Nach Warnung des Deutschen Ärztetages: Neue Regelung für gering radioaktive Abriss-Abfälle bei AKWs

Der Deutsche Ärztetag 2017 warnt „vor der Verharmlosung möglicher Strahlenschäden durch die geplante Verteilung von gering radioaktivem Restmüll aus dem Abriss von Atomkraftwerken (AKW).“ Diesen Beschluss hat Hubertus Zdebel (Bundestagsfraktion DIE LINKE) jetzt zum Anlaß genommen, die Bundesregierung zu befragen, ob und wie sie auf diese Kritik reagieren wird und die bislang geltenden Regelungen zum Umgang mit diesen kontaminierten Abfällen ändern wird. An vielen Standorten regt sich gegen das sogenannte „Freimessen“ Protest.

Beim Rückbau der Atommeiler fallen große Mengen von gering radioaktiven Abfällen (Beton, Stahl) an. Nach den derzeitigen Regelungen kann dieser belastete Abfall unterhalb „willkürlich festgelegter Freimessgrenzen – dem sogenannten 10μSv-Konzept“, wie es in der Begründung des Beschlusses des Ärztetages heißt, entweder einfach zum Recycling (Straßenbau, Stahlverarbeitung) freigegeben werden oder aber landet auf normalen Hausmülldeponien. Kritisiert wird dieses Verfahren auch vom Umweltverband BUND und der kritischen Ärzteorganisation IPPNW, weil es sich bei den Abriss-Abfällen um sehr große Mengen handelt, die so zu einer unkontrollierten Erhöhung der Strahlenbelastung beitragen.

Hubertus Zdebel, Sprecher für Atomausstieg der Bundestagsfraktion DIE LINKE: „Natürlich ist die bis heute ungelöste dauerhafte Lagerung der hochradioaktiven Abfälle und auch des leicht- und mittelradioaktiven Atommülls erheblich gravierender. Aber deshalb kann es trotzdem nicht angehen, dass gering strahlender Bauschutt aus dem Abriss der Atommeiler unkontrolliert in der Umwelt verteilt werden darf. Die jetzigen Vorschriften sind bereits Anfang 2000 bei der Einführung durch die damalige rot-grüne Bundesregierung von kritischen Strahlenmedizinern und Umweltverbänden kritisiert worden. Auch bei der Anhörung im Bundestag zum neuen Strahlenschutzgesetz im März 2017 hatte z.B. der BUND-Vertreter auf diese Problematik hingewiesen.

An vielen Atomstandorten gibt es derzeit Kritik an den bestehenden Vorschriften. In Schleswig-Holstein ebenso wie in Baden-Württemberg und anderswo weigern sich die Deponiebetreiber derartige Abfälle anzunehmen. Grund genug, wie ich finde, hier zu neuen Verabredungen zu kommen, die gesellschaftlich akzeptiert werden und die ein Mehr an Sicherheit und Gesundheitsschutz für die Bevölkerung zur Folge haben müssen. In Frankreich beispielsweise gibt es eine solche Freigabe nicht. Dort werden derartige Abfälle auf besondere Deponien gebracht und überwacht. Das zeigt, dass es auch anders gehen kann.“

Die schriftliche Frage, die der MdB Hubertus Zdebel jetzt an die Bundesregierung gestellt hat:

„Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem Beschluss des 120. Deutschen Ärztetages (Entschließung des 120. Deutschen Ärztetages 2017, S. 240, www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/120.DAET/120DaetBeschlussProt_2017-05-26.pdf), in dem die Medizinerinnen und Mediziner die sogenannte „Freigabe“ bzw. das Freimessen gering belasteter radioaktiver Abfälle aus dem Rückbau von Atomanlagen in die allgemeine Wiederverwertung und die Lagerung auf normalen Mülldeponien kritisieren sowie davon sprechen, dass die Bevölkerung in den kommenden Jahrzehnten völlig unnötig und vermeidbar einer zusätzlichen Strahlendosis ausgesetzt wird, und ist es aus Sicht der Bundesregierung sinnvoll, eine Überarbeitung der bislang gültigen Praxis in der Weise vorzunehmen, dass diese belasteten Abfälle künftig nicht mehr in die Abfallwirtschaft zum unkontrollierten Recycling abgegeben werden können, sondern ähnlich wie in Frankreich an wenigen Orten, die höher abgesichert sind und ausschließlich gleichartige Abfälle aus dem Abriss von Atomanlagen enthalten, kontrolliert deponiert werden (Stellungnahme zu Defiziten der Regelung von Freigaben radioaktiver Stoffe in der Bundesrepublik Deutschland, Oktober 2013, Wolfgang Neumann (Intac), im Auftrag des BUND, S. 50f, www.bund.net/fileadmin/user_upload_bund/publikationen/atomkraft/atomkraft_freimessung_studie.pdf)?“

Dokumentation: Seite 240f im Beschlussprotokoll des 120. Deutschen Ärztetages vom 23. – 26. Mai 2017 (PDF)

TOP Ib Gesundheits-, Sozial- und ärztliche Berufspolitik
Allgemeine Aussprache

Titel: Keine Freigabe gering radioaktiven Atommülls

Entschließung

Auf Antrag von Dr. Robin T. Maitra, Dr. Joachim Suder und Dr. Detlef Lorenzen (Drucksache Ib – 111) fasst der 120. Deutsche Ärztetag 2017 folgende Entschließung:

Die Delegierten des 120. Deutschen Ärztetages 2017 warnen vor der Verharmlosung
möglicher Strahlenschäden durch die geplante Verteilung von gering radioaktivem Restmüll aus dem Abriss von Atomkraftwerken (AKW).

Durch die sogenannte „Freigabe“ gering radioaktiven Restmülls in die allgemeine Wiederverwertung und der Lagerung auf normalen Mülldeponien wird die Bevölkerung in
den kommenden Jahrzehnten völlig unnötig und vermeidbar zusätzlichen Strahlenbelastungen ausgesetzt.

Der 120. Deutsche Ärztetag 2017 fordert die Bundesregierung auf, sich zur Minimierung
der gesundheitlichen Risiken für die Bevölkerung für eine Verwahrung auch des gering
strahlenden Mülls auf den Kraftwerksgeländen einzusetzen.

Begründung:

Es ist geplant, dass „freigemessener“ gering radioaktiver Restmüll aus dem Abriss von
Atomkraftwerken sowohl in die allgemeine Wiederverwertung als auch auf Mülldeponien
vermischt und „endgelagert“ und so zudem aus der Atomaufsicht entlassen wird. Bei einer
Freimessung im AKW wird nach mehrfachen Dekontaminationsschritten anhand willkürlich festgelegter Freimessgrenzen – dem sogenannten 10μSv-Konzept – überprüft, ob die radioaktiven Reststoffe je nach Strahlenaktivität wiederverwertet oder auf normalen
Bauschuttdeponien ohne weitere Strahlenschutzkontrollen eingebracht werden können.

Als Ärzte weisen wir darauf hin, dass es keine Schwellenwerte für die Unbedenklichkeit von ionisierender Strahlung gibt und auch durch vermeintlich geringe Strahlenmengen
gesundheitliche Schäden und Spätfolgen über Generationen entstehen können. In diesem
Zusammenhang sind die gesundheitlichen Folgen einer Verteilung von AKW-Restmüll nicht ausreichend geklärt. Aus Strahlenschutzgründen muss die belastete Menge so klein wie möglich gehalten und mit dem bestmöglichen technischen Stand sicher verwahrt werden, am besten auf dem Kraftwerksgelände. Wie sich aus aktuellen Gutachten der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) ergibt, ist dies durch die Lagerung in bunkerähnlichen Bauwerken auf den Kraftwerksgeländen oder in Gebäuden, die nach der Entkernung radioaktiv belasteter AKW-Teile am Standort stehengelassen werden können, gewährleistet.

 

Dse4Zdebel

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