G20@Hamburg – Grundrechtekomitee zur Geschichte der Eskalation eines einwöchigen Protestgeschehens
Der G20@Hamburg ist noch lange nicht vorbei. Was genau ist dabei alles passiert? Wer trägt dafür Verantwortung? Die Aufklärung läuft auf vielen Ebenen. Bitter, dass der rot-grüne Senat einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss blockiert und stattdessen nur einen unverbindlichen Sonderausschuss zur Aufklärung zulässt. Gab es Polizeigewalt und welche? Waren die Einsätze verhältnismäßig? Wie ist die Polizei und wie sind die politisch Verantwortlichen mit dem Demonstrationsrecht und Grundrechten umgegangen? Ermittlungen laufen auch gegen viele Polizeibeamte und Medien weisen auf Unstimmigkeiten der Polizeidarstellungen hin. Von den aus dem Ruder gelaufenen Aktionen in der Nacht am Donnerstag und Freitag haben sich viele distanziert, auch die Rote Flora. Bemerkenswert aber auch: Trotz einer 40 Quadratkilometer großen Demo-Verbotszone (auch Allgemeinverfügung genannt) demonstrierten viele Tausende genau dort und 76.000 bei der Abschlussdemonstration. Das Grundrechtekomitee hat jetzt einen Bericht vorgelegt, in dem die Geschichte der Eskalation während der G20-Tage in Hamburg auf Basis von zahlreichen BeobachterInnen nachgezeichnet wird.
- Der vollständige Bericht vom Grundrechtekomitee ist hier online.
- G20@Hamburg: Eskalationsstrategie völlig gescheitert
In der Ankündigung zu diesem Bericht des Grundrechtekomitees heißt es: „Geschichte der Eskalation eines einwöchigen Protestgeschehens
Demonstrationsbeobachtung des Komitees für Grundrechte und Demokratie vom 2. bis 8. Juli 2017 in Hamburg zum G20
Das Komitee für Grundrechte und Demokratie legt auf der Grundlage der Demonstrationsbeobachtungen von 43 Beobachter*innen einen ersten ausführlichen Bericht über die Proteste gegen G20 in Hamburg vor und schließt sich der Forderung nach einer unabhängigen Untersuchungskommission an. (siehe Anlage)
Anders als in der ersten medialen Berichterstattung waren die Blicke der Demonstrationsbeobachter*innen auf die angekündigten Versammlungen gerichtet und nicht auf die Riots, die Randale oder den Aufstand, der die Freitagnacht im Schanzenviertel prägte. Damit stand vor allem die polizeiliche Gewalt im Mittelpunkt der Wahrnehmung, die Zumutungen vom Ignorieren des Gerichtsbeschlusses auf das Recht, ein Camp in Entenwerder zu errichten (Sonntag, 2. Juli 2017), über die gewaltsame Auflösung der friedlichen „Welcome to hell“-Demo bis zur teilweise rücksichtslosen Gewalt gegen Gruppen und Einzelne am Tag des Zivilen Ungehorsams. Und auch noch bei der Großdemonstration am Samstag musste feststellt werden, dass der Schutz des Versammlungsrechts missachtet wurde. In die Versammlung wurde immer wieder polizeilich eingegriffen.
Wir gehen davon aus, dass noch immer viele Fragen gestellt werden müssen: Wie war es möglich, dass die Polizei dermaßen außerhalb der Rechtsordnung agieren konnte? Wo ist die politische Kontrolle des Polizeiapparats geblieben? (…) Zu fragen ist auch, welche Bundesbehörden – vom Bundesministerium des Inneren, über Bundeskriminalamt und dem Bundesamt für Verfassungsschutz bis hin zum Kanzleramt – in welchem Maß Einfluss auf die Planungen im Umgang mit dem Protest genommen haben.
Wissenschaftler*innen fordern eine unabhängige Untersuchungskommission statt eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses. Wir unterstützen diese Forderung mit Nachdruck. Es muss eine unabhängige Kommission gebildet werden, die frei von parteipolitischen Interessen die Vorgänge aufklärt, analysiert und Schlussfolgerungen zieht. Unabhängige Sachverständige, Wissenschaftler*innen, Beobachter*innen, Rechtsanwält*innen müssen das Recht haben, auch amtliche Materialien einzusehen und Zeug*innen anzuhören.
Zugleich muss sich aber auch die linke Bewegung fragen, wie sie die Diskussionen über legitime Proteste, über Ausdrucksformen und Mittel miteinander diskutieren will. Radikale linke Kritik muss sich immer neu fragen, wie Proteste so organisiert und kommuniziert werden können, dass ihre radikale Kritik zum Ausdruck kommt, ohne sich in revolutionären Gesten zu gefallen, die der gegenwärtigen Zeit und den vielen Erfahrungen mit gewaltvollen Revolutionen nicht entsprechen.
Insofern ist auch dieser Bericht noch ein vorläufiger. Es bleibt noch viel zu tun, aber wir hoffen mit diesem Überblick einen Beitrag dafür geschaffen zu haben.“
Elke Steven, Komitee für Grundrechte und Demokratie/ Committee for fundamental Rights and Democracy