Neue Richtlinie zum nuklearen Terrorschutz tritt in Kraft: Sicherung radioaktiver Medizin-Stoffe gegen Diebstahl, Sabotage und die „schmutzige“ Bombe

Neue Richtlinie zum nuklearen Terrorschutz tritt in Kraft: Sicherung radioaktiver Medizin-Stoffe gegen Diebstahl, Sabotage und die „schmutzige“ Bombe

Verstärkte Terrorschutzmaßnahmen oder genauer: Neue Sicherungsmaßnahmen mit einer „SEWD-Richtlinie sonstige radioaktive Stoffe – SEWD-RL“ gelten ab Jahresbeginn 2021. Während mit einer Atomgesetznovelle der Bundestag im Frühjahr 2021 über gravierende Grundrechtseinschränkungen beraten wird, geht es hier um sonstige radioaktive Materialien, die z.B. in der Medizin zum Einsatz kommen. Lange Jahre sind diese brisanten radioaktiven Strahlenquellen hinsichtlich der Gefahrenabwehr vernachlässigt worden. Die Richtlinie selbst unterliegt der Geheimhaltung: VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH (VS-NfD).

Der TÜV-Süd schreibt: „Neue Anforderungen ab Januar 2021“ und stellt fest: Radioaktive Stoffe leisten in vielen Bereichen der Medizin, der Forschung, der Industrie und dem Handwerk einen wesentlichen Beitrag bei der Bewältigung wichtiger Aufgaben. Leider kann aus freiwerdender ionisierender Strahlung jedoch auch eine gesundheitliche Gefährdung betroffener Personen resultieren. Insbesondere wenn die radioaktiven Stoffe zum Beispiel nach einer Entwendung vorsätzlich hierfür eingesetzt werden.“ Das ganze lässt sich deutlicher formulieren: Es geht darum, beim Umgang und Transport von Strahlenquellen Diebstahl und Anschläge zu verhindern. Solche Strahlenquellen (siehe hier beim zuständigen Bundesamt) wie z.B. Kobald-60 könnten als sogenannte „schmutzige“ Bomben missbraucht werden und in Folge von Anschlägen zu erheblichen radioaktiven Verseuchungen führen.

Die Risiken der Atomenergienutzung bestehen nicht nur im technischen Versagen von Baukomponenten und Systemen mit der Folge von radioaktiven Verstrahlungen in großen Regionen, die eine Gefährdung der Gesundheit für Mensch und Umwelt bedeuten könnten. Auch weil in vielen Atomanlagen für den Bau von Atomwaffen geeignete sogenannte Kernbrennstoffe zum Einsatz kommen, gibt es ein System von Sicherungsmaßnahmen, mit denen Anschläge und Diebstahl verhindert werden sollen.

Ein Schwerpunkt derartiger Maßnahmen steht in Zusammenhang mit der Atomenergienutzung zur Stromerzeugung. Doch immer mehr sind in den letzten Jahren auch andere Bereiche in den Focus gerückt, nachdem radioaktive Strahlenquellen z.B. in Mexico gestohlen wurden oder weil derartige Stoffe dem „Islamischen Staat“ während der militärischen Konflikte im Nahen Osten in die Hände gefallen sind. Kobalt-Quellen und andere vergleichbar strahlenintensive Quellen sind zwar für den Bau von Atomwaffen ungeeignet. Aber als sogenannte „schmutzige“ Bomben bieten sie ein hohes Erpressungspotential und könnten zu massiven Verstrahlungen führen. Deshalb tritt ab Januar 2021 eine neue geheime Richtlinie zur Sicherung derartiger radioaktiver Stoffe in Kraft. Die „SEWD-Richtlinie sonstige radioaktive Stoffe – SEWD-RL“. Der TÜV-Süd spricht in diesem Zusammenhang auch von „Diebstahlschutz und Sicherung von sonstigen radioaktiven Stoffen (SisoraSt)“.

Bei der „Deutschen Gesellschaft für Zerstörungsfreie Prüfung“ findet sich ein Vortrag zu dem Thema, der auf dem „17. Seminar“ als Vortrag 8 (PDF, siehe auch hier) zum Thema „Aktuelle Fragen der Durchstrahlungsprüfung und des Strahlenschutzes“ gehalten wurde. Der Vortrag vom Februar 2017 stammt von Oliver KOSBADT aus dem Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft, Stuttgart. Darin gibt er einen Überblick, warum diese Strahlenquellen und andere radioaktive Stoffe im Zuge neuer Terror-Szenarien verstärkt in den Focus gekommen sind und führt Beispiele an.

Gleich zum Einstieg macht Kosbadt klar, was Sache ist: „Die Veränderung der internationalen Bedrohungslage seit den Anschlägen in New York 2001 hat es notwendig gemacht, auch die missbräuchliche Nutzung radioaktiver Stoffe zu berücksichtigen. Anders als bei kerntechnischen Anlagen sind entsprechende Szenarien in Bereich der Medizin, Industrie und Forschung bisher nicht betrachten worden.“

Zur Entwicklung der neuen Richtlinie, die im Frühjahr 2020 beschlossen wurde, sagt er: „Vor diesem Hintergrund wurde in Deutschland eine Arbeitsgruppe bestehend aus Mitgliedern des BMUB, des BfS, der GRS und diverser Landesbehörden eingesetzt, um ein Sicherungsregime beim Umgang mit und bei der Beförderung von sonstigen radioaktiven Stoffen zu erarbeiten. Beteiligt waren dabei auch die deutschen Sicherheitsbehörden hinsichtlich der Analyse der nationalen Bedrohungslage. Diese Ergebnisse wurden in den sog. Lastannahmen hinsichtlich möglicher Tatszenarien, Täterprofile und Tat-/Hilfsmittel berücksichtigt. Auf dieser Basis und im Vergleich mit den internationalen Anforderungen beschreibt die darauf aufbauende „SEWD-Richtlinie sonstige radioaktive Stoffe“ die Bewertung des Gefährdungspotenzials radioaktiver Stoffe, Sicherungskategorien, Sicherungsanforderungen und davon abgeleitete Sicherungsmaßnahmen für verschiedene Anwendungsbereiche.“

Und Kosbadt unterstreicht: „Zerstörungsfreie Werkstoffprüfung wird von den Inhalten der Richtlinie absehbar stark betroffen sein, weil sie radioaktive Quellen mit hohen Aktivitäten und entsprechend Gefährdungspotenzial verwendet, außerdem i.d.R. mehrere Anwendungsbereiche umfasst (ortfester Umgang / Lagerung, ortsveränderlicher Umgang, Beförderung). Der Beitrag stellt die wesentlichen Inhalte der „SEWD-Richtlinie sonstige radioaktive Stoffe“ vor und soll eine Diskussion über deren Bedeutung für die Radiografie ermöglichen.“

Als einen der Gründe, warum diese Strahlenquellen in den Focus verstärkter Sicherungsmaßnahmen gelangt sind, erwähnt der Referent in seinem Vortrag eine Quelle „BKA/ST 23 – Zentralstelle ABC-Kriminalität“ vom 7.12.2011. Mit Hinweis auf „April 2009“ wird dort Abu Hamza al-Muhahir zitiert: „Die islamischen Wissenschaftler haben daran zu arbeiten unkonventionelle Waffen zu erfinden, damit die Mujahidin sie als Abschreckungswaffen benutzen können. Der gigantische Unterschied zwischen unserer Ausrüstung und der Ausrüstung unsere Feindes darf nicht so bleiben. Die Mujahidin brauchen heute mehr denn je die chemischen, schmutzigen, elektronischen und sogar die Atomwaffen und alles, was dergleichen ist. Sie brauchen diese [Waffen], um ihre Errungenschaften zu schützen, die sie errungen haben und für die – so Gott will – die noch errungen werden.“

Über reale Angriffe bzw. Überfälle aus jüngerer Zeit berichtet der Referent, wenn er auf den Diebstahl von radioaktivem Material wie Iridium-192 in Mexico oder auf den Einsatz von panzerbrechenden Waffen bei Überfällen auf LKW-(Geld)Transporte verweist. Ebenso erwähnt er die Folgen des „Goiânia-Unfalls“ (Wikipedia): „Bei einem Einbruch in eine stillgelegte Klinik wurde ein medizinisches Gerät zur Strahlentherapie gestohlen und darin enthaltenes, radioaktives Material von den Dieben unter Freunden und Bekannten verteilt. Hunderte Menschen wurden teilweise schwer radioaktiv kontaminiert, vier Personen starben nachweislich binnen weniger Wochen und weitere Todesfälle werden mit dem Unfall in Verbindung gebracht. Teile der Stadt sind bis heute radioaktiv belastet.“ Und auch einen bundesdeutschen Vorfall nennt der Referent, wenn er den sogenannten „WAK-Nachsorgefall“ in Erinnerung ruft, bei dem es um die Entwendung radioaktiv kontaminierter Gegenstände aus der Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe (WAK) ging. (siehe hier den Bericht, und auch hier, PDF)

Zusammenfassend nennt Kosbadt folgende „Hintergründe“, warum der Terror-Schutz in Sachen radioaktiver Stoffe auch im Medizin-Bereich erhöht werden muss:

• Verwendung von radioaktiven Stoffen für terroristische Zwecke nicht auszuschließen (11. September 2001, neue Dimension des Terrorismus).
• Internationaler Konsens, dass die Sicherung von radioaktiven Stoffen zunehmend an Bedeutung gewinnen muss; Aufbau einer Sicherungskultur – z.B. CBRN-E Aktionsplan der Europäischen Union
• April 2009: Schreiben des BM Wolfgang Schäuble (BMI) an BM Siegmar Gabriel (BMU) mit der Aufforderung, das Sicherungsregime auch für sonstige radioaktive Stoffe auszubauen.
• Angela Merkel zum Nuklearen Sicherheitsgipfel 2014 (Sa, 22.03.2014): „…fast jedes Land hat Nuklearmaterial zum Beispiel aus der Medizintechnik. Es geht darum, Sabotagen zu
verhindern und dass wir sicherstellen können, dass niemand eine „schmutzige Bombe“ baut…“. (Quelle: www.bundeskanzlerin.de)“.

Im Weiteren geht der Referent dann auf die Einzelheiten der SEWD-Richtlinie ein.

Dokumentation:
Das Thema SEWD wird auf einem Seminar der DGfZP im März 2021 in Hannover auf der Tagesordnung stehen.

Dokumentation TÜV Süd:

Neue Anforderungen ab Januar 2021

Radioaktive Stoffe leisten in vielen Bereichen der Medizin, der Forschung, der Industrie und dem Handwerk einen wesentlichen Beitrag bei der Bewältigung wichtiger Aufgaben. Leider kann aus freiwerdender ionisierender Strahlung jedoch auch eine gesundheitliche Gefährdung betroffener Personen resultieren. Insbesondere wenn die radioaktiven Stoffe zum Beispiel nach einer Entwendung vorsätzlich hierfür eingesetzt werden.

Der Umgang mit radioaktiven Stoffen sowie deren Beförderung sind daher ggf. nur dann zulässig, wenn die erforderlichen Vorkehrungen gegen eine Entwendung getroffen wurden. Die Rechtsgrundlage hierfür bilden das Strahlenschutzgesetz (StrlSchG) sowie die Strahlenschutzverordnung (StrlSchV). Betreiber bzw. Nutzer entsprechender Anlagen und Einrichtungen haben hierzu nachzuweisen, dass für die radioaktiven Stoffe der Diebstahlschutzes sichergestellt wird und somit geeignete Vorkehrungen gegen eine vorsätzliche unzulässige Freisetzung radioaktiver Stoffe vorgesehen sind.

Während für kerntechnische Anlagen hinsichtlich der dort eingesetzten Kernbrennstoffe bereits seit vielen Jahren konkrete regulatorische Vorgaben bestanden, werden nun auch für den Umgang mit den sogenannten „sonstigen radioaktiven“ Stoffen entsprechende Anforderungen etabliert.

Das Bundesumweltministerium hat in einer Richtlinie Anforderungen zusammengestellt, welche im Januar 2021 in Kraft treten. Darüber hinaus befindet sich die DIN 25422 „Aufbewahrung und Lagerung sonstiger radioaktiver Stoffe“ in Überarbeitung, sodass diese harmonisiert mit der neuen Richtlinie die Standards für den Diebstahlschutz bei der Aufbewahrung und Lagerung radioaktiver Stoffe vorgeben wird.

Neues Regelwerk: Herausforderungen für Antragsteller, Genehmigungsinhaber und Genehmigungsbehörden

Der Umgang mit oder die Beförderung von sonstigen radioaktiven Stoffen dürfen nur genehmigt werden, wenn der erforderliche Schutz gegen Diebstahl, Sabotage, Freisetzung, Terrorismus, etc.; also gegen sogenannte Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter (SEWD) gewährleistet ist. Hierfür hat der Antragsteller bzw. der Genehmigungsinhaber die erforderlichen Sicherungsmaßnahmen bzw. Diebstahlschutzmaßnahmen vorzusehen und umzusetzen. Diese Maßnahmen sind dabei abhängig vom Gefährdungspotential der radioaktiven Stoffe und der damit verbundenen Einstufung in die Sicherungsstufen A, B oder C (SEWD-Richtlinie) bzw. D, E oder F (DIN 25422). Hierzu muss eine Sicherungskonzeption erstellt werden, die in einem Sicherungsbericht darzustellen ist. Der Sicherungsbericht ist Bestandteil der Genehmigung und ist während deren Gültigkeit fortzuschreiben.

Der Sicherungsbericht soll dabei gemäß den regulatorischen Vorgaben folgende Sachverhalte behandeln:

  • Gefahrenpotential der sonstigen radioaktiven Stoffe und Festlegung der Sicherungsstufe
  • Bauliche und technische Sicherungs- bzw. Diebstahlschutzmaßnahmen
  • Personelle und organisatorische Sicherungsmaßnahmen
  • Maßnahmen zum Erhalt des Sicherungsniveaus
  • Maßnahmen zur Sicherheit in der Informationstechnik IT (Cybersecurity)
  • Festlegungen zur Zutritts- und Zugriffsberechtigung

Unsere Dienstleistungen zum Diebstahlschutz und zur Sicherung von radioaktiven Stoffen im Überblick

Mit objektiven Bewertungen und belastbaren Entscheidungsgrundlagen unterstützen wir sie dabei eine Sicherungskonzeption zu finden, die die Sicherheit, Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit von Anlagen, Infrastruktureinrichtungen und Gebäuden auch unter Berücksichtigung der erforderlichen Sicherungsmaßnahmen gewährleistet.

Die Experten des TÜV SÜD stehen Betreibern und Behörden über den gesamten Lebenszyklus hinweg mit dem benötigten speziellen technologischen, branchen- oder anlagenspezifischen Knowhow als verlässlicher und neutraler Partner zur Seite.

Gerne unterstützen wir sie mit folgenden Leistungen:

  • Schwachstellenanalyse
  • Analysen der Sicherungskonzeptionen
  • Erstellung von Sicherungsberichten
  • Gutachtlichen Bewertungen
  • Stellungnahmen
  • Inspektionen
  • Begleitenden Kontrollen

Sprechen Sie uns einfach an. Wir informieren Sie gerne rund um unsere Dienstleistungen zum Diebstahlschutz und zur Sicherung radioaktiver Stoffe.

Diebstahlschutz und Sicherung radioaktiver Stoffe – Ihre Vorteile bei TÜV SÜD

  • Das Regelwerk gibt Maßnahmen vor, die oft in der Praxis nicht wörtlich erfüllt werden können. Unsere Experten können aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung bei der Sicherung von radioaktiven Stoffen bewerten, ob alternative Maßnahmen geeignet sind, um die Anforderungen des Regelwerks in geeigneter Weise zu erfüllen und alternative Lösungen im Rahmen von Genehmigungsverfahren gegenüber den Genehmigungsbehörden vertreten.
  • Unsere Experten behalten die aktuellen Entwicklungen in den Bereichen des Diebstahlschutzes und der Sicherung der radioaktiven Stoffe sowie der IT Security im Blick. Hierbei können wir auch auf unsere Erfahrung aus der Regelwerksarbeit beim Bundesumweltministerium und in den hier relevanten DIN-Gremien zurückgreifen.

Dirk Seifert