Rekommunalisierung – Schweres Thema ausgerechnet für Gewerkschafter

No more Vattenfall: Gewerkschafter tun sich schwer mit der Rekommunalisierung der Strom- und Energienetze. Foto: Dirk Seifert

Ausgerechnet bei der Rekommunalisierung der Strom- und Energienetze tun sich Gewerkschafter im Rahmen der Energiewende schwer. Zwar unterstützen sie den Atomausstieg und fordern eine Beschleunigung der Energiewende. Aber bei der Rekommunalisierung der Stromnetze, die neben Wasser, Bildung und Gesundheit zu einem der zentralen Bereiche der Daseinsvorsorge gehören, zu einem gesellschaftlichen Bereich, in dem eine am Shareholder-Value ausgerichtete Wirtschaftstätigkeit nichts zu suchen hat, stellen sich Gewerkschaftsvertreter immer wieder quer. Letztes Wochenende hat sich nun auch der Berliner Verdi-Landesfachbereichsleiter für Ver- und Entsorgung laut Berliner Morgenpost gegen die Rekommunalisierung der Stromnetze ausgesprochen.

2013 läuft in Berlin der Konzessionsvertrag für die Stromnetze aus. Derzeit werden sie von Vattenfall betrieben. Der „Berliner Energietisch“ will erreichen, dass die Netze Vattenfall abgenommen werden, um so mehr Transparenz, Mitbestimmung und mehr Klimaschutz betrieben zu können. Vor kurzem hat der Energietisch den ersten Schritt eines Volksabstimmungsverfahren erfolgreich auf den Weg gebracht. Als zweite Stufe wird nun ein Volksbegehren stattfinden, bevor dann – sollte das Begehren ebenso erfolgreich verlaufen – vermutlich zur Bundestagswahl 2013 ein Volksentscheid kommt. Auch in Hamburg wird es dann zu einem solchen Entscheid kommen. Dort will das Bündnis  aus Umweltverbänden, Verbraucherschützern und Kirche gleich drei Energienetze vollständig rekommunalisieren. (siehe auch hier und hier)

Der Berliner Fachbereichsleiter Uwe Borck hat sich nun gegen die Rekommunalisierung ausgesprochen und dabei einen eher kursiosen Satz formuliert: „Man muss in dieser Frage nicht nur wollen, sondern auch können“, sagte Uwe Borck  laut BM. Andernfalls sei es für Arbeitnehmer eine „sehr gefährliche Situation“. Gemeint sind damit natürlich die Arbeitsplätze.

Damit reagiert der Berliner Verdi-Vertreter nicht anders, als seine KollegInnen in Hamburg. Auch dort haben sich Betriebsräte von Vattenfall (Strom, Fernwärme) und E.on Hanse (Gas) gegen die vollständige Rekommunalisierung ausgesprochen. (Siehe dazu auch hier.) Die Gewerkschaften Verdi und IG Metall haben sich zwar öffentlich nicht festgelegt, aber zumindest die IG Metall Hamburg warnt davor, dass mit der Rekommunalisierung Arbeitsplätze verloren gehen könnten. Allerdings: Bis heute haben die Gewerkschaften öffentlich keine Begründung vorgelegt, warum das passieren sollte!

Unter der Hand befürchten sie aber offenbar, dass Vattenfall einige Geschäftsbereiche komplett einstellen könnte, wenn für das Unternehmen wichtige Teilbereiche, wie es die Netze sind, verloren gingen. So wären bei einer Rekommunalisierung zwar nicht diejenigen KollegInnen betroffen, die direkt mit der Netzorganisation zur öffentlichen Hand wechseln. Aber es könnte diejenigen treffen, die in Verwaltungseinheiten tätig sind, die ohne Netzbetrieb nicht mehr gebraucht würden.

Verdi und Co verharren wie das Kanninchen vor der Schlange: Statt im Angesicht der starken Rekommunalisierungsbemühungen in Hamburg und Berlin und verstärkt durch die Chancen der jetzt stattfindenden Energiewende an eigenen Konzepten einer zukunftsfähigen und kommunalisierten Energieversorgung zu arbeiten, stellen sich die Gewerkschafter gegen die Demokratisierungs- und Mitbestimmungsbewegungen und stützen so die Positionen von Vattenfall und E.on (Hanse).

Keine Frage: Die Gewerkschaften sind in erster Linie den Mitgliedern verpflichtet. Und deren Interesse nach sicheren und gut bezahlten Arbeitsplätzen ist ihr gutes Recht. Im Februar berichte die DGB-Zeitschrift „Der Einblick“ dazu: „Denn die öffentliche Hand ist nicht automatisch der „bessere“ Arbeitgeber. Insbesondere die Beschäftigten der großen Energieversorger, in der Regel gewerkschaftlich gut organisiert, sehen ihre Arbeitsbedingungen und Löhne in Gefahr. So äußerte etwa Thies Hansen, Gesamtbetriebsratsvorsitzender des Energieversorgers E.ON Hanse, Mitte Januar auf einer Tagung von DGB und Hans-Böckler-Stiftung unter dem Motto „Zurück zur öffentlichen Hand – Chancen und Formen der Rekommunalisierung“: „Wenn es um die Sicherung von Arbeitsplätzen und Arbeitsbedingungen geht, erleben wir den Unterschied in der Bezahlung und eine klare existenzielle Bedrohung.“ Etwa in Schleswig-Holstein: Dort wehrten sich Stadtwerke, die Konzessionsgebiete übernehmen wollen, mit Händen und Füßen gegen die Übernahme von E.ON-Beschäftigten, so Hansen.

Ohne Frage: Eine Rekommunalisierung muss die legitimen Ansprüche der Beschäftigten berücksichtigen. Doch: Seit der Liberalisierung der Strommärkte sind viele zigtausend Arbeitsplätze in der Branche und bei den großen Konzernen abgebaut worden. E.on ist – mit einem Tarifvertrag abgesegnet durch Verdi – derzeit dabei, allein in Deutschland 6.000 und weltweit insgesamt 11.000 Arbeitsplätze abzubauen. Und auch Vattenfall hat angekündigt, dass massive Kosteneinsparungen in den nächsten Jahren erfolgen werden. Bei den KollegInnen in den Call-Centern von Vattenfall sind bereits erste Maßnahmen zum Arbeitsplatzabbau auf den Weg gebracht worden.

Und nicht unerwähnt lassen sollte man dabei auch, dass die Gewerkschaften im Rahmen der Liberalisierung bei den großen Konzernen bereits eine Art „Zwei-Klassen-System“ zugelassen haben: Denn während das alte Personal aus den Zeiten von HEW, Bewag, PreußenElektra etc. weitgehend zu den bis dahin gültigen (guten) Konditionen im Rahmen der Fusionen zu Vattenfall und E.on übernommen wurden, bekommen die neu angestellten MitarbeiterInnen schlechtere Bedingungen geboten.

Vor diesem Hintergrund müsssen sich die Gewerkschafter die Frage stellen lassen: Wie sicher sind die Arbeitsplätze denn bei Vattenfall und E.on, welche Einflußmöglichkeiten auf die Konzernentscheidungen haben sie und welche Auswirkungen wird die Energiewende für die Konzerne und Beschäftigten haben?

DGB-Vorstandsmitglied Claus Matecki forderte auf der schon erwähnten Konferenz im Einblick: „Gewerkschaften und Beschäftigte müssen bei der Rekommunalisierung mit ins Boot, damit die Belegschaften im Einzelfall nicht Einkommenseinbußen erleiden, wie es im Bereich Ver- und Entsorgung drohen könnte.“ Gleichzeitig sieht er eine mögliche Win-Win-Situation: „Die Chance für die Kommunen liegt darin, vieles besser zu machen. Gute Arbeit bedeutet dann, tariflich bezahlte, sichere Arbeitsplätze anzubieten und MitarbeiterInnen zu haben, deren Ideen und Vorschläge gefragt sind und die deshalb motivierter sind, kreativer und freundlicher im Umgang mit den BürgerInnen.“

Daraus wird schon eher ein Schuh. Nur kommt der DGB damit in der Praxis kaum voran, da die Einzelgewerkschaften und ihre betroffenen Mitglieder nicht mitziehen. Das lässt sich anhand eines Papiers zur Energiewende des DGB Nord deutlich herauslesen. Die Frage, in welcher Weise im Bereich der Daseinsvorsorge private Unternehmen und/oder die Öffentliche Hand das Sagen haben sollte, wird anderen überlassen: Die Städte und Kommunen sollen das erledigen!

Zu befürchten ist, dass die (Einzel)Gewerkschaften mit Blick auf die finanzkräftigen Mitglieder bei E.on, Vattenfall und Co viel zu sehr die Risiken im Blick haben und viel zu wenig die Chancen. Dabei hätten sie die (wissenschaftlichen) Ressourcen, um Konzepte für mehr Beschäftigung und mehr kommunale Wirtschaft zu entwickeln. Für mehr demokratische Mitbestimmung und für soziale Gerechtigkeit würden die Gewerkschaften in den sozialen und Umwelt-Bewegungen, die sich für die Rekommunalisierung einsetzen, Bündnispartner finden.

Dirk Seifert

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