G20@Hamburg: Um welche Haltung geht es? Die Nordkirche und der Gipfel
In der Juni-Ausgabe der Kirchen-Zeitung „Ev. Stimmen“ setzt sich der Theologe Theo Christiansen mit der Politik bzw. der Haltung der Leitung der Nordkirche zum bevorstehenden G20-Gipfel in Hamburg auseinander. Er kritisiert nicht nur die staatsnahe Vorgehensweise. Auch die mangelnde Kritik an denen, die für die weltweiten sozialen und ökologischen Krisen verantwortlich sind, benennt Christiansen, Leiter des Bereichs »Diakonie und Bildung« im Evangelisch-Lutherischen Kirchenkreis Hamburg-Ost.
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Um welche Haltung geht es? Die Nordkirche und G20
Manchmal ist es nur ein Detail, in dem das Ganze sichtbar wird: Die Synode der Ev. Luth. Nordkirche beriet Ende Januar 2017 über eine Erklärung zum G20-Gipfel. Aus dem Entwurf wurde der Halbsatz gestrichen „da es ihr (gemeint ist die G20) – an Legitimität und Transparenz mangelt.“ Dieser Halbsatz war die einzige ausdrückliche Bekundung einer Kritik an der G20 selbst.
Und in der Tat stört dieser Halbsatz, denn der Grundton dieser Erklärung ist ein anderer: „Mit großer Sorge“ werden „Abschottungsbestrebungen, nationalistische Tendenzen und das Vertreten partikularer Interessen“ wahrgenommen. Vor diesem Hintergrund wird das Motto der deutschen G20-Präsidentschaft („Eine vernetzte Welt gestalten“) aufgegriffen und die Bundesregierung „ersucht“, die in ihrer Präsidentschaft liegende Chance zu nutzen, um „Akzente für eine nachhaltige und zukunftsfähige Entwicklung zu setzen“.
Anders ausgedrückt: Das System G20 zeigt zwar die eine oder andere Fehlentwicklung, aber es wird als Grundordnung akzeptiert und gestützt, v.a. mit Verweis auf Brexit, Trump und Co. Diese neue Perspektive ist bemerkenswert. Denn dass die nicht zuletzt von Clinton, Blair und Schröder befeuerte neoliberale Transformation nationalistische Tendenzen hervorruft, gezielt auf partikulare Interessen setzt und demokratiefeindlich ist, ist beileibe keine neue Erkenntnis. Nur dass sie die liberale Demokratie auch in den eigenen Zentren erschüttern könnte, war im Geschäftsmodell nicht wirklich vorgesehen. So wäre grundsätzliche Kritik gerade jetzt und mehr denn je angemessen und notwendig. Doch die Synode der Nordkirche hat sich hier dafür entschieden, die ökonomische und politische Grundkonfiguration nicht anzutasten, sondern sie zu verteidigen.
Das bestimmte das weitere kirchenleitende Vorgehen. War bis dahin noch daran gedacht, über kirchliche entwicklungspolitische Einrichtungen und Gruppen in Kooperation mit nichtkirchlichen Akteuren auch an der Vorbereitung von Aktionen und Demonstrationen verbindlich mitzuwirken, so war das unmittelbar nach der Synode unerwünscht. Das für diesen Zweck gebildete „kirchliche Bündnis“ belässt es nun bei seinen knapp 50 geplanten Veranstaltungen und Gottesdiensten. Selbst aus der Trägerschaft am alternativen „Gipfel für internationale Solidarität“ (5./6. Juli) haben sich die Nordkirche wie auch schon „Brot für die Welt“ und die katholische Organisation „Misereor“ zurückgezogen – es fließt allerdings trotzdem Geld.
Wie lässt sich das erklären? Dazu ein Blick in die Hamburger Entwicklung. Im März startete eine Initiative aus dem konservativen Umfeld („Haltung.Hamburg“), die das G20-Treffen zum Anlass nimmt, „ein Zeichen für Meinungsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit und eine pluralistische Gesellschaft zu setzen“. Wenig später ging „Hamburg zeigt Haltung“ an den Start, mit ähnlichem Interesse, nur in rot-grün. Diese Initiative firmiert als Personenbündnis, auch wenn die Website neben anderen die Embleme der SPD-Bürgerschaftsfraktion und der Grünen ausweist. An dieser Initiative sind kirchenleitende Personen, insb. die Hamburger Bischöfin der Nordkirche, führend beteiligt. Man darf davon ausgehen, dass sie damit das Interesse und die Absicht verbinden, diese Initiative öffentlich als kirchlich-repräsentative Stimme zum Politikum G20 darzustellen.
Das geht so weit, dass „Hamburg zeigt Haltung“ ungefragt einen vom „Kirchlichen Bündnis“ und insb. von der ACK (AG der christlichen Kirchen in Hamburg) geplanten und verantworteten Gottesdienst als Auftakt und damit Bestandteil ihres Aktionsplans für den 8.7. ausgewiesen hat, an den eine nach dem Gottesdienst beginnende Demonstration und ein Fest anschließen. Nach scharfem Protest der ACK wurde das ein wenig zurückgenommen. Aber der Eindruck dieses – diplomatisch formuliert – äußerst ungewöhnlichen Vorgangs ist nachhaltig, er beinhaltet, zumindest in innerkirchlicher Perspektive, einen politischen Affront. Zum einen, weil die Inhalte des Aufrufes von „Hamburg zeigt Haltung“ sowie die angekündigten Themen der Schlusskundgebung wenig mit den bisher vorgesehenen Anliegen des Gottesdienstes gemein haben. Zum anderen, weil sich „Hamburg zeigt Haltung“ einer Kritik an der deutschen Verantwortung für die von der G20 betriebenen Politik enthält und die Kritik auf allseits unbeliebte Staatsgäste wie Trump, Erdogan und Co orientiert.
Gleichzeitig wird die bischöflich geförderte Demonstration von „Hamburg zeigt Haltung“ in Konkurrenz zu der Großdemonstration „Grenzenlose Solidarität statt G20!“ gesetzt, die von zahlreichen Initiativen schon lange vorher angemeldet worden ist. Dieser Vorgang ist zusätzlich brisant vor dem Hintergrund der v.a. von der Hamburger Polizei und Medien unablässig kolportierten Unterstellung, dass von dieser Demonstration Gewalt ausgehen könnte.
Spätestens an diesem Punkt fragen sich so manche, von welcher Grundeinstellung die maßgebliche Beteiligung kirchlicher Führungspersonen an „Hamburg zeigt Haltung“ geprägt ist. Denn (kirchen-) politisch geht es um drei wichtige Aspekte:
Zum einen geht es um die Frage, ob sich die Kirchen mit ausreichender Distanz zur Politik und Wirtschaft bewegen. In dem konkreten Fall wird das in heute noch nicht absehbarer Weise v.a. den polizeilich dominierten Sicherheitsdiskurs betreffen. Denn wie schon beim G8-Treffen 2007 in Heiligendamm spricht vieles dafür, dass die Vorbereitungen auf einen praktizierten Notstand hinauslaufen. Es ist ein Signal, dass mit Hartmut Dudde ein Hamburger Polizeiführer beauftragt wurde, der in seiner Zeit als Gesamteinsatzleiter der Bereitschaftspolizei mehrfach gerichtlich festgestellte Rechtsbrüche begangen hat: Einkesselungen, Ingewahrsamnahmen und Versammlungsauflösungen. Gerade in dieser Situation bräuchte es für die Verteidigung des Versammlungsrechtes eine gegenüber Staat und Parteien unabhängig agierende Kirche.
Das gilt – zum anderen – auch hinsichtlich des Themas: Wenn die Hamburger Bischöfin bei der Vorstellung von „Hamburg zeigt Haltung“ öffentlich sagt, dass nur manche auf der Gästeliste des G20 – sie nennt namentlich „die Herren Putin, Erdogan, Xi , Trump und den Vertreter des saudischen Regimes“ – „eher Teil des Problems sind als Teil der Lösung“, dann artikuliert sie faktisch nicht viel Anderes als das Interesse deutscher Politik und Wirtschaft, die – in genauso nationalem Interesse wie anderen Staaten auch – ihre jeweils eigene Verantwortung für die teilweise katastrophalen Entwicklungen in der Welt nicht thematisiert sehen wollen.
Zum dritten: Es gibt das zunehmende Interesse mächtiger Gruppierungen in unserer Gesellschaft, ihre Anliegen in neuer Weise als Akteure der Zivilgesellschaft einzubringen. In Hamburg stellte sich diese Frage z.B. nach den Abstimmungsniederlagen vor vier Jahren bei einer Volksinitiative gegen die Privatisierung der Energienetze oder vor zwei Jahren bei der Abstimmung über die Olympiabewerbung. Mit Medienmacht und bei Buffets allein, so eine der damaligen Auswertungen wirtschaftsnaher Kreise, wären in Zukunft Auseinandersetzungen nicht zu gewinnen, man müsse selbst auf die Straße. Oder wie es die „Zeit“ in feiner Ironie beschreibt: „Demokratie ist, wenn auch die Regierungspartei demonstriert“. Das aber ist ein gefährlicher Pfad. Deshalb ist es bemerkenswert, dass kirchenleitende Personen hier mitmischen (wollen) und man darf gespannt sein, wie sich deren Interesse artikuliert.
Die Auseinandersetzung um G20 trifft die Kirche an einem inhaltlich zentralen Punkt: Die neoliberale Wende und die Globalisierung sind seit über 30 Jahren Gegenstand kirchlicher Debatten über ihr Verhältnis zur kapitalistischen Wirtschaftsordnung. Weil die in den 70er Jahren eingeleitete „Entbettung“ des wirtschaftlichen Handelns aus der gesellschaftlichen und politischen Kontrolle vielfältige und teilweise katastrophale Folgen zeitigte, beschloss der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK), der weltweite Zusammenschluss der protestantischen Kirchen, 1983 auf seiner Vollversammlung in Vancouver, einen „Konziliaren Prozess gegenseitiger Verpflichtung auf Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ zu starten. Der Titel klingt kompliziert, weil er innerkirchliche Konflikte widerspiegelt: (wirtschaftliche) Gerechtigkeit wird durch seine Vorrangstellung zur Bedingung des Friedens erklärt und Ziel ist nicht die Abfassung eines Papiers, sondern der Start eines Veränderungsprozesses, zu dem sich die Kirchen gegenseitig verpflichten. In den Folgekonferenzen, an denen auch die katholische Kirche mit einer Delegation teilnimmt, wird das konkreter. Selbstkritisch wird formuliert, „nicht entschieden genug die politischen und wirtschaftlichen Systeme in Frage gestellt zu haben, die die natürlichen Ressourcen der Welt nur zum eigenen Nutzen ausbeuten und Armut und Marginalisierung verewigen“ (Basel 1989). Die soziale Dimension der Menschenrechte wird in den Blick genommen:
„Gerechtigkeit und Menschenrechte sind untrennbar miteinander verbunden. Der Begriff der Menschenrechte bezieht sich nicht nur auf individuelle Rechte, sondern auch auf kollektive soziale, wirtschaftliche und kulturelle Rechte der Menschen.“ Und immer stärker rücken die Strukturen der Weltwirtschaft in den Mittelpunkt: sie müssen „grundlegend verändert“ werden“ (Seoul 1990).
Es folgte ein organisierter Prozess in verschiedenen Regionen der Erde mit mehr als ein Dutzend Konsultationen, in denen Erfordernisse einer „alternativen Globalisierung“ im Sinne eines „Wirtschaftens für das Leben“ ausgearbeitet wurden. Sie mündeten, dann auch unter dem Eindruck der sog. Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 ff., in einer weiteren Konferenz 2012 in Sao Paulo. In deren Schlusserklärung werden nicht mehr nur die destruktiven Auswirkungen des Kapitalismus markiert, sondern seine Grundstruktur. „Daher bemühen wir uns um die Überwindung des Kapitalismus.“ Dieser Gedanke prägt dann auch die vorerst jüngste Vollversammlung des ÖRK in Busan: „Unsere ganze derzeitige Realität ist so voll von Tod und Zerstörung, dass wir keine nennenswerte Zukunft haben werden, wenn das vorherrschende Entwicklungsmodell nicht radikal umgewandelt wird.“ Mit diesem Anliegen sind die knapp 350 Mitgliedskirchen aufgerufen, „im Dienste einer Ökonomie des Lebens“ sich mit anderen gesellschaftlichen Kräften über Alternativen zum Status quo zu verständigen. Was im protestantischen Kontext zwar klar ist, aber kompliziert klingt, hat Papst Franziskus 2013 in seinem Schreiben „Evangelii Gaudium“ zugespitzt so zum Ausdruck gebracht: „Diese Wirtschaft tötet.“
Vor diesem Hintergrund ist das aktuelle kirchenleitende Handeln in der Nordkirche Ausdruck von Missachtung der über Jahre erarbeiteten und beschlossenen Positionen im ÖRK. In dieser Missachtung spiegelt sich jener „Schulterschluss der wirtschaftlichen, politischen und kirchlichen Eliten“, von dem Friedhelm Hengsbach angesichts der 2014 veröffentlichten kirchlichen „Sozialinitiative“ sprach. Das gilt insb. hinsichtlich der Scheu, sich in ernsthafte Auseinandersetzungen mit den Kräften in der eigenen Gesellschaft zu begeben, die Mitverantwortung für die zerstörerischen Entwicklungen tragen. Es ist schon bemerkenswert, in welchem Abstand sich die G20-Erklärung der Nordkirche dabei selbst zu der in der eigenen Organisation vorhandenen Expertise bewegt. Es wäre z.B. naheliegend gewesen, sich sehr konkret auf eine jüngst erschienene Studie von „Brot für die Welt“ über das Verständnis von Entwicklungszusammenarbeit zu beziehen, die die gesamte Anlage der deutschen und europäischen Afrika-Politik kritisch analysiert. Oder darauf, dass die auch aus der ev. Kirche heraus unterstützte Transformationsagenda der Tatsache widerspricht, dass in den G20-Beschlüssen weiterhin das Primat ungezügelten Wirtschaftswachstums dominiert, das auch die deutsche Wirtschaftspolitik prägt. Oder an der gerade kirchlich immer wieder eingebrachten Forderung, die anhaltende Privatisierung und Kommerzialisierung von Gemeingütern nachhaltig zu stoppen, weil sie Ungerechtigkeits- und Armutsstrukturen in ganz besonderer Weise verfestigt.
Aber nichts dergleichen. Und so schützt die besagte Erklärung faktisch die deutsche Politik vor Kritik auch aus den eigenen kirchlichen Reihen. Damit wird der Rahmen für das zivilgesellschaftliche Engagement der Kirchen neu ausgerichtet. Und das hat normative Wirkung. Denn wer sich in derartigen Fragen nahezu distanzlos gegenüber den politischen und wirtschaftlichen Eliten bewegt, bewirkt zumindest, dass Initiativen, die an konkreten Widersprüchen ansetzen (z.B. Rüstungsexporte, Hafen- und Energiepolitik, Fluchtursachen), mit kirchenleitender Unterstützung stets dann nicht mehr rechnen können, wenn es nicht um hehre Worte, sondern um konkret auszutragende Konflikte geht. Die Wortfülle der moralischen Appelle kaschiert allzu häufig, dass sie zur Floskel werden, wenn es konkret wird. Dann wird erkennbar, dass sich im Mainstream weder Klugheit noch Mut entwickeln können, dass Demonstrationen ohne Konflikte keine Kraft entfalten und dass zivilgesellschaftliches Engagement belanglos wird, wenn es sich naiv oder bewusst regierungsnah artikuliert.
Theo Christiansen, 21.5.2017
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