Woermann und die Handelskammer Hamburg: Treibende Kraft des deutschen Kolonialismus für die „Arbeitskraft vieler Millionen Neger“ – Eine Aufarbeitung fehlt bis heute
Über die Handelskammer Hamburg und ihren verharmlosenden Umgang mit der Geschichte im Nationalsozialismus hatte umweltFAIRaendern vor wenigen Wochen berichtet. Doch auch mit ihrer Rolle im deutschen Kolonialismus steht noch immer eine Aufarbeitung aus. Dabei gilt der damalige Präses der Hamburger Handelskammer, Adolph Woermann, als eine der treibenden Kräfte dieser deutschen Kolonialpolitik. In den Jahren 1884/85 und von 1899 bis 1904 stand er an der Spitze der Hamburger Kaufleute und sorgte mit „Denkschriften“ und Vorschlägen dafür, dass Deutschland über Teile Afrikas herfiel und sie brutal ausplünderte. Die Rolle der Handelskammer Hamburg in Gesellschaft und Politik. Das ist auch aktuell Thema für heftige Konflikte, seit eine Opposition unter dem Namen „Die Kammer sind WIR“ für Reformen und Transparenz streitet.
- Geschönte Geschichte – Die Hamburger Handelskammer im Nationalsozialismus. Die durch die „Kammer sind Wir“ initiierte Veröffentlichung des Werkvertrags zwischen der Handelskammer und dem Autoren machte klar, wie die Handelskammer noch heute verharmlosenden Einfluss auf die Darstellung ihrer Rolle im Nationalsozialismus nimmt. Der Vertrag, der im genanten Link behandelt wird, ist hier direkt unter HK-Transparent auf der Seite „Die Kammer sind Wir“ als PDF online.
- Handelskammer Hamburg illegal – Schluss mit wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Kampfverbänden
In der Taz schrieb Gernot Gnödler im Oktober 2014 über den Einfluss, den Woermann auf den damaligen Reichskanzler Bismarck in Sachen Kolonialpolitik nahm: „Woermann hatte seinen Anteil am Meinungsumschwung des Kanzlers. Der erfolgreiche Kaufmann, Reichstagsabgeordnete und Präses der Hamburger Handelskammer entwickelte sich zu Bismarcks Berater in Kolonialfragen. Als solcher nahm er auch an der Kongo-Konferenz 1884/1885 teil, die den Grund zur Aufteilung Afrikas in Kolonien legte. Unter dem Eindruck der zunehmenden Rivalität zwischen den Großmächten und der stärkeren Einbindung der Hansestädte in das Deutsche Reich rückten die Kaufleute von ihrer staatsfernen Gesinnung ab und plädierten dafür, bestimmte Gebiete unter den Schutz des deutschen Militärs zu stellen.“
Der Spiegel berichtete über die bis heute fehlende Aufarbeitung der Verbrechen des deutschen Kolonialismus vor wenigen Wochen unter der Überschrift „Ganz feine Kaufleute“: „Eine Vergangenheitsbewältigung aber steht noch aus. Zum Beispiel in Hamburg, einer der Brutstätten des deutschen Imperialismus im 19. Jahrhundert“, ist dort eingangs zu lesen.
- Der umfangreich recherchierte Artikel des Spiegels ist auf der Verlagsseite als kostenpflichtiger Text hier online.
- Erst seit 2014 – der Zeit des allein regierenden SPD-Senats – gibt es in Hamburg die Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe/Hamburg und die frühe Globalisierung“, die sich dieser Frage angenommen hat.
Immer wieder wird in den letzten Jahren die Kolonialgeschichte und die Rolle Hamburgs und der Handelskammer thematisiert. Denkmäler aus dieser Zeit, Straßennamen von Kolonial-Politikern und ähnliches werden hier und dort zum Gegenstand der Debatte. Doch eine echte Aufarbeitung fehlt. Der Spiegel berichtet deshalb: „Historiker bewerten die Großtaten der Hamburger Kaufmannshäuser als geschichtliches Unrecht, als Beteiligung an Taten, die nach heutigen Maßstäben als Völkermord oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit betrachtet werden müssen. Es gelte, ein „Erinnerungsvakuum“ zu füllen, sagt der Hamburger Geschichtsprofessor Jürgen Zimmerer: „Bis heute tun die Erben des Kolonialismus so, als wäre nichts geschehen.“
Zu lesen ist dort auch: „Die Epoche deutscher Landnahme auf dem Schwarzen Kontinent wurde auch in den alten Hamburger Kontorhäusern eingeleitet. „Ausgangspunkt für zahllose Verbrechen, für kolonialen Landraub und damit indirekt auch Massenmord“, sagt Zimmerer, „waren damals Hamburger Firmen wie beispielsweise die Firma Woermann.““
Wie es um die Bereitschaft steht, sich mit dieser Geschichte heute auseinanderzusetzen, berichtet der Spiegel in diesem Artikel gleich im Anschluss. „“Woermann“ steht in goldenen Lettern noch immer am Tor des Afrikahauses. Mit dem Fahrstuhl in den zweiten Stock, hinter grauem Milchglas hat das Unternehmen, das sich noch immer mit dem Afrikahandel befasst, seinen Sitz. „Wir haben anderes zu tun, als uns mit der Vergangenheit zu beschäftigen“, sagt Geschäftsführer Detlev Woermann.“
Eine erschreckende Aussage, wenn der Historiker Zimmerer in der Spiegelausgabe vom 19. März 2016 weiter berichtet, dass es den Kaufleuten in Hamburg immer „nur ums Geld gegangen“ wäre. „Damals erklärte Adolph öffentlich, nun gelte es, „zwei Schätze in Afrika“ zu heben: „die Fruchtbarkeit des Bodens und die Arbeitskraft vieler Millionen Neger“. Woermann, Präsident der Handelskammer und Abgeordneter im Reichstag, war es auch, der das Projekt, staatliche Kolonien zum Schutz der Hamburger Handelsinteressen zu gründen, in Berlin durchsetzte.“
Ein Interview mit Jürgen Zimmerer hatte der Spiegel bereits im Januar 2016 veröffentlicht. (Das ist hier online: „Koloniale Vergangenheit „Konzept des rassistischen Terrors“, „Ist die koloniale Vergangenheit wirklich vergangen? Ein Interview mit dem Historiker Jürgen Zimmerer.
Dort sagt Zimmerer zur Bedeutung der Hamburger Handelskammer für die koloniale Ausrichtung der deutschen Politik unter Bismarck: „Otto von Bismarck war ein Gegner der kolonialen Ausdehnung. Aber 1884 änderte er seinen Kurs unter anderem auf Drängen der Handelskammer Hamburg. Deren Argument war, Handelsstützpunkte müssten militärisch gesichert werden. Außerdem sagten die Kolonialbefürworter, die Überseegebiete sollten deutsche Siedler aufnehmen. Deutschland hatte damals einen Geburtenüberschuss und fürchtete, seine Bevölkerung nicht ernähren zu können. An fremde Siedlungsgebiete verlieren wollte man diese Bevölkerung jedoch auch nicht.“
- Am 20. April beginnt zu dem Thema die „Ringvorlesung: „Hamburg: Deutschlands Tor zu kolonialen Welt. Über den Umgang mit einem schwierigen Erbe““, die bis zum 13 Juli dauern wird. Das Programm ist hier online!
Über die heutige Bereitschaft, sich mit dem Thema auseinander zu setzen, berichtet Zimmerer in dem genannten Spiegelinterview: „SPIEGEL: Sie leiten eine Forschungsstelle zur Aufarbeitung des kolonialen Erbes in Hamburg. Stoßen Sie dabei auf Widerstände? Zimmerer: Ja, die gibt es durchaus. In der Handelskammer Hamburg etwa sehe ich widersprüchliche Positionen, die von totaler Ablehnung und Blockade bis zu einem grundsätzlichen Verständnis für unser Anliegen reichen. Manche Firmen weigern sich zudem immer noch, Historiker in ihre Archive zu lassen. Die Bereitschaft, das Thema anzupacken, ist in der Wirtschaft eher gering.“
Dass die Kolonialpolitik sich bis in den Faschismus fortsetzte, deutet Zimmerer ebenfalls an: „Meines Erachtens endete die deutsche Kolonialgeschichte nicht 1919, sondern 1945. Die nationalsozialistische Politik wechselte nur den Ort des Kolonialismus, das Ziel hieß nun Osteuropa. Hitler bezeichnete Russland etwa als „unser Indien“.“
Auch auf den Aufstand gegen die deutschen Kolonialherren im heutigen Namibia, damals Deutsch-Südwest genannt, geht der Spiegel ein und schreibt, wie sich Hamburger Kaufleute und Woermann eine goldene Nase verdienten. Im Jahr 1904 hatten die Stämme der Herero und der Nama sich „gegen die Kolonialherren erhoben. Der Konflikt war um die unmenschlichen Methoden entstanden, mit denen deutsche Unternehmen die Schwarzen zur Zwangsarbeit in die Kupferminen geschickt hatten. Selbstverständlich hatte auch Adolph Woermann Aktien im afrikanischen Kupferbusiness. Doch das ganz große Geschäft wurde erst der Krieg gegen die Aufständischen: Die Truppentransporte und die Versorgung der Soldaten brachten so große Gewinne in die Hamburger Kassen, dass der Berliner Reichstag debattierte, ob bei der Abrechnung alles mit rechten Dingen zugegangen sei. Vier Jahre dauerte der blutige Einsatz gegen die Herero und Nama. Er kostete bis zu 100 000 Afrikanern das Leben: ein Völkermord.“
In der genannten Märzausgabe des Spiegels wird über die Hamburger Aktivitäten und Kolonial-Verbrechen berichtet: „Kurz vor Weihnachten des Jahres 1898 gründeten die einflussreichsten Kaufleute der Stadt – unter ihnen natürlich auch Adolph Woermann – die „Gesellschaft Süd-Kamerun“ (GSK), die sich zum Ziel setzte, die Kautschukvorkommen in den Tropen auszubeuten. Den Landstrich von der Größe Bayerns verschaffte den Kaufleuten alsbald als „Kronland“ die deutsche Kolonialverwaltung, die „Schutztruppe“ machte es gewaltsam frei: 2000 Gefangene und Tote zählten die siegreichen Kolonialsoldaten im Kampf gegen die Südkameruner Dorfbewohner. In Zwangsarbeiterlagern, die von den Hamburger Unternehmern betrieben wurden, verhungerten Hunderte, Überlebende berichteten von sadistischen Quälereien der Aufseher.“
- Im Frühjahr 2015 veröffentlichte Christian Bommarius das Buch: „Der gute Deutsche – Die Ermordung Manga Bells in Kamerun 1914“ und berichtete beispielhaft über die Verbrechen deutscher Kolonialpolitik.
2015, das war auch das Jahr, in dem die Hamburger Handelskammer ihr 350. Jubiläum feierte und z.B. im Januar fast als Staatsakt zelebrierte, natürlich mit Bürgermeister Olaf Scholz und anderen Gästen dieser Art. Kritische Worte der hohen Politik gab es nicht zu hören.
In einer Pressemitteilung der Senatskanzlei heißt es höchst staatlich: „Scholz gratulierte zum Jubiläum: „In den 350 Jahren ihres Bestehens hat die Handelskammer die Hamburger Geschichte mitgeprägt. Sie hat Industrialisierung und Handel gefördert und nicht zuletzt das vorangetrieben, was man „Internationalisierung und Globalisierung der Stadt“ nennen könnte. Für ihre unermüdliche, intensive, wenn nötig kontroverse, immer zielstrebige Mitarbeit im Laufe von 350 Jahren danke ich der Handelskammer Hamburg im Namen der ganzen Stadt.“
Die Präsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft, Carola Veit, stellte in ihrer Rede fest: „Ohne diese älteste Handelskammer Deutschlands wäre Hamburg nicht die Metropole, die sie heute ist. Die Handelskammer war ein wichtiger Faktor für den wirtschaftlichen Aufstieg unserer Heimatstadt in der Neuzeit. Dass ihr 350-jähriges Bestehen eine Erfolgsgeschichte ist, verdankt die Kammer der Fähigkeit, sich stets neuen Gegebenheiten zu stellen und diese aktiv mit zu gestalten.““
Es hätte dem Bürgermeister und der Bürgerschaftspräsidentin sicher gut angestanden, mit dem Kolonialismus und dem Faschismus wenigstens in zwei Fällen ein wenig Kritik zu formulieren und anzudeuten, dass da noch einiges zu bearbeiten ist, wenn man die Geschichte der Handelskammer betrachtet.
Auch in ihrer „Historie“ findet die Handelskammer Hamburg offenbar keinen Grund, etwas kritisches zur Kolonialzeit anzumerken. „1880–1914: Reorganisation, Freihafen und Industrie: die Kammer auf dem Weg ins 20. Jahrhundert“, heißt es dort und zwischendrin der eine Satz: „Hamburg wird Welthandelshafen, aber auch Schrittmacher der deutschen Kolonialpolitik.“ Zu diesen 350 Jahren hat die Handelskammer ein Buch veröffentlicht, dessen Inhaltsverzeichnis hier als PDF online ist. Der Titel des Aufsatzes, in den die Kolonialzeit fällt, trägt den Titel: „Reorganisation, Freihafen und Industrie: Die Kammer auf dem Weg ins 20. Jahrhundert“.
Noch einmal, was der Spiegel im März in diesem Zusammenhang schreibt: „War was? Gleichzeitig mit der Kamerunfallstudie des Berliners Bommarius erschien an der Elbe ein Prachtband der Hamburger Handelskammer zu deren 350. Jubiläum. Dort wird der einstige Vormann Adolph Woermann als „Pionier der deutschen Kolonialpolitik“ gefeiert, mag auch der Schnapshandel des Unternehmens „sehr umstritten“ gewesen sein. „Verblüfft“ stellte Bommarius bei seinen Recherchen fest, dass sich bei den Erben des Kolonialismus über hundert Jahre lang kaum jemand die Mühe gemacht hat, das historische Verbrechen zu vertuschen. „Die Deutschen sind noch immer so sehr mit der Bewältigung der Naziverbrechen beschäftigt, dass ihnen der Blick auf das davorliegende Unrecht verstellt geblieben ist.““
- Die genannten Spiegelartikel inklusive des kostenpflichtigen Textes lohnen unbedingt, in Gänze gelesen zu werden, weil sie viele weitere Informationen enthalten, die hier nicht wiedergegeben werden können. Den BesitzerInnen eines Leseausweises der Hamburger öffentlichen Lesehallen ist zu empfehlen, sich der Genios-Datenbank zu bedienen, über die der Text recherchier- und lesbar ist. Dieser Service steht Mitgliedern der Bücherhallen ohne weitere Zusatzkosten zur Verfügung!
In dem genannten Artikel wird auch berichtet, dass die Hamburger Historiker durchaus auf Widerstand stoßen (siehe oben), wenn es um Zugang zu Unternehmens-Archiven geht. Vielleicht ist es ja der Opposition in der Handelskammer Hamburg, der Initiative „Die Kammer sind WIR“, möglich, mit geeigneten Mitteln dafür zu sorgen, dass Archive geöffnet und die Handelskammer Hamburg endlich die Verbrechen, die auch mit ihrer Beteiligung im Kolonialismus ebenso wie in der Zeit des Nationalsozialismus begangen wurden, endlich ehrlich und ohne Verharmlosung aufzuarbeiten bzw. aufarbeiten zu lassen?
Ein Gedanke zu “Woermann und die Handelskammer Hamburg: Treibende Kraft des deutschen Kolonialismus für die „Arbeitskraft vieler Millionen Neger“ – Eine Aufarbeitung fehlt bis heute”