Über 380.000 kg Uranbrennstoff: Russische Atomtransporte und der nukleare Weiterbetrieb der Uranfabrik in Lingen

Über 380.000 kg Uranbrennstoff: Russische Atomtransporte und der nukleare Weiterbetrieb der Uranfabrik in Lingen

Uran-Kernbrennstoff für Atomkraftwerke aus Russland könnte in der gegenwärtigen Kriegssitation und trotz der laufenden EU-Sanktionen weiterhin nach Deutschland und in die EU importiert werden. Gültige Genehmigungen für Atomtransporte mit angereichertem Uran zur bundesdeutschen Brennelementefabrik in Lingen liegen laut dem zuständigen Bundesamt vor. Erst vor wenigen Wochen war eine geplante Zusammenarbeit zwischen dem Eigentümer der Uranfabrik im emsländischen Lingen und dem russischen Atomkonzern TVEL gleich zum Kriegsbeginn in der Ukraine geplatzt. Insgesamt etwa 25 Prozent des in Westeuropa genutzten angereicherten Urans kommt aus Russland. Schon vor dem Ukraine-Krieg und dem geplatzten Russland-Deal war die Uranfabrik in Lingen nur zur Hälfte wirtschaftlich ausgelastet. Bis heute sind die Uranfabriken in Deutschland vom Atomausstieg ausgeklammert. Die Stilllegung und ein Import- und Exportverbot von angereichertem Uran ist längst überfällig. Wann handeln die Grünen bzw. die Bundesregierung?

Die Versorgung von Uran für Atomkraftwerke ist nicht nur in der ehemaligen Sowjetunion – bzw. den nachfolgenden osteuropäischen Republiken – von Lieferungen aus Russland und befreundeten Ländern wie Kasachstan abhängig. Ausnahme: Ukraine, die für einen Teil ihrer russischen Atommeiler inzwischen Uranbrennstoff aus Schweden und Deutschland erhält. Auch in Westeuropa und den USA wären viele Atommeiler ohne Uran aus Russland nicht in Betrieb. Auch in der Schweiz ist das derzeit ein großes Thema. Das Öko-Institut hat jüngst auf die Rolle Russlands für die westeuropäische Atom-Versorgung hingewiesen (siehe unten die links).

Welches Uran in deutschen Meileren eingesetzt wurde und wird, haben AKW-Betreiber und Bundesregierung über Jahrzehnte geheim gehalten oder verschleiert. So wird bis heute Uran, das aus dem Niger stammt, meist als französisches Uran angeführt, weil es innerhalb der EU erstmals in Frankreich weiter veredelt wird. Koloniales Erbe? Genau!

Die Uranfabrik in Lingen, die Brennelemente für Atomkraftwerke in aller Welt herstellt und immer noch vom bundesdeutschen Atomausstieg ausgenommen ist, verfügt aktuell über zwei Genehmigungen, mit denen es zugelassen ist, angereichertes Uran aus Russland zu importieren. Auch wenn seit Februar 2022 keine Transporte mehr von Russland nach Lingen in Niedersachsen stattgefunden haben, wäre ein Transport derzeit offenbar möglich.

Auf die Frage, ob nach nach aktueller Lage solche Atomtransporte aus Russland nach Lingen (oder anderswo in der EU oder der Bundesrepublik) geliefert werden dürften, teilt BASE-Sprecherin Diana Feuerer eher ausweichend mit: “Eine allgemeine Neubewertung der Transporte von Kernbrennstoffen von und nach Russland erfolgt vor dem Hintergrund der Ereignisse derzeit durch das zuständige Ministerium und ist nach unserer Kenntnis noch nicht abgeschlossen.” Noch vor einigen Wochen haben wiederholt Urantransporte per Flugzeug mit Ausnahmegenehmigung für die Versorgung osteuropäischer AKWs stattgefunden.

BASE (Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung) stellt auf Nachfragen klar, dass es Genehmigungen für Atomtransporte aus Russland über Deutschland in andere europäische Länder nicht gibt: “Über das Verbringen uranhaltigen Kernbrennstoffs in andere EU-Staaten kann das BASE keine Aussage treffen. Entsprechende Genehmigungen für Transits durch Deutschland liegen allerdings nicht vor.“

Nach Angaben des Bundesamts dürfen laut der Genehmigungsnummer 7761 insgesamt rund 111.744 kg Uran in Form angereicherter Pellets per Schiff und LKW von Russland nach Lingen geliefert werden. Absender ist die russische Firma PJSC aus Elektrostal. Transporte im Rahmen dieser seit Mai 2021 erteilten und noch bis Mai 2023 gültigen Genehmigung waren vor allem im November letzten Jahres und zuletzt am 18. Januar 2022 durchgeführt worden. Lediglich ein knappes Viertel der genehmigten Menge an Uran-Pellets – laut Behörde 23.490 kg Uran – sind bislang ausgeliefert worden. Pellets werden in Brennstäbe gefüllt, die dann passgenau zu Brennelementen für die jeweiligen Reaktoren weiter verarbeitet werden.

Eine weitere Genehmigung mit der Nummer 7761/1 umfasst eine Menge von sogar 269.500 kg Uran in Form des gasförmigen Vorprodukts Hexafluorid UF6. SC Tenex Techsnabexport heißt in diesem Fall der russische Absender. Gültig ist die seit April bestehende Genehmigung noch bis zum Jahres 2022. Lediglich einmal – im Juli 2021 – wurde angereichertes Uranhexafluorid aus Russland angeliefert. Die bisherige Liefermenge beträgt nach Aussage von BASE 41.460 kg Uran.

Damit sind im Rahmen dieser Genehmigungen also noch größere Uranlieferungen aus Russland an die Uranfabrik in Lingen vereinbart und grundsätzlich auch möglich. Offenbar stünde entsprechenden Transporte von derartigem Uranbrennstoff von Russland in die Bundesrepublik rechtlich bislang nichts entgegen. Allerdings prüft die EU derzeit offenbar, auch Kernbrennstoffe zu sanktionieren.

Karin Reiche, Pressesprecherin bei Framatome, Eigentümerin der Uranfabrik in Lingen, teilt auf Nachfrage von umweltFAIRaendern mit: “Die Framatome unterhält seit vielen Jahren Geschäftsbeziehungen mit Russland. Produkte und Dienstleistungen, die unter die Sanktionen der europäischen Union fallen, werden nicht ausgeliefert, d.h. wir setzen alle EU-Sanktionen strikt um. Die Situation ist dynamisch und wird durch eine Task Force der Framatome ständig neu bewertet.” Während hier Exporte aus Lingen angesprochen werden, wurde nach Importen aus Russland gefragt. Einzelheiten zu den AKWs, die Brennelemente erhalten oder zu den Uran-Lieferungen im Rahmen der bestehenden Genehmigunge mochte das Unternehmen nicht beantworten.

Ein weiterer Ausfall von Uran-Lieferungen für die Anlage in Lingen könnte möglicherweise massive wirtschaftliche Folgen haben. Schon bislang war die Uranfabrik in Lingen, die zum französischen Atomkonzern Framatome gehört, kaum ausgelastet. Zuletzt hatten eine Kleine Anfrage der Linksfraktion in 2021 ergeben, dass die Anlage nach Angaben der Bundesregierung nur zur Hälfte ausgelastet war. (Siehe link oben)

Möglicherweise auch deshalb war zwischen dem französischen (staatlichen) Eigentümer Framatome, eine engere Zusammenarbeit mit der russischen Atomwirtschaft geplant. Dafür wollte man den russischen Uran-Brennstoff-Hersteller TVEL, der unter dem Dach des staatlich kontrollieren ROSATOM-Konzerns angesiedelt ist, mit 25 Prozent an den deutschen Aktivitäten – also auch in Lingen – beteiligen. Offenbar unter dem Eindruck des Kriegsbeginns hatte der französische Staatskonzern gegenüber dem Bundeswirtschaftsministerium unter Habeck im März 2022 erforderlichen Genehmigungsantrag zurückgezogen – wie es diplomatisch formuliert hieß.

Russland gehört mit seinem „befreundeten“ Nachbarstaat Kasachstan zu den weltweit großen Playern im weltweiten Uranhandel. Auch Kanada, Australien oder Namibia liefern Uran. Frankreich beutet immer noch im Niger die dortigen Uranminen aus. Aus den Uranminen wird das Uran in verschiedenen Schritten veredelt und für den nuklearen Einsatz vorbereitet. Auch hier hat Russland etwa ein Viertel der Weltproduktion, wenn es um Uran-Brennstoffe geht. Angaben, woher das Uran in deutschen Atommeilern stammt, haben Bundesregierungen über Jahrzehnte verweigert. In den Statistiken der EU wird Uran, das französische Konzerne im Niger ausbeuten, offiziell mit dem Label Made in France gebrandet – weil es in Frankreich weiter verarbeitet wurde.

Schon vor wenigen Tagen gab es wieder einen Flug aus Russland nach Tschechien. Trotz Krieg in der Ukraine mit einer Ausnahmeerlaubnis: Uran-Brennelemente wurden per Flugzeug angeliefert, zum künftigen Einsatz in den aus russischer Fertigung stammenden tschechischen und ungarischen AKW. Insgesamt 18 AKWs vor allem in den ehemaligen sowjetischen Staaten werden aus Russland mit Uran versorgt. Das hatte der Grüne Bundestagsabgeordnete Stefan Wenzel jüngst mitgeteilt. Auch ein Atommeiler aus Finnland ist dabei.

Nicht mehr dabei ist die Ukraine, die sich schon vor Jahren bemüht hat, sich von der russischen Uranversorgung unabhängig zu machen. Die zum Westinghouse-Konzern gehörende schwedische Uranfabrik in Västeras liefert seit einigen Jahren die Brennelemente für AKWs des russischen Typs. Ein Teil des angereicherten Urans dafür stammt wiederum von der deutschen Uranfabrik in Gronau, die den Uran-Ausgangsstoff herstellt, der dann zu Brennstäben und Brennelementen weiter verarbeitet wird. Das Uran allerdings, das in Gronau angereichert wurde, könnte aber bislang auch aus Russland bekommen sein und nun über Schweden in ukrainischen Reaktoren stecken.

Dirk Seifert