Atomenergie spaltet: Gewaltfreie Aktion – „Evangelische Kirche und Anti-AKW-Bewegung“

Atomenergie spaltet: Gewaltfreie Aktion – „Evangelische Kirche und Anti-AKW-Bewegung“

„Das Beispiel der Hamburger Initiative kirchlicher Mitarbeiter und Gewaltfreie Aktion im Konflikt um das AKW Brokdorf 1976–1981“ lautet  der Untertitel, des über 400 seitigen Buches von Dr. theol. Luise Schramm. Kein Krimi und auch kein Plädoyer für zivilen Ungehorsam, aber eine faktenreiche Erzählung über die Geschichte von zivilem Ungehorsam in der Auseinandersetzung um globale ökologische Risiken und Institution Kirche am Beispiel Atomenergie. Es gibt ein paar Ausflüge in die Jahre bis zur Katastrophe von Tschernobyl und der Inbetriebnahme von Brokdorf Ende 1986. Die „Solidarische Kirche“ als Nachfolgerin der Initiative ist nicht mehr Thema der „wissenschaftlichen Reportage“. Thema aber ist die damalige Kampagne für einen „Stromzahlungsboykott“ und auch die Besetzung der Petri-Kirche nach der Selbstverbrennung von Hartmut Gründler in Hamburg. Es geht Kirche um Moral. Natürlich. Um Religion, um Menschenbild. Es geht darum, aus Geschichte zu lernen? Das Buch ist ein kontruktiver und faktenreicher Beitrag zur Geschichte des zivilen Ungehorsams, – in der Kirche, bei der Suche nach Gott und Mensch. (Komisch aber: Viele Veröffentlichtungen aus dem kirchlichen Bereich sind mir bei meiner Internetrecherche jetzt nicht aufgefallen. Aber vielleicht ist so eine alte Instituion in diesem schnelllebigen jungen Medium an der Basis noch nicht so aktiv? Aber vielleicht ist der Preis von 90 Euro für das Buch auch – inzwischen – zu prüfen?! Das Buch ist bereits 2018 erschienen.)

  • Das Buch ist bei Vandenhoek und Rupprecht erschienen: Siehe hier. Mit einem Preis von 90 Euro ist allerdings wahrscheinlich, dass junge umweltengagierte Menschen dieses Buch außerhalb von einigen Universitäten nicht wirklich zur Kenntnis nehmen können und auch viele Aktive aus den Reihen gewaltfreier Aktionsgruppen nicht.
  • Eine ausführliche Besprechung des Buches von Luise Schramm ist natürlich hier bei „Kommunikation und Fachinformation für die Geschichtswissenschaften“ erschienen. Sie stammt von Jan-Henrik Meyer vom Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte / Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam. Darin bespricht er auch das Buch „Gaumer, Janine: Wackersdorf. Atomkraft und Demokratie in der Bundesrepublik 1980–1989. München 2018: Oekom Verlag , ISBN 978-3-96238-073-1, 368 S. € 29,00. “ Hier auch als PDF online! (Ich traue mich aus Urheberschutzgründen nicht, diese PDF auch direkt hier verfügbar zu machen, denke aber eigentlich, als wissenschaftlicher Beitrag müsste der Text inzwischen „öffentlich“ frei verfügbar sein! Erklärt mir, was richtig oder falsch wäre und was recht ist!)
  • Siehe auch hier das Archiv Aktiv – über die Geschichte des zivilen Ungehorsams.
  • Eine 14 seitige  Arbeit von Luise Schramm mit dem Titel „Kirchliche AntiAKWBewegung zwischen Militanz und Gewaltfreiheit“ ist 2017 hier als PDF bei Nordkirche nach 45 veröffentlicht. Zu Dokumentationszwecken auch hier als PDF.
  • Die Akademie Nordkirche berichtet 2018 über eine Veranstaltung zum Buch: „Luise Schramm erschließt die Geschichte dieser kirchlichen Basisgruppe seit ihrer Entstehung im Zusammenhang mit den Großdemonstrationen gegen den Bau des Atomkraftwerkes Brokdorf und legt sowohl den Diskussionsprozess als auch die Debatten um die Aktionsweise innerhalb der Anti-AKW-Bewegung dar. Ausführlich widmet sie sich auch der Besetzung der Hauptkirche St. Petri 1979, an der auch HIkMuGA-Pastoren beteiligt waren. Die Autorin liest aus ihrer jüngst erschienenen Studie mit anschließender Diskussion.“

In dem Buch geht es um den Verlauf und in gewisser Weise um die Motive, warum Kirchen-Aktive mit Mitteln des Zivilen Ungehorsams in den 1970er und Anfang der 1980er gegen die Nutzung der Atomenergie und den Bau von Atomkraftwerken angingen, am Rande der Legalität, aber Legitim? Eine Diskussion um einen Aktivismus, der Gesellschaft und also ein Miteinander demokratisch und sozial verbessern will. Innerkirchliches Selbstverständnis und Kirche in Staat und Gesellschaft – es geht in der Frage Atomenergie, um eine Überlebensfrage der Menscheit. Es geht um Impulse, um die „Bewahrung der Schöpfung“ – auch wenn das den Bruch mit „Konventionen“ erfordert. Es geht um humanistischen Sinn, legitim, gemeinwohlorientiert – und Person.

Über den Verlauf und die Diskussionen, die Ziele und Selbstverständnis und die innerkirchliche Demokratie; – darüber gibt das Buch von Schramm zum Konflikt über den Bau des AKW Brokdorf und den damit verbundenen innerkirchlichen Konflikten im Spannungsfeld von Institution und (demokratischer) Umgang mit den Herausforderungen zivilem Ungehorsams einen detaillierten Einblick. In den 1970er Jahren als ein Bruch von Nachkriegsdeutschland im Aufstreben einer demokratischen Erneuerung gegen den Faschismus – mehr Demokratie wagen, hatte Willi Brandt empfohlen! Das wird in dem Buch historisch nicht eingeordnet, aber: Der Konflikt in dem Themenfeld wird detailliert, in jedem Fall faktenreich und gut gegliedert dargestellt.

Die Autorin, Dr. theol. Luise Schramm ist heute Pfarrerin der Ev.-luth. Kirchgemeinde Bad Schandau in der Sächsischen Landeskirche. Für ihre Darstellungen der „HIkMuGA“, so die im Buch verwandte Abkürzung für  „Hamburger Initiative kirchlicher Mitarbeiter und Gewaltfreie Aktion“, greift dich Wissenschaftlerin auch auch Archive ehemaliger Aktivist:(inn)en, wie Ulfrid Kleinert, Jan Steen und auch Wolfgang Hertle, zurück.

Informationen vom Verlag (wie oben verlinkt) als Dokumentation:

Evangelische Kirche und Anti-AKW-Bewegung

Das Beispiel der Hamburger Initiative kirchlicher Mitarbeiter und Gewaltfreie Aktion im Konflikt um das AKW Brokdorf 1976–1981 | Luise Schramm

Hardcover
2017 Vandenhoeck & Ruprecht
Auflage: 1. Auflage
452 Seiten; 23.7 cm x 16 cm
Sprache: Deutsch
ISBN: 978-3-525-55792-1

Evangelische Kirche und Anti-AKW-Bewegung
Wie agierten kirchliche Akteure im Spannungsfeld von Anti-AKW-Bewegung einerseits und institutionalisierter Kirche andererseits? Diese Frage untersucht Luise Schramm in ihrer Studie exemplarisch anhand der Hamburger Initiative kirchlicher Mitarbeiter und Gewaltfreie Aktion (HIkMuGA) im Konflikt um das Atomkraftwerk Brokdorf.Sie erschließt die Geschichte dieser kirchlichen Basisgruppe seit ihrer Entstehung im Zusammenhang mit den Großdemonstrationen gegen den Bau des Atomkraftwerkes Brokdorf bis zur Großdemonstration im Frühjahr 1981 und legt sowohl den Diskussionsprozess als auch die Debatten um die Aktionsweise innerhalb der Anti-AKW-Bewegung dar. Weiterhin gibt sie einen tieferen Einblick in die Geschichte des von der HIkMuGA angestoßenen Stromzahlungsboykottes und untersucht, inwieweit die Diskussionen um die Atomenergie durch die HIkMuGA-Pastoren in die Gemeindearbeit, in Gottesdienste und auf Kirchentagen eingebracht wurden. Ausführlich widmet sie sich der Besetzung der Kirche St. Petri in Hamburg, an der auch HIkMuGA-Pastoren beteiligt waren, und schildert die beginnenden Institutionalisierung der Umweltverantwortung in der Nordelbischen Kirche mit der Einsetzung des hauptamtlichen Umweltbeauftragten. Ein geschichtlicher Ausblick auf die Proteste gegen das AKW Brokdorf 1986 und den in dieser Zeit entstandenen sechs Blockaden, die von der Solidarischen Kirche, in die die HIkMuGA aufgegangen ist, getragen wurden, schließt die Darstellung ab.

Dirk Seifert

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