Weiter deutsche Uranexporte? Kurswechsel der Bundesregierung zur Sicherheitsbewertung der AKW Tihange 2 und Doel 3
Die Bundesregierung und das zuständige Umweltministerium verabschieden sich mit Blick auf die umstrittenen AKW-Blöcke Tihange 2 und Doel 3 vom bislang von der belgischen Regierung wegen konkreter Sicherheitsmängel geforderten sofortigen Atomausstieg. Trotz vieler tausend Risse in den Druckbehältern der beiden Alt-Reaktoren ist das BMU zu der Auffassung gekommen, dass es zu keinem schweren Unfall kommen wird. Anlass ist eine Bewertung durch die zum BMU gehörende Reaktorsicherheitskommission (RSK). Dort sitzen nicht nur vermeintlich unabhängige Experten aus Atomunternehmen, -Forschungsanstalten und Gutachtereinrichtungen, sondern auch vermeintlich atomkritische Fachleute, z.B. vom Öko-Institut. Diese RSK kam jüngst zu dem Ergebnis, dass die belgische Atomaufsicht alles geprüft habe und die vielen tausend Risse nach weiteren Untersuchungen jetzt kein Sicherheitsproblem mehr darstellen. Das wird auch durch die Antworten der Bundesregierung auf Kleine Anfragen von Grünen- und LINKEN-Abgeordneten deutlich.
- Stellungnahme der RSK als PDF, hier auf der Seite der RSK.
Die Aachener Zeitung fasst die Reaktion der Bundesregierung auf die RSK-Stellungnahme wie folgt zusammen: „Die Bundesregierung sieht keine Handhabe mehr, weiter gegen den Betrieb der umstrittenen belgischen Meiler Tihange 2 und Doel 3 vorzugehen. Das bestätigte ein hochrangiger Angestellter des Bundesumweltministeriums am Montag. Unsere Zeitung hatte dies bereits vermutet, nachdem ein Gutachten der deutschen Reaktorsicherheitskommission die Risse in den beiden Meilern für unbedenklich hält.“
Der Linke Bundestagsabgeordnete Hubertus Zdebel hatte die Bundesregierung mit einer Kleinen Anfrage zum Thema um eine Stellungnahme ersucht: In der Drucksache 19/4360 (PDF) teilt die Bundesregierung zwar nunmehr mit, dass sie konkret gegen die beiden Alt-Meiler nichts mehr vorzubringen habe. Damit korrigiert die Bundesregierung bzw. die Nachfolgerin von Barbara Henrdricks im Umweltministerium die bisherige Position, nach der die belgische Regierung aufgefordert worden war, aufgrund konkreter Mängel die Reaktorblöcke Tihange 2 und Doel 3 umgehend stillzulegen.
Aber, mit Blick auf alte Atommeiler heißt es unspezifisch nun: „Gleichwohl vertritt die Bundesregierung die Auffassung, dass alte Atomkraftwerke abgeschaltet werden sollten. Laufzeitverlängerungen von Atomkraftwerken sieht die Bundesregierung kritisch und hält grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfungen dafür für erforderlich.“
Auch die Grüne Bundestagsabgeordnete Sylvia Kotting-Uhl hatte die Bundesregierung nach dem RSK-Bericht zu Tihange und Doel um Anwort gebeten. In der Drucksache 19/4056 antwortet die Regierung unter anderem: „Eine offizielle Stellungnahme, z. B. zur sicherheitstechnischen Bewertung von konkreten Sachverhalten und Ereignissen in Kernkraftwerken anderer Staaten oder eine Forderung nach konkreten Abhilfemaßnahmen, erfolgt seitens der Bundesregierung grundsätzlich nicht. Gleichwohl vertritt die Bundesregierung die Auffassung, dass alte Atomkraftwerke abgeschaltet werden sollten. Laufzeitverlängerungen von Atomkraftwerken sieht die Bundesregierung kritisch und hält grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfungen dafür für erforderlich.“
Die Aachener Zeitung schreibt bereits mit Datum 9. Juli 2018: „Die Studie der RSK, die unserer Zeitung exklusiv vorlag, wurde am Montag veröffentlicht. Mit dem Tag heute gebe es einen grundlegenden Unterschied zu der Situation 2016, als Deutschland Belgien dazu aufgefordert hatte, die beiden Meiler abzuschalten. „Das ist heute durch nichts mehr zu rechtfertigen“, sagte der Ministeriumsmitarbeiter. Man könne mit den Erkenntnissen der RSK nicht mehr einen souveränen Staat bitten, Kernenergie-Meiler abzuschalten.“
Außerdem zitiert die Zeitung die Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD): „Die Bitte an Belgien, die Atomkraftwerke Tihange 2 und Doel 3 vorsorglich abzuschalten, war 2016 richtig, weil es eine ganze Reihe offener Sicherheitsfragen gab. Belgien ist der Bitte damals zwar leider nicht gefolgt. Aber seitdem haben unsere Experten einen engen fachlichen Austausch mit Belgien aufgebaut und diese offenen Fragen weitgehend geklärt. Es ist gut, dass Belgien dazu bereit ist, gemeinsam mit uns zusätzliche Experimente zur weiteren Absicherung der Methodik durchführen zu lassen.“
Während jüngst Experten wie Wolfgang Renneberg (siehe Link oben) erneut schwere Mängel kritisierten, gibt das BMU also nunmehr Entwarnung. Auch die Aachener Zeitung stellt fest: „Was bleibt ist die allgemeine Forderung an alle Nachbarstaaten, alte Kernkraftwerke abzuschalten. Für die Experten im Ministerium fallen alle Meiler in diese Kategorie, die älter als 32 Jahre sind. Man nehme aber zur Kenntnis, dass in anderen Ländern – auch Belgien – eine Laufzeit von 40 Jahren als normal angesehen werde, hieß es weiter.“
Neubewertung der Risiken von Tihange und Doel und die Uranexporte – Anhörung im Umweltausschuss
Folgen könnte diese Kurskorrektur für die laut Koalitionsvertrag anstehende Prüfung einer Stilllegung der deutschen Uranfabriken in Gronau und Lingen haben. Noch im Oktober soll dazu im Umweltausschuss des Bundestages eine Anhörung stattfinden.
Aber: Vor allem für die CDU/CSU könnte die Kurskorrektur des BMU und der Bundesregierung nun dazu führen, dass ein Exportverbot in Form der Stilllegung der Uranfabriken in Gronau und Lingen nicht länger angestrebt wird. Schon bislang hatte sich z.B. Armin Laschet, Ministerpräsident von NRW, mit Blick auf die Anlage in Gronau gegen diese Konsequenz ausgesprochen und lediglich von einem Exportverbot für Uran nach Tihange und Doel gesprochen.
Im Koalitionsvertrag haben CDU/CSU und SPD vereinbart, zu prüfen, wie es rechtssicher möglich wäre, Uranexporte in von Deutschland als unsicher angesehene AKWs im Ausland untersagt werden können. Nach Auffassung der SPD bzw. des Bundesumweltministeriums wäre ein solches Export-Verbot gegen einzelne Lieferungen nicht machbar. Lediglich die Stilllegung der Uranfabriken könnten das Ziel erreichen.
Öffentliche Anhörung im Umweltausschuss des Deutschen Bundestages zur Stilllegung der Uranfabriken in Gronau und Lingen am Mittwoch, 17. Oktober 2018, 11 bis 13 Uhr zu folgenden Vorlagen:
Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Entwurf eines Sechzehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes, BT-Drucksache 19/964 und
Antrag der Fraktion DIE LINKE. Stilllegung der Uranfabriken Gronau und Lingen – Exportverbot für Kernbrennstoffe
BT-Drucksache 19/2520