Energie – Demokratie: Streit um Hamburgs Klimaschutz und Leitsätze des Hamburger Wärmedialogs

Umsetzung Volksentscheid und die Fernwärme: Herr Dressel, wir haben ein Problem.
Umsetzung Volksentscheid und die Fernwärme

Wie geht die Energiewende in Hamburg weiter? Eine Frage, die inzwischen vielfältig nicht nur in immer breiteren Kreisen diskutiert wird, sondern eine, die in wachsendem Maß in Hamburg wieder entschieden werden kann. Dafür hat der erfolgreiche Volksentscheid „Unser Hamburg – Unser Netz“ gesorgt. Nicht nur im Strombereich, sondern auch bei der für den Klimaschutz überaus wichtigen (Fern)Wärme. UmweltFAIRaendern hatte mit dem Erfolg des Volksentscheids für einen Wärme-Dialog plädiert. Doch die Chancen für einen wirklichen Beteiligungsprozess im Rahmen eines Wärme-Dialogs stehen Spitz auf Knopf. Im Zentrum des Streits stehen die Umweltbehörde, die Debatte um den Ersatz des Fernwärme-Heizkraftwerks in Wedel und ein Gutachterprozess.

Dass in Hamburg wieder umfangreich über Energiepolitik und die Energiewende in immer größerem Umfang debattiert werden kann, ist sicherlich eines der wichtigsten Ergebnisse des erfolgreichen Volksentscheids „Unser Hamburg – Unser Netz“ vom September 2013. Er verpflichtete die Bürgerschaft und den SPD-Senat dazu, die Rekommunalisierung der Energienetze für Strom, Fernwärme und Gas durchzuführen. Inzwischen sind in allen drei Bereichen die maßgeblichen Schritte auf den Weg gebracht und müssen nun nach und nach umgesetzt werden. Mit dem schrittweisen Verlust der Netze verlieren auch die wirtschaftlich angeschlagenen Konzerne Vattenfall (Wärme, Strom) und E.on (Gas) wichtige Kontrollinstrumente. Vor allem aber: Es gibt neue öffentliche und demokratisch kontrollierbare Entscheidungsräume; die Konzernzentralen werden entmachtet. (Siehe auch Hamburger Energietisch)

Auf mehreren Feldern wird in den letzten Monaten seit dem Volksentscheid intensiv über die Umsetzung debattiert und gestritten: a.) die Umsetzung durch die Übernahme der ehemaligen Vattenfall- und E.on-Gesellschaften (in den zuständigen Ausschüssen der Bürgerschaft unter Beteiligung der Volksentscheids-Akteure), b.) über die Etablierung von Beiräten unter Beteiligung der Akteure des Volksentscheids und ihren Rechten bei den städtischen Netzgesellschaften (siehe unten), sowie c.) über die Ausgestaltung der künftigen Fernwärmeversorgung und den Ersatz des Heizkraftwerks Wedel (u.a.  im Rahmen eines Beteiligungsprozesses einer laufenden Begutachtung; Stichwort Wärme-Dialog).

Dieser Wärme-Dialog ist mittlerweile in vollem Gange, auch wenn noch vieles nicht so läuft, wie man sich das wünschen würde. Vor allem in der Führung der Umweltbehörde sind die neuen Chancen und Perspektiven für eine dialogorientierte und auf Mitwirkung und Mitbestimmung zielende Ausgestaltung der Energiewende im Rahmen der Rekommunalisierung der Energienetze und der Energiepolitik noch nicht wirklich angekommen. Im Februar 2015 finden die nächsten Bürgerschaftswahlen statt. Das dürfte etwas ändern.

Viele Fachleute, AktivistInnen und Betroffene haben sich nach dem Volksentscheid in einer Runde zusammen gefunden, um die weiteren Schritte der für den Klimaschutz erforderlichen Maßnahmen zu diskutieren und Vorschläge zu entwickeln. Dieser Kreis hat sich inzwischen auf „Leitlinien des Hamburger Wärme-Dialogs“ verständigt, die unten in voller Länge nachzulesen sind.

Dabei geht es nicht so sehr um die Modalitäten der Übernahme des Fernwärmenetzes von Vattenfall. Dringender Handlungsbedarf besteht vor allem, weil das alte kohlebefeuerte und damit extrem klimaschädliche Heizkraftwerk in Wedel erneuert werden muss. Dieses Heizkraftwerk ist derzeit noch der wesentliche Träger der Fernwärmeversorgung der Hansestadt.

Ehemals hatte Vattenfall vor, das Heizkraftwerk in Wedel durch das neue Kohlekraftwerk Moorburg auch als Fernwärmeversorgung zu ersetzen. Doch der Bau der erforderlichen Fernwärmetrasse konnte von Bürgerinitiativen und dem BUND mit Aktionen und Klagen erfolgreich verhindert werden. Als die Stadt Hamburg mit dem SPD-Senat unter dem Druck der Volksentscheids-Initiative sich schließlich als Minderheitspartner mit 25,1 Prozent an den Vattenfall-Netzgesellschaften für Strom und Wärme beteiligte, wurde der Neubau eines gasbetriebenen GuD-Heizkrafwerks am Standort Wedel als Ersatz für das Kohle-Kraftwerk auf die Tagesordnung gesetzt.

Eigentlich keine schlechte Idee, könnte man meinen, entsteht doch bei der Verbrennung von Gas nur rund die Hälfte des CO2 gegenüber der Kohleverbrennung. Der Haken: Vattenfall und die Stadt verzichteten vollständig auf einen Vergleich von Alternativen. Außerdem wurde der Neubau derart groß „designt“, dass die Neuanlage etwas doppelt so groß wie das bisherige Kraftwerk ausgefallen wäre und damit für den Klimaschutz keinerlei Vorteil entstanden wäre. Es hagelte daher Protest von allen Seiten, gegen dieses Manöver, in dem viele nur die Fortsetzung der sattsam bekannten Vattenfall-Geschäftspolitik sahen (siehe u.a. hier die örtliche Initiative in Wedel).

Unter dem Druck des Volksentscheids und auch weil die SPD-Fraktion in der Bürgerschaft sich neben den Grünen und der Linken für eine Beteiligung der Initiatoren an der Umsetzung des Volksentscheids einsetzte, war die Umweltbehörde schließlich bereit, einen Alternativenvergleich für die Fernwärmeversorgung und Wedel auf den Weg zu bringen. Kurz vor dem Sommer beauftragte sie BET mit einem entsprechenden Gutachten.

Gutachten: Ergebnisoffen oder …?

Seitdem wird mächtig und meist hinter den Kulissen gestritten. Einerseits weil Vattenfall noch jede Menge mitspielt und wichtige Daten immer noch als Betriebsgeheimnis unter Verschluss bleiben. Aber auch, weil immer wieder der Eindruck entsteht, dass das Ergebnis der Studie im Grunde schon feststeht und die Umweltbehörde den Gutachtern daher Vorgaben gemacht hat, die entweder auf eine Sanierung und damit Verlängerung des Betriebs des klimaschädlichen Kohle-Heizkraftwerks in Wedel hinauslaufen oder aber auf die Errichtung des überdimensionierten GuD-Kraftwerks.

Die Empörung der AktivistInnen und Fachleute aus dem Wärme-Dialog-Umfeld ist groß. Nicht zuletzt auch weil sie in den letzten Monaten zahlreiche Alternativen für eine klimafreundliche und regenerative Wärme-Versorgung diskutiert und geprüft haben und diese Vorschläge auch in das Beteiligungsverfahren bei der Gutachtenerstellung durch das BET eingespeist haben.

Von Bedeutung dabei ist auch, den bisherigen Standort in Wedel mit einem Standort in Stellingen zu vergleichen. (Dort soll die Müllverbrennungsanlage im Sommer 2015 geschlossen werden, nachdem die Stadtreinigung auch die bisherige Vattenfall-Verbrennungsanlage Borsigstraße übernommen hat. Vattenfall zerfällt – Hamburg übernimmt Müllverbrennung)

Dieser Standortvergleich ist aus Sicht der Wärme-Dialog-Beteiligten bislang überhaupt nicht in ausreichendem Maße in der Begutachtung des BET enthalten. In einem umweltFAIRaendern vorliegenden Papier aber stellt z.B. Matthias Ederhof von der Energienetz Hamburg Genossenschaft fest: „Nach unserer Einschätzung ergeben sich am Standort Stellingen substantielle finanzielle und genehmigungsrechtliche Vorteile für die Stadt Hamburg gegenüber dem immissionsrechtlich hochproblematischen und flächenmäßig sehr beschränkten Standort Wedel. Ebenso führen die im Laufe des Jahres 2014 substantiell veränderten Rahmenbedingungen bzgl. der MVA Stellingen ab 2016 und des vom Senat beabsichtigten Kaufs der Vattenfall Wärme Hamburg GmbH in 2019 sowie die zu erwartenden steuerlichen Effekte zu einer neuen Gesamtbewertung gegenüber allen früheren Standortbewertungen durch Vattenfall [2011] und Groscurth [2012].“

Weitere Themen und Debatten zur Umsetzung des Volksentscheids und für mehr Demokratie und Klimaschutz in Hamburg:

Abstimmungstext des Volksentscheids „Unser Hamburg – Unser Netz“ vom September 2013:

„Senat und Bürgerschaft unternehmen fristgerecht alle notwendigen und zulässigen Schritte, um die Hamburger Strom-, Fernwärme- und Gasleitungsnetze 2015 wieder vollständig in die Öffentliche Hand zu übernehmen. Verbindliches Ziel ist eine sozial gerechte, klimaverträgliche und demokratisch kontrollierte Energieversorgung aus erneuerbaren Energien.“

Dokumentation: Leitsätze für eine neue Wärmeversorgung der Freien und Hansestadt Hamburg

1.
Mit dem Volksentscheid vom 22.9.2013 hat sich eine Mehrheit der Hamburger BürgerInnen für das verbindliche Ziel einer sozial gerechten, klimaverträglichen und demokratisch kontrollierten Energieversorgung aus erneuerbaren Energien ausgesprochen.
Die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) ist dadurch aufgefordert, einen entsprechenden Fahrplan für die Umstellung der Fernwärmeversorgung zu entwickeln. Die Aufstellung dieses Fahrplans hat so schnell wie möglich zu erfolgen.
Eine eventuelle Bedarfslücke durch die Außerbetriebnahme des KoKW in Wedel darf gemäß Volksentscheid ausschließlich mit erneuerbaren Energien geschlossen werden.

2.
Für die sichere Versorgung des Fernwärmenetzes der Vattenfall Wärme Hamburg (VWH) haben die Gesellschafter Vattenfall und Stadt unter Einsatz aller Kapazitäten der vorhandenen (auch mobilen) Wärmeerzeuger zu sorgen.
Für jede Einsatzstunde von Kohle- und/oder Heizöl befeuerten Kraftwerken soll dabei ein stundengenauer Nachweis der Einsatznotwendigkeit erbracht werden.

3.
Derzeit wird von der Fa. BET im Auftrag der BSU ein Gutachten zu Versorgungsalternativen im westlichen Hamburger Fernwärmenetz zum bestehenden Kohlekraftwerk Wedel erstellt.

Unsere Beteiligung an diesem „Gutachtenprozess Wedel“ ist sowohl als Einbringen unseres Fachwissens durch die Teilnahme an Interviews in den Prozess zu verstehen, als auch als Ausdruck des im Volksentscheid, Satz 2, formulierten Willens zur demokratischen Kontrolle. Diese Beteiligung legitimiert jedoch weder BET noch die BSU, das Ergebnis des Gutachtenprozesses als Ableitung aus den Interviews darzustellen und damit als einen Kompromiss oder gar Konsens der teilnehmenden Organisationen zu suggerieren.

4.
Der Betrieb des Kohlekraftwerks Wedel (KoKW) verstößt seit Jahren gegen geltendes Ordnungsrecht. Die Genehmigungsauflagen im Bereich Lärm werden in vielen Bereichen deutlich nicht eingehalten.
Zusätzlich klagen Anwohner über gesundheitliche Beschwerden durch Abgase.
Wir fordern daher die Aufsichtsbehörde und das Land Schleswig-Holstein auf, die Gesundheit und die Rechte der Schleswig-Holsteiner und Hamburger Anwohner zu schützen.

Aus oben genanntem Grund ist bereits in der Heizperiode 2014/2015 die Einsatzreihenfolge der Hamburger Wärmeerzeuger entsprechend zu ändern:
Zuerst sind erneuerbare Energieträger einzusetzen, dann Gas und als letztes Kohle. Das KoKW Wedel dient dabei nur noch als Reserve-Heizkraftwerk für Notfälle.

Dies führt zu einer sofortigen CO2-Minderung im Sinne des Volksentscheides, wie es der dortige Satz 2 mit seiner Zielvorgabe „klimaverträglich“ vorgibt.

Die Lieferverträge zwischen Vattenfall als alleinigem Betreiber des KoKW Wedel und der Vattenfall Wärme Hamburg (VWH) mit städtischer Beteiligung sind entsprechend anzupassen.

Hamburg, den 5.11.2014

Erstunterzeichnende:

Hamburger Wärmedialog

folgende weitere Organisationen fühlen sich diesen Leitsätzen verpflichtet und haben mitgewirkt:

EnergieNetz Hamburg eG

BI Moorburgtrasse stoppen

KEBAP  EnergieBunkerAltonaProjekt e.V.

BI Stopp! Kein Mega-Kraftwerk Wedel

Weitere Organisationen sind willkommen.

Dirk Seifert

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