Strahlender Stahl – Radioaktiv belastete Stähle als Risiko
In Stahlwerken gehören Radioaktivitäts-Messungen zum Alltag. Bei der Eingangskontrolle werden Stahlschrott-Lieferungen grundsätzlich darauf überprüft, ob es sich um radioaktiv belastetes Material handelt. Immer wieder kommt es vor, dass der Stahlschrott, den die Werke von – oftmals ahnungslosen – Händlern beziehen, kontaminiert ist. Ein Risiko nicht nur für die Produktion sondern auch für die Gesundheit von Arbeitern sowie der normalen Bevölkerung und der Umwelt.
So berichtet am 14.02.2011 der Spiegel unter der Überschrift: „Strahlenschutz – Kruste aus Uran: Strahlende Metalle aus aller Welt landen auf deutschen Schrottplätzen. Händler fanden dort sogar den Stoff für Atombomben.“
Es ist kaum zu glauben, aber tatsächlich wird auch waffenfähiges Uran auf diesem Weg „entsorgt“: „Der Schrotthöker aus Ennepetal in der nordrhein-westfälischen Provinz war stolz auf die 300 Kilogramm schwere Kiste voller Pfännchen: Sie waren aus Molybdän, einem besonders festen Metall. Das würde ihm gutes Geld einbringen.
Wie groß aber war seine Überraschung, als die Kiste in die Nähe eines Strahlendetektors geriet. Das Gerät schlug heftig aus. Eilig hinzugerufene Strahlenexperten stellten fest: An den Pfannen hafteten Krusten aus Uran, bis zu 2,9 Kilogramm. Ein Teil davon war angereichert. Solches Zeug kommt in der Natur nirgendwo vor. Es entsteht nur in der Atomindustrie.“
Bereits 2008 berichtete Susanne Härpfer auf Telepolis: „Waffenfähiges Uran 235 aus Russland gelangte 2006 über den Hafen von Wismar nach Deutschland. Nur durch Zufall wurde es in 6000 Tonnen Metall entdeckt, kurz vor dem Einschmelzen. In einem Papier der Bundesregierung heißt es: „Fund eines kontaminierten (Uran angereichert 80 %, 3,8 MBQ) Rohrstücks, das nach Atomgesetz als Kernbrennstoff einzustufen ist, in einer Schrottlieferung bei einem Stahlwerk.“ Das Bundeskriminalamt bestätigte den Vorfall auf Anfrage. Dies berichtet das Wirtschaftsmagazin Plusminus des WDR exklusiv heute Abend in der ARD.“
Sie sprach mit einen Vertreter von der Gewerbeaufsicht in Bremen über diese Funde: „Horst Janku von der Gewerbeaufsicht Bremen warnt: „Wir haben die Befürchtung, dass diese Behältnisse auf einem Schrottplatz landen können.“ Wird das radioaktive Material nicht entdeckt, droht eine Katastrophe. In Spanien blieb eine radioaktive Quelle in einer Recyclinganlage unentdeckt. Das ganze Werk musste entseucht werden. Schaden: Eine Million Euro. Glück im Unglück. Denn die nukleare Quelle hätte auch eingeschmolzen werden können. Dann hätte das gesamte Stahlwerk abgerissen werden müssen; auch dies ist bereits u.a. in Spanien geschehen. Noch schlimmer aber: aus dem verseuchten Metall würden Produkte gemacht für den ganz alltäglichen Bedarf – also Lampen, Uhren, Schränke. Solche radioaktiv belastete Uhren sind auch schon in Deutschland verkauft worden. Sie mussten vom Markt genommen werden. „Es ist wirklich nur einem Zufall zu verdanken, dass überhaupt festgestellt wurde, dass die Uhren radioaktiv belastet waren“, berichtet Horst Janku.“
Und Härpfer berichtet über weitere Vorfälle, bei denen radioaktive Materialien, wie zum Beispiel Kobalt60-Quellen, in die Stahlproduktion gerieten. Nicht immer rechtzeitig wurde das auch festgestellt. So gelangte eine Armbanduhr aus radioaktiv belasteten Stahl in den Verkauf. „Kein Einzelfall. Zöllner in Rotterdam beschlagnahmten 2006 Handtaschen aus Indien, die mit Kobalt 60 radioaktiv verseucht waren. „Außerdem haben wir radioaktive Waschmaschinenteile, sogenannte magic balls aus China gefunden, die werden dem Waschpulver beigegeben, da wird die Wäsche strahlend schön“, erzählt Bert Wiersemer, Leiter des Alarmzentrums im Rotterdamer Hafen.“
2004 berichtet der Tagesspiegel unter der Schlagzeile: In China wurde giftiges Cäsium versehentlich eingeschmolzen: „Mehr als eine Woche war in der chinesischen Provinz Shaanxi eine Stahlkugel mit radioaktivem Cäsium verschwunden gewesen. Diebe hatten die Kugel aus dem Lager einer Baufirma gestohlen. Nach einer Großfahndung durch Spezialeinheiten der Armee entdeckten die Behörden das gefährliche radioaktive Material – eingeschmolzen in einem nahe gelegenen Stahlwerk.“ Die Anlage war damit kontaminiert und der Tagesspiegel hält fest: „Aus Angst vor radioaktiver Verstrahlung wurde das Stahlwerk am Mittwoch geschlossen. „Einer der Hochöfen und etwas Schlacke wurde kontaminiert“, erklärte der zuständige Offizielle Wang Jinxuan dem „Shanghai Daily“. Insgesamt sei an drei Stellen radioaktive Strahlung festgestellt worden.“
Im Februar 2009 kam es in Braunschweig und Lüneburg Strahlenalarm: „Bei zwei stahlverarbeitenden Firmen in Braunschweig und Lüneburg sind radioaktiv kontaminierte Edelstahlprodukte gefunden worden – als Ursprung des Stahls wurde nach ersten Auskünften Indien behauptet. Selbstverständlich wurde umgehend Entwarnung gegeben: Eine Gesundheitsgefährdung sei auszuschließen, teilten das Bundes- und das Landes-„Umwelt“-Ministerium heute (Dienstag) mit. Weder Mitarbeiter, die in Kontakt mit dem Stahl waren, noch Bevölkerung oder Umwelt seien gefährdet gewesen.
Die Verunreinigungen seien die Folge eines unbeabsichtigten Einschmelzens von radioaktiven Strahlenquellen in einem indischen Schmelzwerk. Bei den Edelstahlprodukten handelte es sich zum einen um Maschinenteile, zum anderen um Stahlstangen, die in Deutschland erst noch weiterverarbeitet werden sollten. Das Material wurde vorsorglich sichergestellt und soll nun zurück nach Indien geschafft werden.“
Der Spiegel listet in dem oben genannten Artikel weitere Beispiele auf: „Strahlenalarm auf deutschen Schrottplätzen und Recyclinghöfen ist gar nicht so selten. 2006 erfasste das Bundesumweltministerium mehr als 20 Strahlenfunde im Schrott. 2007 und 2008 waren es ähnlich viele. Meist geht es um kleine Strahlenquellen. „Aber ab und an findet man auch Quellen, die so sehr ticken, dass sie diejenigen, die damit hantieren, schädigen können“, zitiert der Spiegel den Proliferationsexperten Tom Bielefeld vom Belfer Center der Harvard University.
- „In Estland starb 1994 sogar ein Mann an akuter Strahlenkrankheit, nachdem er ein Röhrchen voller Cäsium 137 gestohlen hatte.
- 1998 schmolz ein Stahlwerk im spanischen Algeciras eine Cäsium-137-Quelle ein. Durch den Schornstein verteilte sich strahlender Staub über großen Teilen Europas – auch deutsche Stationen registrierten erhöhte Gammastrahlung.“
- Darüber schreibt das Netzwerk Regenbogen: „1998 hatte das Problem der Verbreitung radioaktiv kontaminierten Stahls per Recycling erstmals Wellen in den Mainstream-Medien geschlagen: Im Juni 1998 überzog eine radioaktive Cäsium-Wolke weite Teile Südeuropas, Frankreichs, Deutschlands und der Schweiz. Das Schweizer Bundesamt für Gesundheit registrierte Werte bis zu 150 Microbecquerel pro Kubikmeter. Das war der höchste Wert seit der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Die Ursache: Im südspanischen Stahlwerk Acerinox in Algeciras war radioaktiver Stahl „unbekannter Herkunft“ eingeschmolzen worden.“
- Der Spiegel listet weiter auf: Im westafrikanischen Niger schmiedeten Einheimische Kochtöpfe aus Metallabfällen einer Uranfabrik.
- Im ehemaligen Atomtestgelände Semipalatinsk in Kasachstan stehlen Bewohner der umliegenden Dörfer Rohre aus unterirdischen Testtunneln, um sie für ein paar Euro an Metallhändler in China zu verhökern.
- Wenn solches Zeug eingeschmolzen wird, kann es sich überall verteilen. So war in Indien radioaktives Kobalt 60 in die Schrottschmelze geraten: Über 150 Tonnen verseuchtes Metall stellten Behörden weltweit sicher, auch in Deutschland spürten sie 2008 mehrere Chargen auf. Ein Teil davon war bereits zu Aufzugknöpfen verarbeitet und eingebaut worden.
- Im Mai 2007 beschäftigte ein Fall die Behörden in Bremen: Bei einer Recyclingfirma hätten die Beamten „ziemlich angedätschte“ Stahlblöcke mit stark strahlendem Cäsium 137 gefunden, berichtet Kurt Engelmann, Experte der zuständigen Gewerbeaufsicht. „Gar nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn das in die Schmelze gelangt wäre.“
Susanne Härpfer auf Telepolis: „Aus Furcht, ihnen könnten radioaktive Strahler untergeschoben werden, haben die größeren Recyclinganlagen und Stahlwerke sich freiwillig inzwischen Nukleardetektoren angeschafft. Immerhin warnt 2004 der Wirtschafts- und Sozialausschuss der Vereinten Nationen, dass es 2001 allein in den USA 4000 Vorfälle mit radioaktivem Material in Metallen gegeben hat. Besonders in Zeiten gestiegener Rohstoffpreise ist die Gefahr groß, dass nicht nur massenhaft geklautes Kupfer, Gullydeckel und Bahngleise an Recyclinganlagen verkauft werden, sondern auch radioaktive Metalle.“
Für Schrotthändler und Stahlwerke ist radioaktiv belasteter Stahl auch ein Problem, weil die Unternehmen dafür die Haftung übernehmen. Die Bundesvereinigung Deutscher Stahlrecycling- und Entsorgungsunternehmen e.V. (BDSV) informiert seine Mitglieder daher umfangreich über dieses Problem (hier, PDF) und warnt: „Im Zeitraum zwischen 1980 und 2000 sind rund 75 Fälle bekannt geworden, in denen Strahlenquellen im Schrott je nach Art und Menge der radioaktiven Bestandteile zu erheblichen Schäden geführt haben.“
Und der Verband nennt konkrete Beispiele: „So wurden z. B. in einem Stahlwerk in Taiwan im Jahr 1982 unbemerkt mehrere Kobalt-60-haltige Strahlenquellen eingeschmolzen und in deren Folge annähernd 20.000 Tonnen kobalthaltige Fertigprodukte auf den Markt gebracht. Auch in Europa wurde über Fälle radioaktiver Stoffe im Schrott berichtet. Ende 1998 wurden z. B. in der Türkei zwei Co-60-Quellen aus der Strahlentherapie unwissend von einem Schrotthändler gekauft und demontiert. Dabei erhielten zehn Personen so hohe externe Strahlendosen, dass es zu akuten Strahlensyndromen wie Übelkeit, Erbrechen und Verbrennungen kam. Eine der von dem Metallhändler gekauften Co-60-Quellen kam abhanden und wird bis heute vermisst. Der in Europa bekannteste Fall ereignete sich im Jahr 1998 in einem südspanischen Stahlwerk. Dort verursachte das Einschmelzen einer Cäsium-Quelle erhebliche Folgekosten – die vom liefernden Schrotthandel beglichen werden mussten.“
In Verkaufverträgen ist es daher inzwischen Normalität, dass in Bezug auf Radioaktivität folgendes Bestandteil ist: „… wir versichern, dass wir nur Schrott liefern werden, der zuvor von uns mit eigenen Messgeräten auf Freiheit von ionisierender Strahlung geprüft worden ist. Daher können wir …. nach bestem Wissen und Gewissen die Erklärung abgeben, dass der Schrott auf Grund der vorgenannten Prüfung frei von ionisierender Strahlung ist, die über der gemessenen Umgebungsuntergrundstrahlung liegt“.
In dem Zusammenhang sollte man aber auch mal etwas über den Tellerrand hinausschauen. Gerade das ungewollte „Kobalt 60 Experiment“ in Taiwan bringt interessante Erkenntnisse:
http://www.achgut.com/artikel/ergebnisse_eines_ungeplanten_menschenversuchs_mit_gamma_strahlung