalition zu prognostizieren.

Die Fraktion DIE LINKE. im Bundestag will, dass Fracking bei der Aufsuchung und Gewinnung von Bodenschätzen in Deutschland ohne Ausnahmen verboten wird. Dazu hat die Fraktion einen Antrag (Drucksache 19/482) eingebracht, der die Bundesregierung auffordert, das Bundesberggesetz entsprechend zu ändern.

Fracking und LNG

Die Orientierung auf Fracking-Gas beschränkt sich dabei nicht nur auf das in Deutschland mittels der Fracking-Technik geförderte Erdgas. So soll „Deutschland zum Standort für LNG-Infrastruktur“ gemacht werden. Diese Formulierung im Koalitionsvertrag legt den Schluss nahe, dass gefracktes Erdgas aus Übersee, allen voran den USA, als Flüssiggas verstärkt nach Deutschland importiert werden und dazu die noch fehlende Infrastruktur geschaffen werden soll. In den USA sowie in Kanada und Australien fördern Energiekonzerne Erdgas mithilfe der Fracking-Technologie. Hiervon profitieren einzig die Gaskonzerne, die auch in Deutschland zunehmend Beteiligungen an LNG-Projekten erwerben. Dies geht nicht nur zu Lasten der Betroffenen in den Fördergebieten in den USA, in denen großflächige Umweltschäden wie Grundwasserkontaminationen festgestellt wurden, sondern widerspricht auch dem Klimaschutz. Anstatt die eigenen Klimaziele zu realisieren, wird offensichtlich verstärkt auf klimaschädliches Fracking-Gas gesetzt.

Dse4Zdebel

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