Das Kieler Energieministerium bzw. die Atomaufsichtsbehörde unter Leitung des grünen Ministers Robert Habeck hat der Beladung des Reaktorkerns für das Atomkraftwerk Brokdorf zugestimmt. Eine Zustimmung zum Wiederanfahren des seit Februar wegen erhöhter Roststellen an den Brennelementen abgeschalteten Atommeilers an der Unterelbe steht noch aus. Betreiber E.on (PreußenElektra) hofft, dass das AKW Ende Juli wieder in Betrieb gehen könnte. Dann aber mit der Auflage, die Leistung auf maximal 95 Prozent zu reduzieren und den Lastfolgebetrieb einzuschränken. Das AKW hat eine genehmigte Restlaufzeit bis Ende 2021. Allerdings: Ob damit die Ursachen vollständig geklärt sind, wie Habeck es bei der Stilllegung im Februar versprochen hat, ist unklar: Im Leitartikel der WZ vom 18.7. heißt es unter der Überschrift „Glauben ist nicht wissen“: ,,Allerdings steht in Unterlagen seines Ministeriums: Noch nicht schlüssig, abdeckend und widerspruchsfrei sind die chemischen und physikalischen Einzelparameter und ihr quantitativer Beitrag zu dem Prozess geklärt.“
Laut taz erklärte Minister Habeck zu den Ursachen: „Habeck zufolge haben mehrere Faktoren zu der Oxidation geführt. Neben dem Hüllrohrmaterial seien der Hochleistungskern und ein immer häufigeres, schnelles Hoch- und Runterfahren des Reaktors die Gründe. 2006 hatte das Ministerium eine Leistungserhöhung genehmigt, die eine elektrische Bruttoleistung von 1480 statt zuvor 1440 Megawatt ermöglichte. Seit 2011 praktizierte der Betreiber zudem häufiger den Lastfolgebetrieb, je nach Auslastung der Stromnetze. Ab 2015 sei diese Lastwechselfahrweise weiter intensiviert worden, sagte Habeck.“ Betreiber E.on/PreussenElektra hat sich aktuell nicht geäußert.
Die Taz verweist neben der Leistungsreduzierung und den Begrenzungen für den Lastfolgebetrieb außerdem darauf: „Ergänzend zu den Betriebsänderungen soll Preussen Elektra noch weitere Maßnahmen ergreifen, um die chemischen Randbedingungen im Reaktor zu verbessern.“
Auch der NDR berichtet ausführlich über die Entscheidung des Energie/Atomministeriums in Schleswig-Holstein. Dort ist zu lesen: „Für April 2018 ist die nächste Revision geplant. Dann wird nachgesehen, ob die Auflagen Abhilfe geschaffen haben. Oder wie der Leiter des Atomaufsicht sagte: „Dann wird nachgemessen.““
Im (online nicht verfügbaren) Leitartikel (18.7.2017) von Kay Müller in der zum SHZ-Verlag gehörenden Wilsterschen Zeitung ist allerdings zu lesen: „Er (Habeck) erklärte, das Akw erst wieder ans Netz zu lassen, wenn die Ursachen geklärt seien, Nun, sagt Habeck, sei das der Fall. Allerdings steht in Unterlagen seines Ministeriums: ,,Noch nicht schlüssig, abdeckend und widerspruchsfrei sind die chemischen und physikalischen Einzelparameter und ihr quantitativer Beitrag zu dem Prozess geklärt.“ Ganz genau weiß also die Atomaufsicht noch immer nicht, warum die Oxidationen im Druckwasserreaktor stark zugenommen haben. So ist es übrigens auch bei einem ähnlichen Fall – allerdings in einem Siedewasserreaktor im schweizerischen Leibstadt. Auch der läuft wieder.“ Die Quelle für das Zitat in dem Leitartikel ist hier in der PDF aus dem Energie/Atomministerium nachzulesen, siehe auch unten als Dokumentation. In der SHZ ist außerdem dieser Artikel zu lesen.
In der Darstellung des Ministeriums heißt es nach der bei Müller zitierten Aussage weiter: „Da zum Teil im Reaktorkern lokal begrenzte Randbedingungen als Ursache unterstellt wurden, die jedoch messtechnisch nicht zugänglich sind, konnten die von der Betreibergesellschaft und dem Hersteller aufgestellten Thesen sowie auch von den Sachverständigen eingebrachte Modelle bezüglich eines physikalisch/chemischen Prozesses bisher nicht bestätigt werden. Der Betreibergesellschaft bleibt es unbenommen, in Zukunft noch den Nachweis zu führen, dass lediglich Einzelparameter, etwa nur die Wasserstoffkonzentration, maßgeblich sind. Die Sachverständigen haben diesbezüglich noch weitere Erkenntnismöglichkeiten aufgezeigt, etwa Werkstoffprüfungen am oxidierten Material oder die weiter vertiefte Untersuchung thermodynamischer Effekte.“
Müller verweist mit Blick auf die Erklärung des Ministeriums auch auf andere Ungereimtheiten: „Dabei gibt es einige Unklarheiten. Vier Jahre nachdem die Atomaufsicht die Höchstlast für den Meiler heraufgesetzt hat, zeigte bereits eine Studie, dass die in Brokdorf verwendeten Hüllrohre die Oxidation der Brennstäbe begünstigen können. Und genau ein Jahr später stiegen die Messwerte im Akw Brokdorf folgerichtig an. Reagiert hat offenbar niemand. Auch nicht darauf, dass es diese Auffälligkeiten auch in anderen deutschen Akws gab. Erst als der Grenzwert überschritten wurde, untersagte Habeck das Wiederanfahren des Brokdorfer Meilers.“
Das Fazit von Müller: „So bleibt nur der Glaube, dass mit den Auflagen der sichere Betrieb des Akws Brokdorf möglich ist. Glauben ist allerdings nicht wissen – und daher ein bisschen wenig für den Umgang mit dieser riskanten Technologie.“
Der Tagesspiegel berichtet: „Ende Februar wurde klar, dass an 464 Brennstäben ein erhöhter Oxidbefund unterhalb des Grenzwertes und an zehn Brennstäben in drei Brennelementen eine Oxidschicht größer als 0,1 Millimeter gemessen wurde. Damit war der Grenzwert überschritten. Schon seit 2011 seien aber Hinweise auf eine erhöhte Korrosion bekannt gewesen, heißt es in der Mitteilung des Ministeriums.“ In der PM des Ministeriums ist dazu zu lesen: „Im Zuge der Jahresrevision waren bei eine stärkere Oxidbildung an Brennstäben aufgefallen. Dabei handelte es sich ausschließlich um Brennstabhüllrohre aus dem Material M5, wobei allerdings nicht jeder M5-Brennstab betroffen war. Insgesamt wurden 92 M5-Brennelemente – und dabei 5.405 Brennstäbe – vermessen. Davon wiesen 464 Brennstäbe einen erhöhten Oxidbefund unterhalb des Grenzwertes auf. In 3 Brennelementen an 10 Brennstäben wurden Oxidschichtdicken größer als 100 Mikrometer gemessen. Damit war hier der Grenzwert erstmals überschritten.“
Dokumentation der Pressemitteilung der Kieler Energie- und Atombehörde:
Kernkraftwerk Brokdorf: Erhöhte Leistung und intensiverer Lastwechsel haben Oxidation von Brennstäben verstärkt
Datum 17.07.2017
Energiewendeminister Habeck: „Brokdorf darf künftig nur in einem abgesicherten Modus betrieben werden.“
KIEL. Zu der ungewöhnlich schnellen und starken Korrosion an Brennstäben im Kernkraftwerk Brokdorf hat nach Feststellung der schleswig-holsteinischen Atomaufsicht ein Zusammenspiel von mehreren Faktoren geführt. „Neben dem Hüllrohrmaterial sind die hohen Leistungsanforderungen verantwortlich: der Hochleistungskern und ein immer häufigeres, schnelles Hoch- und Runterfahren des Reaktors. Diese Beanspruchung hat nach unseren Erkenntnissen zu der unerwarteten Oxidation im oberen Bereich einiger Brennstäbe geführt“, sagte Energiewendeminister Dr. Robert Habeck heute (17. Juli 2017).
Leistung und Lastwechsel werden deutlich reduziert
Unter der Voraussetzung, dass die Leistung und der sogenannte Lastfolgebetrieb nun reduziert werden, hat die Atomaufsicht am Freitagabend (14. Juli) der Beladung eines neuen Reaktorkerns zugestimmt. „Der Betreiber PreussenElektra dreht jetzt das Rad elf Jahre zurück und stellt die Anlage auf den Betrieb von vor 2006 ein. Für diese Zeit gibt es eine gesicherte Betriebserfahrung mit dem betroffenen Hüllrohrmaterial. Brokdorf fährt künftig also im abgesicherten Modus“, sagte Habeck. Die Leistung werde auf 95 Prozent reduziert, die Lastwechselgeschwindigkeit halbiert. „Damit wird sicher verhindert, dass sich die überaus starke Oxidation wiederholt und die Grenzwerte überschritten werden“, betonte der Minister. Mit der Zustimmung zum Beladen des Kerns ist noch nicht automatisch die Zustimmung zum Wiederanfahren verbunden.
2006 war eine Leistungserhöhung genehmigt worden, die eine elektrische Bruttoleistung von 1480 statt zuvor 1440 Megawatt ermöglichte. Seit 2011 praktizierte der Betreiber zudem immer häufiger den Lastfolgebetrieb, je nach Auslastung der Stromnetze. Gerade in den Betriebszyklen von 2015 an wurde diese Lastwechselfahrweise weiter intensiviert. Hinweise auf etwas erhöhte Korrosion gab es seit 2011, der Grenzwert wurde erstmals Anfang 2017 überschritten. Das Hüllrohrmaterial M5 blieb mit derselben Spezifikation das Gleiche – vor 2006 und danach. Aber unter den geänderten Einsatzbedingungen zeigten sich an einigen Brennstabhüllrohren dessonst grundsätzlich sehr korrosionsbeständigen Materials Oxidationsschichten im oberen Bereich, wo diese nicht erwartet wurden, und in einer Wachstumsrate, die ebenfalls über dem Erwartungswert lag.
(Zwischenüberschrift mit Foto: Die Untersuchungen kamen akribischer Detektivarbeit gleich. Dr. Robert Habeck
Im Februar waren im Zuge der Jahresrevision des Kernkraftwerks Brokdorf – einer jährliche Überprüfung verbunden mit einem Brennelementwechsel – Oxidschichten an Brennstäben festgestellt worden, die dicker waren und schneller und an anderen Stellen auftraten als erwartet. An einigen Brennstäben wurden die Grenzwerte deutlich überschritten. Seitdem befindet sich das Kernkraftwerk nicht im Leistungsbetrieb.
Nach Feststellung der Oxidschichten hatte die Atomaufsicht von der Betreibergesellschaft verlangt, die Ursachen so weit wie möglich aufzuklären und sicherzustellen, dass der Grenzwert nicht noch einmal überschritten wird. Dazu hat die Betreibergesellschaft mehrere Berichte gefertigt. Die Atomaufsicht und die von ihr hinzugezogenen Sachverständigen stellten daneben eigene Prüfungen an und werteten bundesweite und internationale Erkenntnisse aus. „Das kam akribischer Detektivarbeit gleich“, sagte Habeck.
Mehrere Thesen wiesen Lücken auf
Durch die Betreibergesellschaft waren zunächst das Material, die Wasserchemie und thermohydraulische Bedingungen untersucht worden. „Bei genauer Prüfung durch die Sachverständigen und die Atomaufsicht fielen in den meisten Thesen jedoch Lücken oder Widersprüche auf, so dass die Erklärungsmodelle der Betreibergesellschaft nicht belegt sind“, sagte der Leiter der Atomaufsicht Dr. Dr. Jan Backmann.
So konnten besondere oxidative Randbedingungen im oberen Bereich des Reaktorkerns nicht durch die erlangten Messergebnisse verifiziert werden. Auch ließ sich kein spezifischer Zusammenhang zwischen Oxidation und bestimmten Brennelement-Nachlieferungen (Ingot) herstellen, genauso wenig wie zu bestimmten Materialeigenschaften, etwa zum Eisengehalt.
Dagegen wurde im Laufe der Untersuchungen die Korrelation zwischen Leistung, Lastfolge und Oxidation immer deutlicher. „Die Betriebsanforderungen in Brokdorf liegen auch deutlich über jenen im Ausland“, sagte Backmann. „Durch die jetzt von der Betreibergesellschaft vorgenommenen Änderungen werden die Leistungsanforderungen zurückgeführt und die Betriebsweise wird vergleichbar mit Kernkraftwerken im Ausland und solchen Anlagen im Inland, in denen bisher keine vergleichbaren Oxidauffälligkeiten an M5-Hüllrohren festgestellt wurden.“
Betreiber kann weitere Prüfungen vornehmen
Diese eingeschränkten Betriebsbedingungen müssten so lange bestehen bleiben, wie es dem Betreiber nicht gelingt, nachzuweisen, dass nur bestimmte Parameter die Oxidation verursachen, die sich gezielt ausschalten lassen und dann auf diesem Weg die Einhaltung des Grenzwerts sichergestellt werden kann Die Sachverständigen haben dafür noch weitere Erkenntnismöglichkeiten aufgezeigt, etwa Werkstoffprüfungen am oxidierten Material oder die Untersuchung thermodynamischer Effekte.
Ergänzend zu den Betriebsänderungen ergreift der Betreiber noch zusätzliche Maßnahmen, um die chemischen Randbedingungen zu verbessern. So werden der Wasserstoffgehalt erhöht und die Messungen von Wasser- und Sauerstoff verbessert. Daneben werden für die Zukunft Änderungen bei der Wasserstoffdosierung, insbesondere in der Phase des Abfahrens des Reaktors, vorgenommen. Grund dafür ist, dass die Behörde hier Abweichungen von den Richtlinien zur Wasserchemie des Reaktorkühlkreislaufes festgestellt hat.
Hintergrund – Weitere Informationen
Grundsätzlich ist Oxidation von Brennstäben ein normaler Prozess. Die Brennstäbe (gebündelt in Brennelementen) werden im Reaktorkern mit boriertem Wasser gekühlt. Durch die Strahlung im Reaktorkern werden die Wassermoleküle des Kühlmittels in Sauerstoff und Wasserstoff aufgespalten (Radiolyse). Der Sauerstoff kann dabei im Reaktorbetrieb mit der heißen Metalloberfläche des Brennstabhüllrohres reagieren. Dort bildet sich dann eine leichte Oxidschicht aus. Dies ist ein normaler Prozess und im Prinzip nicht bedenklich.
Die Schichtdicke darf aber ein bestimmtes Maß nicht überschreiten, da dann das etwa 0,7 Millimeter (= 700 Mikrometer) dicke Hüllrohr der Brennstäbe unzulässig geschwächt wird und die Wärmeabgabe an das Kühlmittel verschlechtert wird.
Im Zuge der Jahresrevision waren bei eine stärkere Oxidbildung an Brennstäben aufgefallen. Dabei handelte es sich ausschließlich um Brennstabhüllrohre aus dem Material M5, wobei allerdings nicht jeder M5-Brennstab betroffen war. Insgesamt wurden 92 M5-Brennelemente – und dabei 5.405 Brennstäbe – vermessen. Davon wiesen 464 Brennstäbe einen erhöhten Oxidbefund unterhalb des Grenzwertes auf. In 3 Brennelementen an 10 Brennstäben wurden Oxidschichtdicken größer als 100 Mikrometer gemessen. Damit war hier der Grenzwert erstmals überschritten.
Das Kernkraftwerk Brokdorf ist eines von drei Kernkraftwerken in Schleswig-Holstein. Während die Kernkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel in Folge des Atomausstiegs keine Berechtigung zum Leistungsbetrieb mehr haben, darf Brokdorf laut Gesetz noch bis längstens Ende 2021 Strom produzieren. Medien-Information vom 17. Juli 2017 zum Herunterladen (PDF 182KB, Datei ist nicht barrierefrei)
Dokumentation (abgefragt 19.7.2017) von der Homepage der Kieler Energie- und Atombehörde:
Fragen und Antworten zum Stillstand des Kernkraftwerks Brokdorf 2017 (Überhöhte Oxidschichtdicken an Brennstäben)
Im Kernkraftwerk Brokdorf sind im Februar Oxidschichten an Brennstäben festgestellt worden, die dicker waren, schneller und an anderen Stellen auftraten als erwartet. An einigen Brennstäben wurden die Grenzwerte deutlich überschritten. Seitdem ist das Kernkraftwerk nicht am Netz. Nach intensiven Untersuchungen ist klar: Neben dem Hüllrohrmaterial sind die hohen Leistungsanforderungen an den Reaktor verantwortlich. Um wieder Strom produzieren zu dürfe, muss Brokdorf nun die Leistung und den Lastfolgewechsel reduzieren.
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