Mit dem Prüfsiegel des TÜV Rheinland: Atomkritikern geht es “nicht selten um ideologische Gründe”
Da muss man tief Luft holen und fragen: Dürfen die das? In einem Blog-Artikel auf der Homepage des TÜV Rheinland, einer Gutachtereinrichtung, die in Sachen Atomenergie und Sicherheit für Behörden und Betreiber unterwegs ist, ist zu lesen: “Die Atomenergie an sich ist eines der Themen, die seit jeher kontrovers diskutiert werden. Dabei ging es denjenigen, die der Atomenergie kritisch gegenüber stehen, nicht selten um ideologische Gründe.” Achso, Achja; gut, dass der technische Überwachungsverein das mal feststellt. Genau. Richtig. So der Werbeslogan. Der das schreibt ist Innocenzo Caria, unter anderem als Projektleiter Energiemanagement beim TÜV unterwegs.
Tschernobyl kennt er offenbar nicht, aber seit der Katastrophe von Fukushima, die er als “Vorfall” bezeichnet, seien die Risiken “wieder stärker in den öffentlichen Fokus” gerückt und “plötzlich wurde erneut klar”, dass die Endlagerung des Atommülls noch gar nicht gelöst wäre. Genau. Richtig. Da haben wir es echt erst “plötzlich” und doch wieder “erneut” bemerkt.
Und auch diese wichtige Erkenntnis gibt es jetzt mit TÜV-Prüfsiegel: Es gibt einen Endlager-Mangel, stellt Caria kenntnisreich fest. “Da es an Endlagern für atomare Abfälle mangelt, wissen weder die Staaten noch die Betreiber wohin mit dem strahlen Rest.” Atemberaubend, diese messerscharfe Wirklichkeitsbetrachtung und Logik! Und der Mann hat noch mehr Wichtiges zu bieten, was er uns – nachdem er alles was mit Atomausstieg zu tun hat, erstmal relativiert hat – nicht vorenthält: “Die Atomkraftwerke und deren Abfallprodukte beeinflussen unser Leben also nicht nur auf lange Sicht, sondern die gesamte Menschheit.”
Doa legst di nida! Das alles gibt es unter dem Titel: “Nicht nur ein Entsorgungsproblem – die Atomenergie“. Unglaublich. Und so ein TÜV – in dessen Aufsichtsrat nicht zufällig ein RWE-Vorstandsmitglied sitzt – ist für die Sicherheit von Atomkraftwerken zuständig.
Mit dem Ausdruck, dass es bei der Auseinandersetzung nicht selten um ideologische Gründe ging, ging es mir lediglich darum klarzustellen, dass bis Fukushima die Diskussion von beiden Seiten selten ideologiefrei geführt wurde. Ich denke, das ist nachvollziehbar. Mag sein, dass es in meinem Blog nicht deutlich genug dargestellt wird. Fukushima – so zumindest meine Wahrnehmung – hat wieder in dieser Deutlichkeit die unvorhersehbare „Ohnmacht/Hilflosigkeit“ der Menschen bei der Produktion von Atomstrom gezeigt und somit war es erstmals möglich, bei uns die Diskussion ideologiefrei zu führen.
Doch ob die Diskussion nun in der Vergangenheit ideologiefrei geführt wurde oder nicht, das mag sicher jeder für sich entscheiden. Mir ging es bei dem Artikel vielmehr um die Frage, wie wir Europäer in Zukunft unseren Strom erzeugen/beziehen. Anlass war für mich die erste umfassende europäische Bestandsaufnahme nach Fukushima, erarbeitet von der EU-Kommission in ihrem Bericht zur Lage der Nuklearwirtschaft in Europa. Die Diskussion um diese Frage interessiert mich weitaus mehr und war Grund für meinen Artikel.