AKWs als Netzverstopfer und Bundesverfassungsgerichtsurteil: Atomausstieg wird nicht beschleunigt – Abschalttermine 2021/22 bleiben.

Der Ausbau Erneuerbarer Energien wird im Norden der Republik durch die Atomkraftwerke Brokdorf und Lingen ausgebremst. Beide Reaktoren liegen in „Netzausbaugebieten“, in denen Erneuerbare Energien wegen vermeintlicher Netzengpässe gedrosselt werden. Gleichzeitig sind die beiden Reaktoren darauf angewiesen, Strommengen von anderen Anlagen übertragen zu bekommen, um bis zur gesetzlichen Stilllegung 2021/22 in Betrieb bleiben zu können. Die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage des MdB Hubertus Zdebel (DIE LINKE) macht klar, dass eine Untersagung solcher Strommengenübertragungen auf AKWs in Netzausgebieten und damit ein beschleunigter Atomausstieg zugunsten vor allem der Windenergie nicht erfolgen wird.

  • Die Kleine Anfrage (samt erklärendem Vorspann) sowie die Antworten der Bundesregierung hier als PDF.

Hubertus Zdebel: „Den Atomausstieg zu beschleunigen ist nicht nur wegen der Gefahren der AKWs sinnvoll. Nach dem bisherigen Plan sollen je drei AKWs erst Ende 2021 und Ende 2022 abgeschaltet werden. Gegen Super-Gau-Risiken und für den Ausbau der Erneuerbaren Energie ist ein beschleunigter Atomausstieg von großem Vorteil. Doch wie üblich, macht die Bundesregierung von ihren Möglichkeiten keinen Gebrauch. Zum Schaden und Risiko der Bürgerinnen und Bürger.“

Strommengen-Übertragungen bleiben – keine vorzeitige Stilllegung von AKWs

Die Bundesregierung verweist darauf, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum Atomausstieg am 6. Dezember 2016 geurteilt habe, dass die „konzerninterne Erzeugung der Elektrizitätsmengen (…) einschließlich der bestehenden Übertragungsmöglichkeiten verfassungsrechtlich zu berücksichtigten“ ist: „Dies schließt die Möglichkeit der Übertragung nach §7 Absatz 1b des Atomgesetzes ein.“ Eine Änderung dieser Regelungen will die Bundesregierung offenbar bei der bis Ende Juni 2018 anstehenden Änderung des Atomgesetzes nicht vornehmen. Damit können die AKWs weiterhin Strommengen übertragen und in Netzausbaugebieten die Erneuerbaren Energien ausbremsen.

Zuletzt wurden nach Angaben der Bundesregierung „Anfang Januar des Jahres 2018 (wurden) Elektrizitätsmengen im Umfang von 30 Terrawattstunden (TWh) aus dem Kontingent des Atomkraftwerks Mülheim-Kärlich und im Umfang von 1 TWh aus dem Kontingent des Atomkraftwerks Unterweser auf das Atomkraftwerk Gundremmingen C übertragen. Informationen zu etwaigen zukünftig von den Kernkraftwerksbetreibern geplanten Übertragungen von Elektrizitätsmengen liegen der Bundesregierung nicht vor“.

Abschalttermine bleiben trotz Bundesverfassungsgerichts-Urteil

Die Bundesregierung teilt außerdem in ihrer Antwort mit, dass es mit Blick auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und die dazu erforderliche Atomgesetzänderung nicht zu einer Laufzeitverlängerung für die Atommeiler über die jetzt festgelegten Abschalttermine hinaus geben wird. Befürchtungen, der beschlossene Atomausstieg könnte im Zuge der Anpassung des Atomgesetzes infolge der BVG-Urteiles noch einmal verschoben werden, sind damit vom Tisch. Die Bundesregierung teilt dazu mit: „Die Bundesregierung prüft gegenwärtig die Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts. Eine Verlängerung der Laufzeiten einzelner Atomkraftwerke über die derzeit im Atomgesetz geregelten Enddaten zur gestaffelten Beendigung der Nutzung der Kernenergie bis über das Jahr 2022 hinaus ist nicht Gegenstand der Prüfung.“

Außerdem teilt die Bundesregierung mit, dass es bislang keine direkten Gespräche mit Vertretern der Atomkonzener über einvernehmliche Lösungen in dieser Sache gegeben habe und die Unternehmen selbst noch keine Angaben zu „frustrierten Investitionen“ gemacht haben.

Hintergrund:

Im Dezember 2016 hatte der Bundesrat mit entsprechenden Beschlüssen (siehe dazu im Vorspann der Kleinen Anfrage) auf diese Problematik bereits aufmerksam gemacht. Die Anti-Atom-Organisation .ausgestrahlt, der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), der Bundesverband Windenergie (BWE) und das Umweltinstitut München griffen dieses Thema jüngst in einem offenen Brief (PDF) an die Partei- und Fraktionsvorsitzenden von CDU/CSU und SPD im Rahmen der Koalitionsverhandlungen auf.

Dort heißt es: „Vor allem die norddeutschen Atomkraftwerke stehen der Nutzung schon heute  verfügbaren Stroms aus Erneuerbaren Energien im Weg. Für jeden weiteren kurzfristigen Ausbau der Erneuerbaren Energien in Norddeutschland sind die Atomkraftwerke ein Hindernis. Sie blockieren die Weiterleitung erneuerbar erzeugter Energie ins besondere aus Windenergieanlagen. Während Windenergieanlagen wegen angeblicher Netzengpässe immer wieder abgeregelt werden, laufen die AKW nahezu ungedrosselt weiter. Ihr Atomstrom verstopft die Leitungen, die der Windstrom nutzen könnte. Selbst am Weihnachtswochenende 2017, als in Deutschland über längere Zeit ein Überangebot an Strom vorhanden war und zu negativen Strompreisen führte, leisteten die Atomkraftwerke mindestens noch 5,5 Gigawatt. Dies widerspricht nicht nur den bestehenden Regelungen zum Einspeisevorrang, sondern läuft auch zunehmend den Zielen der Energiewende entgegen. Gleichzeitig werden so unnötige Kosten in dreistelliger Millionenhöhe verursacht, welche über die Netzentgelte private Haushalte, Gewerbe, Handel und Industrie belasten.“

Das AKW Brokdorf muss laut Atomgesetz Ende 2021 endgültig abgeschaltet werden, das AKW Emsland (Lingen) Ende 2022. Doch um diese Termine zu erreichen, sind beide AKWs darauf angewiesen, Strommengen von anderen bereits abgeschalteten AKWs übertragen zu kommen. Diese Möglichkeit ist im Atomgesetz vorgesehen. Beide AKWs befinden sich in sogenannten Netzausgebieten: Angesichts knapper Netzkapazitäten ist der Ausbau Erneuerbarer Energie gedrosselt. Die beiden AKWs werden in diesem Gebieten zwar in sogenannter Lastfolge betrieben, also rauf- und runtergeregelt. Aber: Weil sie nur begrenzt regelbar sind und nicht abgeschaltet werden, liefern sie zu Lasten der Erneuerbaren Energien weiter in großen Mengen Atomstrom in die Netze.

Dse4Zdebel

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