Atommmüll und Öffentlichkeit: Zdebel fragt nach konsensorientierem Stilllegungs-Dialog in Geeesthacht

Mit einer Kleinen Anfrage will der Bundestagsabgeordnete Hubertus Zdebel von der Bundesregierung wissen, wie sie den „konsensorientierten Dialog“ zur Stilllegung der ehemaligen Atomforschungsanlage GKSS – heute Helmholtz-Zentrum Geesthacht – östlich von Hamburg bewertet. Außerdem erkundigt sich der Sprecher für Atomausstieg der Fraktion DIE LINKE, wie die Bundesregierung die wachsenden Beschwerden von BürgerInnen und Initiativen bewertet, zu wenig und mangelhafte Informationen bei den laufenden Stilllegungsverfahren der Atomanlagen zu bekommen. Während diese Beschwerden an vielen Standorten zunehmen, läuft der konsensorientierte Dialog zwischen einer aus BürgerInnen und Initiativen bestehenden Begleitgruppe und dem Betreiber HZG seit nunmehr drei Jahren offenbar konstruktiv. Beide Seiten haben ihr jeweiliges Selbstverständnis im Prozess definiert und „Grundzüge der Zusammenarbeit“ vereinbart. Bundesweit gibt es wohl keinen vergleichbaren Beteiligungsprozess.

Hier die Kleine Anfrage, wie sich jetzt an die Bundesregierung gestellt wurde. Über die Antworten wird hier berichtet, wenn diese Vorliegen. Die Fragen sind hier als PDF.

 

Kleine Anfrage: Stilllegung von Atomanlagen: Bürgerbeteiligung und konsensorientierter Dialog beim Helmholtz-Zentrum Geesthacht, ehemals Atomforschungszentrum GKSS

Inzwischen wird von vielen gesellschaftlichen und staatlichen Akteuren aner­kannt, dass es für den weiteren Umgang mit den radioaktiven Abfällen aus der Atomenergienutzung einen gesellschaftlichen Konsens braucht. Allerdings müssen dafür die Rahmenbedingungen vorhanden sein oder geschaffen werden, um einen tatsächlichen Neustart der bisher gescheiterten Endlagersuche zu ermöglichen. Große Teile der Anti-Atom-Bewegung und der Bürgerinitiativen und diverse Umweltverbände haben massive Kritik am Standortauswahlgesetz und der Arbeit der in diesem Rahmen eingesetzten „Endlager“-Kommission geübt und entsprechend ihre Ablehnung einer Zusammenarbeit mit bzw. in der Kommission begründet. Sie haben gemeinsam mit dem Deutschen Naturschutzring (DNR) ihre Forderungen und Argumente für einen Neustart im Umgang mit den radioaktiven Abfällen und einen entsprechenden gesellschaftlichen Prozess im März 2014 umfangreich vorgetragen und dokumentiert (www. dnr.de/aktuell/ dokumentation-tagung-atommuell.html).

Im Rahmen der derzeit anlaufenden Genehmigungsverfahren für die Stilllegung von Atomanlagen gibt es von Anti-Atom-Initiativen und Umweltverbänden vielfach die Klage, dass seitens Behörden und Betreibern unzureichende Informationen zur Verfügung gestellt werden, um Bürgerinnen und Bürger eine tatsächliche Bewertung der geplanten Rückbau- oder sonstiger Maßnahmen in diesem Zusammenhang zu ermöglichen. Dies ist Medienberichten im Zusam­menhang mit Stilllegungsverfahren an den Standorten in Obrigheim, Biblis, Brunsbüttel, Neckarwestheim, Isar/Ohu und anderenorts zu entnehmen.

Hinzu­ kommen wachsende Konflikte um neue Zwischenlager für leicht- und mittelra­dioaktive Abfälle sowie um die weitere Zwischenlagerung hochradioaktiver Abfälle an den Standorten der Atomkraftwerke (AKW; siehe auch das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Schleswig-Holstein zur Aufhebung der Genehmigung für das Standortzwischenlager am AKW Brunsbüttel).

Offenkundig gibt es derzeit keine ausreichenden Verfahren, in denen zwischen Öffentlichkeit und (staatlichen oder privaten) Betreibern Dialog- und Beteili­ gungsprozesse stattfinden, die geeignet sind, einen vielfach beschworenen Neu­ start im Umgang mit (künftigen) radioaktiven Abfällen in den betroffenen Regionen bzw. Standorten von Atomanlagen mit Leben zu füllen. Ein gesellschaft­ licher Konsens im Umgang mit radioaktiven Abfällen ist vor dieser Kulisse nicht erreichbar.

Das ehemalige Atomforschungszentrum GKSS – heute Helmholtz-Zentrum Geesthacht (HZG) – hat zur Vorbereitung seiner Planungen für die Stilllegung der dortigen Atomanlagen im Oktober 2012 der Öffentlichkeit ein Angebot für einen „konsensorientierten Dialog“ gemacht.

Von Bedeutung ist die Bereitschaft des Betreibers, nicht nur unmittelbar Stillle­ gungsfragen zu behandeln, sondern einen umfassenderen Dialog auch z. B. über die rund um Geesthacht hohen Leukämieerkrankungen bei Kindern und Jugend­ lichen zu ermöglichen oder auch die Geschichte der ehemaligen Atomforschungsanlage GKSS in den Prozess einzubeziehen.

Inzwischen läuft dieser konsensorientierte Dialog seit fast drei Jahren. Im Rahmen dieses Prozesses ist inzwischen ein Antrag auf Rückbau gestellt und ein Scoping-Termin durchgeführt worden.

Auf der Homepage der Dialog-Seite des HZG wird berichtet: „Da es für den bundesweit einzigartigen konsensorientierten Dialogprozess bei der Stilllegung von Atomanlagen keine rechtlichen Rahmenbedingungen gibt, haben HZG und Begleitgruppe in gemeinsamen und getrennten Sitzungen ,Grundzüge für die Zusammenarbeit‘ erarbeitet. Darin definieren beide Seiten ihrjeweiliges Selbst­ verständnis im Dialogprozess und in welcher Weise sie auch in Zukunft zu ge­ meinsamen Lösungen kommen wollen.“

Nach Einschätzung der Akteure HZG und Begleitgruppe gibt es „keine recht­lichen Regelungen in der Bundesrepublik für ein auf Konsens ausgerichtetes Dialogverfahren zwischen Betreibern einer kerntechnischen Einrichtung und der Bevölkerung. In diesem Rahmen führt das HZG einen freiwilligen Dialog.“

Bis heute hat es nach unserem Wissen bislang keine Unterstützungsangebote oder Gesprächskontakte mit der Begleitgruppe seitens politischer Entschei­dungsträger des Bundes oder der Länder gegeben.

 

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie bewertet die Bundesregierung die in den laufenden Genehmigungsver­ fahren an zahlreichen Atom-Standorten vorgetragenen Beschwerden von Bürgerinnen und Bürgern, zu wenig Informationen zu erhalten, um in den Verfahren als Einwenderinnen und Einwender den Umfang und die Auswirkungen der Stilllegungsplanungen bewerten zu können?

2. In welcher Weise wird sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass es möglichst umgehend mehr Kooperation zwischen Genehmigungsbehörden und Bürgerinnen und Bürgern gibt, mindestens aber den Wünschen nach mehr Informationen durch die zuständigen Behörden deutlich besser entge­gen gekommen wird?

3. Wie bewertet die Bundesregierung die Aktivitäten von Bürgerinitiativen, Anti-Atom-Aktiven und anderen ehrenamtlich Aktiven an den Standorten mit Atommüll in Bezug auf die Debatte über die Sicherheit im Umgang mit radioaktiven Abfällen?

4. Mit welchen Maßnahmen und Initiativen wird die Bundesregierung darauf hinwirken, dass auch an anderen Standorten mit Atommülllagern künftig Dialogprozesse mit dem Ziel, einen gesellschaftlichen Konsens im Umgang mit dem Atommüll zu erreichen, stattfinden können und die sicherheitsorientierten Aktivitäten von Bürgerinitiativen, Umweltverbänden und aktiven Einzelpersonen unterstützt werden?

5. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über den konsensorientierten
Dialog-Prozess zwischen HZG und der Begleitgruppe im Rahmen der Stilllegung
der ehemaligen Atomforschungsanlagen der GKSS in Geesthacht?

6. Wie bewertet die Bundesregierung den konsensorientierten Dialog-Prozess zwischen HZG und Begleitgruppe bei der Stilllegung der ehemaligen Atomanlagen der GKSS?

7. Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung vergleichbare Dialog-Prozesse an anderen bundesdeutschen Standorten von Atomanlagen?
Wenn ja, in welcher Weise sind diese aus Sicht der Bundesregierung ver­gleichbar, und welche Unterschiede gibt es jeweils?

8. An welchen Standorten mit Atomanlagen gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung derzeit Bürgerdialoge oder ähnliche Angebote seitens staatlicher Stellen oder seitens der Betreibervon Atomanlagen?

9. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass Dialog-Angebote von (pri­vaten) Betreibern bzw. staatlichen Stellen an Bürgerinnen und Bürger und Öffentlichkeit mit einer „Konsensorientierung“ einerseits und der Bereit­ schaft zur Befassung auch „geschichtlicher Aspekte“ des Betriebs der je­ weiligen Anlage – wie bei „HZG im Dialog“ – andererseits, das Gelingen solcher Prozesse wesentlich verbessern kann, im Vergleich zu reinen Infor­mations- und Transparenzangeboten?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, in welcher Weise wird die Bundesregierung daraufhinwirken, dass es solche konsensorientierten Prozesse an möglichst vielen Standorten ge­ben kann?

10. In welcher Weise kann sich die Bundesregierung vorstellen, den konsens­
orientierten Dialogprozess in Geesthacht zu unterstützen

a) hinsichtlich des gemeinsamen Prozesses zwischen HZG und Begleit­gruppe und

b) zur Unterstützung der ehrenamtlichen Begleitgruppe?

11. Ist seitens der Bundesregierung oder anderer staatlicher Stellen vorgesehen, sich durch direkte Gespräche über die Arbeit des konsensorientierten Dia­logs in Geesthacht zu informieren?

Wenn ja, in welcher Weise? Wenn nein, warum nicht?

Berlin, 18. August 2015

Dse4Zdebel

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