Uran-Brennstoff mit russischer Unterstützung: ANF in Lingen macht mit „Gegengutachten“ Druck auf Genehmigungsbehörde

Uran-Brennstoff mit russischer Unterstützung: ANF in Lingen macht mit „Gegengutachten“ Druck auf Genehmigungsbehörde

Der französische Betreiber der Uranfabrik ANF im emsländischen Lingen zur Herstellung von Brennelementen für Atommeiler macht mit einem „Gegengutachten“ Druck auf die zuständige Genehmigungsbehörde in Niedersachsen (NDS). Am Standort in Lingen sollen künftig spezielle Uran-Brennelemente für den Einsatz in osteuropäischen Atomkraftwerken russischer Bauart hergestellt werden. Dazu braucht es in Lingen massive Unterstützung vom russischen Staatskonzern Rosatom und der Tochterfirma TVEL. Das Genehmigungsverfahren ist derzeit in der atomrechtlichen Öffentlichkeitsbeteiligung. Über 10.000 Einwendungen sind bei der Behörde eingegangen, ein Erörterungstermin wird frühestens im September stattfinden, heißt es im Moment. Doch die zum französischen Staatskonzern gehörende Uranfabrik in Lingen steht unter Druck: Offenbar hat der Konzern Verträge mit osteuropäischen Betreibern geschlossen, die Lieferungen von neuen Brennelementen bereits ab 2025 vorsehen. Das könnte eng werden. Zumal auch die Behörden in NDS und im Bund erhebliche Sicherheitsbedenken haben. Jetzt haben die Betreiber in Lingen die Kommunalpolitik mit einem „Gegengutachten“ versorgt, um die Akzeptanz für eine französisch-russische Atomkooperation mitten im Ukraine-Krieg auszubauen. Zuletzt war bekannt geworden, dass wichtige Maschinen-Komponenten zur Herstellung von sogenannten VVER-Brennelementen für den russischen AKW-Typ bereits vor Ort in Lingen in einer alten Möbelfabrik aufgebaut sind und Mitarbeiter:innen von ANF von russischen Fachleuten an den Maschinen geschult werden.

Das Gutachten für die ANF Lingen bzw. für Framatome mit dem Titel „Rechtsgutachten zu den Anforderungen an eine atomrechtliche Anlagenänderungsgenehmigung nach § 7 Abs. 2 AtG“ ist von Prof. Dr. Wolfgang Ewer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht aus Kiel und von Dr. Tobias Thienel, LL.M. (Edinburgh, Fachanwalt für Verwaltungsrecht) angefertigt werden. Ewer hatte vor einigen Jahren für das Bundesumweltministerium, damals noch unter SPD-Führung, Rechtsgrundlagen erarbeitet, mit denen eine Stilllegung der Uranfabrik per Atomgesetz und europarechtskonform umgesetzt werden könnte. Siehe dazu auch: Atomare Sicherheit und Verbot von Uranexporten: Bundesregierung wartet ab

Gegen die Pläne der ANF in Lingen, mit russischen Atomunternehmen im Bereich Kernbrennstoff angesichts des Krieges in der Ukraine noch enger zu kooperieren, gibt es massive Bedenken. Die Pressestelle des für den Antrag der ANF zuständigen Umweltministeriums in Niedersachsen teilte gegenüber umweltFAIRaendern am 10. Juni mit:

Energie- und Umweltminister Christian Meyer: „Ich sehe es sehr kritisch, wenn die Brennelementfabrik, bevor eine Genehmigung der Herstellung von atomaren Brennelementen russischen Typs erteilt wird, schon seine Mitarbeiter von Mitarbeitern russischer Atomkonzerne „schulen“ lässt. Es ist naiv zu glauben, die mit Putin eng verflochtenen Atomkonzerne wollen nicht in diesem Joint-Venture ihren Einfluss auf die europäische Atomwirtschaft ausweiten und kontrollieren. Im Gutachten des BMUV zu den Gefahren der äußeren und inneren Sicherheit werden die Probleme mit Mitarbeitern russischer Staatskonzerne im Hinblick auf Spionage, Sabotage etc. intensiv und als genehmigungsrelevant beschrieben. Das Umweltministerium als Aufsichtsbehörde kann nur aktiv werden, wenn Mitarbeiter auf dem Betriebsgelände agieren oder mit strahlendem Material gearbeitet wird. Beides ist bei den Vorbereitungsmaßnahmen meines Wissens nicht der Fall. Die Sicherheitsbehörden in Bund und Land sind aber umgehend über die russischen Aktivitäten im Umfeld der Brennelementefabrik informiert worden.“

Ergänzend teile die Pressestelle mit: „Das Umweltministerium wurde darüber unterrichtet, dass Schulungen außerhalb des Werksgeländes stattfinden bzw. stattgefunden haben. Für weitere Detailfragen müssten Sie sich an die ANF bzw. an die zuständigen Genehmigungsbehörden im Bund wenden.“

Auf Anfrage von umweltFAIRaendern teilte die Pressestelle des  Bundesumweltministerium umfangreich Stellung: Erst nach dem anstehenden Erörterungstermin „erfolgt eine Bewertung und Entscheidung über den Antrag in enger Abstimmung mit dem BMUV auf der Grundlage des Gutachtens von Prof. Roller zu Fragen der inneren und äußeren Sicherheit.

In dem Gutachten des Bundes (Prof. Roller-Gutachten) bestehen erhebliche Zweifel, ob man durch eine Sicherheitsüberprüfung bei russischen Staatsangehörigen überhaupt Geheimdienstaktivitäten erkennen könnte und ob nicht alle Mitarbeiter der mit dem militärischen Komplex eng verbundenen russischen Atomkonzerne die Gefahr von Sabotage, Spionage oder andere Formen von Einflussnahme sind:

Siehe hier z.B. : (…) Die Zuverlässigkeitsüberprüfung nach § 12 b AtG i.V.m. §§ 3 ff. AtZüV würde die Risiken, die von einer (natürlichen) Person im Hinblick auf mögliche missbräuchliche Eingriffe oder Sabotageakte ausgehen, insoweit abdecken, als sich aus den Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden einschließlich der Nachrichtendienste entsprechende Hinweise ergeben. Ob dies im vorliegenden Fall allerdings tatsächlich der Fall wäre, ist gerade die Frage. Denn es ist zweifelhaft, ob bei nicht-EU Staatsangehörigen überhaupt eine hinreichend belastbare Zuverlässigkeitsüberprüfung durch die deutschen Behörden durchgeführt werden könnte.

Dies dürfte in der gegenwärtigen Situation erst recht bei russischen Staatsangehörigen gelten. Von der Zuverlässigkeitsüberprüfung kann aus tatsächlichen Gründen im Übrigen ein Szenario nicht oder nur schwer erfasst werden, bei dem die geprüften Personen als solche (zunächst) keinerlei Anlass zur Beanstandung geben, sich aber aufgrund ihrer Einbindung in eine staatliche Struktur, die jedwede wirtschaftliche Betätigung zunehmend dem Primat des militärischen Erfolgs im Krieg unterwirft, einem Zwang ausgesetzt sehen könnten, einen Beitrag zu diesem Erfolg zu leisten. Zudem kann die Zuverlässigkeitsprüfung einzelner Personen auch nicht erfassen, ob relevante Informationen an den russischen Staat gelangen, für die das Betreten der Anlage nicht erforderlich ist. Im Kern geht es somit um die Frage, ob im Rahmen der Zuverlässigkeitsüberprüfung auch die Organisation als solche, also das Unternehmen als Betreiber oder, weitergehend, auch die Muttergesellschaften oder sonstige Vertragspartner, deren Mitarbeiter Zugang zu der Anlage haben, mit zu betrachten sind. Aus diesem Grund wurden bei Atomtransporten in besonderen Fällen auch früher schon Beteiligte aus nicht EU Staaten ausgeschlossen.  Denn im vorliegenden Fall wäre nicht die konkrete natürliche Person, sondern gerade die Tatsache, dass die hinter der Person stehende Organisation, nämlich letztlich der russische Staat, aufgrund seiner Durchgriffsmöglichkeiten auf einzelne Personen, als Risiko betrachtet wird, der eigentliche zweifelbegründende Umstand an der Zuverlässigkeit. Zweifel an der Zuverlässigkeit einer Person, die sich aus ihrer organisatorischen Einbindung ergeben, sind folglich beachtlich.

Einflussnahme auf sicherheitsrelevante Entscheidungen

Neben unmittelbaren Eingriffen in der Anlage könnten auch mittelbare Risiken durch Informationsgewinnung und -weitergaben über interne Betriebs- und Sicherheitsstrukturen und ähnlichen Hilfestellungen für Maßnahmen von außen bestehen, die bei einer weiteren Eskalation des russischen Angriffskriegs auch zu einer Destabilisierung der öffentlichen Sicherheit in Deutschland dienen können. Auch die Ausnutzung von Informationen zur Desinformation und Verunsicherung der lokalen Bevölkerung wäre denkbar. Inwieweit die Zusammenarbeit zwischen Rosatom und ANF konkret zu einem gesteigerten Einfluss auf sicherheitsrelevante Entscheidungen führen kann, lässt sich aufgrund der vorliegenden Informationen nicht abschließend beurteilen.(…)

Bei den anlagen- bzw. nuklearspezifischen Gefahren sind verschiedene Szenarien denkbar, die in zwei Kategorien differenziert werden können: Einerseits (1) gehören hierzu Gefährdungen, die durch einem unmittelbaren Missbrauch kerntechnischer Stoffe herbeigeführt werden, etwa durch Eingriffe in die Anlage oder Sabotageakte, die zu Schäden führen oder durch eine Entwendung von Spaltmaterial zu militärischen Zwecken (Proliferation). Der Gesetzgeber hat wohl in erster Linie an diese Art von Gefahren gedacht.

Allerdings können Gefährdungen der äußeren Sicherheit auch (2) mittelbarer Natur sein, die aus den sich erweiternden rechtlichen oder faktischen Zugriffsmöglichkeiten eines ausländischen Staatskonzerns auf eine sensible Infrastruktur ergeben, welche es einer ausländischen Regierung ermöglichen könnte, auch in sicherheitsrelevanter Weise auf Tätigkeiten Einfluss zu nehmen, die das nuklearspezifische Risiko erhöhen. Diese Gefahr erscheint vor allem dann nicht als rein hypothetisch, wenn es sich um einen ausländischen Staatskonzern handelt, dessen Staatsführer nicht nur einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg in Europa führt, sondern auch unverhohlen mit dem Einsatz atomarer Waffen drohen lässt.“ (Ende des Zitats)

Dirk Seifert

3 Gedanken zu “Uran-Brennstoff mit russischer Unterstützung: ANF in Lingen macht mit „Gegengutachten“ Druck auf Genehmigungsbehörde

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