Schweizer Atomenergie: Abhängig von russischem Uran – auch über deutsche Atomfabrik
Gerade geht der Block 2 des Schweizer AKWs Beznau nach der Revision und mit 20 neuen Uran-Brennelementen wieder an den Start. Ein uralter Atom-Reaktor, laufzeitverlängert über 40 Jahre hinaus! Internationales Recht wie ESPOO- und Aarhus-Konvention (siehe Links) unterläuft die Schweiz bei der Verlängerung der Laufzeiten über 40 Jahre hinaus. Der Uranbrennstoff vermutlich mit einer gehörigen Portion Uran aus Russland. Zusammengebaut zu Brennelementen möglicherweise im emsländischen Lingen bei ANF? Die Schweizer Energiestiftung hat jüngst in einem Gutachten auf die erhebliche Rolle Russlands bei der Atomstromerzeugung in der Schweiz hingewiesen. Russland will auch in Lingen einsteigen. Der französische Betreiber Framatome will künftig von Deutschland aus Uran-Brennelemente für Reaktoren russischer Bauweise in Osteuropa mit russischer Unterstützung herstellen. Doch egal, wo Uranbrennstoff hergestellt wird: Die nuklearen Risiken von Super-GAU und ungelöster Atommülllagerung bleiben. Vor allem, wenn Atommeiler immer länger betrieben werden, als ehemals geplant. Davor warnt auch die Präsidentin vom Bundesamt für Strahlenschutz in einem Interview.
- Über Beznau berichtet das Schweizer Nuklearforum hier und unten als Dokumentation.
- Schweizer Atomstrom: Mehr als 40 Jahre AKW Leibstadt? Geplanter Langzeitbetrieb mit großen nuklearen Gefahren
- Ministerium bestätigt: Rechtswidrige Uran-Exporte aus Lingen in die Schweiz und nach Belgien
- Illegaler Uran-Export in die Schweiz? BUND mit Strafanzeige gegen Framatome Lingen
- Espoo – Aarhus, UVP und Beteiligung. Das BMU dazu. Und zu Aarhus.
In der Berliner Morgenpost hatte die Präsidentin des Bundesamts für Strahlenschutz, Inge Paulini – nicht zum ersten Mal – vor den nuklearen Gefahren gewarnt, die Deutschland auch trotz des Atomausstiegs weiterhin bedrohen: “Strahlung macht an den Grenzen nicht halt. In vielen Nachbarländern bleiben die Atomkraftwerke am Netz, es werden sogar noch neue gebaut. Hinzu kommen Bedrohungsszenarien, die lange vergessen waren. Die Bedrohungslage hat sich verändert, das Risiko ist aber nicht geringer geworden”. Damit könnte sie möglicherweise auch die Laufzeitverlängerung in der Schweiz im Blick gehabt haben. Weiter sagte Paulini in dem Interview: “Wir müssen uns auf Unfälle in ausländischen Atomanlagen einstellen, auf Probleme beim Transport von radioaktivem Material und auf terroristische Anschläge. Zudem wird wieder offen mit dem Einsatz von nuklearen Waffen gedroht. Wir beobachten natürlich auch genau, was in den ukrainischen Atomanlagen passiert – etwa rund um das Kernkraftwerk in Saporischschja.”
Die IPPNW Deutschland ist gerade dabei, die geplante Laufzeitverlängerung des AKW Leibstadt zum Thema zu machen. Dazu ist dieser Artikel mit vielen wichtigen Quellen und Informationen online. In einem Schreiben an den zuständigen Bundesrat Rösti, der nicht nur alte AKWs länger laufen lässt, ohne sich an internationale Rechtsanforderungen zu halten, sondern gegen jede Sinnhaftigkeit teure Atomenergie neu bauen will, hat die Ärztinnen-Organisation die Stilllegung des AKW Leibstadt gefordert. Mindestens aber müsse die Schweiz ein Verfahren mit Umweltverträglichkeitsprüfung und grenzüberschreitender Öffentlichkeitsbeteiligung durchführen.
- Über die Lingener Atomfabrik und das internationale Urangeschäft schreibt die Co-Vorsitzende der IPPNW, Angelika Claussen, hier auf der Homepage der mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Organisation.
Weitere Informationen zu dem Themenfeld auf umweltFAIRaendern.de
- Österreich und Greenpeace melden Bedenken an: 40 Jahre sind genug. Keine radioaktive Laufzeitverlängerung in Frankreich für 1300 Megawatt Reaktoren
- Von wegen Sanktionen: Russisches Atomknowhow und Uran-Brennstoff treiben weiterhin westliche Atombranche
- Das bundesdeutsche Atommüll-Programm und eine Kritik aus Österreich
- Schnäppchen Reiseticket: Einmal geheimer Plutonium Atomtransport Schweiz – USA für schlappe 10 Millionen Franken
- Fummeln mit Plutonium: Die Schweizer, Paul Scherrer und die “heißen Zellen”
- Latente Proliferation – Wie “friedlich” ist die Atomenergie?
Dokumentation von der SES-Homepage: Schweizer Atomstrom abhängig von Russland
Marcel Tobler,
Die vorliegende SES-Recherche fasst den aktuellen Wissensstand zusammen und kontextualisiert die verfügbaren Daten aus Handelsstatistiken, technischen und finanziellen Berichten. Daraus ergibt sich eine umfangreiche Datenanalyse, die die Beziehungen zwischen dem russischen Atom-Konzern Rosatom und der Schweiz detailliert nachzeichnet.
Rosatom: wirtschaftlich und militärisch bedeutend
Rosatom ist eine Staatskorporation mit über 460 Unternehmen und rund 360’000 Mitarbeitenden. Sie verantwortet sowohl das militärische als auch das zivile Atomprogramm Russlands. Die Staatskorporation kann als institutionelle Erbin des sowjetischen Atomministeriums verstanden werden und untersteht als solche direkt der russischen Regierung. Als global tätiger Konzern gehört Rosatom zu den zentralen Playern im weltweiten Nukleargeschäft. Darüber hinaus trägt der Konzern die Verantwortung für das weltweit grösste Atomwaffenarsenal.
Im Ukraine-Krieg spielt Rosatom unter anderem eine direkte Rolle. So hat Rosatom nachweislich Technologie an das russische Militär geliefert und verantwortet das besetzte Atomkraftwerk Zaporizhija, was sowohl der nuklearen Erpressung als auch der konkreten Sabotage der ukrainischen Energieversorgung dient. Rosatom steht – mit Ausnahme des Unternehmens Atomflot – (noch) nicht auf der Sanktionsliste der Europäischen Union und damit auch nicht auf jener der Schweiz. Die USA hingegen sanktionieren russische Uranimporte seit 12. August 2024.
Schweiz: zu 100 % vom Uranimport abhängig – und beteiligt am Krieg
Atomstrom ist und bleibt über den Uran-Brennstoff zu 100% ein Importgut. Die Betreiberin Axpo bezieht ihren Brennstoff für das AKW Beznau vollständig und für Leibstadt zur Hälfte aus Russland. Die Schweizer AKW benötigen damit im Schnitt pro Jahr knapp 25 Tonnen angereichertes Uran russischen Ursprungs. Das heisst: etwa 45% des Atomstroms und 15% des gesamten Schweizer Stroms stammen aus russischem Uran und damit von Rosatom. Die Axpo, die vollständig im Besitz der Kantone also der öffentlichen Hand ist, bezahlt für den Brennstoff schätzungsweise 50 Mio. Franken pro Jahr.
Wer ja sagt zur Atomenergie, sagt ja zu Pfadabhängigkeiten, die sich oft in langfristigen Knebelverträgen manifestieren. Damit nimmt man billigend in Kauf, sich auf Seiten eines Kriegstreibers wiederzufinden.
Bis zum Atomausstieg: vollständige Transparenz über die Lieferketten
Solange in der Schweiz noch Atomkraftwerke am Netz sind und Rosatom als Handelspartner der Schweizer Atomindustrie akzeptiert ist, legitimiert die Axpo damit die mehr als zweifelhaften Operationen dieses Konzerns. Zudem ist es bei weitem nicht ausreichend, auf direkten Uraneinkauf in Russland zu verzichten. Vielmehr müsste Rosatom vollständig aus der Wertschöpfungskette der Schweizer Atomindustrie ausgeschlossen werden, was angesichts der gigantischen Weltmarktmacht des Konzerns sehr schwierig sein dürfte. Umso dringender ist die Forderung, dass vollständige, öffentliche Transparenz über die Lieferketten inkl. aller Beteiligungen geschaffen wird, bis das letzte Schweizer AKW vom Netz geht und kein Uranimport mehr nötig sein wird.
2 Gedanken zu “Schweizer Atomenergie: Abhängig von russischem Uran – auch über deutsche Atomfabrik”