Mindestens 21 gefälschte Sicherheitsüberprüfungen bei Atommitarbeitern in Jülich: Laut BMUB kein Terrorhintergrund – Schutz vor Innentäter wird geprüft
Mindestens in 21 Fällen hat laut Angaben des BMUB ein Mitarbeiter in der ehemaligen Atomforschungsanlage Jülich Zuverlässigkeits-Überprüfungen manipuliert und damit Beschäftigten ohne ausreichende Kontrolle Zugang zu sicherheitstechnisch relevanten Bereichen ermöglicht. Aufgrund sogenannter “Quermeldungen” hatten diese Beschäftigten grundsätzlich Zugang auch in die Sicherheitsbereiche anderer Atomanlagen. In der Antwort (siehe unten) auf eine Schriftliche Frage des Bundestagsabgeordneten Hubertus Zdebel (DIE LINKE) teilt das BMUB mit, dass es nach derzeitigem Stand keinen terroristischen Hintergrund gäbe und es sich in Jülich um einen Einzeltäter handeln solle. Derzeit läuft eine Überprüfung des Vorfalls bei allen Atomanlagen. Im Oktober will die Bundesregierung Konsequenzen beraten.
Hubertus Zdebel: “In Zeiten wachsender Terror-Risiken ist es überaus alarmierend, dass in Jülich ein Mitarbeiter gleich in 21 Fällen Sicherheitsüberprüfungen für Beschäftigte in den atomaren Sicherheitsbereichen gefälscht hat. Die Risiken, die von sogenannten Innentätern in Atomanlagen ausgehen können, sind nicht zu unterschätzen. Die Bundesregierung ist daher gut beraten, wenn sie das System der Sicherheitskontrollen nach diesem Vorfall aus den Prüfstand stellt.”
Zusätzlich zu den Antworten der Bundesregierung auf die schriftliche Frage von Hubertus Zdebel informiert das BMUB in einem Bericht an den Umweltausschuss des Bundestages. Dort heißt es zunächst: “In der Jülicher Entsorgungsgesellschaft für Nuklearanlagen mbH (JEN) sind Unterlagen zu Zuverlässigkeitsüberprüfungen von Mitarbeitern manipuliert worden. Inzwischen wurden 21 Fälle festgestellt, in denen die Zuverlässigkeit ohne zu Grunde liegende Überprüfung durch die zuständige Behörde für die Weitermeldung an einen anderen Genehmigungsinhaber (sog. Quermeldungen) bestätigt wurde. Damit war der unberechtigte Zugang zu Sicherungsbereichen möglich.”
Im weiteren teilt das Ministerium mit: “Das BMUB wurde am 18. August 2017 von der Aufsichtsbehörde informiert. Nach bundesaufsichtlicher Bewertung informierte das BMUB unmittelbar schriftlich alle atomrechtlichen Aufsichtsbehörden zum Sachverhalt mit der Maßgabe, Mitarbeitern aus Jülich nur nach einer von den Behörden verifizierten Zuverlässigkeitsüberprüfung weiteren Zutritt zu Sicherungsbereichen zu gewähren. Zudem sind die Maßnahmen aller Genehmigungsinhaber zur Manipulationssicherheit der Quermeldungen zu überprüfen, gegebenenfalls sofort zu verbessern und dem BMUB zu berichten.”
Zum geplanten Vorgehen heißt es: “Unabhängig von dem Einzelfall, der weiter aufgeklärt wird, sind Manipulationen von Quermeldungen bundesweit zu verhindern, da es damit potentiellen Tätern möglich wäre, sich unberechtigten Zugang zu kerntechnischen Anlagen zu verschaffen. Sofortmaßnahmen sind eingeleitet und wirksam. Auf der Basis der Berichte der Länder werden im Oktober 2017 eventuell notwendige langfristige Änderungen zur Verbesserung der Manipulationssicherheit im Bereich der atomrechtlichen Zuverlässigkeitsüberprüfung in den entsprechenden Gremien des Länderausschuss für Atomkernenergie diskutiert und festgelegt.”
Zum Hintergrund teilt das BMUB in dem Bericht an den Umweltausschuss weiter mit: “Personen, die in kerntechnischen Anlagen tätig werden, bedürfen nach § 12b Atomgesetz (AtG) in Verbindung mit der Atomrechtlichen Zuverlässigkeitsüberprüfungs-Verordnung (AtZüV) einer gültigen Zuverlässigkeitsüberprüfung. Diese Überprüfung wird von der für die kerntechnische Anlage zuständigen atomrechtlichen Aufsichtsbehörde des Landes durchgeführt. Dazu werden von der Aufsichtsbehörde Auskünfte verschiedener Landes- und Bundesbehörden eingeholt, im Einzelfall bewertet und schriftlich beschieden.
Wenn Personen in verschiedenen kerntechnischen Anlagen (bundesweit) tätig werden, wird während der Geltungsdauer der vorhandenen Zuverlässigkeitsüberprüfung (bis zu fünf Jahre) keine erneute Prüfung behördlicherseits beim aufnehmenden Genehmigungsinhaber durchgeführt. In einem solchen Fall informiert die abgebende Anlage die aufnehmende Anlage mittels einer sogenannten Quermeldung über eine gültige Zuverlässigkeitsüberprüfung. Die Verantwortung für die Richtigkeit der Quermeldungen liegt bei den Genehmigungsinhabern. Die atomrechtlichen Aufsichtsbehörden bekommen in der Regel keine Kenntnis über solche Quermeldungen.”
Antwort der Bundesregierung auf die Schriftliche Fragen von Hubertus Zdebel:
Frage: „ Welche Kenntnisse haben die für die Sicherheit der Atomanlagen verantwortliche Bundesregierung und die in ihrem Auftrag tätigen Atomaufsichtsbehörden der Länder angesichts manipulierter Sicherheitsunterlagen bei Mitarbeitern im Forschungszentrum Jülich (Quelle: https://www.aachenerzeitung.de/lokaleslregion/sicherheitsunterlagen-von-mitarbeitern-innuklearen-anlagen-manipuliert-1.1700246) über die Hintergründe hinsichtlich möglicher Auswirkungen auch auf andere Atomanlagen, und mit welchen Maßnahmen wird angesichts wachsender Terrorgefahren durch sogenannte Innentäter gewährleistet, dass Manipulationen an Sicherheitsunterlagen nicht auch in anderen Atomanlagen getätigt wurden und bislang möglicherweise unerkannte Risiken bestehen?”
Antwort der Bundesregierung vom 8. September 2017, Rita Schwarzelühr-Sutter, parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium (BMUB):
“Nach Kenntnis der Bundesregierung sind in der Jülicher Entsorgungsgesellschaft für Nuklearanlagen mbH (JEN) Unterlagen zu Zuverlässigkeitsüberprüfungen manipuliert worden.
JEN geht nach heutiger Erkenntnislage von einem Einzeltäter aus und schließt einen terroristischen Hintergrund aus. Der Fall wurde an die Staatsanwaltschaft übergeben. Im Übrigen liegen auch den Bundessicherheitsbehörden keine Anhaltspunkte für einen etwaigen Terrorismusbezug vor. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) wurde am 18. August 2017 von der zuständigen Aufsichtsbehörde, dem Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen (MWIDE) über den Vorfall unterrichtet. BMUB informierte daraufhin unmittelbar schriftlich alle atomrechtlichen Aufsichtsbehörden zum Sachverhalt mit der Maßgabe, dem betroffenen Personenkreis nur nach einer von den Behörden verifizierten Zuverlässigkeitsüberprüfung weiteren Zutritt zu Sicherungsbereichen zu gewähren.
Zudem sind die Maßnahmen aller Genehmigungsinhaber zur Manipulationssicherheit der Unterlagen zu Zuverlässigkeitsüberprüfungen zu überprüfen, gegebenenfalls sofort zu verbessern und dem BMUB zu berichten. Erkenntnisse zu möglichen Manipulationen der Unterlagen zu Zuverlässigkeitsüberprüfungen in anderen kerntechnischen Anlagen liegen dem BMUB nicht vor.
Die Zuverlässigkeitsüberprüfung gemäß der Atomrechtlichen Zuverlässigkeitsüberprüfungs-Verordnung (AtZüV) ist ein Bestandteil einer Vielzahl von Maßnahmen gegen Innentäter in kemtechnischen Anlagen. Diese Maßnahmen werden ausgehend von einer regelmäßig stattfindenden Lageeinschätzung der Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder fortlaufend überprüft und ggf. angepasst.”