Hochradioaktiver Atommüll: BUND scheitert mit Eil-Klage für mehr Sicherheit – Verwaltungsgerichtshof bestätigt Sofortvollzug
Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat im Eilverfaren der Klage des BUND nicht stattgegeben, die Einlagerung von hochradioaktivem Atommüll aus der Plutoniumfabrik Sellafield im Zwischenlager Biblis zu unterbinden. Der BUND zeigt sich in einer Pressemitteilung enttäuscht von dem Urteil. Schon beim Verladen der brisanten Atommüllfracht habe es Probleme gegeben. Außerdem bestünden erhebliche Sicherheitsmängel im Zwischenlager. Allerdings hat das Gericht nicht in der Hauptsache entschieden. Laut dpa teile der Verwaltungsgerichtshof „die Einschätzung der Bundesrepublik, dass ein erhebliches öffentliches Interesse an einer zeitnahen Abnahme der wiederaufbereiteten Kernbrennstoffe bestehe, hieß es in der am Mittwoch veröffentlichten Entscheidung des Gerichts. Der Beschluss ist rechtskräftig (Aktenzeichen: 6 B 2381/20.T).“ Angesichts der Coronoa-Pandemie könnte der für Ende Oktober/Anfang November geplante See- und Bahntransport der sechs Castoren von Sellafield nach Biblis aber dennoch abgesagt werden, weil rund 6.000 Polizist*innen zum Schutz der Transporte eingesetzt werden müssten. Der Niedersächsische Innenminister hat deshalb dem Bundesinnenminister eine Verschiebung empfohlen.
- Stoppt der Virus erneut hochradioaktiven Atommüll nach Biblis? (Dort auch mehr zum Hintergrund der bevorstehenden Atommüll-Transporte)
- Update: Die PM des Verwaltungsgerichtshof ist hier direkt als PDF.
Zum Urteil heißt es bei dpa weiter: „Aus Sicht des Gerichtshofs überwiegt aber das öffentliche Interesse, die Änderung sofort wirksam werden zu lassen. Die Frage, ob diese sachlich rechtmäßig sei, müsse in einem Hauptsacheverfahren geklärt werden.“ Mit Blick auf die Corona-Krise ist dort auch zu lesen:
„Eine Sprecherin der niedersächsischen Landesregierung ergänzte am Mittwoch, es gebe ein «großes Fragezeichen», ob der Transport angesichts der Corona-Ausbreitung jetzt stattfinden müsse. «Man kann nur hoffen, dass da vielleicht in Berlin noch Einsicht einkehrt.» Atomkraftgegner und Umweltschützer gehen davon aus, dass der Atommüll über den niedersächsischen Hafen Nordenham ins Land kommt und von dort nach Biblis gebracht wird.“
Dokumentation PM des BUND Hessen:
Hessischer Verwaltungsgerichtshof lehnt Klage gegen CASTOR-Einlagerung in Biblis ab
BUND Hessen ist enttäuscht, weil wesentliche Ziele zur Vorsorge gegen Schäden durch radioaktive Strahlung nicht erfüllt sind.
Der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) in Kassel hat die Klage des hessischen Landesverbandes des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) im Eilverfahren gegen den Sofortvollzug zur Einlagerung von sechs CASTOR®28 M-Atommüllbehältern aus Sellafield (UK) in das Zwischenlager der „BGZ Gesellschaft für Zwischenlagerung“ am AKW Biblis abgelehnt.
Gleichzeitig hat das Gericht aber die Rechtmäßigkeit der BASE-Genehmigung ausdrücklich nicht bestätigt und damit die Kritikpunkte des BUND als relevant anerkannt.
Der BUND ist dennoch enttäuscht, dass das Gericht den Argumenten des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) weitgehend gefolgt ist.
„Wir sind weiterhin der Auffassung, dass bei der Castor-Einlagerung wesentliche Ziele des Atomrechts zur Vorsorge gegen erhebliche Schäden durch radioaktive Strahlung nicht erfüllt sind“, stellt Atomexperte Dr. Werner Neumann vom BUND Landesvorstand fest.
„Zahlreiche Argumente unserer drei Widerspruchsschreiben wurden vom BASE nicht akzeptiert. So wäre ein Neuantrag auf Einlagerung mit umfassender Öffentlichkeitsbeteiligung erforderlich gewesen, da die bisherige Genehmigung sich auf andere Behältertypen bezogen hatte.“
Ein großes Problem sieht der BUND darin, dass es keine Reparaturmöglichkeit mit einer sogenannten „Heissen Zelle“ gibt, wenn der Primärdeckel der Behälter undicht wird. Betreiber und Aufsichtsbehörde, beide unter Aufsicht des Bundesumweltministeriums, würden klare Anforderungen der Entsorgungskommission ignorieren.
Werner Neumann: „Statt jetzt Sicherheit herzustellen, sollen Maßnahmen nach Ansicht des BASE erst erfolgen, wenn die Probleme aufgetreten sind.“
Ignoriert wurde nach Angabe des BUND zudem, dass es bereits bei der Einlagerung der hochradioaktiven Glaskokillen in die Castor-Behälter zu technischen Problemen gekommen ist, weil z.B. ein Primärdeckel schief aufgesetzt wurde.
Werner Neumann: „Bemerkenswert ist, dass das Gericht nach eigener Aussage nicht beurteilen konnte, ob „die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge“ durch die BASE-Entscheidung gewährleistet ist, zumal das BASE dem Gericht die nötigen Unterlagen offenbar nur „unvollständig, in Form einer loser Blattsammlung, mit teilweise geschwärztem Inhalt“ vorgelegt hatte. Eine Klärung des Sachverhalts bleibt somit dem Hauptverfahren vorbehalten.“
Der BUND wird weiter auf die Sicherheitsmängel der Atommülllagerung im Zwischenlager am Atomkraftwerk Biblis hinweisen.
„Dass der Staat auf möglichst hohe Sicherheitsvorkehrungen bei der CASTOR-Lagerung verzichtet, ist das falsche Signal zu einer Zeit, in der die Suche nach einem Endlager beginnen soll“, so Neumann abschließend.
Dokumentation:
21.10.2020
Nr. 38/2020
Die Bundesrepublik Deutschland erteilte am 22. September 2003 eine Genehmigung zur Aufbewahrung von Kernbrennstoffen im Standort-Zwischenlager (SZL) Biblis, die in der Folgezeit mehrfach geändert worden ist. Im SZL Biblis werden die bestrahlten Brennelemente aus dem Betrieb des mittlerweile stillgelegten Kernkraftwerks Biblis (KWB) nach dem Prinzip der trockenen Zwischenlagerung in metallischen, dicht verschlossenen Behältern aufbewahrt. Die Grundgenehmigung vom 22. September 2003 erlaubt eine Aufbewahrung von maximal 40 Jahren ab dem Zeitpunkt der Beladung in Transport- und Lager-Behältern der Bauart CASTOR®V/19 (5,94 m hoch, 2,44 m Außendurchmesser, ca. 108 t Leergewicht) mit bis zu 1.400 mg Schwermetall, einer Gesamtaktivität von bis zu 8,5 • 1019Bq und einer Gesamtwärmeleistung von bis zu 5,3 MW. Durch die folgenden acht Änderungsgenehmigungen wurden u.a. die zugelassenen Aufbewahr- und Lagerbehältnisse sowie das zugelassene Inventar ausgeweitet. Mittlerweile ist im SZL Biblis die Aufbewahrung von Uran-Brennelementen, Uran-Hochabbrandbrennelementen, Mischoxid-Brennelementen der Typen 16×16-20 und 16×16-20-4 sowie von Uran-Brennelementen mit integriertem Steuerelement in Transport- und Lagerbehältern der Bauart CASTOR®V/19 gestattet. Außerdem können bei der gemischten Lagerung in Halle 2 konditionierte radioaktive Abfälle in Form von z.B. Filterkerzen, Corebauteilen und Verdampferkonzentraten in maximal 252 MOSAIK-II- Behältern gelagert werden. Die Aufbewahrung und Lagerung von Kernbrennstoffen in Form von verfestigten hochradioaktiven Abfällen (HAW-Glaskokillen) war bis dato nicht gestattet. Auch eine andere Aufbewahrung und Lagerung von bestrahlten Brennelementen als in CASTOR®V/19-Behältern war nicht gestattet.
Am 19. Dezember 2019 erließ die Bundesrepublik die „9. Änderungsgenehmigung zur Aufbewahrung von Kernbrennstoffen im Standort-Zwischenlager in Biblis der BGZ Gesellschaft für Zwischenlagerung mbH“, mit der der Beigeladenen – einer bundeseigenen Gesellschaft – die Aufbewahrung von verfestigten Kernbrennstoffen in Form von je 28 HAW-Glaskokillen aus der Wiederaufbereitung bestrahlter Brennelemente aus deutschen Kraftwerken bei der Sellafield Limited (GB) in Seascale in bis zu 7 Transport- und Lagerbehältern der Bauart CASTOR®HAW28M (6,12 m hoch, 2,84 m Außendurchmesser, ca. 100 t Leergewicht) im Lagerbereich 1 des SZL Biblis auf den Stellplätzen Nr. 57 bis Nr. 63 gestattet wurde. Bei den Sellafield-Glaskokillen handelt es sich um hochaktive Borsilikatglaskokillen mit einem Konzentrat aus Aktiniden- und Spaltproduktrestmengen aus der Zerkleinerung und Auflösung der LWR-Brennelemente.
Der 6. Senat hat den Antrag der Antragstellerin auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes mit Beschluss vom heutigen Tage abgelehnt. Zur Begründung führte der Senat aus, der Eilantrag sei unbegründet. Das öffentliche Interesse und das Interesse der Beigeladenen an der sofortigen Vollziehung der 9. Änderungsgenehmigung überwiege das Interesse des Antragstellers an der Beibehaltung des bisherigen Zustandes bis zur endgültigen Entscheidung in der Hauptsache.
Jedenfalls bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage leide die 9. Änderungsgenehmigung an keinem durchgreifenden formellen Fehler, der den Antragsteller in sog. drittschützenden Rechtspositionen verletze.
Entgegen der Auffassung des Antragstellers sei die 9. Änderungsgenehmigung insbesondere nicht bereits deshalb formell rechtswidrig, weil eine erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung überhaupt nicht bzw. mit nur unzureichender Prüfungsdichte durchgeführt worden oder eine zwingend notwendige Öffentlichkeitsbeteiligung unterblieben sei.
Die Bundesrepublik sei zutreffend davon ausgegangen, dass die mit der 9. Änderungsgenehmigung genehmigten Transporte und Lagerungen keiner Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen waren, sondern dass lediglich eine Vorprüfung des Einzelfalls durchzuführen war.
Die 9. Änderungsgenehmigung betreffe kein Neuvorhaben i.S.d. Umweltverträglichkeitsrechts.
Die Frage, ob die 9. Änderungsgenehmigung in materieller Hinsicht rechtmäßig ist, hat der Senat im Eilverfahren nicht beantwortet, sondern dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.
Zudem seien deutlich überwiegende Interessen des Antragstellers gegenüber dem öffentlichen Interesse nicht zu erkennen. Der Senat teile dabei die Einschätzung der Bundesrepublik, dass ein erhebliches öffentliches Interesse an einer zeitnahen Abnahme der wiederaufbereiteten Kernbrennstoffe bestehe.
Dieser Beschluss ist rechtskräftig.
Aktenzeichen: 6 B 2381/20.T
Ein Beschlussabdruck im Volltext (anonymisiert) kann angefordert werden unter: entscheidungen@vgh-kassel.justiz.hessen.de