Geheimsache SEWD: Zwischenlager, Atomtransporte und der Terrorschutz
Atomtransporte mit hochradioaktivem Abfall werden aus Jülich nicht vor 2019 erfolgen. Dabei gilt das Zwischenlager mit seinen 152 hochradioaktiven Castoren seit Jahren als unsicher, verfügt nicht mehr über eine Genehmigung nach Atomrecht und das von SPD und Grünen regierte Bundesland NRW hat die Räumung angeordnet. Statt die Sicherheitsstandards vor Ort in Jülich zu erhöhen, wird von Betreibern und Behörden ein Export in die USA oder der Abtransport nach Ahaus verfolgt. Doch daraus wird nun vorerst auch nichts. Neue Sicherheitsrichtlinien in Verbindung mit dem Terrorschutz (Westfälische Nachrichten) sorgen dafür, dass frühestens 2019 solche Atomtransporte stattfinden könnten. Um was es genau geht, unterliegt strengster Geheimhaltung. Was staatliche Stellen an Informationen zum Terrorschutz bzw. „Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter“ („SEWD“) sagen und was sie nicht sagen, ist im Folgenden als Hintergrundinformation nachzulesen.
Hubertus Zdebel: „Den Atommüll bekommen wir nicht mehr aus der Welt. Die neuen Bedrohungslagen sind aber ein zusätzlicher Grund, die noch laufenden Reaktoren sofort vom Netz zu nehmen! Und: Wir müssen uns über die Sicherheit bei den Zwischenlagern mehr Gedanken machen. Da derartige Schutzmaßnahmen im Detail geheim bleiben, hat die Öffentlichkeit keinerlei Möglichkeit einer Prüfung mehr. Ein Problem, das z.B. auch vor den Gerichten eine enorme Rolle spielt, wie das Urteil zur Aufhebung der Genehmigung für das Zwischenlager in Brunsbüttel gezeigt hat.“ (Im Klageverfahren vor dem OVG Schleswig zur Genehmigung des Castor-Zwischenlagers in Brunsbüttel hatten die Behörden die Vorlage diverser wichtiger Unterlagen mit dem Argument des Terrorschutzes verweigert)
- Die „Endlager“-Kommission hat im Sommer 2017 eine Änderung für das Atomgesetz vorgeschlagen, in der die Exporte von Brennelementen wie denen aus Jülich untersagt werden sollen. In einem Beschluss der Bundesregierung zur Umsetzung der Kommissions-Empfehlungen ist diese Forderung nicht aufgegriffen worden. Allerdings soll die Umsetzung über eine Initiative der Fraktionen erfolgen. Die Beratungen dazu finden derzeit statt. Siehe auch: Bundesregierung schließt Atommüll-Export aus Jülich in die USA weiterhin nicht aus. Hubertus Zdebel fordert den Neubau einer Lagerhalle in Jülich.
Bereits die „Endlager“-Kommission hat in ihrem Bericht darauf verwiesen, dass es vor dem Hintergrund zahlreicher Herausforderungen eine Auseinandersetzung über die Vor- und Nachteile einer „konsolidierten Zwischenlagerung“ an mehreren größeren Standorten gebe müsse“ (S. 249, Drucksache 268). Gemeint sind damit neue verbesserte Zwischenlager, die dann die bisherigen ersetzen könnten.
„Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter“ (SEWD)
Zuständig für diese Richtlinien, die unter dem Begriff „Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter“ (SEWD) laufen, ist das Bundesumweltministerium in Zusammenarbeit mit den Atombehörden der Bundesländer.
- Siehe auch diesen Greenpeace-Artikel: Nicht transportfähig
- Nukleare Terrorgefahren – Einige Antworten des BMUB
Neue Sicherheitsrichtlinien gelten nicht nur für Atomtransporte, sondern auch für die Zwischenlager mit hochradioaktiven Abfällen. Hierbei geht es im Behördenjargon nicht um die Sicherheit im technischen Sinn, sondern um die Sicherung im Sinne der Gefahrenabwehr (BfS/BfE). In der entsprechenden Richtlinie heißt es: „Eine Neufassung dieser Richtlinie wurde nach den Beschlüssen zur Nachrüstung der Zwischenlager, die aufgrund einer veränderten Erkenntnislage im Jahr 2011 getroffen wurden, notwendig.“ (siehe: Bekanntmachung zu der Richtlinie zur Sicherung von Zwischenlagern gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter (SEWD) (SEWD-Richtlinie Zwischenlager) – PDF, auf der Homepage des Bundesamts für Strahlenschutz BfS, und des Bundesamts für kerntechnische Entsorgungssicherheit BfE.)
Kein Terrorschutz im Zwischenlager Nord bel Lubmin möglich
Alle Zwischenlager werden derzeit entsprechend den neuen Terrorschutz-Anforderungen nachgerüstet. Dazu werden innen und außen z.B. neue Schutzmauern errichtet, die vor allem zur Abwehr panzerbrechender Waffen dienen. Ausnahme ist das Zwischenlager Nord bei Lubmin (Gemeinde Rubenow). Dort musste der Betreiber EWN ein geplantes Nachrüstkonzept bereits im Juli 2015 zurückziehen, weil die Schutzziele (siehe unten) nicht erreicht werden konnten. Hintergrund ist die bauliche Situation im Zwischenlager Nord. Dort ist die Lagerhalle für die hochradioaktiven Abfälle strukturell in einem Komplex mit dem Lagerbereich für leicht- und mittelaktiven Atommüll verbunden.
Hinter den Kulissen gehen fast alle Beteiligten davon aus, dass es dort zu einem Neubau eines Zwischenlagers kommen wird. Der Betreiber allerdings verzögert eine Entscheidung, obwohl der Schutz gegen Terrormaßnahmen nicht ausreichend ist. Lediglich mit „temporären Maßnahmen“ (v.a. mehr Sicherheitspersonal) wird dort eine Sicherung betrieben. Siehe dazu die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage von Hubertus Zdebel u.a. und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/6795 – Zwischenlagerung hochradioaktiver Abfälle bei den Energie Werken Nord/Lubmin – Sicherungsmaßnahmen. Die Bundesregierung stellt in ihrer Antwort fest: „Grundsätzlich haben bauliche und sonstige technische Maßnahmen Vorrang vor personellen Maßnahmen.“ Bis heute hat sich jedoch in dieser Sache nichts getan. Dabei ist EWN zu 100 Prozent staatlich!
- Siehe dazu außerdem auf der Homepage des BfS/BfE zur Genehmigungsituation des Zwischenlagers der EWN bei Lubmin.
Terror-Schutzmaßnahmen auch an den AKWs
Auch an den noch in Betrieb befindlichen Atomkraftwerken sind in den letzten Jahren zusätzliche Schutzmaßnahmen ergriffen worden. Sichtbar davon sind Gerüste auf den Dächern rund um die Reaktorkuppeln der Atommeiler, die offenbar verhindern sollen, dass Hubschrauber dort landen. Konkrete Aussagen dazu machen die Behörden aber auch in diesem Fall nicht. In der Antwort auf die Kleine Anfrage (18/6795, Fragen 12-16)) von Hubertus Zdebel dazu, teilt die Bundesregierung mit: „Zusätzlich zu den vorhandenen Sicherungsmaßnahmen sind ergänzende Sicherungseinrichtungen auf den Dachflächen der Atomkraftwerke im Leistungsbetrieb notwendig. Die technische Ausführung dieser Maßnahmen ist abhängig vom jeweiligen Kernkraftwerk und kann daher unterschiedlich ausfallen. Die Anträge zur Ergänzung der vorhandenen Sicherungsmaßnahmen sind entweder bereits abgearbeitet bzw. wurden oder werden in Kürze gestellt. Weitere Details der Maßnahme können in dieser Beantwortung der Kleinen Anfrage nicht genannt werden, um Rückschlüsse auf die Sicherungsmaßnahmen zu vermeiden.“
Verschlusssache Terrorschutz
Weiter ist in der genannten Sicherungs-Bekanntmachung zu lesen, dass die Inhalte der Richtlinie nicht bekannt gemacht werden: „Die Neufassung der Richtlinie, die ab 1. Februar 2013 gültig ist, gebe ich hiermit bekannt. Sie ersetzt die Richtlinie „Sicherung von Zwischenlagern für bestrahlte Brennelemente aus Leichtwasserreaktoren an Kernkraftwerksstandorten in Transport- und Lagerbehältern gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter“ vom 24.Oktober 2001 sowie die Unterlage „Sicherung von Zwischenlagern – relevante Einwirkungsmöglichkeiten unter Berücksichtigung neuer Erkenntnisse und resultierende Nachrüstmaßnahmen“ vom 15. April 2011. Der Text der Richtlinie wird aufgrund der Einstufung als Verschlusssache nicht veröffentlicht.“
Das BfE/BfS erwähnt auf seiner Homepage explizit den gezielten Flugzeugabsturz. Den Einsatz von panzerbrechenden Waffen, die für die Aufhebung der Genehmigung für das Castor-Zwischenlager am AKW Brunsbüttel durch das OVG Schleswig und das Bundesverwaltungsgericht ebenso bedeutsam waren, erwähnt das BfS nicht gesondert! Siehe dazu hier auf der Homepage.
Willensgesteuerter Akt: Motivlagen, Tatszenarien, Suizidbereitschaft, Bewaffnung
Genehmigungen für Atomtransporte mit hochradioaktiven Abfällen wie denen aus Jülich sind vom Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) bzw. neuerdings von Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit (BfE) zu erteilen. Auf der Homepage ist zu lesen: „Willensgesteuerter Akt – Bei der Beurteilung der Gefahrenabwehr und Risikovorsorge ist die Frage der Eintrittswahrscheinlichkeit eines schädigenden Ereignisses von besonderer Bedeutung. Bei SEWD kann nicht auf die im Bereich der technischen Anlagensicherheit verwendeten Methoden zurückgegriffen werden, da es bei SEWD-Ereignissen nicht um objektiv, d.h. natur- und ingenieurwissenschaftlich ermittelbare Versagens- oder Fehlerwahrscheinlichkeiten technischer Komponenten geht, sondern um die Wahrscheinlichkeit einer Realisierung willensgesteuerter Ereignisse: Ob ein SEWD-Ereignis eintritt, hängt maßgeblich von den subjektiven Erwägungen und Entscheidungen des Störers ab.
Anstelle der objektiv ermittelten Versagenswahrscheinlichkeit ermitteln daher die zuständigen Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder in einem festgelegten Verfahren, mit welchen Ereignissen möglicher Störer (Tatszenarien) zu rechnen ist. In diese, einer ständigen Überprüfung unterliegenden Einschätzung gehen dabei die verschiedensten Aspekte ein, wie z.B. erwartete Motivationslagen bei potentiellen Tätern, erwartete Größe einer Tätergruppe, Suizidbereitschaft von Tätern, mögliche Bewaffnung (objektiv erreichbar, verfügbar), mögliche allgemeine Hilfsmittel. Aus dieser Einschätzung werden konkrete Vorgaben abgeleitet und in der sogenannten SEWD-Richtlinie durch das Bundesumweltministerium (BMUB) festgelegt. Ihre wesentlichen Inhalte dürfen nicht bekannt gemacht werden, um potenziellen Tätern keine Anhaltspunkte zu geben. Das BfE hat diese Richtlinie in seinen Genehmigungsverfahren anzuwenden, legt sie jedoch nicht fest.“
Zur Festlegung dieser Maßnahmen berichtet auch das BMUB: „Inhaltlich werden Änderungen bestehender Richtlinien oder neue Vorgaben von Bund-Länder-Arbeitsgruppen unter Leitung des Bundesumweltministeriums erarbeitet und dann im Konsens in den übergeordneten Gremien sowohl der atomrechtlichen Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden als auch der Innenbehörden behandelt und verabschiedet.
Die unmittelbar beteiligten Bund-Länder-Gremien im Bereich der Sicherung sind der Arbeitskreis Sicherung und die Kommission `Sicherung und Schutz kerntechnischer Einrichtungen´ (KoSikern). Beim Arbeitskreis Sicherung handelt es sich um einen Arbeitskreis des Fachausschusses Reaktorsicherheit des Länderausschusses für Atomkernenergie. Die KoSikern ist eine Kommission des Unterausschusses Führung, Einsatz, Kriminalitätsbekämpfung des Arbeitskreises II der Innenministerkonferenz.“
Grundsätzlich gilt laut BMUB für diese Schutzmaßnamen:
- „Die Gewährleistung des erforderlichen Schutzes gegen SEWD ist Genehmigungsvoraussetzung gemäß Atomgesetz, für Zwischenlager im § 6 (2) Nr. 4.
- Der erforderliche Schutz ist erfüllt, wenn die allgemeinen Schutzziele und die speziellen Schutzziele der jeweiligen kerntechnischen Anlage auch bei SEWD-Ereignissen erfüllt werden (siehe Schutzziele).
- Zum Erreichen dieser Schutzziele sind anlagentypspezifische Sicherungsmaßnahmen notwendig, die in SEWD-Richtlinien festgelegt sind.
- Die für alle Gegenmaßnahmen zu Grunde zu legenden Annahmen sind in einer separaten Richtlinie festgelegt (siehe Lastannahmen). Die Lastannahmen sind das Ergebnis einer Bedrohungsanalyse.
- Der Betreiber erfüllt den erforderlichen Schutz, wenn er durch die von ihm getroffenen Maßnahmen für die Dauer bis zum wirkungsvollen Eingreifen der staatlichen Schutzkräfte (siehe Integriertes Sicherungs- und Schutzkonzept) die Schutzziele erfüllt.
- Für technische Einrichtungen, welche in unterschiedlichen Anlagentypen genutzt werden wie z.B. die Beleuchtung, gibt es übergeordnete generische Regelungen.
- Die sogenannten Rahmenpläne sichern eine schnelle Reaktion auf Ereignisse und die Anordnung zusätzlicher Maßnahmen bei veränderter Bedrohung oder akuter Gefahrenlage.
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