Nuklearer Fall-out: Atommüllreport zivil-militärisch – Dokumente einer Fachtagung
Das Fachportal Atommüllreport (AMR) hatte Ende Oktober zur jährlichen Fachtagung „Nuklearer Fall-out“ nach Hannover geladen und dabei die zivilen und militärischen Zusammenhänge und Hintergründe der Atomenergie zwischen Strom und Waffe ausleuchten wollen. Denn klar ist: Die Nutzung der Atomenergie ist untrennbar mit der Atomwaffe verbunden und heute geht der erste Schritt (immer) über die vermeintliche zivile Nutzung und Forschung. Der amtierende französische Präsident Macron hatte das erst vor kurzem in einer Ansprache auf den Punkt gebracht.
Mit rund 80-100 (?) Teilnehmenden war diese anspruchsvolle Fachtagung gut besucht und nun sind die interessanten Vorträge der Referent:innen Angelika Claussen (Keynote, Überblick), Co-Vorsitzende der internationalen Ärzteorganisation IPPNW, Christoph Pistner vom Öko-Institut, Wolfgang Irrek von der Hochschule Ruhr West und Sophie Kretzschmar von der RWTH Aachen online zu finden.
Ausgerechnet aber die Beiträge, die sich mit dem titelgebenden „Nuklearen Fall-out“ unmittelbar befassen sollten – sei es mit Blick auf die oberirdischen Atomwaffentests in Ost und West, den Katastrophen von Tschernobyl oder Fukushima oder den radioaktiven und sonstigen Belastungen aus dem Uranbergbau in der ostdeutschen Wismut (Uran für die Sowjetunion) oder in den Gebieten von Indigenen (Bergbau für Bombe und Strom), fehlen bzw. sind nicht dokumentiert. Vielleicht liegt das auch daran, dass das Thema unter dem Titel ONTOLOGIE DES NUKLEAREN – KONTAMINATION, MÜLL, WERTSTOFF auch während der Tagung etwas unscharf oder unbestimmt blieb. Irgendwas mit Radioaktivität. UPDATE 12/24: Inzwischen ist in der Mitgliederzeitung der IPPNW – dem Forum 180 / 2024 – ein Artikel zu dem Thema erschienen, der sich in etwa dem mündlichen Vortrag folgt. Der Text „Nuclearity: Was es heißt, nuklear zu sein – Die (Nicht-)Thematisierung von Radioaktivität muss kritisch hinterfragt werden“ ist hier bei IPPNW online zu finden.
- Französischer Präsident Emmanuel Macron: „Ohne zivile Atomkraft keine militärische Atomkraft, ohne militärische Atomkraft keine zivile Atomkraft“
- Fachtagung Atommüllreport: Ökologische, ökonomische und soziale Auswirkungen des zivil-militärischen Atomkomplexes
Hier als Dokumentation von der Homepage des Atommüllreports:
KEYNOTE – NUKLEARER FALLOUT: DER ATOMAUSSTIEG IST NUR MIT EINEM ATOMWAFFENVERBOT MÖGLICH
von Dr. med. Angelika Claussen, Co-Vorsitzende der IPPNW Deutschland und Präsidentin der IPPNW Europa
DIE DUALITÄT VON ZIVILER UND MILITÄRISCHER NUTZUNG DER ATOMKRAFT
von Dr. Christoph Pistner, Physiker, Öko-Institut
DIE DUALITÄT VON ZIVILER UND MILITÄRISCHER NUTZUNG DER ATOMKRAFT – ÖKONOMISCHE PERSPEKTIVE
von Prof. Dr. Wolfgang Irrek, Ökonom, Institut Energiesysteme und Energiewirtschaft Hochschule Ruhr West
ABRÜSTUNG UND ATOMMÜLL
von Dr. Sophie Kretzschmar, Physikerin RWTH Aachen, Nuclear Verification and Disarmament Group)
ONTOLOGIE DES NUKLEAREN – KONTAMINATION, MÜLL, WERTSTOFF – Achtung – siehe weiter oben das eingefügte UPDATE!
von Juliane Hauschulz, Politologin, Campaignerin für nukleare Abrüstung, IPPNW und ICAN und Patrick Schukalla, Geograph, Fachreferent für Atomausstieg, Energiewende und Klima, IPPNW
- Keine PDF vorhanden.
Hier ist noch mal das PROGRAMM als PDF.
und dort heißt es zum Thema „Ontologie“ … :
„13.45 – 15.15 ONTOLOGIE DES NUKLEAREN – KONTAMINATION, MÜLL, WERTSTOFF?
Radioaktive Strahlung existiert als physikalisches Phänomen jenseits der Frage, ob sie technisch
erfasst oder politisch problematisiert wird. Ob ein strahlender Stoff aber beispielsweise als
Kontamination, Müll oder gar als Wertstoff aufgefasst wird, hängt von verschiedenen Parametern ab.
In einer postkolonialen Welt entzieht sich die Kontamination der natürlichen Lebensgrundlagen
durch Uranförderung oder Atomwaffentests im globalen Süden allzu o* unserer Wahrnehmung und
wird als hinzunehmender Kollateralschaden ignoriert. Stoffe mit denselben oder ähnlichen
physikalischen Eigenschaften können als Kontamination, deren „Sichtbarmachung“ politische
Interventionen voraussetzt, problematisiert werden, als Atommüll in ein sozio-technisches System
des Versuch ihrer Abschirmung eingebunden sein, oder als Roh- oder als Wertstoff deklariert
gehandelt werden. Der Beitrag soll den Blick auf das Feld von radioaktiver Kontamination und
strahlenden Abfällen weiten und zur Diskussion anregen.
Atomtests erzeugen große Mengen radioaktiver Abfälle, sei es durch den Fallout der Tests, sei es
durch die Kontamination der militärischen Ausrüstung oder der Unmengen von Wasser, die zu
Dekontaminationszwecken verwendet wurden. Die Beispiele sind zahlreich. In den Testgebieten in
Französisch-Polynesien wurden große Mengen radioaktiver Abfälle zwischen 1967 und 1982 von
Frankreich einfach ins Meer versenkt. In Algerien vergrub die französische Armee ihre verstrahlte
Ausrüstung in der Wüste. Die Geräte wurden vielfach von der ansässigen Bevölkerung wieder
ausgegraben und weiterverwendet. Auf den Marshallinseln schuf die US-Armee mit dem Runit Dome
ein Atommülllager in einem Krater, der durch die Atomtest selbst entstanden ist. In diesen Krater
wurden zehntausende Kubikmeter radioaktiver Schutt hineingekippt, der teils vor Ort durch die USA
erzeugt, teils vom Testgelände Nevada dorthin transportiert wurde. Der Krater wurde mit einer
Betonkuppel abgedeckt. Die Unterseite des Kraters ist jedoch nicht versiegelt und steht in Kontakt
mit dem ansteigenden Meer.
In der Regel wird das kontaminierte Material jedoch nicht einmal als Atommüll behandelt. Die
Bevölkerung wird der Kontamination ihrer Lebensgrundlagen einfach schutzlos ausgeliefert. Die über
2.000 weltweit durchgeführten Atomwaffentests fanden v.a. in (ehemaligen) Kolonien statt sowie auf
den Gebieten indigener Völker und politischer Minderheiten – und beeinträchtigen noch immer
massiv das Leben der Betroffenen.
Patrick Schukalla, Geograph, Fachreferent für Atomausstieg, Energiewende und Klima, IPPNW
Juliane Hauschulz, Politologin, Campaignerin für nukleare Abrüstung, IPPNW und ICAN“