Umweltverbände: Atomare Laufzeitverlängerung ist gefährlich und unnötig
Erneut haben Umweltverbände heute bei einer Pressekonferenz in München vor den Risiken einer nuklearen Laufzeitverlängerung gewarnt. Sie wäre gefährlich und unnötig, so die Vertreter:innen vom Bayerischen BUND, von Greenpeace und dem Umwelt-Institut München. Die Physikerin Oda Becker und der Rechtsanwalt Ulrich Wollenteit erneuerten ihre Kritik, die sie vor wenigen Tagen in zwei umfangreichen Stellungnahmen vorgelegt hatten. Es brauche umfangreiche Sicherheitsuntersuchungen und Nachrüstungen, um den Stand von Wissenschaft und Technik einzuhalten. Schwer kritisiert wurde auch der TÜV-Süd, der für die bayerische Staatsregierung Gutachten auf Zuruf verfasst habe. Eine Laufzeitverlängerung für die Atommeiler ist kein Beitrag zur Lösung der Probleme und abzulehnen, so das Fazit. Auch die Naturfreunde haben sich heute in Berlin zu dem Thema geäußert. Deren Vorsitzender Michael Müller kritisiert: „Die eigenen Ansprüche der Grünen zerfließen wie Weichkäse in der Sonne.“ (Mehr siehe unten)
- TÜV-Süd und die bayerische Staatsregierung: Statt Unabhängigkeit und Sicherheit – “Nicht der Genehmigungsbehörde widersprechen”
- Kungelei? TÜV, Atomkraft und Gefälligkeiten bei nuklearer Sicherheit
- BUND legt Faktenblatt und Studie zu Risiken einer atomaren Laufzeitverlängerung vor
1.) Dokumentation der PM der Umweltverbände:
Umweltverbände: Laufzeitverlängerung ist gefährlich und unnötig
BUND Naturschutz in Bayern, Greenpeace und Umweltinstitut München warnen vor unkalkulierbaren Risiken. Weiterbetrieb ist aus rechtlicher Sicht nicht zulässig.
Wichtige Umweltverbände in Bayern bekräftigen gemeinsam ihre ablehnende Haltung gegenüber einer Laufzeitverlängerung der verbliebenen Atomkraftwerke in Deutschland, insbesondere des niederbayerischen Meilers Isar 2. Der Weiterbetrieb ist mit einem hohen Risiko verbunden und trägt nicht wesentlich dazu bei, der Energiekrise entgegenzuwirken. Isar 2 und die beiden anderen AKW sind seit 13 Jahren nicht mehr umfänglich sicherheitstechnisch überprüft worden. Die drei Umweltverbände appellieren deshalb an die Politik, insbesondere an die Grünen, den geplanten Atomausstieg am Ende des Jahres nicht in Frage zu stellen.
Der BN-Vorsitzende Richard Mergner kritisiert: „Ministerpräsident Markus Söder und die CSU spielen aus populistischen Gründen mit der Sicherheit der Bevölkerung. Die Energiewende in Bayern wurde jahrelang massiv behindert, die Abhängigkeit von russischem Gas verstärkt. Kurz gesagt: Die Staatsregierung hat auf ganzer Linie versagt und wirft jetzt mit Nebelkerzen um sich. Nicht ein Weiterbetrieb der Atomkraftwerke hilft uns, sondern Energiesparen und Energieeffizienz. Wir erwarten von SPD und Grüne, dass sie einen Wiedereinstieg in die Atomwirtschaft verhindern.“
Karin Wurzbacher, Atomexpertin des Umweltinstituts München, erklärt: „Eine Periodische Sicherheitsprüfung bei laufendem Betrieb ist verantwortungslos und macht deutlich, wie nachlässig in Bayern TÜV Süd und Genehmigungsbehörde mit der nuklearen Sicherheit umgehen, zumal es sich um überalterte Reaktoren mit möglichen Korrosionsschäden handelt. Die Sicherheit der Bevölkerung muss jetzt absoluten Vorrang haben. Ein schwerer nuklearer Unfall in Bayern hätte drastische Auswirkungen. Tschernobyl ist 1000 km weg und auch nach 36 Jahren müssen wegen der hohen Strahlung Wildschweine in Süddeutschland weggeworfen werden und Waldpilze sind teilweise nicht zum Verzehr geeignet.“
Oda Becker, die für den BUND ein Gutachten zum Weiterbetrieb der AKW erstellt hat, kommt aus rechtlicher Sicht zu dem Schluss: „Aus fachlicher Sicht ist es unvorstellbar, dass die Atomaufsicht auf dieser Basis Laufzeitverlängerungen ohne umfassende Sicherheitsüberprüfungen genehmigt. Ein sicherer Betrieb der Reaktoren nach dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik ist nämlich nicht gewährleistet!“
Dr. Ulrich Wollenteit, Fachanwalt für Atomrecht: „TÜV Süd liefert im politischen Meinungskampf die Munition für eine Laufzeitverlängerung. Allein der Eindruck, dies könne auf Zuruf der bayerischen Landesregierung geschehen sein, macht das Vertrauen in eine neutrale und ergebnisoffene Begutachtung zunichte. Der TÜV ist deshalb als befangen im Sinne des Verwaltungsverfahrensrechts anzusehen und von zukünftigen Aufträgen auszuschließen.“
Heinz Smital, Atomphysiker und Atomkraft-Experte von Greenpeace: “Wer glaubt, der Weiterbetrieb von Atomkraftwerken trage zur Unabhängigkeit von Russland bei, irrt gewaltig! Fast die Hälfte des in der EU eingesetzten Kernbrennstoffs stammt aus Russland und dem eng mit Russland verbündeten Kasachstan. An Gas kann Atomstrom ohnehin nur weniger als ein Prozent ersetzen. Den gleichen Effekt hätte es, die Heizungen in Haushalten um ein halbes Grad zu senken.”
2.) Die PM der Naturfreunde ist hier als Dokumentation:
Atomenergie und Grüne: Die eigenen Ansprüche der Grünen zerfließen wie Weichkäse in der Sonne
Zu der verqueren Debatte über die Energiepolitik und die Atomenergie in Deutschland erklärt Michael Müller, Bundesvorsitzender der NaturFreunde Deutschlands:
Wer – wie wir, die NaturFreunde – von Anfang an dabei war bei der Forderung nach einem Ausstieg aus der Atomenergie und seit Anfang der 1980er-Jahre auch die Idee der Energiewende intensiv begleitet hat, wundert sich nicht, wie die „grüne Technokratie“, die heute vorherrschend ist, so dramatisch scheitert. Die Wahrheit ist: Die Spitze der Grünen redet viel von Transformation und Energiewende, aber sie ist weit hinter dem zurück, was das bedeutet und wie die beiden Konzepte zu füllen sind. Das fällt heute nicht nur ihnen, sondern angesichts der fatalen Folgen allen Bürgerinnen und Bürgern dramatisch auf die Füße.
Jetzt, wo es um die Gestaltung der Transformation geht, zeigt sich, dass die Grünen kein Konzept haben. Sie greifen auf das zurück, was sie noch vor einem Jahr als Teufelszeug abgetan haben. Mir tun die Grünen und ihre Wählerinnen und Wähler leid, die sich aus ökologischer Überzeugung engagieren. Sie werden mit machtpolitischen Begründungen ruhiggestellt. Das mag der grünen Spitze helfen, nicht aber der Sache. Dem allen setzt die Eierei bei der Atomenergie die Krone auf.
Das Bundesumweltministerium wurde weitgehend entmachtet, der Klimaschutz ist dort auf den sicher wichtigen, aber für den Umbau nur begrenzt hilfreichen Naturschutz reduziert. Das Auswärtige Amt hat mit seiner Ideologie, den Interessen der USA gerecht zu werden, genug zu tun. Und der Klimaminister Habeck macht den Kotau vor dem Emir von Katar, akzeptiert Fracking-Gas und wird auch in der Frage der Atomenergie weich wie ein zerlaufender Käse. Das programmatische Defizit des grünen Koalitionspartners ist unübersehbar. Die Grünen reden zwar viel über Transformation, aber sie haben kein Konzept dafür.
Die Grundfrage der Transformation ist die Gestaltung der Marktprozesse, doch da wollen die Grünen nicht ran. Grüner Kapitalismus heißt ihre Linie, nicht sozial-ökologischer Umbau. Alles ist Transformation, aber die findet mit der Globalisierung der Märkte und der Digitalisierung der Welt längst statt. Nein, es geht um die Gestaltung der Prozesse durch die Politik. Verbote und Bevormundung sind etwas anderes.
Die Energiewende wird reduziert auf die erneuerbaren Energien. Das ist wichtig, aber reicht längst nicht aus. Die Frage, ob die Atomenergie einen Beitrag zum Klimaschutz leisten kann, ist auch vom Bundestag intensiv untersucht worden. Das Ergebnis war eindeutig: Nur wenn es zu einem Ausstieg kommt, werden Energiedienstleistungen, die Kernidee der beiden Konzepte zur Energiewende, möglich. Sie brauchen nämlich den Systemwechsel hin zu dezentralen und effizienten Systemen, die mit der Verbundwirtschaft der Nuklearindustrie nicht machbar sind.
Weil die Energiepolitik in den letzten Jahrzehnten nicht den zweiten Schwerpunkt auf die Mobilisierung der gewaltigen Einsparpotenziale gelegt hat, ist sie in dem heutigen Dilemma. Der für diese Fragen zuständige Staatssekretär Patrick Graichen hatte dafür in seinen Agora-Energiewende-Veröffentlichungen immer nur eine Fußnote übrig: Man müsse auch die Fragen der Effizienzrevolution beachten. Ja, warum wurde das nicht getan, zumal die Klima-Enquete des Deutschen Bundestages bereits 1990 aufgezeigt hat, was da alles möglich ist?
Jetzt haben wir den Salat, weil die drei Grundfragen der Energiewende – Erneuerbare Energien, Effizienzrevolution und Einsparen – nicht als Einheit gesehen werden. Die Einweihung eines Windparks liefert schöne Bilder. Doch die Energiewende kann erst im Verbund erfolgreich sein. Jetzt fällt unser Land zurück, weil die, die für den Klimaschutz verantwortlich sind, offenkundig überfordert sind. Die Bürgerinnen und Bürger müssen für die Unfähigkeit der Klimaverantwortlichen die Kosten tragen.
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