Grenzen verschwimmen: Atomwaffen-Komponenten aus zivilen Atomkraftwerken – Frankreich folgt Beispiel der USA

Grenzen verschwimmen: Atomwaffen-Komponenten aus zivilen Atomkraftwerken – Frankreich folgt Beispiel der USA

Wer “gute” Atomwaffen haben will, braucht nicht nur hochangereichertes Uran235 oder Plutonium239,  sondern besser auch Tritium als Sprengkraftverstärker. Nachdem die USA schon vor Anfang der 2000er Jahre einen zivilen Atommeiler zur Stromerzeugung in das militärische Atomwaffenprogramm zur Herstellung von Tritium umfunktionierten und künftig möglicherweise noch ein weiteres AKW einbeziehen wird, will nun auch Frankreich im kommenden Jahr die militärische Aufrüstung für alte und neue Atomwaffen mit der friedlichen Atomstromerzeugung weiter verknüpfen. Frankreichs Präsident Macron hatte schon vor Jahren erklärt: “Ohne zivile Atomkraft keine militärische Atomkraft, ohne militärische Atomkraft keine zivile Atomkraft”. Damit senkt nun auch der Westen immer mehr die Standards für zivil-militärische Atomenergie-Nutzung. Angesichts der Entwicklung im Nahen Osten (Israel, Iran, Vereinigte Arabische Emirate, Saudi-Arabien …) und anderswo vielleicht keine gute Idee.

Tritium hat eine Halbwertzeit von etwas über 12 Jahren und muss daher in den Atomsprengköpfen regelmäßig erneuert und ausgetauscht werden. In den USA und wohl auch in Frankreich werden dazu spezielle Brennstab-Absorber eingesetzt, in denen Lithium im Reaktor bestrahlt wird. In den USA ist das AKW Watts Bar dafür im Einsatz. In Frankreich soll das künftig im AKW Civaux erfolgen. Klar ist: Die Trennung zwischen der zivilen und militärischen Nutzung der Atomenergie, die im Atomwaffensperrvertrag geregelt ist, wird massiv in Frage gestellt. In einer Zeit, in der immer mehr Staaten den Griff zur Atomwaffe mehr oder weniger deutlich formulieren, ein Spiel mit dem Feuer.

  • Eine ganz andere Form der zivil-militärischen Zusammenarbeit im Bereich der AtomwaffenEnergie ist dies: VW und MAN bauen Motoren für den Einsatz auf den Atom-U-Booten Frankreichs – Eine andere Form nuklearer Teilhabe: Französische Atom-U-Boote – Powered by Volkswagen und MAN
  • Nebem dem Atomwaffensperrvertrag gibt es seit einigen Jahren außerdem den Atomwaffenverbotsvertrag der Vereinten Nationen. Über 60 Staaten haben den inzwischen unterschrieben. Nicht aber Deutschland oder die Atomwaffenstaaten. Eine “International Campaign to Abolish Nuclear weapons (ICAN)” (Link zu ICAN Deutschland) hatte viel beigetragen, diesen Vertrag real werden zu lassen und ist dafür mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden. Im Jahr 2022 ist auch der BUND dieser Kampagne beigetreten, die ein weltweites Atomwaffenverbot und den Abzug der Atomwaffen aus Deutschland fordert, also das Ende der “nukleare Teilhabe” im Militär-Bereich. Siehe dazu auch einen Bericht im BUND-Magazin, hier als Auszug und als PDF zum download, aus der Ausgabe 1-2024.

Laut Medienberichten und FissileMaterials.org stellte Frankreichs Minister der Streitkräfte Anfang März 2023 einen Plan vor, das von EDF betriebene AKW Civaux mit seinen beiden Reaktoren zur Herstellung von Tritium für das französische Atomwaffenprogramm zu nutzen. Civaux ist ein ziviles Kraftwerk, das der Electricité de France gehört und von dem staatlichen Stromkonzern betrieben wird. Der Blog bezieht sich auf diesen Bericht: Le ministre des Armées annonce la contribution future de la centrale de Civaux à la dissuasion nucléaire. Die Atomaufsichtsbehörde/L’Autorité de Séreté Nucléaire strebt demnach an, im September 2024 eine Genehmigung für diesen zivil-militärischen Einsatz zu erteilen. In der vielleicht unzureichenden Übersetzung aus dem Französischen zum Englischen ins Deutsche heißt es dort auch: “Die ersten Testbaugruppen werden während einer geplanten Betankung im Jahr 2025 in den Reaktor geladen.”

FissileMaterials verweisst in seinem Bericht auf einen interessanten Aspekt: “Es sollte darauf hingewiesen werden, dass nach der US-Politik Reaktoren, die Tritium produzieren, kein Uran verwenden können, das in zivilen Einrichtungen angereichert wurde. Uran für die Reaktoren, die an der Tritiumproduktion beteiligt sind, wird durch die Abblendung überschüssiger Militär-HEU gewonnen.” (It should be noted that according to the US policy, reactors that produce tritium cannot use uranium enriched at civilian facilities. Uranium for the reactors involved in tritium production is obtained by down-blending excess military HEU.)

Dies ist ein wichtiger Hinweis, der die Frage aufwirft, wo Frankreich derzeit überhaupt hochangereichertes Uran für militärische Belange herstellt. Urananreicherungsanlagen in Pierrelatte, die auf dem Prinzip der Ultra-Gaszentrifugen basieren, einer Technik, die aus dem Hause der teilwiese deutschen Firma URENCO im bundesdeutschen Gronau bzw. in Almelo (NL), Capenhurst (GB) oder Eunice (USA, New Mexico) stammt. URENCO ist aber im Rahmen des Atomwaffensperrvertrages und als Anlage im Bereich der zivilen Atomenergie für die Nutzung der friedlichen Atomenergie ausgerichtet. Damit wäre gemeint, dass im Brennstoff maximal eine Urananreicherung von 3-5 Prozent des Isotops 235 erfolgt.

Allerdings gilt der gesamte Bereich bis zu etwa einer Anreicherung von 19.75 Prozent als Low Enriched Uranium – LEU. Aus technischen Gründen ist bis hierhin ein sehr hoher technischer Aufwand erforderlich, um mit physikalischen Mitteln eine Anreicherung stufenweise herbeizuführen. Dafür braucht es viele hintereinander geschaltete Kaskaden von Zentrifugen, die unter enorm hohen fast reibungsfreien Umdrehungen die Isotope 235 und 238 aufgrund ihres Gewichts voneinander trennen. Ab 20 Prozent Uran235 wird es immer leichter und schneller, in den Zentrifugen das mit einer Anreicherung über 80 Prozent erforderliche atomwaffen-taugliche Uran235 herzustellen. Daher gilt die Grenze für die Atomwaffenfähigkeit von Uran bei 20 Prozent und nennt sich HIGH Enriched Uranium – HEU.

In den letzten Jahren zeichnet sich aus immer neuen Gründen und Bestrebungen ab, dass Anwendungen für ihre Funktion auf einen Bereich bis zur oberen Grenze von LEU gefordert werden. Dafür ist das “Unwort” High-Assay Low-Enriched-Uranium” entwickelt worden: HALEU. Vor allem die sogenannten Small Modular Reactors (SMR), U-Boot-Atomreaktoren, aber auch andere Konzepte, wie die Uran-Batterie oder natrium-gekühlte Reaktoren kommen mit diesen erhöhten Uran-Brennstoffen besser klar. Der Grund auch: Bei deutlich erhöhten Anreicherungen von Uran235 könnten die Reaktoren für mehrere Jahre ohne Brennstoffwechsel auskommen. Vor allem das Militär, aber auch Rohstoffkonzerne und ähnliche Wirtschaftsbereiche hätten Bedarf.

HALEU ist auch das Eingangstor, mit dem die USA derzeit nach über 20 Jahren Unterbrechung wieder eine eigene Anreicherungs-Technik aufbaut. Bei Centrus werden erstmals in den USA seit dem 2. Weltkrieg eigene Entwicklungen von Zentrifugen entwickelt und in Betrieb genommen. Ein Programm, das unter Trump angelaufen ist und von Biden konsequent weiter entwickelt und ausgebaut wird.

In dem FissileMaterials-Blog wird darauf hingewiesen, dass Frankreich nicht zum ersten Mal vermeintlich zivile nukleare Infrastruktur für militärische Bedürfnisse im Atomwaffenprogramm einsetzt: “Frankreich nutzte seinen Phénix-Brutreaktor zur Herstellung von Plutonium für das Atomwaffenprogramm (siehe “Fast Breeder Reactor Programs: History and Status”, S. 25)”

Vor einigen Jahren hatte das Büro Hubertus Zdebel recherchiert, dass die teilweise deutsche URENCO angestrebt hatte, den Uranbrennstoff für die herkömmlichen Leichtwasserreaktoren zu liefern, um daraus Brennelemente für den Einsatz im AKW Watts Bar herzustellen. Das URENCO-Uran hätte dazu beigetragen, dass die in Watts Bar zur Tritium-Herstellung eingesetzten Absorber durch “friedliches Uran” von zwei zur URENCO gehörenden Nicht-Atomwaffen-Staaten (Deutschland und Niederlande) beschossen worden wären, um den Sprengstoffverstärker für das US-Atomwaffenprogramm herzustellen. Damit bekäme der Begriff der “nuklearen Teilhabe” eine ganz neue Dimension.

Die URENCO hatte damals keine Probleme mit solch einem Deal. Obwohl Watts Bar für die optimierte Tritium-Herstellung außerdem in einem gegenüber den normalen Stromerzeugungs-AKWs Wartungsintervall von 18 statt 12 Monaten gefahren wird, bezeichnete URENCO USA die Tritium-Erzeugung nur als “Nebenprodukt” und damit nach den internationalen Kontrollregimen über die Nichtverbreitung von Atomwaffen-Material unproblematisch.

Alles über Tritium, URENCO, die USA auf umweltFAIRaendern.

Dirk Seifert

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