Hochradioaktiver Atommüll – Geiselhaft für künftige Generationen oder alles unter Kontrolle?

Hochradioaktiver Atommüll – Geiselhaft für künftige Generationen oder alles unter Kontrolle?

Klar ist: Bis der hochradioaktive  Atommüll aus der Atomstromerzeugung unter die Erde kommt, wird er noch jahrzehntelang oberirdisch aufbewahrt werden. Geplant war das mal alles anders und entsprechend waren auch die Sicherheitskonzepte für die ehemals Zwischenlagerung genannte Aufbewahrung angelegt. Und immer mehr sehen wir: Atomanlagen und Terror- und Kriegsgefahren bieten extrem zusätzliche Risiken des Atomstroms. Nach 40 Jahren oberirdischer Lagerung sollte der Atommüll – in neue Behälter verpackt – tief unter die Erde gehen, so eingebaut, dass künftige Generationen für eine Million Jahre sicher leben könnten, ohne sich um diesen Müll jemals kümmern zu müssen. Das war auf vielfältige Weise nicht zutreffend. Was aber machen wir nun, wenn klar ist, dass dieser aberwitzig gefährliche Atommüll möglicherweise noch im Jahr 2080 einfach an über 15 Standorten quer in der Bundesrepublik rumlagert? Der Atommüllreport wird sich auf einer Fachtagung im Juni 2023 in Hannover mit dem Problem befassen. Das Nationale Begleitgremium bei der Endlagersuche hat sich vor wenigen Tagen erst mit dem Desaster befasst. Klimakatastrophe, Atomkatastrophe? Brauchen wir Heiße Zellen und verbunkerte, tiefergelegt neue Langfrist-Lager?

Die Debatte um den weiteren Umgang mit dem hochradioaktiven Atommüll hält seit Jahrzehnten an. Gelöst ist nichts, ein Endlager gibt es nicht. Die Zwischenlagerung war für nur 40 Jahre geplant. Nun dürften es 100 Jahre werden, bevor dieser Müll – wenn überhaupt – jemals tief in die Erde kommt. Nichts ist klar, aber alles unter Kontrolle. Jedenfalls wenn man den staatlichen Stellen und den ihr gehörenden Atommüll-Gesellschaften mit begrenzter Haftung glauben will. Wo die Bundesgesellschaft für Endlagerung nicht klar kommt, hilft die Bundesgesellschaft für Zwischenlagerung und dann kommt ja noch das Bundesamt für Sicherheit der kerntechnischen Entsorgung – BASE, das Bundesumweltministerium, die Bundesregierung – und dann noch die EU und der liebe Gott.

Aber was, wenn ein sehr schneller oder sehr schwerer Flieger in ein Atommülllager donnert – gezielt vielleicht? Oder gar ein Raketenangriff als Terrorangriff oder im Verlaufe von Kriegshandlungen? Was, wenn sich nach 60 Jahren zeigt, dass der Atommüll in den Behältern zerbröselt und in Folge sich eine kritische Masse und eine Explosion im Behälter entwickelt? Was, wenn die Dichtungen bei den Behälterdeckeln nicht dichthalten. Es gibt viele Stellschrauben, die zu radioaktiven Freisetzungen führen könnten. Wie gehen wir mit diesen und vielleicht noch ganz anderen Risiken um? Darüber diskutieren Fachleute oder Betroffene – meist jenseits der medialen Aufmerksamkeit – die in vielen Fäller lieber von neuen Atomkraftwerken schwadroniert.

Zum Thema siehe auch:

NO1 – Dokumentation von der Seite Atommüllreport:

Zwischen. Sicher? Ende? Fachtagung Zwischenlagerung radioaktiver Abfälle

23. Juni 2023, 11.00 – 16.30 Uhr Raschplatzpavillion Hannover

Spätestens seit der offiziellen Bekanntgabe, dass die Standortsuche für ein tiefengeologisches Lager mehrere Jahrzehnte länger dauern wird, ist offensichtlich, dass eine sichere Zwischenlagerung der radioaktiven Abfälle und bestrahlten Brennelemente für viele weitere Jahrzehnte gewährleistet werden muss. Es muss sichergestellt werden, dass auch im Jahr 2100 eine sichere Lagerung und eine sichere Handhabung der Abfälle möglich ist. Bei einem so langen Zeitraum hilft es nicht weiter, mit besseren Rechenmethoden eine etwas längere Haltbarkeit der Castor-Behälter nachzuweisen oder über Anordnungen den Verbleib der radioaktiven Abfälle in Zwischenlagern ohne Genehmigung zu regeln. Stattdessen muss jetzt ein Konzept für die offensichtlich notwendige Langzeit-Zwischenlagerung erarbeitet werden. Mit der Fachtagung Zwischenlagerung möchte der Atommüllreport einen Beitrag zur Diskussion leisten.

Programm

(Stand 13.03.2023)

11.00 – 11.15 Begrüßung und politische Einführung

11.15 – 12.00 Aktuelle Probleme bei der Zwischenlagerung radioaktiver Abfälle und Anforderungen an eine sichere Lagerung für die nächsten Jahrzehnte (Oda Becker, Physikerin)

12.00 – 12.45 Was machen andere? Zwischenlagerkonzepte international (N.N.)

12.45 – 13.45 Mittagspause

13.45 – 14.45 15-Minuten-Schlaglichter: (1) Konzeptionslosigkeit bei der Lagerung schwach- und mittelradioaktiver Abfälle (Ursula Schönberger), (2) Gefahrenpotential für die Zwischenlager in Brunsbüttel und Lubmin durch LNG-Terminals, (3) Kosten der Langzeit-Zwischenlagerung und verlängerten Standortsuche sowie deren Kostendeckung (Prof. Dr. Wolfgang Irrek)

14.45 – 15.15 Kaffeepause

15.15 – 16.15 Gesprächsrunde 

16.15 – 16.30 Ausblick

Teilnahmebeitrag

Im Teilnahmebeitrag sind Verpflegung und Getränke enthalten.

Normal 30.- Euro, Ermäßigung auf Anfrage möglich

Vertreter*innen von Behörden und Firmen 100.- Euro

Anmeldung unter: info@atommuellreport.de

Veranstaltungsort: Raschplatzpavillion Hannover, 5 Minuten zu Fuß vom Hauptbahnhof https://pavillon-hannover.de/

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No 2 – Dokumentation von der NBG-Homepage: End­la­ger­su­che dau­ert län­ger – was nun? Fo­kus Zwi­schen­la­ge­rung, 21.03.2023

Zum Auftakt der Veranstaltungsreihe standen die Zwischenlager in Deutschland im Mittelpunkt. Ihre Genehmigungen laufen in den nächsten Jahren peu à peu aus, da ist noch kein Endlager in Sicht. Durch die jetzige zeitliche Verzögerung, stellt sich die Frage: Wie geht es weiter mit den Zwischenlagern und welche Rolle spielt die Sicherheit dabei?

Viele haben es schon geahnt, manche gewusst, seit Ende letzten Jahres ist es nun offiziell. Die Endlagersuche dauert länger, keine Standortentscheidung also im Jahr 2031. Jetzt ist die Rede von 2046 oder gar 2068 – eine Verzögerung um Dekaden. Und das hat auch gravierende Auswirkungen auf den Umgang mit den Zwischenlagern in Deutschland, wie Armin Grunwald, in seinem Impulsvortrag am Anfang unterstrich. Der Ko-Vorsitzende des NBG gab zunächst einen kurzen Überblick zum Thema.

Endlager – Zwischenlager: zwei Seiten einer Medaille

16 Zwischenlager gibt es in Deutschland – sowohl zentrale wie in Ahaus oder Gorleben, als auch dezentrale Zwischenlager wie in Biblis oder Grohnde. Diese entstanden in den letzten 20 Jahren an den Atomkraftwerken, damit kein aufwendiger Transport der radioaktiven Abfälle nötig ist. Für den Bau sind die jeweiligen Landesbehörden zuständig, betrieben werden die meisten dieser Zwischenlager von der Bundesgesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ) und die Genehmigungen für den Betrieb stellt das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) aus. Ein feinziseliertes Netz an Zuständigkeiten.

Was alle Zwischenlager verbindet – ihre Genehmigungen für den Weiterbetrieb laufen in den nächsten 24 Jahren aus – in Gorleben bereits 2034. Doch bis dahin gibt es noch kein Endlager. Was macht man in der Zwischenzeit mit den Zwischenlagern? Je länger die Endlagersuche dauert, desto virulenter wird das Problem. Zwei Seiten einer Medaille – davon ist das NBG seit Jahren überzeugt. Auch deshalb und trotz Gegenwind vom Bundesumweltministerium hat sich das Gremium immer wieder mit dem Thema Zwischenlagerung beschäftigt – zuletzt 2022 mit einer eigenen Veranstaltung in Ahaus.

Nicht gewappnet für Krieg

In dieser Tradition setzt das NBG die Diskussion darüber nun mit diesem Online-Austausch fort. Das Ziel: ein Forum für unterschiedliche Sichtweisen bieten. Mit dabei ist unter anderem Josef Klaus, Bürgermeister der bayerischen Gemeinde Niederaichbach.

Er vertritt mit ASKETA auch die Standortgemeinden mit kerntechnischen Anlagen in Deutschland und weiß aus eigener Erfahrung: Die Menschen vor Ort hatten sich notgedrungen mit den Zwischenlagern arrangiert – in der Hoffnung, dass diese mit dem baldigen Bau eines zentralen Endlagers obsolet werden. Die jahrzehntelange Verzögerung der Endlagersuche mischt die Karten nun neu. Die große Sorge: Aus den temporären Zwischenlagern werden de facto Langzeitlager.

Und was ist mit der Sicherheit? Alle Zwischenlager in Deutschland liegen oberirdisch. Der Krieg in der Ukraine zeigt, dass Atomanlagen in Europa zum Ziel von Angriffen werden können. Sind die Zwischenlager in Deutschland gegen solche kriegerischen Attacken überhaupt gewappnet? Nein, sagt Michael Hoffmann. Und er muss es wissen. Er ist Bereichsleiter bei der Bundesgesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ). Die Behälter würden schon einiges aushalten, aber die Zwischenlager seien nicht auf eine kriegerische Bedrohung ausgerichtet. Ernüchternde Worte!

Sicherheit als oberste Priorität

Zudem wurden die sicherheitstechnischen Zwischenlager-Genehmigungen für 40 Jahre ausgestellt. Wie kann man in Hinblick auf den neuen Zeithorizont nun gewährleisten, dass die Behälter auch nach 40 Jahren noch intakt sind und z.B. durch Korrosion nicht geschädigt werden? Während Michael Hoffmann von der BGZ auf internationale Forschung verweist und davon ausgeht, dass es auch nach 40 Jahren wenig Verschleiß z.B. an den Behälterdichtungen geben wird, sind da andere Diskussionsteilnehmende eher skeptisch.

Juliane Dickel vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) fände es jenseits der theoretischen Forschung wichtig, einige Behälter stichprobenartig zu öffnen und sich den Inhalt genauer anzuschauen. Sie sieht auch Nachrüstungsbedarf an den Zwischenlager-Gebäuden und appelliert, die Sorgfalt und Sicherheit nicht unter Zeitdruck über Bord zu werfen.

Befristete oder unbefristete Genehmigungen?

Eine kontroverse Diskussion entbrennt sich auch bei der Frage, wie es nun mit den Genehmigungen für die Zwischenlager weitergeht. Fakt ist: neue müssen her. Doch sollten diese befristet oder unbefristet ausgestellt werden? Florence-Nathalie Sentuc von der Entsorgungskommission (ESK) fände die unbefristete Variante bis zur Benennung des Endlagerstandorts sinnvoll. Natürlich müsse das an regelmäßige Sicherheitsüberprüfungen gekoppelt werden.

Ganz anders sehen das aber viele teilnehmende Bürger*innen und Umweltaktivisten wie Wolfgang Ehmke. Er sprach von Zwischenlagern als „tickende Zeitbomben“ und sieht unbefristete Genehmigungen äußerst kritisch. Man würde dadurch faktisch aus Zwischenlagern Langzeitlager machen und die Kontrolle – insbesondere durch die Zivilgesellschaft – aus der Hand geben.

Verbindliche Zeitpläne & Entscheidungen

Stattdessen befürworten viele Teilnehmende einen „Masterplan“ für die Zwischenlager-Problematik – besonders unter Einbeziehung der Menschen vor Ort. Denn es gebe – so formuliert es ein Landrat aus Bayern – neben dem Sicherheitsaspekt auch eine gesellschaftspolitische Dimension.

Es geht um einen Zeitraum von Jahrzehnten, der mehrere Generationen umfasst. Wer wird am Ende die politische Verantwortung übernehmen, wenn etwas schiefläuft? Umso wichtiger ist es, Vertrauen aufzubauen und die Öffentlichkeit bei Entscheidungen mitzunehmen. Und wie? Indem z.B. die verantwortlichen Akteure Zeitpläne veröffentlichen, die verbindlich sind und indem sie die Sorgen der Menschen vor Ort ernst nehmen.

All diese Aspekte und Diskussionspunkte aus der Veranstaltung finden Sie auch im Video-Mitschnitt auf unserem Youtube-Kanal.

Dirk Seifert

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