Atomenergie – wie wir sie kannten – am Ende? „Französisches Atomkraftwerk Flamanville wird zum Kostendesaster“

Atomenergie – wie wir sie kannten – am Ende? „Französisches Atomkraftwerk Flamanville wird zum Kostendesaster“

Renaissance der Atomenergie? Mit den großen Atommeilern, wie wir sie zwischen Brokdorf und Landshut oder Fessenheim und Flamanville kennen, dürfte es demnächst allein wirtschaftlich vorbei sein: Schlicht zu teuer. Nur mit massiven politischen Mitteln (staatliche Zuschüsse, Staat übernimmt Atommüll-Entsorgung u.ä.) können Atomkraftwerke in Betrieb gehalten oder vereinzelt neu gebaut werden. Wie „brutal“ nicht nur das ökologische Katastrophenpotential der Atomenergie ist, berichtet das „Branchenportal der Energiewirtschaft“ mit allem Nachdruck 2019 am Beispiel der finanziellen „Öko-Katastrophe“ von Flamanville in der Normandie (Frankreich). Aber was kommt nach dieser Form der Atomenergie?

„In Frankreich sind derzeit noch 58 Atomkraftwerke zur Stromerzeugung in Betrieb, die teilweise auch schon über 40 Jahre alt sind. Der einzige Bau eines Ersatz-Atomkraftwerks in Frankreich entwickelt sich allerdings immer mehr zum Kostendesaster und zur Belastung für den französischen Steuerzahler.“ So steigt das Branchenportal „Energiefirmen.de“ in einen Bericht über das Desaster beim AKW Neubau Flamanville ein. Baubeginn war im Jahr 2007 – eine Inbetriebnahme wird derzeit für das Jahr 2022 erhofft – wenn überhaupt. Über 15 Mrd. Euro wird der 1650 MW Reaktor dann gekostet haben! Dafür bauen Städte wie Berlin knappe zwei Flughäfen! Zum französischen Reaktorbau gab es zuvor diese Erwartungen: „Die Baukosten sollten 3,3 Milliarden Euro betragen, die Fertigstellung war für das Jahr 2012 geplant.“

Nicht viel anders verlief es für das gleichartige Projekt eines AKW Neubaus im finnischen Olkiluoto. Auch dort ist Frankreich beteiligt, nachdem sich Siemens vor einigen Jahren aus diesem Projekt zurückgezogen hatte. Beide Katastrophenprojekte hätten dem staatlichen französischen Atomkonzern AREVA beinahe das Genick gebrochen. Ohne die Atommacht Frankreich und deren politisches Eingreifen, wäre das Unternehmen – wie auch in den USA Westinghouse – mindestens in die Insolvenz marschiert. Zwangsweise wurde AREVA mit der ebenfalls staatlichen EDF fusioniert, nennt sich heute Orano und wurde mit Milliarden-Subventionen gestützt. Kein Wunder. Auch das französische Atomprogramm ist auf die Aktivitäten von Orano, AREVA, Framatome oder wie immer die gerade genannt werden, angewiesen.

Doch das Ende der großen Reaktoren – mit Ausnahme vielleicht bei den Staaten, die mit einigen AKWs eine nukleare Grundstruktur aufbauen wollen, die später auch mal für militärische Ambitionen dienlich sein könnte – muss nicht das Ende der Atomenergie-Nutzung insgesamt sein. An zahlreichen Projekten überall auf der Welt wird an Mini-Reaktoren, Uran-Batterien und was auch immer geforscht, solange es kleiner und mobiler einsetzbar ist. Vieles ist in der Entwicklung, auch weil es hohe Erwartungen und neue Anforderungen gibt, um mit nuklearen Mini-Reaktoren eine über einige Jahre „wartungsfreie“ Strom- und Wärmeversorgung gewährleisten zu können. Nicht nur entlegene Gebiete gelten als Einsatzgebiete, etwa im Norden von Kanada, in Sibirien und den auftauenden Permafrost-Gebieten. Auch Militärs haben im Zeitalter der Digitalisierung, Drohnen und neuartigen Waffen enormen Bedarf, eine von fossilen Brennstoffen unabhängige Energieerzeugung für die Kampfeinsätze von heute und morgen herzustellen.

Ein Bill Gates strickt an solchen Reaktoren rum, die URENCO als Urankonzern entwickelt eine Uran-Batterie, in Kanada, Russland, China und vielen anderen Ländern, auch in der Europäischen Union, wird an solchen Modellen gearbeitet. Noch ist unklar, ob aus diesen Forschungen reale und funktionsfähige Mini-Reaktoren werden. Für die weltweite Strom- und Wärmeversorgung werden sie vermutlich nie wirklich eine Rolle spielen. Das aber wäre auch erst die Frage von Über-Über-Morgen. Um Klimaschutz – wie derzeit immer wieder gern betont – geht es auch nicht wirklich. Es geht darum, für den dezentralen Einsatz – wo immer wer und warum auch immer er/sie das will – eine „sichere“ Energieversorgung für den jeweiligen Anwendungsfall und Zweck bereitzustellen.

Auch über die neuen „Mini-Reaktoren“ und deren Entwicklung schreibt der Branchendienst der Energiewirtschaft. „Weil die Kosten für den Bau großer Atomkraftwerke explodieren, die Bauzeiten teilweise auf über 10 Jahren ansteigen und die AKW-Finanzierung problematisch ist, versucht die Atomindustrie einen anderen Weg. Kleine Atomkraftwerke (Small Modular Reactor, SMR) sollen es in Zukunft richten. Im Rahmen einer Studie werden die Einsatzmöglichkeiten von SMR-Reaktoren im EU-Staat Estland geprüft.“ An diesem Projekt beteiligt ist laut dem Portal auch der Atomkonzern Vattenfall, der in Schweden weiterhin AKWs betreibt und in Deutschlands scheinheilig von einer „CO2-Freien Energieversorgung in einer Generation“ fabuliert und Kohleprojekte zwar gern verkauft, aber nicht stilllegt.

Auch in Deutschland ist Vattenfall nicht auf Atomausstiegskurs. Zwar ist nach der Fukushima-Katastrophe nur noch das AKW Brokdorf mit einer 20-prozentigen Vattenfall-Beteiligung am Netz (neben dem Atomerbe in Stade, Brunsbüttel und Krümmel), aber unter dem Dach von Vattenfall in Hamburg darf schon mal wieder über Dual-Fluid-Reaktoren „informiert“ und über deren Einsatzmöglichkeiten schwadroniert werden. Eine kleine Clique von angeblichen Entwicklern, die keine erkennbaren Probleme in der Zusammenarbeit mit der AfD hat und offenbar auch nicht damit, dass AfD-Mitarbeiter direkt in den Kreisen dieses „Instituts für Festkörper-Kernphysik“ oder eines übereifrigen Pro-Atom-Clubs namens Nuklearia mitwirken. Dass Unternehmen wie Vattenfall Referenten aus diesem Umfeld eine Plattform im eigenen Betrieb erlauben, ist schon eher erschreckend.

Doch jenseits davon: Monitor kündigte jüngst einen Beitrag an (der wegen dem Corona-Virus kurzfristig verschoben wurde), wo es nicht nur um neue Mini-AKWs in den USA geht, für die das dortige Militär großes Interesse zeigt. Das Portal Golem berichtete darüber: „US-Militär lässt mobiles Atomkraftwerk entwickeln„. Auch Telepolis und „Physics Today“ berichten über neue Mini-Reaktoren und den dafür erforderlichen neuen Nuklear-Brennstoff. Zuvor hatte der Bundestagsabgeordnete Hubertus Zdebel mehrfach die Bundesregierung nach Aktivitäten befragt, an denen auch die URENCO beteiligt ist.

Denn Beihilfe für diese neuen Reaktoren könnte möglicherweise das teilweise auch deutsche Uranunternehmen URENCO leisten. Mit seinen Urananreicherungsanlagen in vier Staaten stellt das Unternehmen heute Brennstoff für die bekannten kommerziellen AKWs her. Künftig will es auch Brennstoff für diese neuen Mini-Reaktoren bzw. deren Prototypen liefern. Ob dieser dann für zivile oder militärische Einsätze verwendet wird, ist dem Unternehmen, an dem E.on und RWE ein Drittel der Anteile halten, offenbar egal. In ihrer Anlage in den USA, so hatte URENCO im Frühjahr 2019 angekündigt, könnte es – bei Bedarf – entsprechenden Brennstoff herstellen. Und URENCO arbeitet selbst an der Entwicklung einer Uran-Batterie, eines ebenfalls kleinen Reaktors, der bereits 2026 in Kanada als Prototyp in Betrieb gehen soll.

Brisant ist das auch, weil dieser Brennstoff mit fast atomwaffenfähigem Uran hergestellt wird, der dann mit den Minireaktoren überall in der Welt verteilt werden soll. Ein Horrorszenario, selbst wenn diese Mini-Reaktoren – sollten sie jemals funktionieren – nicht zur Versorgung von Militär-Anlagen oder -Camps eingesetzt würden. Denn mit dieser Dezentralisierung und Miniaturisierung würde selbst bei einem massenhaften zivilen Einsatz brisantes Spaltmaterial ohne weiteres auch für Terrorkommandos oder bei Angriffen als Ziel von Interesse bzw. Bedeutung sein. Hinzu kommt: Einige dieser Reaktoren – wie der Dual-Fluid-Reaktor – soll dabei ausdrücklich separierte Kernbrennstoffe nutzen, die ohne weiteres auch direkt zum Bau von (schmutzigen) Atombomben eingesetzt werden könnten. Eine echt explosive Zukunftsvision.

Dirk Seifert