36. Jahrestag Atomkatastrophe Tschernobyl und Krieg – BUND warnt vor Laufzeitverlängerung – Arbeitskreis nimmt zu zivil-militärischen Atomrisiken Stellung

36. Jahrestag Atomkatastrophe Tschernobyl und Krieg – BUND warnt vor Laufzeitverlängerung – Arbeitskreis nimmt zu zivil-militärischen Atomrisiken Stellung

Ein technischer Fehler – und große Regionen mitten in Europa werden verstrahlt und unbewohnbar. Viele tausend Menschen werden aus ihrer Heimat vertrieben, sterben an den Folgen der Radioaktivität. Tschernobyl, Ukraine, Sowjetunion, 1986. Bis heute hält die Katastrophe an. Atomkraftwerke haben das Potential, durch technisches Versagen Europa ins Mittelalter zurück zu explodieren. 2022 hält die Welt abermals den Atem an, als russische Truppen bei ihrem Vormarsch in der Ukraine auch in das Sperrgebiet eindringen und die strahlende Atomruine Tschernobyl besetzen. Der BUND spricht in seiner PM aus Anlass des Jahrestages der Tschernobyl-Katastrophe von diesen Gefahren. Statt unsinniger und gefährlicher Laufzeitverlängerungsdebatten braucht es Erneuerbare und die Stilllegung der beiden Uranfabriken in Deutschland. Der zuständige Arbeitskreis Atomenergie und Strahlenschutz des BUND hat obendrein eine Stellungnahme zu den bisherigen und neuen zivil-militärischen Gefahren der Atomenergie vorgelegt. UmweltFAIRaendern dokumentiert beide Texte im Anschluss.

Aufgrund der Invasion russischer Truppen in Tschernobyl ist die Radioaktivität angestiegen, vermutlich weil die verstrahlte Erde aufgewirbelt wurde. Dann bricht der Kontakt zum Unglücksreaktor ab. Die externe Stromversorgung – auch für die hochradioaktiven Brennelemente, die dort immer noch oberirdisch in Wasserbecken lagern – bricht ab. Nur Notstromaggregate sorgen für die unbedingt nötige Kühlung.

Wenige Tage später gerät das noch aktive und größere AKW Saporischschja unter russischen Beschuss. Der „BUND-Arbeitskreis Atomenergie und Strahlenschutz“ hat jetzt eine Stellungnahme veröffentlicht, in der er die Atomenergie als untrennbares ziviles und militärisches Risiko kritisiert, den Atomausstieg in Europa ebenso fordert, wie den Abzug der in der Eifel in Büchel stationierten Atomwaffen und daher die Beschaffung neuer Kampfbomber für deren Einsatz ablehnt. Der BUND-Arbeitskreis verweist in seiner zivil-militärischen Ablehnung der Atomenergie auch auf die anstehenden Konferenzen zum Atomwaffenverbotsvertrag und zum Atomwaffensperrvertrag.

Die Vorgänge in der Ukraine führen vor Augen: Nicht nur durch technisches Versagen kann es zu einer Atomkatastrophe kommen – im Krisen- und Kriegsfall können sie auch als Angriffsziel missbraucht werden. AKW oder Atommülllager stellen ein ungeheures Erpressungspotential dar. Zivile und militärische Risiken der Atomenergie können nicht voneinander getrennt werden, so der BUND-Arbeitskreis. Statt Laufzeitverlängerung für Super-Gau-Risiken und noch mehr Atommüll braucht es das Ende der Atomenergie: Keine Atomwaffen – Kein Atomstrom.

Zu den Hintergründen berichtete umweltFAIRaendern außerdem:

Die „militärischen“ Risiken der Atomenergie werden staatlich unter dem Begriff der „Störungen und sonstigen Einwirkungen Dritter“ (SEWD) geführt. UmweltFAIRaendern berichtet seit Jahren über diese Risiken mit Blick auf den Terrorschutz oder militärische Angriffe. Alles zum Thema SEWD auf umweltFAIRaendern.

Absurd ist derzeit auch, eine Verlängerung atomarer Laufzeiten zu fordern, wenn man berücksichtigt, dass die Atomenergie auch innerhalb der EU und in den USA in starkem Maße von russischem Uran abhängig ist. Uran aus Russland wird nicht nur in deutschen AKWs, sondern auch in der Schweiz und Frankreich eingesetzt. Die Uranfabrik in Lingen verfügt noch heute über Import-Genehmigungen für angereichertes Uran aus Russland: Über 380.000 kg Uranbrennstoff: Russische Atomtransporte und der nukleare Weiterbetrieb der Uranfabrik in Lingen

1 . Dokumentation der Stellungnahme des BUND BAK Atomenergie und Strahlenschutz hier zum nachlesen:

Für das Ende der nuklearen Bedrohung – Bundesarbeitskreis Atomenergie und Strahlenschutz des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) – Stand: 21.04.2022

Durch die anhaltenden Dauerkrisen werden unsere wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fehler deutlicher denn je: Umweltzerstörung, Ressourcenknappheit, Artensterben, soziale Ungleichheit, Klima- und Atomkatastrophen – und Krieg. Das sind die globalen Herausforderungen für den BUND als Umwelt- und Naturschutzverband, die im demokratischen Miteinander und dem Ziel sozialer Gerechtigkeit bewältigt werden müssen.

Ein Atomkonflikt – sei es durch Atomwaffen oder durch zerstörte Atomanlagen – ist in der Lage große Teile des Lebens auf dem Planeten auszulöschen. Die Bewahrung des Friedens ist in diesem Sinne integraler Bestandteil im Selbstverständnis des BUND. Als Umweltverband versteht sich der BUND immer auch als Teil einer gewaltfreien Anti-Kriegs-Bewegung.

Schon die sogenannte zivile Nutzung der Atomenergie zur Stromerzeugung ist immer auch eine militärische Gefahr. Der Betrieb von Atomkraftwerken ist nur mit einer Infrastruktur und Knowhow möglich, die auch zum Bau von Atomwaffen befähigen. Vermeintlich zivile Atomenergie ist daher auch eine Art „Finger am nuklearen Abzug“. Wer über AKWs und damit über Kernbrennstoffe verfügt, hat die Möglichkeit, daraus Atomwaffen herzustellen.

In offiziellen und inoffiziellen Atomwaffenstaaten USA, Russland, China, Großbritannien, Frankreich sowie Pakistan, Indien, Nordkorea und Israel sehen wir besonders gut, dass die Verbindung zwischen Atomstromerzeugung und militärischen Anwendungen nicht voneinander zu trennen ist. Das gilt nicht nur bei Atomwaffen und Atomkraftwerken und den dafür erforderlichen technisch-wissenschaftlichen Infrastrukturen. Das gilt auch beispielsweise für atomare Antriebe bei Kriegsschiffen. Frankreichs Präsident Macron brachte das im Jahr 2020 in einer Rede auf den Punkt: „Ohne zivile Atomenergie gibt es keine militärische Nutzung der Technologie – und ohne die militärische Nutzung gibt es auch keine zivile Atomenergie.“

Atomanlagen sind in einer Welt wachsender Konflikte – das macht der Krieg Russlands in der Ukraine in erschreckender Weise erneut deutlich – Angriffsziele. Auch ohne den Einsatz von Atomwaffen können gezielt oder versehentlich bombardierte Atomanlagen zu Nuklearkatastrophen mit verheerenden Auswirkungen für Mensch und Umwelt führen. Neue Ultraschallraketen machen klar: Eine Verteidigung gegen derartige Angriffe ist kaum möglich.

Immer mehr wird durch die technischen Entwicklungen der Bereich der sogenannten DUAL-USE-Anwendungen, also zum Beispiel Techniken die für zivile und auch militärische Zwecke genutzt werden können, zu einem Problem, das weltweit immer schwerer zu überwachen ist. Mit der angestrebten Miniaturisierung neuer Atomtechniken bei Waffen, Antrieben und Reaktoren kann es zu einer weiteren – terroristischen oder staatlichen – Bedrohung für die Menschheit kommen.

Terroranschläge, Sabotage, Cyberattacken durch kleine nichtstaatliche Gruppen, könnten zum atomaren Albtraum werden. Der erforderliche Geheimschutz bei der Abwehr dieser Gefahren führt den demokratischen Rechtsstaat an seine Legitimationsgrenzen. Die 17. Atomgesetznovelle vom Sommer 2021, mit den Prüfmöglichkeiten für Kläger*innen und Gerichte eingeschränkt und die Geheimhaltung der Behörden gestärkt wurden, unterstreicht das.

Demgegenüber sind die Erneuerbaren Energien grundsätzlich demokratische und gewaltfreie Energien, auch wenn wir nicht übersehen dürfen, dass auch hier Ressourcen-, Umwelt- und soziale Konflikte bestehen, die auf dem Weg in eine gerechtere Welt für Alle gelöst werden müssen.
Einen wirksamen Schutz gegen militärische Angriffe auf Atomanlagen gibt es nicht. Das räumt die Atomlobby der IAEO ebenso wie Bundesbehörden ein. Deshalb muss Atomenergie Geschichte werden!

Neue Reaktor-Technologien, insbesondere kleine Einheiten – sogenannte SMR (Small Modular Reactors) – sind derzeit weltweit in der Erforschung. Diese Entwicklung wird stark aus militärischen Erwägungen getrieben, um künftig die Strom- und Wärmeversorgung von Militärbasen und auch bei der Ressourcenförderung zu betreiben. Außerdem werden nukleare Antriebe für U-Boote und Schiffe gefordert. Für militärische Aufgaben spielen marktwirtschaftliche Rationalitäten üblicherweise keine Rolle. Getrieben von militärischen Interessen könnten künftig tausende solcher Mini-Reaktoren weltweit die nuklearen Gefahren und den militärischen Missbrauch der dabei eingesetzten Kernbrennstoffe extrem verschärfen.

In diesem Jahr 2022 finden die Atomwaffenverbotskonferenz und die Konferenz zum Atomwaffensperrvertrag statt. Sie werden besonders unter dem Eindruck des Krieges in der Ukraine stehen.
Der BUND setzt sich zum Schutz von Natur und Umwelt dafür ein, das fossil-nukleare Energiezeitalter so schnell wie möglich zu beenden und damit auch einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen und des Friedens zu leisten.

Der BUND setzt sich weltweit für nukleare Abrüstung, also für ein Ende der Atomstromerzeugung und Beseitigung aller Atomwaffen ein. Jede Form zivil-militärischer Forschung und Entwicklung von Atomenergie mit der Ausnahme für medizinische Zwecke unter Kontrolle der UN soll beendet werden.

Als Bundesarbeitskreis Atomenergie und Strahlenschutz des BUND fordern wir:

• Abschaltung aller Atomkraftwerke, sofort. Atomausstieg in Europa, keine neuen Atomkraftwerke in der EU – Keine Laufzeitverlängerungen
• Stilllegung der Uranfabriken in Gronau und Lingen – Stilllegung des mit hochangereichertem, atomwaffenfähigem Uran betriebenen Forschungsreaktors Garching.
• Abzug der Atomwaffen aus Büchel – und deshalb keine neuen Kampfbomber im Rahmen der „nuklearen Teilhabe“ für die Bundeswehr.
• Beendigung des Atomfördercharakters bei der IAEO und Euratom.
• Teilnahme Deutschlands als Beobachter an der Konferenz zum Atomwaffenverbotsvertrag und Beitritt der Bundesrepublik zum Atomwaffenverbotsvertrag.

Impressum:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND) – Friends of the Earth Germany,
Kaiserin-Augusta-Allee 5, 10553 Berlin, Tel. (030) 2 75 86-40, bund@bund.net, www.bund.net
V.i.S.d.P.: Petra Kirberger, Kontakt: angela.wolff@bund.net, Stand: April/2022

2. Dokumentation der PM des BUND vom 25.4.2022

36 Jahre Tschernobyl: Ein Jahrestag in Zeiten eines Krieges – Atomkraft? Nein Danke 

Berlin. Ausgerechnet in Tschernobyl, wo vor 36 Jahren das bislang schwerste Unglück des Atomzeitalters geschah, ist angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine die nukleare Bedrohung wieder real. Atomkraftwerke sind schon im normalen Betrieb eine Hochrisikotechnologie und erst recht sind sie nicht auf Kriege ausgelegt. Verirrte Geschosse oder längere Stromausfälle und ein Versagen der Kühlsysteme könnten eine atomare Katastrophe für ganz Europa bedeuten.

„Ich wünsche mir Frieden und Sicherheit für die Menschen in der Ukraine“, sagt Olaf Bandt, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) mit Blick auf den Tschernobyl Jahrestag am 26. April. „Tschernobyl zeigt, dass Atomkraft nicht beherrschbar ist. Der Krieg gegen die Ukraine führt uns deutlich vor Augen, dass wir uns Atomkraft mit all ihren Gefahren und Folgen nicht leisten können.“

Rufe nach einer Rückkehr zur Atomkraft sind angesichts der nuklearen Bedrohungen durch Atomkraftwerke (AKW) im Kriegsgebiet und Putins Atombomben-Drohungen ein politischer Irrsinn. „Eine Verlängerung der Laufzeiten in Deutschland ist falsch“, so der BUND-Vorsitzende. „Atomkraftwerke können nicht bedarfsgerecht gesteuert werden und verdrängen erneuerbare Energiequellen aus dem Stromnetz.“ Aus Sicht des BUND versucht der bayerische Ministerpräsident Markus Söder mit der Scheindebatte um Laufzeitverlängerungen von den energiepolitischen Versäumnissen der letzten Jahrzehnte abzulenken. Bandt: „Laufzeitverlängerungen bremsen die Energiewende aus und verlängern die Abhängigkeit von Energieimporten. Statt längere Atomlaufzeiten zu fordern, sollte Markus Söder endlich seinen Widerstand gegen den Ausbau der Windenergie aufgeben und die absurden Abstandsregeln in Bayern kippen.“

Der russische Angriffskrieg hat zudem eine Debatte um die energiepolitische Abhängigkeit Deutschlands von Russland entfacht. Hierbei darf es aber nicht nur um Gas, Öl und Kohle gehen, sondern auch um die Uranlieferungen aus Russland. Etwa 40 Prozent der europäischen Uranimporte stammen aus Russland und Kasachstan, wie der aktuelle BUND-Uranatlas aufzeigt. Das betrifft auch die noch laufenden deutschen AKW. „Das Atomkraftwerk Isar 2 in Bayern wird hauptsächlich mit Brennstoff aus Russland und seinem Verbündeten Kasachstan betrieben“, so Bandt. „Es kann also überhaupt keine Rede davon sein, dass ein Weiterbetrieb der AKW eine Unabhängigkeit von Russland bei den Energieimporten darstellt. Ein Ministerpräsident sollte diese Fakten eigentlich kennen.“

Der BUND fordert die Ampelregierung auf, bei ihrem Nein zu Laufzeitverlängerungen zu bleiben und den Atomausstieg zu vollenden. „Die Ampelregierung tut gut daran, am Atomausstieg nicht zu rütteln“, erklärt der BUND-Vorsitzende abschließend und fordert bestehende Lücke im Atomausstieg zu schließen. „Die Uranfabriken in Lingen und Gronau müssen geschlossen werden. Denn mit dem Weiterbetrieb der Urananreicherungsanlage und der Brennelementefabrik bleibt Deutschland ein wichtiges Drehkreuz für die internationale Atomindustrie und unterstützt das dreckige Geschäft mit dem Uran. Dem Bundesumweltministerium liegen zwei Rechtsgutachten vor, die Deutschland den Weg aus der Uranwirtschaft weisen – die Umweltministerin sollte sie endlich aus der Schublade holen.“

Weitere Informationen:
Uranatlas 2022: Der aktualisierte Uranatlas 2022 erklärt auf mehr als 50 Seiten mit eindrucksvollen Grafiken den Weg des Urans. Neue Kapitel zu Frankreich, Tschechien, Kanada und den USA beleuchten die Gefahren des Uranbergbaus. Den Uranatlas finden Sie unter: www.bund.net/uranatlas

Faktenblatt „Russische Uran-Importe“ finden Sie unter: www.bund.net/factsheet-uranatlas

Ein aktuelles Papier des BUND-Bundesarbeitskreises Atomenergie und Strahlenschutz zum Thema Atomenergie und Atomwaffen mit dem Titel „Für das Ende der nuklearen Bedrohung“ finden Sie hier: www.bund.net/gegen-atomenergie

Kontakt:
Angela Wolff, BUND-Expertin für Energiepolitik, Klima und Atom, 030 27586 562, angela.wolff@bund.net 

BUND-Pressestelle:
Sigrid Wolff | Daniel Jahn | Clara Billen | Lara Dalbudak
Tel. 030-27586-497 |-531 |-464 |-425 | E-Mail: presse@bund.net, www.bund.net

Dirk Seifert