Nukleare Terrorbekämpfung: Unter Ausschluss der Öffentlichkeit – Demokratische Bedrohung

Nukleare Terrorbekämpfung: Unter Ausschluss der Öffentlichkeit – Demokratische Bedrohung

Die Nutzung der Atomenergie und ihrer hochradioaktiven Hinterlassenschaften stellt eine massive Bedrohung dar. Nicht nur technisches Versagen könnte zu erheblichen Konsequenzen führen, die die Gesundheit der Bevölkerung bedrohen und langfristige Evakuierungen zur Folge hätten. In wachsendem Maße ist der Terrorschutz gegen Angriffe auf nukleare Anlagen zu einer massiven Herausforderung für die Atom- und Sicherheitsbehörden und die Betreiber der Anlagen geworden. Panzerbrechende Waffen und gezielte Flugzeugangriffe auf Atomanlagen sind im Bereich des Möglichen. Die Bundesregierung plant mit einer 17. Atomgesetznovelle den Geheimschutz auszubauen. Klagerechte für Bürger*innen sollen eingeschränkt werden und selbst hohe Richter dürfen keine Einsicht in die geheimen Akten bekommen. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit und strikter Geheimhaltung tagen Bund-Länder-Gremien und werden Experten-Tagungen durchgeführt. Deren Tagesordnungen machen deutlich, wie komplex und extrem die Schutzanforderungen sind und wie vielfältig die Möglichkeiten, die zu einer Katastrophe führen könnten. Und warum es dringlich notwendig ist, eine öffentliche Debatte darüber zu führen, dass die vielfältigen Risiken der Atomenergie nicht nur für Leben und Gesundheit, sondern auch für demokratische Gesellschaften Gift ist und deshalb unter keinen Umständen eine Alternative in der Zukunft sein kann.

Um es anschaulich zu machen, wie sehr die Terrorabwehr Folgen bei der Sicherheitsauslegung hat: War noch bis vor einigen Jahren ein Atomtransport für hochradioaktives Material mitsamt der Schutzeinrichtungen etwa 70 Tonnen schwer, hat sich das Gewicht samt Schutzeinrichtungen (ohne das radioaktive Material und dessen Verpackung) auf rund 130 Tonnen fast verdoppelt. Die Breite des Fahrzeuges ist von 2,55 Meter auf nun über drei Meter angewachsen.

Statt bislang 15 Meter Fahrzeuglänge erfordern die Schutzmaßnahmen nun eine Länge von rund 30 Metern. Die gepanzerte Zugmaschine benötigt inzwischen vier Achsen, der Trailer statt bislang fünf nunmehr neun Achsen. Allein die Zugmaschinen sind inzwischen mit Kosten von rund drei Millionen Euro beziffert. Wie teuer die wesentlich anspruchsvolleren Trailer werden, ist bislang noch unbekannt. Das geht aus einer Information des linken Bundestagsabgeordneten Hubertus Zdebel (*) hervor, die hier mit weiteren Hintergründen zum Thema online ist.

Dort heißt es mit Blick auf die in Entwicklung befindlichen neuen Panzer-Fahrzeuge: „Die Kosten für die drei benötigten Zugmaschinen beliefen sich auf rd. 2,9 Mio. € zuzüglich behördlicher Abnahmekosten. Zusätzlich zu den Zugmaschinen würden für den Transport Tieflader benötigt, deren Kosten derzeit noch nicht abgeschätzt werden könnten, da diese von dem noch zu genehmigenden Schutzkonzept abhingen. Die Kosten sind zu 70 % durch den Bund aus dem Einzelplan 30 und zu 30 % durch das Land NRW zu tragen (Einzelplan des MWIDE).“

Welche weiteren Schutzmaßnahmen und Kosten in Verbindung mit den gewachsenen Terroranforderungen bei Atomanlagen inzwischen ergriffen werden müssen, zeigt sich auch hier: Das Zwischenlager für hochradioaktive Abfälle in Lubmin kann selbst nach den geheimen staatlichen Anforderungen nicht so umgerüstet werden, dass es dem Terrorschutz gerecht wird. Daher muss ein komplett neues Zwischenlager geplant und gebaut werden.

Deutlich wird: Das Mauerwerk und die Konstruktion des Gebäudes werden im Vergleich zu den bestehenden mehr als 15 Zwischenlagern deutlich verstärkt. Eine klare Ansage, dass die Sicherheitsbehörden den bestehenden Anlagen selbst nicht mehr ausreichend vertrauen. Angeblich würden – natürlich geheime – temporäre Maßnahmen für ausreichend Schutz sorgen. Sogenannte Härtungen erfolgen an den bestehenden Anlagen, zusätzliche Mauern werden gezogen, die Zugangsbereiche werden umgebaut. Doch diese Nachrüstungen kommen nur schleppend voran. Als wäre das alles noch nicht kompliziert genug: In unmittelbarer Nähe zum Atommüll-Zwischenlager in Brunsbüttel, dem ein oberstes Gericht aufgrund von mangelhaften oder gar falschen Nachweisen die Genehmigung entzogen hat, soll nun noch ein hochexplosiver Gas-Terminal errichtet werden.

Damit nicht genug: Trotz der Corona-Pandemie ließ die Bundesregierung jüngst Castor-Transporte aus der englischen Plutoniumfabrik Sellafield über Nordenham in das Zwischenlager Biblis zu. Atomkraftgegner*innen hatten zwar Proteste angekündigt, aber ob die dafür ausschlaggebend waren, dass Anfang Dezember 2020 insgesamt 11.000 Sicherheitskräfte bundesweit zum Schutz des Atomtransportes von hochradioaktivem Atommüll im Einsatz waren, darf angezweifelt werden. Offenbar gibt es eine Lageeinschätzung der Sicherheitsbehörden, die einen derart umfangreichen und teuren Polizeieinsatz aus Sicht der Bundesregierung und der beteiligten Landesbehörden rechtfertigen. Anders: Ein Anschlag wird offenbar als eine extreme Bedrohung angesehen, die einen derart hohen Sicherungsaufwand erforderlich macht.

Immer dramatischer wird: Diese Sicherheits- und Sicherungsmaßnahmen finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und können aufgrund der Geheimhaltung auch nicht mehr von unabhängigen Expert*innen überprüft werden. Ob die Maßnahmen zur Terrorabwehr also am Ende funktionieren, wird immer mehr zu einer Glaubensfrage, entzieht sich einer unabhängigen Prüfung. Genau das will das Bundesumweltministerium jetzt mit der geplanten 17. Atomgesetznovelle sogar noch weiter verschärfen. Das ist nicht nur in unmittelbaren Sicherheitsfragen eine gravierende Maßnahme. Die Bundesregierung verlangt beim Schutz von Atomanlagen blinden Gehorsam. Anwohner-Klagen sollen begrenzt werden, Gerichte dürfen Sachverhalte nicht prüfen. Die Behörden und Regierungen entscheiden ohne jede weitere demokratische Kontrolle. Ein Parlament ist gefordert, der Bundesregierung derart weitreichende Kompetenzen nicht zu bewilligen.

Seit 2016 führt der TÜV Nord (!) jährliche Fachtagungen zur sogenannten Anlagensicherung und zu den „Sonstigen Einwirkungen Dritter“ (SEWD) durch. Seit acht Jahren veranstaltet der TÜV Nord derartige Symposien.

Die Programm-Flyer der Jahre 2016, 2017, 2018, 2019 und 2020 (jeweils als PDF) machen deutlich, wie vielfältig und komplex die Anforderungen und Fragestellungen sind, mit denen sich die Experten angesichts der wachsenden Bedrohung beschäftigen müssen. (Die Flyer sind jeweils auch hier als PDF zum Download: 2016, 2017, 2018, 2019 und 2020. Außerdem hier als Zip.)

Wer sich die Mühe macht, die Programm-Flyer durchzusehen, wird eine größere Vielfalt von Themen finden, die für die Anlagensicherung und die Terrorabwehr von umfassender Bedeutung sind. Auch wenn die Vorträge allesamt der Geheimhaltung unterliegen, macht schon diese Themavielfalt deutlich, vor welchen gravierenden Problemen die Verantwortlichen angesichts der politischen und technischen Entwicklungen stehen. Täter*innen, die bei dem Angriff nicht mehr überleben wollen, Cyberangriffe, Drohnen, kleine Eingriffe könnten große Folgen haben. Etwas zugespitzt: Warum muss eine Gruppe oder ein Staat Atomwaffen besitzen, wenn er die Atomanlagen des Feindes angreifen und zerstören könnte?

Auf seiner Homepage lädt der TÜV Nord auch bereits für die Tagung 2021 ein, die offenbar Corona-bedingt erst im September stattfinden soll. Der TÜV hat diese „Broschüre“ (PDF) online. Die Teilnahme unterliegt dem Geheimschutz. In den Programm-Flyern heißt es: „Die Inhalte der Vorträge und Diskussionen auf dem Symposium Anlagensicherung unterliegen dem Geheimschutz. Für die Teilnahme an diesem Symposium ist der Umgang mit Informationen des Geheimhaltungsgrades VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH mit der Anmeldung nachzuweisen. (Merkblatt über die Behandlung von Verschlusssachen des Geheimhaltungsgrades „VS – NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH“ Anlage 4 des Handbuches für den Geheimschutz in der Wirtschaft des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie) Diese ist unter folgendem Link abrufbar: https://bmwi-sicherheitsforum.de/handbuch/anlagen/„.

  • Anmerkung: In seinen Flyern zeigt der TÜV Nord per Foto offenbar das AKW Brokdorf. Allerdings in einer veralteten Aufnahme. Denn vor einigen Jahren wurden in Brokdorf im Zuge von SEWD-Maßnahmen Nachrüstungen durchgeführt. Unter anderem wurden auf allen Dachflächen der Gebäude rund um den Reaktor „Baugerüste“ errichtet, mit denen offenbar die Landung von Hubschraubern verhindert werden könnte. Die Behörden wollten die Ziele der Maßnahmen nicht nennen. Das Genehmigungsverfahren von dieser und anderen Nachrüstungen erfolgte natürlich im Geheimen. (Siehe Titel-Foto)

Der TÜV hat aber auch ein Rubrik, in der über die bisherigen Veranstaltungen „berichtet“ wird: Aus dokumentatorischen Gründen zitiert umweltFAIRaendern den bebilderten Beitrag über die Tagung 2020 in voller Länge: „Innovative Schutzkonzepte und alte Seekarten – Anlagenpersonal, Sachverständige sowie Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden sind dafür verantwortlich, das Sicherheitsniveau der kerntechnischen Einrichtungen in Deutschland weiter zu erhöhen. Rund 160 von ihnen trafen sich vom 18. bis 19. Februar auf dem Symposium Anlagensicherung, das die TÜV NORD Akademie gemeinsam mit den Sicherheitsexperten von TÜV NORD EnSys bereits zum achten Mal in Hamburg organisiert hat.

Über ein Dutzend hochkarätige Referenten verschafften den Teilnehmern einen Überblick über aktuelle Änderungen an Regelwerken und neue Technologien. Ein weiteres Thema war das Bedrohungspotenzial durch Terrorismus: In seinem viel beachteten Vortrag sprach Prof. Dr. Alexander Straßner, Akademischer Oberrat an der Universität Regensburg, über die Schlagkraft der wichtigsten Organisationen. Auf großes Interesse stieß auch die Biometrie als Authentifizierungsmethode: Dr. Alexander W. Lenhardt, geschäftsführender Gesellschafter bei ICOGNIZE, Dietzenbach, stellte die verschiedenen Verfahren anhand von konkreten Projekten vor.

Ein weiteres Highlight war der Besuch des Internationalen Maritimen Museums in Hamburgs ältestem Speicherbauwerk – der größten Schifffahrts-Sammlung der Welt. Nach einem Rundgang in Eigenregie speisten die Teilnehmer gemeinsam in luftiger Höhe des zehnten Stocks. Sowohl die Abendveranstaltung als auch die Tagung im Empire Riverside Hotel kam bei den Teilnehmern wieder sehr gut an. Die Anmeldung für die nächste Veranstaltung läuft bereits.“

Hintergrund:

Im Fokus sind nicht nur die noch in Betrieb befindlichen Atomkraftwerke. Vor allem für die Zwischenlager mit hochradioaktiven Abfällen, für schwer zu schützende Atomtransporte und auch für einige radioaktive Materialien aus dem Bereich der Medizin wird massiv an sicherheitsverbessernden Maßnahmen gestrickt. Während bei technischen Belangen und ihren Fehlermöglichkeiten von der Sicherheit gesprochen wird, wird der Terrorschutz unter dem Begriff der Sicherung bzw. unter dem Kürzel SEWD – Sonstige Einwirkungen Dritter behandelt.

In den letzten Jahren haben Sicherheitsbehörden in Zusammenarbeit mit einem Gremium der atomrechtlich Verantwortlichen der Bundes- und Landesregierungen die Anforderungen an die Sicherung massiv erhöhen müssen. Dabei stehen die Behörden vor einem Problem: Denn z.B. sind die Gebäude, in denen heute die Castorbehälter mit ihrem hochradioaktiven Inventar noch für Jahrzehnte Zwischengelagert werden müssen, ohne größere Schutzwirkungen gebaut worden. Noch bis nach den Anschlägen von 911 galt der Castor-Behälter selbst als technisches Maß aller Dinge. Über 100 Tonnen schwer, um die ungeheure Radioaktivität der in ihnen aufbewahrten Abfälle abzuschirmen, galten sie den Experten als im Grund unzerstörbar. Alle Hinweise von Atomkritiker*innen auf mögliche Mängel wurden nahezu brüsk zurückgewiesen: Der Behälter ist unter allen Umständen sicher – so die Behauptung.

Heute ist klar – und das bestreiten die Behörden auch nicht mehr: Die Behälter samt ihrem hochradioaktiven Inhalt könnten durch Waffenbeschuss selbst durch die heutigen Zwischenlagerwände zerstört werden. Auch gezielte Flugzeugabstürze könnten nur in bestimmten Grenzen bewältigt werden. Im Falle des Zwischenlagers Brunsbüttel entschied auf Klagen das Oberverwaltungsgericht in Schleswig – mit Zustimmung des höchsten Verwaltungsgerichts: Nachweise, dass die Genehmigung für den Betrieb des Zwischenlagers ausreichend umfangreich und sachgerecht erfolgten, fehlten oder waren falsch durchgeführt worden. Der Worst-Case für die Atomverwaltung. Denn: Alle in Deutschland in Betrieb befindlichen Zwischenlager sind entweder baugleich mit dem Zwischenlager in Brunsbüttel oder aber baulich sogar noch schlechter. Seit dem Urteil bzw. der Bestätigung durch das Bundesverwaltungsgericht bestreiten die für die Atomsicherheit und -Sicherung verantwortliche Bundes- und Landesbörden Mängel. Lediglich aus Geheimschutzgründen haben man Sicherheitsanalysen und Bewertungen dem Gericht nicht vorlegen dürfen.

Das aber ist falsch: So hatte das Gericht unter anderem geurteilt, dass Nachweise über bestimmte Waffengattungen, die bei entsprechender krimineller Energie beschaffbar wären und deren durchschlagende Wirkung erkennbar vorhanden wären, gar nicht betrachtet worden waren, sondern die Genehmigungsbehörden mit veralteten Szenarien gearbeitet hätten. „Die Beklagte hat auch die Risiken des vom Kläger geltend gemachten Szenarios eines terroristischen Angriffs auf das Zwischenlager mit panzerbrechenden Waffen im Genehmigungsverfahren fehlerhaft ermittelt und bewertet“, stellte das Gericht schlicht und ergreifend fest. (siehe: Angriffe mit panzerbrechenden Waffen, Atomanlagen und der Geheimschutz)

(*) Der Autor dieses Textes ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Büro des MdB Hubertus Zdebel (Fraktion DIE LINKE im Bundestag)

Dirk Seifert