Atommüll-Desaster überall: Neues Atommülllager Würgassen – Und noch mehr Ärger

Atommüll-Desaster überall: Neues Atommülllager Würgassen – Und noch mehr Ärger

Die Auseinandersetzungen um ein geplantes „Bereitstellungs-Atommülllager“ in Würgassen an der Weser sind heftig. In einer Nacht- und Nebelaktion war im März Würgassen als neuer Standort benannt worden, um ein in bester orwellscher Manier so genanntes Logistik-Zentrum zu errichten, in dem die leicht- und mittelradioaktiven Atomabfälle aus der gesamten Bundesrepublik gesammelt werden sollen, um sie dann für das im Schacht Konrad in Salzgitter geplante Endlager bereitzustellen. Seit dem hagelt es nicht nur aus der Region Protest. In Würgassen steht auch ein bereits Anfang der 2000er Jahre stillgelegtes Atomkraftwerk. Auf die Proteste reagiert die Bundesgesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ) mit einer Presseerklärung (siehe unten), in der sie darauf hinweist, dass das eigentliche Antrags- und Genehmigungsverfahren „erst“ 2021 beginnen soll. Damit sollen die Gemüter offenbar ein wenig beruhigt werden. Würgassen ist der Favorit für die Atomverwaltung, aber auch Braunschweig hätte vielleicht noch Chancen, in die Auswahl zu kommen (siehe dazu unten Dokumenation).

Umstritten ist nicht nur die Art und Weise wie Würgassen jetzt benannt wurde und welche Kriterien dafür von den zuständigen Stellen angewandt wurden. Weil sich seit Jahren der Ausbau des geplanten Endlagers im Schacht Konrad immer wieder verzögert und neue Probleme auftraten, soll die Einlagerung nun anders organsisiert werden. Das hierfür erforderliche Eingangslager darf aber nicht vor Ort in Salzgitter entstehen, weil dann die bestehende rechtskräftige Genehmigung für das Endlager geöffnet – und wieder beklagbar werden würde. Das wollen die Bundesbehörden aber verhindern. Daher hat man unter vermeintlich wissenschaftlichen Gesichtspunkten einen Standort um Umkreis von 150-200 Kilometer von Salzgitter entfernt für dieses neue Atommülllager gesucht und ist auf den alten Atomstandort Würgassen gestoßen.

Immer mehr verstrickt sich die Atomverwaltung der Bundesrepublik in Absurdidäten. In Brunsbüttel oder Jülich lagert schon mal hochradioaktiver Atommüll eigentlich im rechtsfreien Raum ohne die erforderlichen atomrechtlichen Grundlagen. In Lubim ist der geforderte Terrorschutz für die dort lagernden hochradioaktiven Abfälle nur durch den Bau einer neuen Lagerhalle zu bewerkstelligen. Für die Neu-Genehmigung von hochradioaktivem Atommüll aus der Wiederaufarbeitung wurden – so die Vorwürfe von unabhängigen Atomexperten und in einer Klage des Umweltverbandes BUND dargelegt – denn auch schon mal die Sicherheitanforderungen abgesenkt. Und die Probleme werden nicht kleiner. Wachsende Anforderungen an den Terrorschutz und ein auf lange Sicht nicht vorhandenes Endlager werden dazu führen, dass die Zwischenlager und die für die hochradiaoktiven Abfälle genutzten Castor-Behälter nicht wie bislang geplant 40 Jahre funktionieren müssen, sondern vielleicht sogar bis zu 100 Jahre. Darüber wollen die Behörden allesamt die Decke des Schweigens halten. Keine Unruhe. Alles ist natürlich sicher.

Die immer neuen Verzögerungen beim Schacht Konrad haben im Zuge des Atomausstiegs die Lage bei den leicht- und mittelradioaktiven Abfällen enorm verschärft. Überall an den im Rückbau befindlichen AKW-Standorten müssen neue Zwischen-, Puffer- oder sonstwie benannte neue Atommüllhallen gebaut werden. Das hatten sich die Atomverwalter alles mal ganz anders vorgestellt. Ob Konrad in Betrieb geht, steht zwischen dem nun erhofften Datum 2027 und vielleicht niemals. Aber für staatliches Agieren darf ein Scheitern unter keinen Umständen passieren. Nicht nur wegen der investierten Milliarden. ASSE – gescheitert! Morsleben – gescheitert! Gorleben – gescheitert. Schacht Konrad?

Die BGZ Gesellschaft für Zwischenlagerung wird erst im zweiten Halbjahr 2021 in das Genehmigungsverfahren für das geplante Logistikzentrum für schwach- und mittelradioaktive Abfälle in Würgassen einsteigen. Mitwirkungsrechte von Bürgerinnen und Bürgern bleiben selbstverständlich auch trotz der derzeitigen Corona-Pandemie gewahrt.

„Forderungen nach einem Genehmigungsstopp sind daher überflüssig, weil von der BGZ bislang nicht einmal ein entsprechender Antrag bei den zuständigen Behörden gestellt wurde“, sagte BGZ-Pressesprecher Hendrik Kranert-Rydzy. Dies werde – wie bereits mehrfach betont – nach bisherigen Planungen des Unternehmens frühestens in der zweiten Jahreshälfte 2021 der Fall sein. „Wir erkennen sämtliche Mitwirkungsrechte von Bürgerinnen und Bürgern ausdrücklich an. Die Unterstellung, die BGZ würde diese beschneiden wollen, sind absurd“, so Kranert-Rydzy weiter. Ebenso seien Vorwürfe hanebüchen, das Unternehmen würde die Corona-Pandemie als Vorwand benutzen, um in Würgassen vollendete Tatsachen zu schaffen.

Selbstverständlich werde die BGZ ihre internen Arbeiten für das Vorhaben aber fortsetzen, da diese Arbeiten die  Grundlage  für das geplante Genehmigungsverfahren seien und damit auch der Vorbereitung einer öffentlichen Beteiligung dienten, sagte der Sprecher.

Den bereits intensiven Austausch mit den Bürgerinnen und Bürgern der Region setzt das Unternehmen zunächst weiter über die Webseite www.logistikzentrum-konrad.de/fragen  sowie per Mail und Telefon fort. Eine aufgrund der Corona-Pandemie abgesagte Informationsveranstaltung wird nachgeholt, sobald dies ohne gesundheitliche Risiken für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer möglich ist.

Hintergrund:  Die BGZ hat nach einer Untersuchung von 28 potentiellen Flächen entschieden, ein Logistikzentrum für das Endlager Konrad auf dem Gelände des ehemaligen Atomkraftwerks Würgassen zu errichten. Die Standortauswahl wurde in einem Gutachten des Öko-Instituts im Auftrag des Bundesumweltministeriums bestätigt. In dem Logistikzentrum sollen Behälter mit fertig verpackten, schwach- und mittelradioaktiven Abfällen aus dezentralen Zwischenlagern für den Transport in das Endlager Konrad passgenau zusammengestellt werden. Damit wird eine zügige Einlagerung in das Endlager sichergestellt.

Pressemitteilung BISS e.V. zu einem möglichen zentralen Eingangslager Konrad in Braunschweig.

(08.04.2020) In der Antwort der Stadtverwaltung an den Stadtbezirksrat 112 Wabe-Schunter-Beberbach und den Planungs- und Umweltausschuss der Stadt Braunschweig lehnt die Stadtverwaltung ein Lager für radioaktiven Atommüll in Braunschweig (im Dreieck Waggum, Bienrode, Bechtsbüttel) strikt ab. Die BISS begrüßt diesen Standpunkt ausdrücklich. Erstaunlich hingegen: Die Argumente klingen im Braunschweiger Norden bekannt; die gleichen Ansatzpunkte vertritt die BISS seit 2011 gegenüber der Stadt Braunschweig:

  • weniger als 300 m Abstand zur Wohnbebauung (im Thuner Wohngebiet sind es sogar nur 40m),
  • viele Einwohner im 10 km Umkreis,
  • potentielle Gefahr einer „Havarie“ des Zwischenlagers (vgl. den gutachterlich bestätigten Stresstest der BISS für den Standort Thune),
  • alle in der Region, einschließlich der Stadt Braunschweig, sind gegen Konrad als Endlager,
  • viel zu viele radioaktive Transporte durch die Stadt Braunschweig (zusätzlich zu denjenigen vom und zum Standort Thune),
  • eine notwendige UVP und der Konflikt mit dem Umweltschutz wären nicht erfolgversprechend (in Thune fehlt eine vorgeschriebene UVP),
  • bereits getätigte Investitionen in der näheren Umgebung mit Naherholung und Wohnen würden nutzlos werden.

Die Stadtverwaltung hat Recht, wenn sie ein Lager für radioaktive Abfälle im dicht besiedelten Braunschweig grundsätzlich ablehnt und sich daher auch klar und unmissverständlich gegen den drohenden Standort Bechtsbüttel ausspricht. Allerdings liegen auch das Atommüll-Zwischenlager und die Atommüll-Konditionierungsanlage bei Eckert & Ziegler im dicht besiedelten Braunschweig neben Schulen und Wohnhäusern.

Jetzt wäre es an der Zeit, auch gegenüber dem seit Jahrzehnten bestehenden Atomstandort mit seiner erst 1998 und 2004 um das 1000fachen erhöhten Strahlengenehmigung entsprechend Haltung zu zeigen. BISS e.V.

PM Stadt Braunschweig: Stadt lehnt Logistiklager ab – 06.04.2020

Dirk Seifert