Die verhinderte Atombombe – Vom Widerstand französischer Wissenschaftlerinnen gegen die Atombombe der Nazis

Deutschland hat im Zweiten Weltkrieg nach der Entdeckung der Kernspaltung mit der Forschung der Atomenergie begonnen. Die Möglichkeiten, aus Uran oder gar Plutonium, auch Atomwaffen herstellen zu können, waren schnell klar. Intensiv forschte ein Uranverein unter Kurt Diebner vom Heereswaffenamt und Werner Heisenberg an der Kernspaltung. Die Angst, Deutschland könnte die Bombe bauen, war in der Welt. In den USA entwickelt sich das Manhattan Project. In Europa versuchten Staaten und Wissenschaftler, die deutsche Atomforschung zu bremsen und behindern. Welche Auswirkungen hatte der deutsche Faschismus im besetzten Paris auf die Wissenschaft? Darüber schreibt Astrid Viciano in ihrem Buch: Die Formel des Widerstands – Wie Kernphysiker mithalten, die Atombombe der Nazis zu verhindern. Das Buch zeigt auch, wie sich der Faschismus schon vor der Besetzung von Paris in den Universitäten auswirkte, Menschen ausgrenzte, verjagte, vertrieb und verfolgte. (Foto: Buchtitel Screenshot)
- Astrid Viciano – Die Formel des Widerstands – Wie Kernphysiker mithalfen, die Atombombe der Nazis zu verhindern, Galiani, Berlin, 2024
- umweltFAIRaendern.de hat unter der Stichwort „Spurensuche“ in vielen Beiträgen auch zur Atomforschung im deutschen Faschismus berichtet und die Motive an der Atomenergie auch in der frühen Bundesrepublik untersucht. Dazu gehören auch Beiträge über führende Köpfe der Atomforschung in Nazi-Deutschland: Diebner und Heisenberg. Auch Erich Bagge spielt dabei eine Rolle.
- Spurensuche: Nazi-Deutschland und die Atombombe – Kurt Diebner, Paul Harteck, schweres Wasser aus Norwegen und tote Partisanen
Anders als später die USA setzte die deutsche Atomforschung vor allem auf das überaus seltene Schwere Wasser als erforderlichen Moderator. So startet Viciano mit den Bemühungen Frankreichs und dortiger Wissenschaftler:innen, der deutschen Atomforschung den Zugang zu den einzigen Vorräten von Schwerem Wasser in Norwegen abzuschneiden. In den Mittelpunkt stellt die Autorin den deutschen Physiker Wolfgang Gentner und den französischen Nobelpreisträger Frédéric Joliot-Curie, Schwiegersohn von Marie Curie. Mit Joliot-Curie war Genter schon seit 1933 bekannt, als der Deutsche zwei Jahre im Labor von Marie Curie arbeitete.
- Leó Szilárd, ein paar noble Freunde, die Atombombe und noch viel mehr
- Thomas Hofmann hat im Standard in mit seinem Beitrag im Blog der Zeitung auf dieses Buch aufmerksam gemacht. Danke dafür!
„Wie ein Krimi beginnt das im Oktober 2024 erschienene Buch“, schreibt der Standard in einem überaus informativen und hintergründigen Artikel, in außerdem über die historische Atomforschung in Österreich berichtet wird. „Ausgerechnet an einem Wochenende machen sich ein Fabrikdirektor und ein Bankier auf den Weg, um einen geheimen Wettlauf gegen Nazi-Deutschland zu gewinnen. Mitten in der eiskalten Nacht des 9. März 1940 fahren sie in getrennten Autos von Oslo aus in die entlegenen Berge am Rande des Vestfjord-Tals in Vemork, vorbei an finsteren Tannenwäldern und vereisten Berghängen“ (Seite 7).
Keine Sekunde darf man vergessen, was gewesen wäre, wenn der deutsche Faschismus die Atombombe entwickelt hätte. Der Standard schreibt: „Allein die weiteren acht Kapitel beschreiben, wie sich die Kernphysik plötzlich in eine geheime Forschung verwandelte und das deutsche Heereswaffenamt das Pariser Labor des damals führenden französischen Kernphysikers besetzte.“
Im Roman stehen die zwischenmenschlichen Beziehungen und Verhältnisse im dann besetzen Paris im Focus, viele Dokumente hat die Autorin dafür „durchgewühlt“ und neben oder über die zeitgeschichtlichen Abläufe gestellt. So entsteht eine Geschichte, in der sich auch zeigt, wie der Faschismus die persönlichen Räume und Beziehungen zwischen den Menschen und Wissenschaftlerinnen massiv verändert. Da kommt man nicht umhin, mit Sorge heutige Entwicklungen autoritären Denkens in immer mehr Staaten der Welt zu bedenken.
Die Folgen des faschistischen Interesses für die Pariser Forscher:innen durch die deutschen Besatzer wird im Buch akribisch beschrieben. Das zeigt sich an den Überschriften der Kapitel.
Paris war für die Atomforschung der Nazi ein bedeutsamer Ort, wie Thomas Hofmann im Standard schreibt: „Joliot-Curie verfügte in Paris über alles, was dafür notwendig war: den damals größten Teilchenbeschleuniger, schweres Wasser (26 Kanister) und Uran. Siehe dazu auch Deutsches Museum hier.
Im Buch ist zu lesen: „An einer solchen Kettenreaktion hat Frédéric Joliot-Curie vor Ankunft der Besatzer gearbeitet, dafür interessieren sich Schumann (Physiker und Leiter der Forschungsabteilung des Heereswaffenamtes) und seine Kollegen bei ihrem Besuch (in Paris)“ (Seite 75). Und weiter berichtet Hofmann: Der schon genannten Gentner musste dolmetschen. „Er, der Joliot-Curie stets freundschaftlich verbunden war, saß plötzlich zwischen zwei Stühlen. „Die falsche Uniform. Die falsche Rolle. Der falsche Text“ (Seite 73). Viciano, schreibt, als wäre sie selbst damals vor Ort gewesen.““
Das Buch von Astrid Viciano zeigt, wie in Frankreich von Wissenschaftler:innen versucht wurde, die deutsche Atomwaffe zu verhindern. Ob Deutschland ohne dieses gefährliche Engagement eine deutsche Atomwaffe erreicht hätte, z.B. wenn das Schwere Wasser in ihre Hände gelangt wäre, steht auf einem anderen Blatt.
Das Buch lohnt sich. Im 80. Jahr der Atombombenabwürfe über japanische Großstädte. Wäre der Krieg anders verlaufen, wären die Ziele nicht Hiroshima und Nagasaki gewesen, sondern Berlin und Hamburg oder München.