Vattenfalls Stern auf dem Rückzug – Was hat dich bloß so ruiniert?

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Vattenfall auf dem Rückzug? Das Deutschland-Engagement des schwedischen Stromkonzern steht offenbar in den Sternen. Foto: Dirk Seifert

Der schwedische Stromkonzern Vattenfall ist schwer angeschlagen und könnte sich auch aus seinem Geschäft in Deutschland zurückziehen. Offenbar gibt es immer mehr Stimmen, bis hinein in die schwedische Regierung, die eine solchen Rückzug fordern. Hohe finanzielle Verluste von rund vier Milliarden Euro, sinkende Gewinne in Deutschland und den Niederlanden aufgrund überteuerter Investitionen, geringer Stromnachfrage und sinkender Strompreise machen dem Unternehmen schwer zu schaffen.

Von eigentlich keiner Seite wird bestritten, wie kritisch die Lage bei Vattenfall derzeit ist und dass die Debatte um einen Rückzug ernst zu nehmen ist. Wie heftig die Probleme sind, zeigt sich z.B. daran, dass sich jetzt auch der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft IG-BCE und  Vattenfall Aufsichsrats-Vize Ulrich Freese gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters äußert: „Vattenfall hat in den letzten Jahren in anderen europäischen Ländern enorme Zukäufe getätigt“… „Wenn sich diese Aktivitäten im Nachhinein als nicht profitabel herausstellen sollten und Vattenfall deswegen jetzt zu Verkäufen in Deutschland gezwungen ist, dann kann es dabei nur um einen Gesamtverkauf und nicht um Einzelverkäufe gehen.“ Ein Auseinandernehmen des Unternehmensverbunds von Bergbau, Energie und den Tochterfirmen brächte nur Nachteile mit sich, mahnte Freese.“ Und Reuters schreibt außerdem mit Bezug auf Fresse: „Die Gewerkschaft IG BCE warnte davor, dass eine Zerschlagung des Vattenfall-Konzerns die Energiewende in Deutschland schwächen könnte.“

Eine solche Warnung macht aber nur Sinn, wenn es bei Vattenfall tatsächlich ernst zu nehmende Debatten um einen Rückzug gibt – sonst würde ein Gewerkschafter solche Statements nicht machen! Wenn aber Gewerkschaftsobere derart deutlich werden, muss es bei Vattenfall mehr als nur hoch her gehen. Und: Interessant, das Fresse dann gleich den vollständigen Rückzug ins Spiel bringt und davor warnt, nur einzelne Scheiben aus dem Deutschland-Geschäft abzutrennen.

Dahinter steckt offenbar die Sorge, dass Vattenfall – insbesondere nach dem Scheitern der Pläne für eine unterirdische Lagerung von CO2 – sich aus dem Braunkohle-Geschäft zurück ziehen könnte und damit vor allem Ostdeutschland und die Lausitz verscherbeln würde. Schon im Dezember 2012 hatte es hier erheblichen Wirbel gegeben. (Siehe: Vattenfall Braunkohle – Wirre Kommunikation und Rekordergebnis für die Klimakatastrophe). Vattenfall war von seinem Aktionär, der schwedischen Regierung, wegen seiner hohen CO2-Emissionen und viel zu wenig Investitionen in Erneuerbare Energie schwer kritisiert worden. In Ostdeutschland wurde dies als Ausstieg aus der Braunkohle aufgefasst und Vattenfall versuchte mühselig zu erklären, dass man weiter an der Braunkohle festhalten werden.

Ein Eiertanz, der nicht zu verstehen war. Heutige Pressemeldungen, nach denen Vattenfall bereits seit November den Verkauf eines sächsischen Braunkohle-Kraftwerks-Block sondiert (siehe unten), werden diese Reaktion mehr als verständlich. Offenbar wächst bei der IG BCE, die vor allem in Ostdeutschland/Lausitz im Braunkohlebergbau bei Vattenfall betroffen ist, die Sorge, dass es zum Kahlschlag kommen könnte.

Vattenfall hat inzwischen auch angekündigt, europaweit 2.000 Arbeitsplätze abbauen zu wollen. (Siehe auch hier: Vattenfall – Streit mit Beschäftigten nimmt zu!)

Tatsächlich scheinen sich immer mehr Stimmen in Schweden dahin gehend zu äußern, dass es möglicherweise besser wäre, das Vattenfall-Abenteuer in Deutschland zu beenden. „Das sozialdemokratische „Aftonbladet“ nennt ihn (den Konzern Vattenfall) einen „arroganten Umweltschurken““, berichtet das Handelsblatt. Auch den schwedischen Grünen scheint das klimaschädliche Wirken von Vattenfall in Deutschland nicht zu gefallen. Vor allem aber schreibt das Handelsblatt: „Vereinzelt wird auch im Regierungslager für einen Verkauf der deutschen Beteiligungen plädiert. „Es ist hoffnungslos für ein Staatsunternehmen, bei uns den schwedischen Vorgaben für die Klimapolitik zu folgen und in Deutschland denen deutscher Politiker“ seufzte der liberale Wirtschaftspolitiker Carl B. Hamilton im Rundfunk. Sein Wunsch: „Hauptsache, sie können teuer verkaufen.““

Seit Wochen stehen Regierungspolitiker in der schwedischen Presse ebenso unter Druck wie das Vattenfall-Managment selbst: Konkreter Anlass ist der Kauf des niederländischen Stromkonzerns Nuon im Jahr 2009, der sich jetzt auf die Gewinne von Vattenfall deutlich negativ auswirkt. Der Preis gilt als völlig überteuert: “Der Kaufpreis von über zehn Milliarden Euro war von vielen Seiten als zu hoch kritisiert worden. Nach der Übernahme sei Vattenfall deshalb regelmäßig hinter den Gewinnerwartungen zurückgeblieben.” Radio Schweden berichtet: “Die schwedische Regierung hat jegliche Verantwortung beim Vattenfall-Geschäft in den Niederlanden abgewiesen.“ (siehe hier). Allerdings: Damit ist die Sache nicht vom Tisch: Denn der für Nuon gezahlte Preis ist selbst laut Aussage des seit Ende 2009 amtierenden Vattenfallchefs Öystein Löseth, der bei Vertragsabschluss noch für Nuon arbeitete, viel zu hoch gewesen.” (Siehe: “Schweden empört sich über Vattenfalls Größenwahn”) Das wird noch einiges zu klären sein, wer für die enorme Fehlinvestition verantwortlich ist.

Selbst die Kommunikations-Abteilung bei Vattenfall Deutschland bestätigt, dass die Debatte über einen Rückzug von Vattenfall aus Deutschland sehr ernst zu nehmen ist: „Vattenfall-Sprecher Banek meint: „Die Debatte ist absolut relevant, ob wir statt eines internationalen Konzerns wieder ein skandinavischer Regionalversorger sein sollen.““, zitiert das Handelsblatt.

Als Begründung werden nicht nur massive finanzielle Verluste und daraus resultierende Probleme genannt. Auch die völlig unterschiedlichen Anforderungen und Realitäten zwischen Schweden und Deutschland werden betont: In Schweden soll auch über 2020 hinaus der Anteil der Atomenergie rund 50 Prozent betragen und Vattenfall soll mit dem Neubau von Atomkraftwerken seinen Beitrag leisten. In Deutschland ist der Atomausstieg beschlossene Sache und die nach Fukushima abgeschalteten AKWs Brunsbüttel und Krümmel stellen nicht nur einen finanziellen Verlust dar. Die Pannenserien in diesen AKWs und kommunikative Fehler bis hin zu Falschdarstellungen haben Vattenfalls Image in Deutschland weitgehend ruiniert. Meldungen, dass Vattenfall weiter auf Atomkurs ist, versteht in Deutschland niemand mehr.

Umgekehrt ist man in Schweden mehr als nur irritiert, dass Vattenfalls Engagement in Deutschland wegen der enorm hohen Braunkohleverbrennung dazu führt, dass ein schwedisches Unternehmen europaweit zu den schlimmsten Klimasündern gehört. Auch hier räumt der deutsche Vattenfall-Sprecher ein, dass es massive Probleme mit dem Headquarter in Schweden gibt. Das Manager-Magazin zitiert: „Es ist in Schweden kaum zu vermitteln, warum wir in Deutschland auf Braunkohle setzen müssen“, räumt Vattenfalls Kommunikationschef Ivo Banek ein.

Über 80 Prozent des Vattenfall-Strom in Deutschland wird in der besonders klimaschädlichen Braunkohleverbrennung erzeugt. Dabei wird die Braunkohle im Tagebau abgebaut, große Landstriche vor allem in der Lausitz verwüstet und Dörfer abgerissen und Menschen vertrieben, wenn sie dem Abbau im Wege sind. Wiederholt protestierten Betroffene aus der Lausitz in Stockholm. (Siehe: Vattenfall – Ganze Dörfer müssen weg und Radio Schweden – “Vattenfall zaghaft bei grünem Strom” und Vattenfall, Bürgerinteressen und der Klimaschutz – Dorf weg, Braunkohle her!)

Als aktuellen Hinweis, wie tiefgreifend Vattenfalls Probleme und wie ernst die Debatte um einen Rückzug aus dem Deutschland-Geschäft sind, wird in den hiesigen Medien darin gesehen, das Vattenfall den Verkauf des Block R des Braunkohlekraftwerks im sächsischen Lippenstedt sondiert. Der Block hat eine Leistung von 920 MW. Diese Sondierung, so das Manager-Magazin „habe bereits im November mit zwei Investmentbanken“ begonnen.

Immer wieder war in den letzten Jahren darüber spekuliert worden, dass Vattenfall aufgrund seiner enorm hohen CO2-Emisssionen und den Forderungen aus Schweden, diese endlich deutlich zu senken, Kraftwerksbeteiligungen abstoßen würde. Zuletzt musste Vattenfall sogar einräumen, dass die Klimaschutz-Verabredungen mit der Stadt Berlin kaum einzuhalten wären. Nun wird aus Spekulationen möglicherweise Realität.

Allerdings wäre ein solcher Verkauf, wenn er denn angesichts des Stromüberangebots, der sinkenden Strompreise und dem Ausbau der Erneuerbaren Energien überhaupt gelingt, nur ein kleiner Schritt, der das Problem noch lange nicht löst. Denn gerade erst ist in Boxberg ein neuer Braunkohle-Kraftwerksblock in Betrieb genommen worden und in 2014 soll in Hamburg-Moorburg ein 1.600 MW Steinkohlekraftwerk ans Netz gehen.

Nicht nur die Reduzierung der absurd hohen CO2-Emissionen für Vattenfall Deutschland stellt ein kaum lösbares Problem dar. Hinzu kommt, dass auch massive finanzielle Probleme damit verbunden sind.

Vor allem das im Bau befindliche Steinkohlekraftwerks Moorburg könnte Vattenfall zusätzlich teuer zu stehen kommen: Aufgrund von Bauverzögerungen von über zwei Jahren, hohen Umweltauflagen und weitgehenden Einschränkungen bei der Kühlwasserentnahme aus der Elbe sowie der entgegen ehemaligen Planungen nicht mehr möglichen Fernwärmeauskopplung, haben sich die Herstellungs- und Betriebskosten deutlich verteuert. Ob dieses Kraftwerk jemals wirtschaftlich betrieben werden kann, steht derzeit in den Sternen und vieles spricht dafür, dass dieses Kraftwerk die Bilanzen von Vattenfall zusätzlich schwer belasten wird.

Damit nicht genug: In Berlin und Hamburg droht dem Unternehmen der Verlust der Stromnetze, in Hamburg auch der Verlust des gewinnträchtigen Fernwärmenetzes samt der mit ihm verbundenen Erzeugungsanlagen einschließlich aller Kunden.

In Hamburg wird darüber im September ein Volksentscheid stattfinden, der die Energienetze der Hansestadt wieder zu 100 Prozent in die öffentliche Hand bringen will. Und eine repräsentative Umfrage im Auftrag des Hamburger Abendblatt kommt im Februar zu dem Ergebnis, das 64 Prozent der HamburgerInnen diese Forderung unterstützen. In Berlin läuft noch bis Juni ein Volksbegehren, um Vattenfall das Stromnetz abzunehmen und kommunale Stadtwerke zu gründen. Selbst in Schweden geht man davon aus, dass Vattenfall keine Chance hat, die Netze als Geschäftsbereich zu retten. Der Sender Radio Schweden stellte jüngst im Grunde beschönigend auf seiner Homepage fest: “Die Energiewende in Deutschland wird den staatlichen schwedischen Energiekonzern Vattenfall vermutlich sein Stromnetz in Berlin kosten.“ (siehe: Berlin: Kein Stromnetz mehr für Vattenfall?!)

Siehe auch: Vattenfall – Kein Partner für Hamburg

Kleiner Kulturtipp zum Schluss: Die Sterne – Was hat dich bloß so ruiniert?

Dirk Seifert

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