Gering strahlende Abfälle aus dem Abriss der Atommeiler: Ärzte fordern kontrollierte Lagerung vor Ort

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Messkammer für radioaktive Stoffe bei der HZG/GKSS Geesthacht. Hier werden u.a. Bauabfälle aus dem Rückbau von Atomanlagen durchgeschleust, um deren Belastung festzustellen. Diese Messung ist Bestandteil bei der sogenannten „Freigabe“. Foto: Dirk Seifert

Wie geht Atomausstieg und was macht man mit den Atomkraftwerken, nachdem sie abgeschaltet sind? Die internationale Ärzteorganisation IPPNW hat jetzt ein Gutachten von Wolfgang Neumann (Intac Hannover) vorgelegt, in dem der Physiker von IPPNW entwickelte Szenarien für die Stilllegung bewertet. Die IPPNW verlangt den Verbleib des sogenannten radioaktiven „Freigabe-Materials“ an den AKW-Standorten. Gemeint sind damit die gering belasteten Abriss-Abfälle (Beton, Stahl etc.). Nach geltendem Strahlenrecht dürften diese bei Unterschreiten eines Richtwerts entweder in den normalen Stoffkreislauf oder an Deponien abgegeben werden. Doch dagegen regt sich vielerorts Widerstand.

Die Ärtze-Organisation IPPNW hatte vor wenigen Monaten ein eigenes Konzept für den künftigen Umgang mit den Abriss-Abfällen erarbeitet und dies nun von dem Physiker Wolfgang Neumann prüfen lassen. Auf über 70 Seiten nimmt der Gutachter Stellung. Neumann hatte bereits im Sommer 2014 für den BUND zu dem Problem der gering belasteten radioaktiven Abfälle Stellung genommen.

Die Betreiber und Behörden sprechen gern über einen Rückbau, mit dem vermeintlichen Ziel einer „grünen Wiese“. Doch schon mit dem hochradioaktiven Müll klappt das nicht. Der wird noch für Jahrzehnte in Castor-Behältern vor Ort zwischengelagert, möglicherweise noch bis ca. 2080 oder gar länger. Bei fast jedem AKWs, das nun in den Rückbau gehen soll, müssen aber auch neue Zwischenlager für die leicht- und mittelradioaktiven Abfälle neu errichtet werden, weil das geplante „Endlager“ im Schacht Konrad sich immer mehr verzögert und nicht vor 2022 zur Verfügung stehen wird. Bleiben die sehr gering belasteten Abrissabfälle aus Stahl und Beton. Die sollen eigentlich freigemessen und auf Deponien gebracht werden dürfen. Doch bundesweit ist keine Deponie derzeit bereit, diese Abfälle anzunehmen.

Dokumentation der IPPNW Presseerklärung vom 14.09.2016

IPPNW fordert Verbleib des radioaktiven „Freigabe-Materials“ an den Atomkraftwerks-Standorten

Gutachten bestätigt Stilllegungs-Strategie der IPPNW

Die Atomindustrie möchte die deutschen Atomkraftwerke nach ihrer Stilllegung zurückbauen und den überwiegenden Teil der gering radioaktiven Abrissmaterialien u.a. per „Freigabe“ in den konventionellen Stoffkreislauf übergeben. Diese Materialien würden auf regulären Mülldeponien entsorgt und recycelt werden. Die Bevölkerung würde mit diesen gering radioaktiven Materialien in Berührung kommen.

Die Ärzteorganisation IPPNW hat angeregt, eine alternative Stilllegungsstrategie zu prüfen: Ein auf Dauer angelegter Einschluss des gering radioaktiven „Freigabe-Mülls“ im Atomkraftwerk nach der Entnahme der schwach-, mittel- und hochaktiven Stoffe. „Ein Gutachten belegt nun, dass dies machbar ist und die Strahlenbelastung der Bevölkerung reduzieren würde“, so IPPNW-Arzt Dr. Jörg Schmid. „Als ÄrztInnen wollen wir die Bevölkerung vor dem gering radioaktiven Freigabe-Müll schützen.“ In Betracht kommt laut Schmid entweder ein Verbleib des Freigabe-Mülls in den Atomkraftwerks-Gebäuden oder in einem zu errichtenden Bunker am Standort.

Die IPPNW hat bei der Intac GmbH eine gutachterliche „Stellungnahme zu einem Verbleib von gering radioaktiven Materialien aus der Stilllegung von Atomkraftwerken an deren Standorten“ in Auftrag gegeben. Der Physiker und Atomexperte Wolfgang Neumann empfiehlt in seiner Stellungnahme die skizzierte IPPNW-Option „Stehenlassen nach Entkernung“. Er begründet diese Option „mit der nachhaltigen Verringerung des Radioaktivitätsinventars von ca. 1.017 Bq auf weniger als 109 Bq mit Vorteilen beim Strahlenschutz und mit der Verringerung des Störfallrisikos.“ Der entscheidende Vorteil liegt laut Gutachten darin, dass die Strahlenbelastungen der Bevölkerung aufgrund der nicht erfolgten Freigabe als geringer einzuschätzen sind als bei den bisher in der Bundesrepublik etablierten Stilllegungsstrategien.

Alternativ umsetzbar wäre laut Gutachten eine Option „Vollständiger Rückbau mit Bunker“. Dabei würden alle beim kompletten Abbau des Atomkraftwerks angefallenen gering radioaktiven Materialien in ein neu am Standort zu errichtendes robustes Bauwerk eingebracht werden. Auch hier würde der Bevölkerung durch die nicht erfolgte Freigabe „Strahlenbelastung erspart“, so Neumann.

„Bei diesen beiden Alternativ-Optionen gäbe es keine unkontrollierte Verbreitung von Radionukliden durch uneingeschränkte Freigabe in die Umwelt“, so IPPNW-Experte Henrik Paulitz. „Auch müsste neben den Atomkraftwerksstandorten nicht an weiteren Standorten wie Deponien, Verbrennungsanlagen, Metallschmelzen oder Schrotthändlern mit gering radioaktiven Materialien umgegangen werden.“

Hintergrundinformationen:
•    Gutachterliche Stellungnahme von Intac/Wolfgang Neumann
•    Hintergrundpapier der IPPNW

Kontakt: Henrik Paulitz, Referent für Energiepolitik, Tel. 06257-505-1707, Email: paulitz@ippnw.de, Angelika Wilmen, Pressesprecherin der IPPNW, Tel. 030-69 80 74-15, Deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW), Körtestr. 10, 10967 Berlin, Email: wilmen@ippnw.de, www.ippnw.de

Dirk Seifert

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