Hochradioaktiv: “Instrumentalisierte Öffentlichkeit – Drei Jahre Beteiligungsverfahren zur Standortauswahl für die langfristige Tiefenlagerung hochradioaktiver Abfälle”

Hochradioaktiv: “Instrumentalisierte Öffentlichkeit – Drei Jahre Beteiligungsverfahren zur Standortauswahl für die langfristige Tiefenlagerung hochradioaktiver Abfälle”

Endlager für hochradioaktive und andere Atomabfälle. Das ist nicht nur eine technische oder geologische Aufgabe, sondern auch eine gesellschaftliche Herausforderung mit enormem Konfliktpotential. Wyhl, Brokdorf, Gorleben, Wackersdorf, Kalkar, Tschernobyl, Fukushima … Offenkundig ist: Die Spaltung der Atome hat fast immer auch zu einer Spaltung von Gesellschaften geführt. Daher sind Sozialwissenschaften gefordert, die Verfahren beim Umgang mit den radioaktiven Stoffen unter die Lupe zu nehmen. In einem Aufsatz unter dem Titel “Instrumentalisierte Öffentlichkeit – Drei Jahre Beteiligungsverfahren zur Standortauswahl für die langfristige Tiefenlagerung hochradioaktiver Abfälle” widmen sich Albert Denk und Achim Brunnengräber (FU Berlin) unterstützt mit “hilfreichen Kommentaren” von Dörte Themann, Ansgar Klein, Thomas Flüeler und Ulrich Smeddinck dieses immer wieder brisanten Thema.

Dokumentation aus der “Einleitung:

Die Öffentlichkeitsbeteiligung der Standortauswahl für die langfristige Tiefenlagerung hochradioaktiver Abfälle wurde durch die staatlichen Akteure nicht zielführend konzipiert und umgesetzt. Zwar wurden zivilgesellschaftliche Akteure in die Organisation der Beteiligungsformate eingebunden. Es kam aber in der Gesamtschau zu einer Instrumentalisierung der Öffentlichkeitsbeteiligung durch staatliche Akteure. Dies ist die These, der wir in diesem Beitrag nachgehen. Dafür blicken wir auf drei Jahre Öffentlichkeitsbeteiligung zurück, die der Fach- und Rechtsaufsicht des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) unterstellt ist.

In einem formellen Verfahren auf Bundesebene soll auf der gesetzlichen Grundlage des Standortauswahlgesetzes (StandAG 2017/2023) das Ziel verfolgt werden, einen breiten gesellschaftlichen Konsens über die Standortauswahl für ein langfristiges Atommülllager zu erzielen. Damit das Tiefenlager auch von den Betroffenen toleriert werden kann, sollen die Bürger*innen als Mitgestalter des Verfahrens einbezogen werden (ebd. Paragraf 5 Absatz 1). Der staatlich verfolgte Zweck der Öffentlichkeitsbeteiligung liegt also darin, dass Bürger*innen die Standortauswahl partizipativ begleiten und dem Verfahren Legitimität verschaffen sollen. Wie wir aufzeigen werden, zielte das bisherige Verfahren aber nicht auf einen Konsens ab, der am Ende des Verfahrens die Standortentscheidung begleiten soll. Auch die der Öffentlichkeitsbeteiligung zugeschriebene Funktion, die Auswahl des Standortes kritisch zu begleiten und dadurch eine Korrektivfunktion auszuüben (Denk 2024b: 39 ff.), wurde bisher nur ansatzweise erfüllt.”

WEITERLESEN: Hier ist der direkte Link zur PDF für diesen Aufsatz (PDF) beim Forschungsyournale – Soziale Bewegungen.
Albert Denk und Achim Brunnengräber (FU Berlin) – Instrumentalisierte Öffentlichkeit – Drei Jahre Beteiligungsverfahren zur Standortauswahl für die langfristige Tiefenlagerung hochradioaktiver Abfälle

Hier außerdem die Zusammenfassung des Aufsatzes von Denk und Brunnengräber:

Zusammenfassung: Zwischen 2020 und 2023 wurden vom Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) unter der Rechtsaufsicht des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) sechs Veranstaltungen der Öffentlichkeitsbeteiligung zur Lagerung von hochradioaktiven Abfällen umgesetzt.

In diesem Beitrag synthetisieren wir unsere Einzelfallanalysen dieser Veranstaltungen. Unsere These ist, dass es im Verlauf des Verfahrens zu einer Instrumentalisierung der Öffentlichkeitsbeteiligung kam. Diese zeigt sich erstens in der thematischen Engführung auf das tiefengeologische Endlager und die nationalstaatliche Handlungsebene, zweitens durch die sehr geringe Beteiligung von Bürger*innen und soziale Ungleichheiten im Verfahren sowie drittens aufgrund der Dominanz staatlicher Akteure. Ein breiter gesellschaftlicher Konsens im Umgang mit hochradioaktiven Abfällen, wie es das Standortauswahlgesetz (StandAG) verlangt, ist auf diese Weise nicht zu erreichen. Dagegen sehen wir im Einbezug möglichst vielfältiger Perspektiven durch eine inklusive Öffentlichkeitsbeteiligung wesentliche Vorteile für Sicherheit und Gerechtigkeit im Umgang mit den Abfällen.

Abstract: Between 2020 and 2023, the Federal Office for the Safety of Nuclear Waste Management (BASE), under the legal supervision of the Federal Ministry for the Environment, Nature Conservation, Nuclear Safety and Consumer Protection (BMUV), conducted six public participation events on the storage of high-level radioactive waste. In this article we summarize our individual case analyses of these events. Our thesis is that in the course of the proceedings public participation was instrumentalized. This can be seen firstly in the thematic focus on the deep geological repository and the national level of action, secondly in the very low participation of citizens and social inequalities in the process, and thirdly due to the dominance of state actors. A broad social consensus on dealing with high-level radioactive waste, as required by the Siting Act (StandAG), cannot be achieved in this way. In contrast, we see significant advantages for safety and fairness in dealing with waste in the inclusion of as many different perspectives as possible through inclusive public participation.”

Dirk Seifert

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