Spurensuche: Atomreaktor-Versuche in Nazi-Deutschland – Haigerloch Keller-Museum

Spurensuche: Atomreaktor-Versuche in Nazi-Deutschland – Haigerloch Keller-Museum

Bis zum Schluss versuchten deutsche Atomforscher unter dem Nationalsozialismus im Zweiten Weltkrieg eine nukleare Kettenreaktion hinzubekommen. Bereits schnell nach der Entdeckung der Kernspaltung hatten verschiedene Wissenschaftler die Möglichkeiten der Kernspaltung sowohl zur Energieerzeugung als auch zur Atombombe erkannt und die entsprechenden staatlichen Stellen darüber informiert. Mehrere Forschungsgruppen, nur teilweise über den 1939 gebildeten sogenannten „Uran-Verein“ koordiniert, machten sich an die Arbeit. Während zum Kriegsende eine Gruppe um Kurt Diebner vor allem im thüringischen Stadtilm experimentierte, war eine Gruppe um Werner Heisenberg im württembergischen Hechingen und Haigerloch aktiv. Dort, in einem ehemaligen Bierkeller in Haigerloch, errichteten sie ab September 1944 einen Versuchs-Reaktor, um eine sich selbst erhaltende Kettenreaktion zu erreichen. Doch das Experiment B-VIII scheiterte im Februar/März 1945. Heute zeugt in dem dortigen Atomkeller ein kleines Museum von diesen Versuchen, bemüht vor allem eines festzustellen: „Die Atombombe stand nicht auf dem Programm“. Eine Aussage, die wissenschaftlich so nicht zu halten ist.

atomkeller-haigerloch-okt2016-358Dem Tourismus in dem südwestlich von Tübingen gelegenen Haigerloch dürfte das Atomkeller-Museum hilfreich sein. So zwischen 15 bis zu 20.000 BesucherInnen kommen vor allem über die Sommermonate vorbei, um sich vielleicht mit ein wenig Gruseln und einiger Verwunderung den Atomreaktor im ehemaligen Bierkeller anzusehen. Nach Hause fahren sie mit der Gewissheit: Es hat nicht funktioniert und an einer Atombombe haben die Nazi auch nicht gearbeitet. Na, dann ist ja alles gut und es war ein schöner Ausflug in das liebliche Tal der Eyach. Oder?

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Die Tanks für das Schwere Wasser aus Norwegen

Bereits im Jahr 2002 kritisierte Marcus Hammerschmitt in einem Beitrag auf Telepolis (In des Teufels Atomkeller) das auffällige Bemühen, eine auf die Atombombe zielende Forschung zumindest der Gruppe um Werner Heisenberg zu dementieren. „Neben wenigen kritischen Anmerkungen zu den Forschungen im Atomkeller findet sich ein ums andere Mal die Versicherung, das alles habe ausschließlich friedlichen Zwecken gedient. (Noch befremdlicher ist die Mitarbeit des späteren Auschwitzleugners David Irving an der Broschüre.)“ (Siehe auch den Artikel von Hammerschmitt aus dem Jahr 2005, in dem er sich mit dem Buch von Rainer Karlsch – „Hitlers Bombe“ auseinandersetzt: „Fast so hell wie tausend Sonnen„.)

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Der Experimentiertisch von Otto Hahn

Seit damals hat sich an dieser Ausrichtung offenbar nicht viel geändert, obwohl zwischenzeitlich viel neue wissenschaftliche Literatur eine Vielzahl neuer Erkenntnisse gebracht hat. Für die Aussage: „Die Atombombe stand nicht auf dem Programm“ wird im aktuellen Werbe-Heftchen des „Atomkeller-Museums Haigerloch“ ausgerechnet Karl Wirtz mit Auszügen aus einer 1980 gehaltenen Rede als Kronzeuge zitiert. Wirtz gehörte nicht nur zur Heisenberg-Gruppe und war mit ihm und weiteren Atomforschern nach dem Zweiten Weltkrieg für einige Zeit von den Briten in Farm-Hall interniert. Wirtz – der 1957 das Göttinger Manifest unterschrieb – gehörte später vor allem zu den Gründungsvätern des Kernforschungszentrums Karlsruhe (dem sich der Atomkeller am Rande auch widmet).

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Anmietung des Kellers in Haigerloch durch Kurt Diebner

Schon ein Blick in den Beitrag auf Wikipedia über den „Forschungsreaktor Haigerloch“ vermittelt ein wesentlich differenziertes Bild über die Motive der beteiligten Forscher und die Möglichkeiten, die sich aus einem erfolgreichen Versuch ergeben hätten. Auch wenn das Atomkeller-Museum keiner Universität oder sonstigen Wissenschaftseinrichtung angeschlossen ist, sondern von Egidius Fechter aus dem Kulturamt betreut und im Rahmen des „Amt für Kultur und Tourismus“ angesiedelt ist: Etwas mehr Differenziertheit würde der Seriosität sicher gut tun.

Die Welt berichtet mit Bezug auf Fechter über die weitere Ausgestaltung des Atomkellers im Sepemteber 2012: „Egidius Fechter will die Schau, die ursprünglich von einem Mitglied der Forschergruppe konzipiert wurde, im kommenden Jahr weiterentwickeln. Ein neuer Themenkomplex werde sich mit Atombomben befassen, sagt er. Dieser Bereich war bislang komplett ausgespart. Außerdem will Haigerloch auf das Verhältnis der Bürger zu dem Nuklearprojekt setzen, sagt Fechter. Nicht die großen Fragen nach Atomwaffen oder atomaren Katastrophen sollen in dem Felsenkellerraum beantwortet werden. Mehr interessiert den Kulturamtsleiter, was die Haigerlocher gewusst und erlebt haben.“

Das Thema Atombombe ist zumindest in die Werbebroschüre für den Keller gelangt, allerdings eben in der kritisierten Form.

Im Mai 2013 veröffentlichte Fechter das Buch „Humbug in der Höhlenforschungsstelle“. (Humbug sei der Code-Name für die Operation ALSOS der US-Armee gewesen, die hinter den kämpfenden Truppen den Auftrag hatten, zu ermitteln, wieweit die deutsche Atomforschung entwickelt war.)

  • Hinweis: Im Vorwort schreibt Fechter, dass in dem Buch damalige Wissenschaftler aus Tagebüchern oder aus Artikeln zu Wort kommen und betont ausdrücklich: „Die jeweilige Interpretation wird weitgehend dem Leser überlassen. Es sind noch immer viele Meinungen von manchmal besser wissenden Historikern und Anderen unterwegs, aber es sei dem Leser überlassen, sich eine eigene Meinung zu bilden.“ (S. 10) Im Kontext der Ausstellung und des Begleitheftchens, aber auch mit Blick auf die Auswahl (und die Nicht-Auswahl) ist dieser Hinweis im Vorwort eher eine Irreführung.

Darin bringt er viele interessante Hinweise, zeigt historische Dokumente und bringt auch mach interessante persönliche Geschichte über die Beteiligten ein. Aber auf nur 15 Seiten arbeitet Fechter die Frage nach den militärischen Motiven der Atomforschung in Nazi-Deutschland ab (S. 56 – 71).

Neuere Forschungen werden dabei von ihm kaum aufgegriffen oder gar diskutiert. Er streift lediglich den genannten Rainer Karlsch (Hitlers Bombe) mit dem dort veröffentlichten Hinweis auf das 1941 von Carl Friedrich von Weizsäcker angemeldete „Bomben-Patent“. Er widmet sich dem Treffen von Heisenberg und Niels Bohr im September 1941 im von deutschen Truppen besetzten Dänemark. Was genau Motive und Thema waren ist bis heute nicht wirklich aufgeklärt. Bohr jedenfalls interpretierte dieses Gespräch mit Heisenberg in der Weise, dass Nazi-Deutschland intensiv an der Atombombe arbeiten würde, während Heisenberg angeblich einen weltweiten Forschungsverzicht angeregt haben wollte.

Fechter legt dann nahe, dass nicht nur die wissenschaftlich-technischen Rahmenbedingungen (höherer Zeitaufwand für die Forschung und Entwicklung, immer mehr Rohstoffprobleme und Bombenangriffe), sondern quasi auch eine Art Unkenntnis und mangelndes Interesse bei den Nazi-Stellen (und eine schwere „administrative Panne“  einer Sekretärin, S. 59ff) dafür sorgten, dass die Atombombenforschung adacta gelegt worden wäre.

Vor allem aber macht Fechter dann in unverantwortlicher Weise den Hitler-Stellvertreter Albert Speer zu einer Art Kronzeugen für die von ihm verfolgte Behauptung, dass es nach 1943 keine deutsche Atomwaffenforschung mehr gegeben hat. Auf immerhin vier der insgesamt nur 15 Seiten zu diesem Thema zitiert Fechter aus den Erinnerungen von Speer – ohne diese im Anschluss in irgendeiner Weise einzuordnen oder zu interpretieren.

Fechter  zitiert den später bei D. Irving (Heller als 1000 Sonnen) veröffentlichten Satz von Heisenberg: „Wir sahen eigentlich vom September 1941 eine freie Straße zur Atombombe vor uns.“ Aber eine Auseinandersetzung damit findet bei ihm an keiner Stelle statt.

Auch Mark Walker, der seit Mitte der 1990er Jahre intensiv zu dem Thema der nazi-deutschen Atomforschung gearbeitet hat, findet bei Fechter lediglich Erwähnung, ohne dass irgendeine ernsthafte Auseinandersetzung mit ihm erfolgt. Dabei schrieb Walker schon 1995: „Das Ende des Blitzkrieges verwandelte das Uran-Projekt weder in eine mit aller Kraft vorangetragene Bemühung, atomare Waffen zu entwickeln und herzustellen, noch wurde das Projekt auf die sogenannten friedlichen Nutzungen atomarer Energie beschränkt. Im Januar 1942 fragte das Heereswaffenamt die Wissenschaftler des Projektes zum ersten und letzten Mal, ob Atomwaffen realisierbar seien und wann mit ihnen zu rechnen sei. Die Wissenschaftler stimmten zu, daß Atomwaffen erzeugt werden könnten, daß dies aber mindestens einige Jahre in Anspruch nehmen würde.“ (zitiert nach: Wissenschaft und Frieden, interessant und beachtenswert ist bei Walker auch, dass er sich mit den „Intentionen“ der beteiligten Atomforscher in Nazi-Deutschland auseinandersetzt).

Dirk Seifert

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