Schriftliche Urteilsbegründung im Eilverfahren: Hochaktiver Atommüll von LaHague zum Zwischenlager Philippsburg – Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg 10. Senat

Schriftliche Urteilsbegründung im Eilverfahren: Hochaktiver Atommüll von LaHague zum Zwischenlager Philippsburg – Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg 10. Senat

Jüngst erfolgten mit jahrelanger Verspätung und in vielfacher Abwandlung, aber staatlich gesprochen, – alles total im Plan, Atomtransporte mit hochradioaktivem Atommüll aus Frankreich vom Cap de laHague zum Zwischenlager in Philippsburg. Vier Castor-Behälter mit jeweils dem Inhalt der Radioaktivität vom freigesetzten Typ Tschernobyl. Im Eilverfahren scheiterte die Klage der Stadt gegen das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung, BASE. Betreiber ins die Bundesgesellschaft für Zwischenlager. Zuständig für den Rücktransport waren aber die AKW-Betreiber, in diesem Fall die EnBW, überwiegend im staatlichen Eigentum. Offen ist wohl noch, ob das Verfahren in der Hauptsache weiter laufen wird. Eine schriftliche Begründung des Urteils im Eilverfahren liegt nun vor. umweltFAIRaendern.de dokumentiert.

DOKUMENTATION

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg 10. Senat
Entscheidungsdatum: 07.11.2024
Aktenzeichen: 10 S 1555/24
ECLI: ECLI:DE:VGHBW:2024:1107.10S1555.24.00
Dokumenttyp: Beschluss
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Normen: § 6 Abs 2 Nr 2 AtG, § 6 Abs 2 Nr 4 AtG, § 6 Abs 3 AtG, § 6 Abs 4 AtG, § 6 Abs 5 AtG … mehr

Dokumentreiter

Eilantrag gegen die sofortige Vollziehung atomrechtlicher Änderungsgenehmigungen; Abtransportierbarkeit in Deutschland gelagerten Transport- und Lagerbehälter der Bauart CASTOR HAW28M bzw. des radioaktiven Inventars

Leitsatz

1. Im Hinblick auf die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch die Aufbewahrung von Kernbrennstoffen dürfte nicht zu beanstanden sein, dass für die in Deutschland gelagerten Transport- und Lagerbehälter der Bauart CASTOR HAW28M nur ein Reparaturdeckel vorgehalten wird.(Rn.57)
2. Die Abtransportierbarkeit der Behälter bzw. des radioaktiven Inventars stellt keine Voraussetzung für die Erteilung einer Aufbewahrungsgenehmigung nach § 6 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 AtG dar. Allerdings dürfte es der Genehmigungserteilung entgegenstehen, wenn von vornherein feststehen würde, dass ein späterer Abtransport ausgeschlossen ist. Die Abtransportierbarkeit der Kernbrennstoffe einschließlich der hierfür notwendigen Arbeitsschritte muss jedoch nicht bereits bei Erteilung der Aufbewahrungsgenehmigung für jeden Fall konkret gesichert sein.(Rn.72) (Rn.75)
3. Es dürfte eine verfassungskonforme Auslegung des § 44 Abs. 3 AtG dahin geboten sein, dass die von der Rechtsprechung entwickelten Maßstäbe zum Funktionsvorbehalt der Exekutive im Grundsatz weiterhin Anwendung finden.(Rn.102)
4. Unmittelbare Einwirkungen auf eine kerntechnische Anlage im Rahmen eines bewaffneten Konflikts zwischen Staaten oder vergleichbaren Akteuren unter Einsatz von Kombattanten dürften schon nicht Gegenstand des integrierten Sicherungs- und Schutzkonzept des § 41 AtG sein bzw. den Störmaßnahmen oder sonstigen Einwirkungen Dritter i. S. d. 43 Abs. 1 AtG unterfallen, gegen die der Genehmigungsinhaber gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 4 AtG den erforderlichen Schutz durch präventive und reaktive Maßnahmen sicherzustellen hat. Davon zu unterscheiden sind Szenarien terroristischer Anschläge, die mit kriegsbedingten Einwirkungen auch dann nicht gleichzustellen sind, wenn sie im Rahmen einer sog. hybriden Kriegsführung auf Veranlassung eines Staats erfolgen, und die im Tatbestand des § 6 Abs. 2 Nr. 4 AtG enthalten sind.(Rn.108)

Tenor

Die Anträge der Antragsteller, die aufschiebende Wirkung ihrer Klagen gegen die der Beigeladenen erteilten Änderungsgenehmigungen anzuordnen, werden abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu je einem Viertel.
Der Streitwert wird auf 52.500,– EUR festgesetzt.

Gründe

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A. Die Antragsteller wenden sich gegen die sofortige Vollziehung atomrechtlicher Änderungsgenehmigungen.
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Die Antragsgegnerin erteilte am 19.12.2003 eine Genehmigung zur Aufbewahrung radioaktiver Kernbrennstoffe im Standort-Zwischenlager (SZL) Philippsburg auf dem Gelände der mittlerweile stillgelegten und vollständig kernbrennstofffreien Kernkraftwerke Philippsburg, das seit 2019 von der Beigeladenen betrieben wird. Genehmigt wurde die Aufbewahrung von Kernbrennstoffen in Form bestrahlter Brennelemente aus den Kernkraftwerken Philippsburg nach dem Prinzip der trockenen Zwischenlagerung in maximal 152 Transport- und Lagerbehältern der Bauarten CASTOR V/19 und CASTOR V/52. Die Genehmigung enthält Höchstwerte für die gesamte Schwermetallmasse (1.600 Mg), die Gesamtaktivität (1,5 x 1020 bq) und die Gesamtwärmeleistung (6,0 MW) aller aufbewahrten Kernbrennstoffe. Sie ist auf 40 Jahre ab dem Zeitpunkt der Einlagerung des ersten Behälters in das Zwischenlager befristet, zudem dürfen die radioaktiven Inventare in den einzelnen Behältern nur für einen Zeitraum von maximal 40 Jahren ab dem Zeitpunkt der Beladung aufbewahrt werden.
Randnummer3
Die Aufbewahrungsgenehmigung wurde in der Folge mehrfach geändert, u. a. wurde die Lagerung von Behältern anderer Bauarten und Änderungen des Behälterinventars gestattet. Zuletzt wurden mit der 8. Änderungsgenehmigung vom 27.10.2020 bestimmte (u. a. bauliche) Maßnahmen zur Erweiterung des Schutzes des Zwischenlagers gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter (SEWD) genehmigt.
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Am 08.12.2021 erteilte das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) der Beigeladenen die 9. Änderungsgenehmigung zur Aufbewahrung von verfestigten mittelradioaktiven Kernbrennstoffen in Form von CSD-B-Glaskokillen (sog. MAW-Glaskokillen) aus der Wiederaufbereitung bestrahlter Brennelemente aus deutschen Kraftwerken in La Hague in bis zu fünf Transport- und Lagerbehältern der (bisher nicht in Philippsburg verwendeten) Bauart CASTOR HAW28M, die jeweils 28 Glaskokillen fassen können. Die Genehmigung enthält Höchstwerte u. a. für die maximale thermische Leistung einer einzelnen CSD-B-Glaskokille (0,09 kW) und eines mit CSD-B-Glaskokillen beladenen Behälters (2,52 kW) sowie für die Gesamtaktivität eines Behälters (2,1 x 1016 Bq). Für das Zwei-Barrieren-Dichtsystem der Behälter besteht die Anforderung, dass die Standard-Helium-Leckagerate von ≤ 1 x 10-8 Pa m3/s pro Barriere eingehalten werden muss.
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Die Antragstellerin Ziff. 1 ist Belegenheitsgemeinde und Eigentümerin verschiedener Grundstücke in unmittelbarer Nähe des Zwischenlagers sowie Betreiberin u. a. eines knapp 1,5 km von dem Zwischenlager entfernten Kindergartens. Die Antragsteller Ziff. 2 bis 4 sind Eigentümer von im Umkreis von bis zu 2 km vom Zwischenlager entfernten Grundstücken.
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Am 23.03.2022 erhoben die Antragsteller Ziff. 1 bis 3 Widerspruch gegen die 9. Änderungsgenehmigung.
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Am 25.07.2023 erteilte die BASE der Beigeladenen die 10. Änderungsgenehmigung zur Aufbewahrung von verfestigten hochradioaktiven Kernbrennstoffen in Form von CSD-V-Glaskokillen (sog. HAW-Glaskokillen) aus der Wiederaufbereitung bestrahlter Brennelemente aus deutschen Kraftwerken in La Hague in insgesamt vier Transport- und Lagerbehältern der Bauart CASTOR HAW28M. Die Genehmigung enthält Höchstwerte u. a. für die maximale thermische Leistung einer einzelnen CSD-V-Glaskokille (2,0 kW) und eines mit CSD-V-Glaskokillen beladenen Behälters (39 kW) sowie für die Gesamtaktivität eines Behälters (1,27 x 1018 Bq). Für das Zwei-Barrieren-Dichtsystem der Behälter besteht die Anforderung, dass die Standard-Helium-Leckagerate von ≤ 1 x 10-8 Pa m3/s pro Barriere eingehalten werden muss.
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In der Begründung heißt es, die gleichzeitige Aufbewahrung von Behältern der Bauart CASTOR HAW28M beladen mit den von der 9. Änderungsgenehmigung erfassten (mittelradioaktiven) CSD-B-Kokillen und den von der 10. Änderungsgenehmigung erfassten (hochradioaktiven) CSD-V-Kokillen sei nicht vorgesehen. Die CSD-V-Glaskokillen enthielten die aus dem Aufarbeitungsprozess nicht abgetrennten Reststoffe (Spaltprodukte, Restanteil Aktiniden), die als in einer Glasmatrix fixiertes Produkt in Edelstahl-Kokillenbehälter abgefüllt und mit einem Deckel verschweißt würden. Die in der Ausgangsgenehmigung genehmigte Anzahl von 152 Stellplätzen in der Lagerhalle, die gesamte Schwermetallmasse, die Gesamtaktivität und die Gesamtwärmeleistung würden durch die Änderungsgenehmigung nicht berührt. Auch die mit CSD-V-Glaskokillen beladenen Transport- und Lagerbehälter der Bauart CASTOR HAW28M dürften nur für einen Zeitraum von maximal 40 Jahren ab dem Zeitpunkt der Beladung aufbewahrt werden. Davon unberührt sei die Befristung der Aufbewahrungsgenehmigung vom 19.12.2003 auf 40 Jahre ab dem Zeitpunkt der ersten Einlagerung eines Behälters im SZL Philippsburg am 19.03.2007.
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Die Antragsteller erhoben am 25.08.2023 Widerspruch gegen die 10. Änderungsgenehmigung. Am 24.05.2024 haben die Antragsteller ihre Widersprüche begründet.
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Mit Widerspruchsbescheiden vom 30.07.2024 wies das BASE die Widersprüche der Antragsteller gegen die 9. und 10. Änderungsgenehmigung zurück.
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Am 27.08.2024 haben die Antragsteller Klage beim Verwaltungsgerichtshof (- 10 S 1314/24 -) erhoben.
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Am 13.09.2024 erteilte die Antragsgegnerin die Beförderungsgenehmigung für den Transport hochradioaktiver Kernbrennstoffe in maximal 97 CSD-V-Glaskokillen in vier Transport- und Lagerbehälter der Bauart CASTOR HAW28M aus Frankreich nach Philippsburg und ordnete die sofortige Vollziehung der bis zum 31.12.2024 gültigen Genehmigung an.
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Am 04.10.2024 haben die Antragsteller um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Sie machen geltend, vor dem Hintergrund des Stands der aktuellen Endlagersuche stehe fest, dass eine Zwischenlagerung über die Laufzeit der Aufbewahrungsgenehmigung des SZL Philippsburg bis 2047 hinaus erforderlich sei. Dies sei nicht hinreichend berücksichtigt worden. Aufgrund der erheblich erhöhten Strahlenwerte durch die Verwendung von hochradioaktivem Material wäre eine Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich gewesen. Das Reparaturkonzept für die Behälter der Bauart CASTOR HAW28M trage dem Vorsorgeprinzip nicht hinreichend Rechnung, auch weil die Behälter nach einer Reparatur der Primärdeckelbarriere nicht mehr transportierbar seien. Die Auswirkungen eines zufälligen Flugzeugabsturzes auf das Zwischenlager seien nicht ausreichend untersucht worden. Der zufällige Absturz einer schnell fliegenden bewaffneten Militärmaschine sei vor dem Hintergrund der aktuellen Gefährdungslage zu Unrecht dem Restrisiko zugeordnet worden. Es sei nicht nachgewiesen, dass das Zwischenlager mit Blick auf die aktuellen weltpolitischen Umbrüche noch ausreichend gegen Einwirkungen Dritter geschützt sei. Insbesondere bestehe die Gefahr, dass Täter beispielsweise mit modernen panzerbrechenden Waffen, mit Sprengstoff beladenen Drohnen oder Lenkflugkörpern radioaktives Inventar freisetzen könnten. Es sei nicht erkennbar, wie sichergestellt werde, dass das Eindringen von Tätern in das Zwischenlager und damit ein unmittelbares Einwirken auf die Lagerbehälter verhindert werde. Im Rahmen einer hybriden Kriegsführung bestehe auch die Gefahr staatlicher Sabotage- oder Terrorakte. Aufgrund der nicht vorhandenen Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr seien zudem kriegsbedingte Einwirkungen mit Bomben und bunkerbrechenden Lenkflugkörpern wie dem Marschflugkörper Taurus einzukalkulieren. Dass die Genehmigungsbehörde das Szenario eines gezielten terroristischen Flugzeugabsturzes auf das Zwischenlager ausreichend betrachtet habe, sei ebenfalls nicht nachgewiesen. Insbesondere seien die Auswirkungen eines solchen Ereignisses zu Unrecht nicht auch für das Grundstück Flst. Nr. XXXX/X (sog. XXXXX) der Antragstellerin Ziff. 4 berechnet worden, auf dem eine Pilzzucht genehmigt sei und sie Mitarbeiterwohnen plane. Dass dort eine unzulässige Strahlenexposition nicht zu befürchten sei, lasse sich auch nicht aus den Berechnungen für andere Aufpunkte ableiten. Die Antragsgegnerin habe zudem nicht berücksichtigt, dass Pilze Strahlenbelastungen der Umgebung besonders stark aufnehmen würden.
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Die Antragsteller beantragen – sachdienlich gefasst -,
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die aufschiebende Wirkung ihrer Klagen gegen die 10. Änderungsgenehmigung zur Aufbewahrung von Kernbrennstoffen in Form von verfestigten hochradioaktiven Abfällen in insgesamt vier Transport- und Lagerbehältern der Bauart CASTOR HAW28M im Standort-Zwischenlager Philippsburg vom 25.07.2023 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.07.2024 anzuordnen.
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Die Antragsteller Ziff. 1 bis 3 beantragen zudem – wiederum sachdienlich gefasst -,
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die aufschiebende Wirkung ihrer Klagen gegen die 9. Änderungsgenehmigung zur Aufbewahrung von Kernbrennstoffen in Form von verfestigten mittelradioaktiven Abfällen in bis zu fünf Transport- und Lagerbehältern der Bauart CASTOR HAW28M im Standort-Zwischenlager Philippsburg vom 08.12.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.07.2024 anzuordnen.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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die Anträge abzulehnen.
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Sie führt aus, eine mögliche Verlängerung der Zwischenlagerung über den bisherigen Zeitraum hinaus sei nicht Gegenstand der Änderungsgenehmigungen. Eine Umweltverträglichkeitsprüfung sei nicht erforderlich gewesen. Mit dem genehmigten Behälterinventar sei keine zusätzliche Strahlenbelastung verbunden, insbesondere würden im Zwischenlager seit der Inbetriebnahme im Jahr 2007 hochradioaktive Abfälle aufbewahrt. Das Reparaturkonzept sei im Hinblick auf die Rechtsgüter der Antragsteller unbedenklich. Die Abtransportierbarkeit der Behälter sei keine Genehmigungsvoraussetzung der Aufbewahrung, zudem sei ein am Primärdeckel reparierter Behälter der Bauart CASTOR HAW28M weiterhin transportierbar, es fehle lediglich eine verkehrsrechtliche Zulassung. Die Auswirkungen eines Absturzes einer schnell fliegenden Militärmaschine seien gutachterlich geprüft worden, bei einem solchen Ereignis seien keine einschneidenden Maßnahmen des Katastrophenschutzes erforderlich. Der Absturz eines bewaffneten Kampfflugzeugs sei deutlich unwahrscheinlicher und deshalb als Restrisikoereignis eingestuft worden. Der erforderliche Schutz gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter sei weiterhin gewährleistet. Durch die mit der 8. Änderungsgenehmigung gestattete sicherungstechnische Nachrüstung des Zwischenlagers sei sichergestellt, dass das Eindringen einer umfangreich mit Hilfsmitteln ausgestatteten Tätergruppe in das Lagergebäude und somit die Möglichkeit eines Einwirkens auf die Transport- und Lagerbehälter von innerhalb des Lagergebäudes bis zum Eintreffen der Polizei verhindert werde. Bis zum Abschluss der hierfür erforderlichen baulich-technischen Maßnahmen werde dies durch „ausreichende temporäre Maßnahmen“ im Form personeller und organisatorischer Maßnahmen erreicht. Die Gefährdungslage in Deutschland unterliege einer kontinuierlichen Betrachtung und Bewertung der zuständigen Sicherheitsbehörden, die bei Störmaßnahmen oder sonstigen Einwirkungen Dritter zu unterstellenden möglichen Tatmuster, Tatmittel und Tätergruppen würden regelmäßig evaluiert. Hierzu zähle auch ein Anschlag mittels Drohnen, die nicht in das als geschlossene Halle ausgeführte Lagergebäude gelangen könnten. Die von den Antragstellern befürchteten kriegerischen Einwirkungen seien bei der Auslegung eines Zwischenlagers hingegen nicht zu berücksichtigen. Das Szenario eines gezielt herbeigeführten Flugzeugabsturzes sei im Rahmen der Genehmigungsverfahren gutachterlich geprüft worden. Dass ein solches Ereignis zu einer unzulässigen Strahlenexposition von mehr als 100 mSv effektiver Folgedosis bis zum 70. Lebensjahr als Summe von Inhalation und sieben Tagen äußerer Bestrahlung führen könnte, sei auch am … auszuschließen.
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Die Beigeladene beantragt,
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 die Anträge abzulehnen.
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Sie trägt vor, sie erfülle im Auftrag der Antragsgegnerin, ihrer Alleingesellschafterin, die Pflicht zur Zwischenlagerung nach § 2 Abs. 1 Entsorgungsübergangsgesetz. Sie sei gegenüber den Betreibern der Kernkraftwerke in Deutschland vertraglich verpflichtet, bestimmte ihr angediente radioaktive Abfälle aus der Wiederaufbereitung anzunehmen. Für die verfahrensgegenständlichen Abfälle sei das Zwischenlager Philippsburg vorgesehen. Bei Verletzung ihrer Annahmeverpflichtung drohten ihr Schadensersatzansprüche in Millionenhöhe, etwa für vergeblich aufgewendete Kosten bei Absage des Transports.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Behördenakte und die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
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B. Die Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Klagen, für den der Verwaltungsgerichtshof nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO erstinstanzlich zuständig ist, sind gemäß § 80a Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO statthaft. Denn den Anfechtungsklagen der Antragsteller gegen die 9. und die 10. Änderungsgenehmigung zur Aufbewahrung von Kernbrennstoffen im SZL Philippsburg kommt kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO) gemäß § 6 Abs. 4 AtG keine aufschiebende Wirkung zu.
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I. Die Anträge sind zulässig. Insbesondere sind die Antragsteller gemäß § 42 Abs. 2 VwGO analog antragsbefugt. Denn eine Verletzung ihrer Rechte kann nicht offensichtlich und eindeutig nach jeder Betrachtungsweise ausgeschlossen werden (vgl. zu diesem Maßstab BVerwG, Urteile vom 17.12.2013 – 4 A 1.13 – BVerwGE 148, 353 Rn. 18 ff. und vom 22.02.1994 – 1 C 24.92 – BVerwGE 95, 133). Die Antragsteller machen hinreichend substantiiert geltend, dass es im Rahmen der Aufbewahrung der mittel- und/oder hochradioaktiven Kernbrennstoffe zu Ereignissen kommen könne, die zur Freisetzung von Radioaktivitätskonzentrationen führen, die über den maßgeblichen Richtwerten liegen würden, und deshalb ein Schaden an ihren schützenswerten Rechtsgütern zu befürchten sei. Auch lässt sich ihrem Vorbringen noch hinreichend entnehmen, dass das Risiko eines solchen Ereignisses so wahrscheinlich sei, dass hiergegen Vorsorge nach § 6 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 4 AtG getroffen werden müsse, und dass diese Vorsorge als Voraussetzung der angefochtenen Genehmigung ihrer Ansicht nach nicht getroffen sei (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 11.01.1985 – 7 C 74.82 – BVerwGE 70, 365; Senatsurteile vom 30.10.2014 – 10 S 3450/11 – juris Rn. 32 und vom 11.05.2004 – 10 S 1291/01 – juris Rn. 37).
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Der Antragstellerin Ziff. 1 steht jedenfalls ein aus der Selbstverwaltungsbefugnis (Art. 28 Abs. 1 GG) abgeleitetes Abwehrrecht gegenüber Beeinträchtigungen von gemeindlicher Infrastruktur zu (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31.07.2020 – 7 B 2.20 – juris Rn. 11; BayVGH, Urteil vom 14.11.2019 – 22 A 19.40029 – juris Rn. 27; VG Berlin, Beschluss vom 20.06.2017 – 10 L 667.17 – juris Rn. 32 f.), denn sie betreibt u. a. knapp 1,5 km von dem Zwischenlager entfernt einen Kindergarten.
Randnummer28
II. Die Anträge sind nicht begründet.
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Gemäß § 80a Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs anordnen, wenn das Interesse des Antragstellers am vorläufigen Aufschub der Vollziehbarkeit eines Verwaltungsakts gegenüber dem öffentlichen Interesse oder dem Interesse des Begünstigten an seiner sofortigen Vollziehung überwiegt. In Drittbetroffenenfällen wie hier ist dabei aufgrund der grundsätzlichen Gleichrangigkeit der divergierenden privaten Interessen ein Überwiegen des Vollziehungsinteresses des durch den angefochtenen Verwaltungsakt Begünstigten schon dann anzunehmen, wenn der von dem Dritten – hier den Antragstellern – eingelegte Rechtsbehelf mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erfolglos bleiben wird (vgl. Senatsbeschluss vom 29.01.2019 – 10 S 1991/17 – juris Rn. 4 m. w. N.). Bedarf es bei mehrpoligen Rechtsverhältnissen im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO neben einer an den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs orientierten Betrachtung schon grundsätzlich keiner weitergehenden Abwägung der widerstreitenden Vollziehungs- und Aussetzungsinteressen, ist in Fällen wie dem vorliegenden darüber hinaus zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber in § 6 Abs. 4 AtG eine Grundentscheidung für den Sofortvollzug getroffen hat. Mit Blick darauf erfordert die Anordnung der aufschiebenden Wirkung – bei Annahme offener Erfolgsaussichten – das Vorliegen besonderer Umstände, die im konkreten Einzelfall ausnahmsweise ein Abweichen von der gesetzgeberischen Grundentscheidung rechtfertigen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14.04.2005 – 4 VR 1005.04 – BVerwGE 123, 241 Rn. 11; Senatsbeschlüsse vom 21.01.2022 – 10 S 1861/21 – juris Rn. 6 und vom 26.10.2021 – 10 S 471/21 – juris Rn. 5; Hessischer VGH, Beschluss vom 21.10.2020 – 6 B 2381/20.T – juris Rn. 70).
Randnummer30
Nach diesen Maßgaben liegen die Voraussetzungen für eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klagen nicht vor. Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen und auch nur gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage werden die Klagen der Antragsteller voraussichtlich keinen Erfolg haben, als sie die Notwendigkeit einer Verlängerung der Zwischenlagerung (1.) und die Verletzung von Verfahrensvorschriften (2.) geltend machen. Hinsichtlich der von ihnen gerügten Verstöße gegen § 6 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 4 AtG ist ein Erfolg ihrer Klage zwar nicht überwiegend wahrscheinlich, aber die Erfolgsaussichten teilweise als offen anzusehen (3.). Insoweit führt eine Abwägung der widerstreitenden Interessen zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Interesse und das Interesse der Beigeladenen an der sofortigen Vollziehung der Genehmigungen das Suspensivinteresse der Antragsteller an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klagen überwiegt (4.).
Randnummer31
Maßgeblicher Zeitpunkt für die der Entscheidung des Senats zugrunde zu legende Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt des Erlasses der Widerspruchsbescheide. Spätere Änderungen zulasten der Beigeladenen bleiben außer Betracht, nachträgliche Änderungen zu ihren Gunsten sind jedoch zu berücksichtigen. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass andernfalls eine zur Zeit des Erlasses rechtswidrige Genehmigung sogleich nach der Aufhebung wieder erteilt werden müsste (vgl. BVerwG, Urteile vom 26.09.2019 – 7 C 5.18 – BVerwGE 166, 321 Rn. 43 m. w. N. und vom 05.10.1965 – IV C 3.65 – BVerwGE 22, 129 = juris Rn 13).
Randnummer32
1. Das vorliegende gerichtliche Verfahren betrifft allein die mit der 9. Änderungsgenehmigung gestattete Aufbewahrung mittelradioaktiver CSD-B-Glaskokillen in fünf Transport- und Lagerbehältern der Bauart CASTOR HAW28M sowie die mit der 10. Änderungsgenehmigung gestattete beabsichtigte Aufbewahrung hochradioaktiver CSD-V-Glaskokillen in vier Behältern dieser Bauart.
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Weder die genehmigte Errichtung noch der durch die Ausgangsgenehmigung vom 19.12.2003 in der Fassung der bisherigen Änderungsgenehmigungen (1. bis 8. Änderungsgenehmigung) genehmigte Betrieb des Zwischenlagers ist damit Gegenstand der gerichtlichen Prüfung. Nur soweit die 9. und die 10. Änderungsgenehmigung die Genehmigungsfrage im Hinblick auf den Betrieb neu aufwerfen, ist das Betriebsreglement des Zwischenlagers in den Blick zu nehmen. Alle anderen Einwendungen sind allein im Rahmen des aufsichtlichen Verfahrens nach § 17 AtG geltend zu machen (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteile vom 22.01.1997 – 11 C 7.95 – BVerwGE 104, 36 = juris Rn. 24 f. und vom 07.06.1991 – 7 C 43.90 – BVerwGE 88, 286 = juris Rn. 13; Senatsurteil vom 30.10.2014 – 10 S 3450/11 – juris Rn. 109).
Randnummer34
Gegenüber der bisherigen Genehmigungslage gestatten die angegriffenen Änderungsgenehmigungen weder die Einlagerung von mehr Behältern als die bereits genehmigte maximale Behälteranzahl von 152 mit radioaktiven Abfällen beladenen Transport- und Lagerbehältern noch eine höhere Gesamtradioaktivität; die bisher genehmigten Höchstwerte für die gesamte Schwermetallmasse, die Gesamtaktivität und die Gesamtwärmeleistung aller aufbewahrten Kernbrennstoffe bleiben unberührt. Die 9. und die 10. Änderungsgenehmigung ermöglichen der Beigeladenen lediglich, anstelle der bisher genehmigten Behälterbauarten und radioaktiven Inventare auch in Glaskokillen eingebundene Kernbrennstoffe aus der Wiederaufbereitung in Behältern der Bauart CASTOR HAW28M im SZL Phillipsburg einzulagern. Sie kann dabei statt der genehmigten Behälter der Bauarten CASTOR V/19 und CASTOR V/52 bis zu neun Behälter der CASTOR HAW28M einlagern, solange der bisherige Genehmigungsumfang hinsichtlich der genehmigten Behälterzahl und der genannten Parameter nicht überschritten wird, wobei maximal fünf Behälter mit mittelradioaktiven CSD-B-Glaskokillen und maximal vier Behälter mit hochradioaktiven CSD-V-Glaskokillen beladen sein dürfen.
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Die angegriffenen Änderungsgenehmigungen lassen auch die Befristung der Ausgangsgenehmigung für die Aufbewahrung von Kernbrennstoffen im Standort-Zwischenlager Philippsburg auf 40 Jahre ab dem Zeitpunkt der ersten Einlagerung unberührt, eine Verlängerung der Zwischenlagerung über diesen Zeitpunkt hinaus ist damit nicht Verfahrensgegenstand.
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Deshalb kann dahinstehen, ob die Einschätzung der Antragsteller zutrifft, dass vor dem Hintergrund des aktuellen Stands der Endlagersuche eine Zwischenlagerung (auch) der verfahrensgegenständlichen Behälter über die Laufzeit der bis 2047 befristeten atomrechtlichen Genehmigung für das SZL Philippsburg erforderlich ist (siehe hierzu das „Diskussionspapier zur verlängerten Zwischenlagerung bestrahlter Brennelemente und sonstiger Wärme entwickelnder radioaktiver Abfälle“ der Entsorgungskommission vom 29.10.2015). Aufgrund des begrenzten Verfahrensgegenstands der angegriffenen Änderungsgenehmigungen spielt es für deren Rechtmäßigkeit auch keine Rolle, ob rechtzeitig vor Ablauf der Laufzeit der Ausgangsgenehmigung eventuell notwendige Maßnahmen zur Verlängerung der Lagerdauer getroffen werden (vgl. BayVGH, Urteil vom 08.04.2024 – 22 A 17.40026 – juris Rn. 192; Hessischer VGH, Beschluss vom 21.10.2020 – 6 B 2381/20.T – juris Rn. 91). Aus diesem Grund kann dahinstehen, wann ein Verfahren zur Verlängerung der Zwischenlagerung in Philippsburg über den bisher genehmigten Zeitraum hinaus, die nach § 6 Abs. 5 Satz 2 AtG nur aus unabweisbaren Gründen und nur nach der vorherigen Befassung des Deutschen Bundestags erfolgen darf, eingeleitet werden müsste. Dem Einwand der Antragsteller, nach den heutigen rechtlichen und tatsächlichen Vorgaben sei eine Verlängerung faktisch ausgeschlossen, wie die Situation des Zwischenlagers Brunsbüttel zeige, das ohne Genehmigung betrieben werde, weil die im November 2015 beantragte Neugenehmigung bis heute nicht erteilt worden sei, braucht daher nicht weiter nachgegangen zu werden. Sollten sich die Antragsteller durch einen nicht genehmigten Betrieb des Zwischenlagers nach Ablauf der Genehmigungsdauer oder durch eine Verlängerung der Laufzeit aufgrund einer neuen Genehmigungsentscheidung in ihren Rechten verletzt sehen, müssten sie dagegen dann den Rechtsweg beschreiten.
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2. Die Antragssteller rügen zu Unrecht, dass vor Erteilung der angegriffenen Änderungsgenehmigungen keine Umweltverträglichkeitsprüfung bzw. Öffentlichkeitsbeteiligung erfolgt ist.
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Eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung folgt nicht bereits aus § 6 UVPG i. V. m. Nr. 11.3 der Anlage 1 zum UVPG. Es handelt sich nicht um ein Neuvorhaben, denn die Aufbewahrung verfestigter radioaktiver Kernbrennstoffe im SZL Philippsburg wurde bereits am 19.12.2003 genehmigt. Die jetzt genehmigten Änderungen sind auch nicht so erheblich, dass sie die Identität des Vorhabens in Frage stellen. Zwar gestatten die Änderungsgenehmigungen erstmals die Lagerung verfestigter mittel- und hochradioaktiver Kernbrennstoffe in Form verglaster Kokillen, die in der Wiederaufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe aus deutschen Kernkraftwerken in Frankreich angefallen sind, während in dem Zwischenlager bisher nur (hochradioaktive) bestrahlte Brennelemente und Sonderbrennstäbe aus den Kernkraftwerken Philippsburg aufbewahrt wurden, und genehmigt die Verwendung von Transport- und Lagerbehältern einer anderen Bauart. Es handelt sich aber weiterhin um die Aufbewahrung (hoch)radioaktiver Stoffe. Auch eine Erweiterung der bisher genehmigten Anzahl von 152 Stellplätzen sowie der gesamten Schwermetallmasse, der Gesamtaktivität und der Gesamtwärmeleistung aller aufbewahrten Brennelemente ist wie ausgeführt nicht Regelungsgegenstand der Änderungsgenehmigungen (vgl. ausführlich zur UVP-Pflicht bei atomrechtlichen Änderungsgenehmigungen Hessischer VGH, Beschluss vom 21.10.2020 – 6 B 2381/20.T – juris Rn. 5 ff.).
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Die Änderungsgenehmigungen waren auch nicht nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 UVPG einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen. Die Antragsgegnerin hat aufgrund der von ihr durchgeführten Vorprüfungen in rechtsfehlerfreier Weise festgestellt, dass eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nicht besteht, weil die genehmigten Änderungen keine zusätzlichen erheblichen nachteiligen oder andere erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen hervorrufen.
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Beruht die Feststellung, dass eine UVP-Pflicht nicht besteht, auf einer Vorprüfung des Einzelfalls, so ist die Einschätzung der zuständigen Behörde in einem gerichtlichen Verfahren gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 UVPG nur darauf hin zu überprüfen, ob die Vorprüfung entsprechend den Vorgaben des § 7 UVPG durchgeführt worden ist und ob das Ergebnis nachvollziehbar ist. Mit dieser Vorschrift wurde die frühere obergerichtliche Rechtsprechung konkretisiert, wonach das Ergebnis der behördlichen Prognose durch ein Gericht nicht auf materielle Richtigkeit, sondern lediglich auf Plausibilität zu überprüfen ist (vgl. Senatsurteil vom 30.10.2014 – 10 S 3450/11 – juris Rn. 59 m. w. N.).
Randnummer41
Diese Voraussetzungen dürften hier erfüllt sein. In der Zusammenfassung „Allgemeine Vorprüfung zur Feststellung der UVP-Pflicht“ vom 13.08.2018 zur 9. Änderungsgenehmigung führt die Antragsgegnerin aus, durch die bisher genehmigten Änderungen hätten sich hinsichtlich der die Aufbewahrung von Kernbrennstoffen im SZL Philippsburg insgesamt charakterisierenden Kriterien Kernbrennstoffmasse, Gesamtaktivität und Gesamtwärmeabgabe keine Abweichungen gegenüber dem mit der Aufbewahrungsgenehmigung vom 19.12.2003 gestatteten Umfang ergeben. Auch die beantragte Aufbewahrung von MAW-Glaskokillen in CASTOR HAW28M-Behältern führe nicht zu einer Änderung der ermittelten Werte und relevanten Wirkfaktoren des Grundvorhabens, die sowohl für den bestimmungsgemäßen Betrieb als auch für die untersuchten Störfälle weiterhin abdeckend seien.
Randnummer42
In dem Bericht „Zwischenlager Philippsburg, Allgemeine Vorprüfung zur Feststellung der UVP-Pflicht“ vom 13.03.2023 zur 10. Änderungsgenehmigung stellt die Antragsgegnerin fest, dass die beantragte Aufbewahrung von verfestigten hochradioaktiven Abfällen in vier TBL vom Typ CASTOR HAW28M keine zusätzlichen erheblichen nachteiligen oder anderen erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen hervorrufen würde. Die Werte für die maximale mittlere Oberflächendosisleistung der Behälter seien identisch mit den Werten der bereits genehmigten Transport- und Lagerbehälter, die Exposition durch ionisierende Strahlung bleibe daher unverändert. Auch eine Erhöhung der Strahlenexposition durch eine Emission radioaktiver Stoffe könne ausgeschlossen werden, denn die Gesamtaktivität des Inventars liege deutlich unterhalb der Gesamtaktivität der bereits genehmigten Behälter der Bauarten CASTOR V/19 und CASTOR V/52. Hinsichtlich der Anzahl, der Handhabung und der Aufstellung der Transport- und Lagerbehälter bleibe das Lagerkonzept im Wesentlichen unverändert. Auch hinsichtlich der auf den einzelnen Behälter bezogenen Kriterien Wärmeabgabe und Leckagerate des Dichtungssystems ergäben sich gegenüber den bisherigen Festlegungen keine höheren Werte. Die ökologische Empfindlichkeit des Standorts einschließlich seiner Nutzungen und Schutzausweisungen (Gebiete und Objekte) bleibe von dem Änderungsvorhaben unberührt. Auch die im Rahmen der Vorprüfung beteiligte zuständige untere Naturschutzbehörde beim Landratsamt Karlsruhe habe mitgeteilt, dass eine UVP-Verträglichkeitsprüfung als nicht erforderlich angesehen werde.
Randnummer43
Dafür, dass die Antragsgegnerin die Vorprüfungen nicht nach den Vorgaben des § 7 UVPG durchgeführt hätte oder die Ergebnisse nicht nachvollziehbar wären, haben die Antragsteller nichts vorgetragen und ist auch sonst nichts ersichtlich. Vielmehr hat die Antragsgegnerin plausibel dargelegt, dass und warum die Einlagerung von fünf mit CSD-B-Glaskokillen und vier mit CSD-V-Glaskokillen beladenen Behältern der Bauart CASTOR HAW28M nicht zu einer UVP-Pflicht führt.
Randnummer44
Eine Öffentlichkeitsbeteiligung nach der Atomverfahrensverordnung (AtVfG) war nicht erforderlich, da die Verordnung nach § 1 AtVfG nur auf die in § 7 Abs. 1 und 5 AtG genannten Anlagen Anwendung findet, nicht aber auf Anlagen i. S. d. § 6 AtG.
Randnummer45
3. Rechtsgrundlage für die verfahrensgegenständlichen Änderungsgenehmigungen ist § 6 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 Satz 2 AtG, denn sie betreffen die Aufbewahrung von bestrahlten Kernbrennstoffen innerhalb des abgeschlossenen Geländes einer (stillgelegten) Anlage zur Spaltung von Kernbrennstoffen. Die Genehmigung ist hiernach zu erteilen, wenn die in § 6 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 AtG genannten Voraussetzungen vorliegen. Mit der auf diese Genehmigungsvoraussetzungen eingeschränkten Verweisung in § 6 Abs. 3 Satz 2 AtG wird klargestellt, dass das in § 6 Abs. 2 AtG zudem genannte Bedürfnis für die Zwischenlagerung wegen § 9 Abs. 2a AtG kraft Gesetzes besteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.04.2008 – 7 C 39.07 – BVerwGE 131, 129 Rn. 9).
Randnummer46
Die Erteilung der Genehmigung zur Aufbewahrung von Kernbrennstoffen setzt u. a. nach § 6 Abs. 2 Nr. 2 AtG voraus, dass die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch die Aufbewahrung der Kernbrennstoffe getroffen ist. § 6 Abs. 2 Nr. 4 AtG verlangt darüber hinaus, dass der erforderliche Schutz gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter gewährleistet ist. Das Erfordernis der Vorsorge gegen Schäden durch die Aufbewahrung sowie zum Schutz vor Störmaßnahmen und sonstigen Einwirkungen Dritter dient auch dem Schutz individueller Rechte eines Drittbetroffenen (vgl. BVerwG, Urteile vom 22.03.2012 – 7 C 1.11 – BVerwGE 142, 159 Rn. 18 f. und vom 10.04.2008 – 7 C 39.07 – BVerwGE 131, 129 Rn. 18 ff.).
Randnummer47
Die genannten Vorschriften legen die Exekutive normativ auf den Grundsatz der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge fest und lassen die Genehmigungserteilung nur zu, wenn Gefahren und Risiken durch die Aufbewahrung von Kernbrennstoffen sowie durch Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter nach dem Stand von Wissenschaft und Technik „praktisch ausgeschlossen“ erscheinen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89 = juris Rn. 113, 120; BVerwG, Urteil vom 22.03.2012 – 7 C 1.11 – BVerwGE 142, 159 Rn. 25). § 6 Abs. 2 Nr. 2 AtG betrifft dabei Risiken, die durch den Zustand oder den Betrieb der Anlage an sich hervorgerufen werden können, § 6 Abs. 2 Nr. 4 AtG schützt dagegen vor gezielten, willensgetragenen Aktivitäten, durch die eine Störung der Anlage und des Betriebs und Auswirkungen auf den Funktionsablauf erreicht werden sollen; das Gefährdungspotential, um dessen uneingeschränkte Beherrschung es in beiden Vorschriften geht, ist dabei ein und dasselbe (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.04.2008 – 7 C 39.07 – BVerwGE 131, 129 Rn. 21).
Randnummer48
Aus dem Grundsatz der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge folgt, dass die Exekutive im Rahmen ihrer prognostischen Einschätzung alle wissenschaftlich und technisch vertretbaren Erkenntnisse heranzuziehen hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.01.1989 – 7 C 31.87 – BVerwGE 81, 185 = juris Rn. 19; Senatsurteil vom 30.10.2014 – 10 S 3450/11 – juris Rn. 85). Vorsorge bedeutet zudem, dass bei der Beurteilung von Schadenswahrscheinlichkeiten nicht allein auf das vorhandene ingenieurmäßige Erfahrungswissen zurückgegriffen werden darf, sondern Schutzmaßnahmen auch anhand „bloß theoretischer“ Überlegungen und Berechnungen in Betracht gezogen werden müssen, um Risiken aufgrund noch bestehender Unsicherheiten oder Wissenslücken zuverlässig auszuschließen. Unsicherheiten bei der Risikoermittlung und -bewertung ist nach Maßgabe des sich daraus ergebenden Besorgnispotentials durch hinreichend konservative Annahmen Rechnung zu tragen (vgl. BVerwG, Urteile vom 22.03.2012 – 7 C 1.11 – BVerwGE 142, 159 Rn. 26 und vom 19.12.1985 – 7 C 65.82 – BVerwGE 72, 300 = juris Rn. 37).
Randnummer49
Die erforderliche Schadensvorsorge bzw. der vorsorgende Schutz lassen jedoch die Hinnahme eines nach den Maßstäben praktischer Vernunft nicht mehr in Rechnung zu stellenden Restrisikos zu, gegen das Vorsorge nicht getroffen werden muss (BVerwG, Urteile vom 21.01.2021 – 7 C 4.19 – BVerwGE 171, 128 Rn. 29 und vom 10.04.2008 – 7 C 39.07 – BVerwGE 131, 129 Rn. 19, 24). Soweit die Genehmigungsbehörde im Rahmen ihrer Entscheidung die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik dem Einzelnen gegenüber erforderliche Vorsorge gegen Schäden als getroffen ansehen darf, hat es auch mit dem Drittschutz sein Bewenden. Insbesondere gibt es keinen Anspruch eines Dritten auf weitergehende Minimierung der Strahlenexposition (BVerwG, Urteile vom 10.04.2008 – 7 C 39.07 – BVerwGE 131, 129 Rn. 20, vom 22.01.1997 – 11 C 7.95 – BVerwGE 104, 36 = juris Rn. 51 und vom 19.12.1985 – 7 C 65.82 – BVerwGE 72, 300 = juris Rn. 40; Senatsurteil vom 30.10.2014 – 10 S 3450/11 – juris Rn. 86).
Randnummer50
Ob die erforderliche Vorsorge gewährleistet ist, kann der Senat nur eingeschränkt überprüfen. Schon die Struktur der die Genehmigung von kerntechnischen Anlagen regelnden Vorschriften zeigt, dass die Exekutive für die Risikoermittlung und -bewertung, also auch für die Beurteilung von Art und Ausmaß bestehender Risiken und die Entscheidung, ob solche hinzunehmen sind oder nicht hingenommen werden können, allein verantwortlich ist. Die Gerichte sind nicht dazu berufen, die der Exekutive zugewiesene Wertung wissenschaftlicher Streitfragen einschließlich der daraus folgenden Risikoabschätzung durch eine eigene Bewertung zu ersetzen (vgl. grundlegend BVerwG, Urteil vom 19.12.1985 – 7 C 65.82 – BVerwGE 72, 300). Dieser sog. Funktionsvorbehalt der Exekutive dient einem dynamischen Grundrechtsschutz und rechtfertigt sich auch daraus, dass im Atomrecht die erforderliche Schadensvorsorge am in die Zukunft hinein offenen, die bestmögliche Verwirklichung des Schutzzwecks des § 1 Nr. 2 AtG gewährleistenden Maßstab des Stands von Wissenschaft und Technik zu messen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.03.2012 – 7 C 1.11 – BVerwGE 142, 159 Rn. 25; Senatsbeschluss vom 25.09.2012 – 10 S 731/12 – juris Rn. 46 f.). Dementsprechend ist die gerichtliche Prüfung darauf beschränkt, ob die der Beurteilung zugrunde liegende Risikoermittlung und -bewertung auf einer ausreichenden Datenbasis beruht und dem Stand von Wissenschaft und Technik im Zeitpunkt der Behördenentscheidung Rechnung trägt, die Behörde also im Hinblick auf die Ergebnisse des von ihr durchgeführten Genehmigungsverfahrens „diese Überzeugung von Rechts wegen haben durfte“ (vgl. BVerwG, Urteile vom 10.04.2008 – 7 C 39.07 – BVerwGE 131, 129 Rn 25 und vom 22.10.1987 – 7 C 4.85 – BVerwGE 78, 177; Beschluss vom 02.07.1998 – 11 B 30.97 – juris Rn. 7). Sind die Ermittlungen nach dem Stand von Wissenschaft und Technik ausreichend und hat sie die Behörde ihren Bewertungen zugrunde gelegt, so ist die gerichtliche Überprüfung, ob diese Bewertungen hinreichend vorsichtig sind, wegen des Funktionsvorbehalts auf eine Willkürkontrolle reduziert (vgl. zu alldem BVerwG, Urteile vom 22.03.2012 – 7 C 1.11 – BVerwGE 142, 159 Rn. 20, vom 14.01.1998 – 11 C 11.96 – BVerwGE 106, 115 und vom 19.01.1989 – 7 C 31.87 – BVerwGE 81, 185; Beschluss vom 08.01.2015 – 7 B 25.13 – juris Rn. 11; Senatsbeschluss vom 27.04.2022 – 10 S 1870/21 – juris Rn. 18 m. w. N.).
Randnummer51
a) Ob die Antragsgegnerin davon ausgehen durfte, dass die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch die Aufbewahrung von Kernbrennstoffen gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 2 AtG getroffen ist, kann nach dem derzeitigen Erkenntnisstand des Senats im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht abschließend beurteilt werden.
Randnummer52
Die Frage, welche Vorsorgemaßnahmen nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderlich sind, lässt sich zum einen aus den normativen Grenzwerten des Strahlenschutzgesetzes, der Strahlenschutzverordnung sowie – für auslegungsüberschreitende Ereignisse (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.04.2008 – 7 C 39.07 – BVerwGE 131, 129 Rn. 26; Beschluss vom 24.08.2006 – 7 B 38.06 – Buchholz 451.171 § 9a AtG Nr 1 = juris Rn. 19; Senatsurteil vom 30.10.2014 – 10 S 3450/11 – juris Rn. 111) – den Grenzwerten der „Radiologischen Grundlagen für Entscheidungen über Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung bei Ereignissen mit Freisetzung von Radionukliden“ der Strahlenschutzkommission vom 13.02.2014 (Bundesanzeiger AT vom 18.11.2014), die auch dem in § 44 Abs. 2 Satz 3 AtG normierten Richtwert einer effektiven Folgedosis von 100 mSv bis zum 70. Lebensjahr als Summe von Inhalation und sieben Tagen äußerer Bestrahlung (sog. Evakuierungswert) zugrunde liegen, ableiten. Zum anderen werden die nach § 6 Abs. 2 Nr. 2 AtG erforderlichen Vorsorgemaßnahmen durch weitere untergesetzliche Richtlinien und Empfehlungen konkretisiert (vgl. BayVGH, Urteil vom 08.04.2024 – 22 A 17.40026 – juris Rn. 155 ff.; Leidinger in Frenz, Atomrecht, § 7 AtG Rn. 167 f.). Von wesentlicher Bedeutung für die Konkretisierung der erforderlichen Vorsorge sind die im Zeitpunkt der Erteilung der Ausgangsgenehmigung geltenden „Sicherheitstechnischen Leitlinien für die trockene Zwischenlagerung bestrahlter Brennelemente in Behältern“ der Reaktor-Sicherheitskommission vom 08.04.2002 (RSK-Leitlinien) einschließlich der dort in Bezug genommenen Richtlinien und technische Regelwerke, die durch die „Leitlinien für die trockene Zwischenlagerung bestrahlter Brennelemente und Wärme entwickelnder radioaktiver Abfälle in Behältern“ der Entsorgungskommission (ESK-Leitlinien) zunächst vom 10.06.2013, später durch eine gleich betitelte Fassung vom 07.09.2023 ersetzt wurden (abrufbar unter www.entsorgungskommission.de/de/beratungsergebnisse).
Randnummer53
aa) Die von den Antragstellern geltend gemachte höhere potentielle Strahlenbelastung der in den CSD-V-Glaskokillen eingebundenen hochradioaktiven Kernbrennstoffen führt aller Voraussicht nach nicht zu einer Verletzung ihrer subjektiven Rechte.
Randnummer54
In dem „Gutachten zum Standort-Zwischenlager Philippsburg – Lagerspezifische Aspekte bei der Aufbewahrung von CSD-V-Glaskokillen in Transport- und Lagerbehältern der Bauart CASTOR HAW28M“ des TÜV NORD von Juli 2023 wird ausgeführt, aufgrund der für jede Barriere spezifizierten und verifizierten Standard-Helium-Leckagerate von ≤ 1 x 10-8 Pa m3/s seien die Behälter als „technisch dicht“ anzusehen. Die Freisetzungen aus einem Behälter der Bauart CASTOR HAW28M mit CSD-V-Inventar seien geringer als diejenigen aus einem Behälter der Bauart CASTOR V/19. Die Aktivitätsfreisetzung sei vernachlässigbar, der zur Bewertung orientierend herangezogene Grenzwert für die Ableitung radioaktiver Stoffe von 0,3 mSv gemäß § 99 Abs. 1 StrlSchV werde (weiterhin) um mehrere Zehnerpotenzen unterschritten. Die maximale Strahlenexposition durch Direktstrahlung aus dem SZL Philippsburg erhöhe sich am ungünstigsten Aufpunkt des frei zugänglichen Bereichs durch die genehmigte Einlagerung nicht, der Beitrag des Zwischenlagers zur effektiven Dosis betrage unter der Randbedingung einer Vollbelegung von 152 Behältern etwa 0,06 mSv/a. Der gemäß § 80 StrlSchG für Einzelpersonen der Bevölkerung geltende Grenzwert der Summe der effektiven Dosis von 1 mSv pro Kalenderjahr werde dort weiterhin eingehalten.
Randnummer55
Diesen gutachterlichen Feststellungen sind die Antragsteller inhaltlich nicht entgegengetreten. Auch sonst haben sie nichts dafür vorgetragen, aus dem sich ergeben könnte, dass die Dosisgrenzwerte im Normalbetrieb nach § 80 StrlSchG oder die Störfallplanungswerte gemäß § 104 StrlSchV im Störfallbetrieb nicht eingehalten werden (vgl. zu den strahlenschutzrechtlichen Vorgaben Leidinger in Frenz, Atomrecht, § 7 AtG Rn.169 ff.; Näser in Theobald/Kühling, Energierecht, § 6 AtG Rn. 155 ff.).
Randnummer56
Eine Rechtsverletzung der Antragstellerin Ziff. 4 ergibt sich auch nicht daraus, dass auf ihrem Grundstück der Betrieb einer Pilzzucht baurechtlich genehmigt ist und vorgetragen wird, Pilze würden die Strahlenbelastung der Umgebung besonders stark aufnehmen. Denn über die genannten Grenzwerte hinaus existieren keine weiteren Grenzwerte etwa für besonders strahlungssensible Nutzungen in der Nähe einer kerntechnischen Anlage. Im Übrigen dürfte eine Strahlenbelastung von Pilzen primär durch die Aufnahme von Radionukliden aus dem Boden entstehen; indes ist die Aktivitätsfreisetzung aus den Behältern nach den gutachterlichen Ausführungen des TÜV NORD vernachlässigbar, sodass eine besondere Strahlenbelastung (etwa eine Überschreitung des in Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EU) Nr. 2020/1158 normierten Höchstwerts für Lebens- und Futtermittel in Bezug auf die radioaktive Kontamination mit Cäsium-137 von 600 Bq/kg) durch die im SZL Philippsburg aufbewahrten Kernbrennstoffe nicht zu befürchten sein dürfte.
Randnummer57
bb) Die Antragsteller dürften auch mit ihrer Rüge nicht durchdringen, das für die Behälter vorgesehene Reparaturkonzept genüge nicht den Anforderungen an die erforderliche Schadensvorsorge.
Randnummer58
Die Transport- und Lagerbehälter der Bauart CASTOR HAW28M (sowie die weiteren im SZL Philippsburg eingelagerten Behälter der Bauarten CASTOR V/19 und CASTOR V/52) verfügen über ein Doppeldeckeldichtsystem. Sowohl der innere Primärdeckel als auch der äußere Sekundärdeckel werden gegen den Behälterkörper mit Metalldichtringen abgedichtet. Der Behälterinnenraum und der als Sperrraum bezeichnete Zwischenraum zwischen den beiden Deckeln ist mit Helium befüllt. Druckunterschiede zwischen Innenraum, Sperrraum und der Lagerhalle ermöglichen die Kontrolle der Dichtheit der beiden Deckel über einen im Sekundärdeckel verschraubten Druckschalter.
Randnummer59
(1) Während die Dichtung des 2035 kg schweren Sekundärdeckels des Behälters der Bauart CASTOR HAW28M laut der Begründung der 9. Änderungsgenehmigung in dem dort als theoretisch bezeichneten Fall, dass bei der Dichtbarriere die festgelegte Leckagerate nicht mehr gegeben ist, in der Behälterwartungsstation ausgetauscht werden kann, ist bei einer Undichtigkeit der Primärdeckelbarriere ein Austausch der betroffenen Dichtung des 3710 kg schweren Primärdeckels innerhalb der stillgelegten Kernkraftwerke Philippsburg nicht mehr möglich. Das dargestellte Reparaturkonzept sieht deshalb bei Überschreitung der spezifizierten Leckagerate das Aufschweißen eines (einschließlich der Verschraubung 7050 kg schweren) Fügedeckels anstelle der oberhalb des Sekundärdeckels zum Schutz gegen witterungsbedingte Einflüsse aufgebrachten Schutzplatte im SZL Philippsburg vor, der dann die Funktion einer zweiten Barriere übernehmen und das erforderliche überwachte Doppeldeckel-Dichtsystem wiederherstellen soll.
Randnummer60
Dies entspricht den ESK-Leitlinien, die in Ziff. 2.2 für den Reparaturfall am Primärdeckel neben dem Austausch oder der Reparatur der betroffenen Komponente in einer geeigneten kerntechnischen Anlage das Anbringen eines zusätzlichen mittels Schweißnaht anstelle der Metalldichtung gedichteten Fügedeckels über der intakten Sekundärdeckelbarriere zur Wiederherstellung des Zwei-Barrieren-Konzepts ausdrücklich vorsehen.
Randnummer61
Das Bundesamt für Materialforschung (BAM) hat die mechanische Eignung des aufgeschweißten Fügedeckels bei unterstelltem Verlust der Dichtheit der Barriere Primärdeckel zur Wiederherstellung der Lagerfähigkeit in seiner „Sicherheitstechnischen Begutachtung behälterspezifischer Fragen der trockenen Zwischenlagerung von HAW-Glaskokillen der AREVA NP – La Hague in Transport- und Lagerbehältern der Bauart CASTOR HAW28M im Transportbehälterlager Gorleben“ von Januar 2010 (Ziff. 4.4) sowie in seiner „Gutachterliche Stellungnahme für das Brennelemente-Zwischenlager in Philippsburg“ vom 10.08.2021 bestätigt.
Randnummer62
Auch die bisher dazu ergangene Rechtsprechung geht davon aus, dass das Reparaturkonzept mit Fügedeckel den Anforderungen an die erforderliche Schadensvorsorge genügt (vgl. BayVGH, Urteil vom 08.04.2024 – 22 A 17.40026 – juris Rn. 198 ff.; OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 31.01.2007 – 4 KS 2.04 – juris Rn. 145 ff.; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 30.10.1996 – 21 D 2/89.AK – Rn. 211 ff.).
Randnummer63
(2) Die Antragsteller rügen voraussichtlich zu Unrecht, dass im SZL Philippsburg kein eigener Fügedeckel für Behälter der Bauart CASTOR HAW28M bereitgehalten wird, sondern im Fall eines undichten Primärdeckels auf einen im Transportbehälterlager (TBL) Gorleben vorhandenen Fügedeckel zurückgegriffen werden muss. Denn dieser Fügedeckel steht im Besitz der Beigeladenen und kann innerhalb kurzer Zeit nach Philippsburg verbracht werden, da der Transport keiner gefahrgutrechtlichen oder sonstigen Zulassung unterliegt. Auch die ESK-Leitlinien fordern nur, dass die zugehörigen Komponenten für die Anbringung eines mittels Schweißnaht gedichteten Fügedeckels „ständig intern oder extern verfügbar zu halten“ sind (S. 7). Zudem dürfte die Einschätzung der Antragsgegnerin nicht in Zweifel stehen, dass ein Funktionsverlust der Dichtwirkung des mehrere Tonnen schweren Primärdeckels im Regelfall nicht plötzlich, sondern schleichend eintreten würde, und deshalb Vorkehrungen für die Reparatur mit genügend Vorlauf möglich seien dürften.
Randnummer64
(3) Auch der Einwand der Antragsteller, dass im Fall der Reparatur des undichten Primärdeckels eines beladenen Behälters mit dem in Gorleben vorhandenen Fügedeckel bis zur Neufertigung eines weiteren Fügedeckels auf einen kurzfristig eintretenden Defekt an der Primärdeckelbarriere eines weiteren Behälters der Bauart CASTOR HAW28M nicht reagiert werden könne, dürfte die Einschätzung der Antragsgegnerin, das Reparaturkonzept gewährleiste die erforderliche Schadensvorsorge, voraussichtlich nicht in Frage stehen.
Randnummer65
Der TÜV SÜD hat in seinen beiden Gutachten für die „Sicherheitstechnische Beurteilung der Behälterbauart CASTOR V/19 bzw. CASTOR V/52 bei der trockenen Zwischenlagerung“ von Dezember 2003 eine Frist von fünf Monaten bis zur Beschaffung eines neuen Fügedeckels für die begutachteten Behälterbauarten als realistisch eingeschätzt (jeweils Ziff. 5.5). Die Antragsgegnerin geht für den Behälter der Bauart CASTOR HAW28M von einer entsprechenden Zeitspanne aus.
Randnummer66
Es dürfte nahezu ausgeschlossen sein, dass es innerhalb dieses Zeitraums zu einer Undichtigkeit an einem Primärdeckel eines weiteren Behälters dieser Bauart kommt. Anders als die Antragsgegnerin meint, dürfte sich dies zwar nicht allein aus dem Umstand ergeben, dass es bisher in Deutschland nicht zu einem Versagen einer Deckeldichtung gekommen ist. Denn das Vorsorgeprinzip dürfte eine derartige Schlussfolgerung nicht zulassen. Die Antragsgegnerin dürfte aber zutreffender Weise auf den erbrachten Nachweis zur Haltbarkeit des Dichtungssystems für die Aufbewahrungsdauer von 40 Jahren hingewiesen haben. In den beiden Behältergutachten hat der TÜV SÜD ausgeführt, ein systematisches Versagen der Dichtbarrieren könne ausgeschlossen werden, konservativ sei nur der Funktionsverlust einer Dichtung eines einzelnen Behälters im Verlauf des Lagerbetriebs zu unterstellen. Trotz der unterschiedlichen Geometrie der verschiedenen Behälterbauarten dürfte diese Einschätzung aufgrund der laut der Antragsgegnerin gleichartigen Dichtungssysteme und des identischen Dichtungstyps im Grundsatz übertragbar sein. Dementsprechend hat die BAM in ihrer Sicherheitstechnischen Begutachtung einen Funktionsverlust des Primärdeckeldichtsystems als hypothetisch bezeichnet (S. 54). Auch nach den Feststellungen der bisher damit befassten Gerichte kann ein systematisches Versagen der Dichtbarrieren ausgeschlossen werden (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 30.10.1996 – 21 D 2/89.AK – juris Rn. 211; OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 31.01.2007 – 4 KS 2/04 – juris Rn. 130; BayVGH, Urteil vom 08.04.2024 – 22 A 17.40026 – juris Rn. 202)
Randnummer67
Vor diesem Hintergrund hat die BAM in ihrer Sicherheitstechnischen Begutachtung gefordert, für die eingelagerten Behälter der Bauart CASTOR HAW28M müsse (mindestens) ein Fügedeckel kurzfristig verfügbar sein (S. 55). Dass ein weiterer Fügedeckel bereitzuhalten ist für den Fall, dass der eine Fügedeckel gebraucht wird, lässt sich dem Gutachten – und auch den ESK-Leitlinien – nicht entnehmen. Auch der TÜV SÜD hat das gemeinsame Vorhalten eines Fügedeckels für Behälter der Bauarten CASTOR V/19 und CASTOR V/52 in den Zwischenlagern Neckarwestheim und Philippsburg an einem dieser Standorte für ausreichend und die Frist von fünf Monaten für die Beschaffung eines weiteren Fügedeckels für tolerabel erachtet (S. 87 bzw. S. 88). Soweit diese Aussage das SZL Philippsburg in Bezug nimmt, dürfte sie sich auf die mit der Ausgangsgenehmigung gestattete Anzahl von 152 Behältern dieser Bauarten beziehen, in deren Rahmen die Gutachten erstellt worden sind. Hinsichtlich des einen im TBL Gorleben vorhandenen Fügedeckels für Behälter der Bauart CASTOR HAW28M ist die Zahl deutlich geringer, denn nach den Angaben der Antragsgegnerin wird dieser für insgesamt 45 Behälter vorgehalten, nämlich neben den vier für Philippsburg vorgesehenen Behältern für insgesamt 21 in Gorleben und sechs im SZL Biblis eingelagerte sowie für jeweils sieben in den SZL Isar und Brokdorf genehmigte Behälter.
Randnummer68
Dass nur ein Fügedeckel vorgehalten wird, dürfte neben dem bisher Gesagten auch deshalb unproblematisch sein, weil nach den genannten Gutachten jede Dichtbarriere der Transport- und Lagerbehälter für sich genommen als technisch dicht anzusehen ist. Sollte nach einem – als hypothetisch bezeichneten – ersten Reparaturfall an der Primärdeckelbarriere eines Behälters bis zur Beschaffung eines weiteren Fügedeckels an dem Primärdeckel eines zweiten der 45 Behälter eine Erhöhung der spezifizierten Leckagerate auftreten, wäre durch den Sekundärdeckel weiterhin gewährleistet, dass es nicht zu einer Freisetzung radioaktiven Stoffe kommen würde. Die erforderliche Vorsorge durch funktionelle Redundanzen dürfte damit sichergestellt sein.
Randnummer69
Dass es bei einem mittels aufgeschweißtem Fügedeckel reparierten Behälter zu einer Undichtigkeit an einer der beiden Dichtungsebenen (Fügedeckel oder Sekundärdeckel) kommt, ist von den Antragstellern nicht gerügt worden und nach den sicherheitstechnischen Gutachten – wohl aufgrund der Dichtheit der Schweißnaht – auch nicht zu unterstellen. Zudem dürfte die Frage, wie viele Fügedeckel vorgehalten werden müssen, für diesen Fall überhaupt nicht relevant sein.
Randnummer70
(4) Im Rahmen des Reparaturkonzepts aus rechtlichen Gründen nicht zu berücksichtigen sein dürfte das von den Antragsstellern dargestellte Szenario, in dem etwa durch Störfälle oder Einwirkungen Dritter kurzfristig bei mehreren Behältern ein Funktionsverlust des Doppeldeckeldichtsystems auftritt. Eine solche Situation dürfte ein sog. auslegungsüberschreitendes Ereignis darstellen, in dem es zunächst darum geht, die negativen Folgen der Strahlenexposition zu minimieren bzw. zu begrenzen (siehe unten). Vorsorge für eine unmittelbare Rückkehr zum Normalbetrieb nach einem Ereignis, für das die kerntechnische Anlage nicht ausgelegt ist und auch nicht ausgelegt werden muss, kann im Genehmigungszeitpunkt schon deshalb nicht verlangt werden, weil die hierfür nötigen Schritte vor einem solchen Ereignis überhaupt nicht absehbar sind. Welche Maßnahmen nach solchen Szenarien ergriffen werden, um wieder zu einem bestimmungsgemäßen Betrieb zurückzukehren, dürfte nicht Gegenstand der Genehmigung sein.
Randnummer71
cc) Auch hinsichtlich des Einwands der Antragsteller, dass ein Behälter der Bauart CASTOR HAW28M mit aufgeschweißtem Fügedeckel aufgrund einer fehlenden verkehrsrechtliche Zulassung nicht mehr transportfähig sei, hat ihre Klage voraussichtlich keinen Erfolg.
Randnummer72
Die Abtransportierbarkeit der Behälter bzw. des radioaktiven Inventars ist keine Voraussetzung für die Erteilung der Aufbewahrungsgenehmigung nach § 6 Abs. 2 AtG sein (vgl. zum Ganzen Hessischer VGH, Beschluss vom 21.10.2020 – 6 B 2381/20.T – juris Rn. 99). Die Genehmigungsvoraussetzungen sind dort abschließend aufgeführt, die Abtransportierbarkeit der aufbewahrten Kernbrennstoffe ist nicht genannt. Nach dem Wortlaut bezieht sich die Vorschrift allein auf die Aufbewahrung. Hiervon sind zwar über die reine Lagerung hinaus auch alle notwendigen Handhabungen umfasst, ohne die eine sichere Aufbewahrung nicht durchgeführt werden kann, wie Übernahme und Herrichten der Behälter für die Einlagerung, Transport zur jeweiligen Behälterposition und sonstige bei der Lagerhaltung übliche Betriebsvorgänge sowie Wartungs- und Reparaturmaßnahmen, die der Wiederherstellung der Lagerfähigkeit des Behälters dienen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 30.10.1996 –  21 D 2/89.AK – juris Rn. 98; Leidinger in Frenz, Atomrecht, § 6 AtG Rn. 6). Möglicherweise zählen auch Tätigkeiten zur Aufbewahrung, die den Abtransport vorbereiten, wie Prüfungen und das Herrichten der Behälter (vgl. Näser in Theobald/Kühling, Energierecht, § 6 AtG Rn. 41). Der Abtransport selbst bzw. die Abtransportierbarkeit der Behälter ist hiervon jedenfalls nicht umfasst. Dies ergibt sich auch aus der systematischen Erwägung, dass die Transportierbarkeit von Kernbrennstoffen ausdrückliche Voraussetzung für die Erteilung einer Beförderungsgenehmigung nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 AtG ist. Eine Aufbewahrung einerseits und eine Beförderung andererseits schließen sich gegenseitig aus. Das Ziel einer bestmöglichen Schadensvorsorge erfordert keine andere Auslegung, denn die sichere Aufbewahrung wird durch eine fehlende Abtransportierbarkeit nicht berührt.
Randnummer73
Soweit die Antragsteller darauf hinweisen, dass einzelne Nebenbestimmungen Regelungen über den Abtransport bzw. die Abtransportierbarkeit der Behälter enthalten, kann dies schon rechtstechnisch nicht zu einer Erweiterung der gesetzlich festgeschriebenen Genehmigungsvoraussetzungen führen. Im Übrigen regeln die von ihnen in Bezug genommene Nebenbestimmungen nicht den Abtransport als solchen, sondern verpflichten die Beigeladene zu einem turnusmäßigen Nachweis, dass die eingelagerten Behälter nach Gefahrgutbeförderungsrecht auf öffentlichen Verkehrswegen befördert werden können (Nr. 30), zur Vorlage einer Planung über die Auslagerung der eingelagerten Behälter bis spätestens acht Jahre vor Ablauf der Aufbewahrungsgenehmigung, die den Umgang mit Behältern zu beinhalten hat, deren Primärdeckeldichtung vor der Auslagerung nicht mehr die spezifikationsgerechte Dichtheit aufweisen sollte (Nr. 31), und zur Vorlage spezifischer Arbeits- und Prüfvorschriften für die Probenahme und den Austausch der Gasatmosphäre des ursprünglichen Sperrraumvolumens zwischen Primär- und Sekundärdeckel rechtzeitig vor dem Abtransport eines mit Fügedeckel gelagerten Behälters der Bauart CASTOR HAW28M (Nr. 68), und betreffen damit nur die Vorbereitung des Abtransports.
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Anders als die Antragsteller meinen, dürfte auch die Regelung in § 6 Abs. 5 Satz 1 AtG, nach der die Aufbewahrung in einem Standort-Zwischenlager 40 Jahre ab Beginn der ersten Einlagerung eines Behälters nicht überschreiten soll, nicht dazu führen, dass die Abtransportierbarkeit der Kernbrennstoffe (spätestens nach Ablauf dieser Frist) einschließlich der hierfür notwendigen Arbeitsschritte bereits bei Erteilung der Aufbewahrungsgenehmigung nach § 6 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 AtG für jeden Fall konkret feststehen muss. Im Übrigen ist eine Verlängerung der Aufbewahrungsgenehmigung über diesen Zeitraum hinaus ist in § 6 Abs. 5 Satz 2 AtG ausdrücklich vorgesehen, wenn auch nur unter besonderen Voraussetzungen.
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Allerdings dürfte es der Genehmigungserteilung entgegenstehen, wenn von vornherein feststehen würde, dass ein späterer Abtransport der Behälter bzw. des radioaktiven Materials ausgeschlossen ist. Denn die Zwischenlagerung der aus der Aufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe im Ausland stammenden verfestigten Spaltproduktlösungen bis zu deren Ablieferung an eine Anlage zur Endlagerung gemäß § 9a AtG setzt begriffsnotwendig voraus, dass es sich um einen vorübergehenden Zustand – spätestens bis zur Stilllegung des Zwischenlagers – handelt. Dem würde es widersprechen, wenn ein sicherer Abtransport der eingelagerten Behälter dauerhaft unmöglich wäre. Dies dürfte hier jedoch nicht der Fall sein.
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Zwar ist der Abtransport eines Behälters, dessen Primärdeckel die erforderliche Dichtigkeit nicht mehr einhält, gegenwärtig rechtlich nicht zulässig. Denn die verkehrsrechtliche Zulassung für den Transport radioaktiver Stoffe in dem Behälter der Bauart CASTOR HAW28M (Zulassungsschein Nr. D/4325/B(U)F-96) bezieht sich allein auf den Primärdeckel. Dementsprechend erfolgt auch der geplante Transport aus Frankreich ohne Sekundärdeckel, der erst im SZL Philippsburg montiert wird. Für die Herstellung eines zulassungskonformen Zustands eines mit Fügedeckel reparierten Behälters sind nach der Begründung der 9. Änderungsgenehmigung aber drei Möglichkeiten vorgesehen, nämlich (a) durch den Nachweis, dass trotz einer erhöhten Leckagerate des Primärdeckels bestimmte Parameter eingehalten werden können, (b) durch die Aufnahme zusätzlicher Dichtbarrieren (Sekundär- und/oder Fügedeckel) in die verkehrsrechtliche Zulassung oder (c) durch die (als „Rückfalloption“ bezeichnete) Instandsetzung des Primärdeckels mithilfe einer mobilen Primärdeckelwechselstation. Die Nebenbestimmung Nr. 67 sieht flankierend vor, dass ein Konzept einer Primärdeckelwechselstation anlässlich der Periodischen Sicherheitsüberprüfung fortzuschreiben und der atomrechtlichen Aufsichtsbehörde zur Prüfung vorzulegen ist, solange die Nachweisführung für eine erhöhte Leckagerate der dichten Umschließung (Konzept a) beziehungsweise die Aufnahme der Dichtbarriere Sekundärdeckel oder anderer konstruktiver Anpassungen in die verkehrsrechtliche Zulassung (Konzept b) nicht mit positivem Ergebnis abgeschlossen worden ist.
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Zwar ist für den Senat nicht nachvollziehbar, aus welchem Grund eine Erweiterung der verkehrsrechtlichen Zulassung des seit 2010 verwendeten Behältertyps bisher nicht erfolgt ist, zumal bei Behältern anderer Bauarten eine verkehrsrechtliche Zulassung wohl auch für den Fall eines mittels aufgeschweißtem Fügedeckel reparierten Dichtsystems gegeben sein dürfte. Die Antragsgegnerin hat in der Begründung des Bescheids aber ausgeführt, das BASE habe die genannten Konzepte geprüft und sei zu dem Ergebnis gekommen, dass keine Gründe erkennbar seien, die aus heutiger Sicht deren Umsetzung grundsätzlich entgegenstünden. Dies stellen die Antragsteller nicht in Frage. Durch die Nebenbestimmung Nr. 31 dürfte sichergestellt sein, dass eines dieser Konzepte – notfalls der Einsatz einer Primärdeckelwechselstation – bis zum Ablauf der Genehmigungsdauer umgesetzt wird. Im Übrigen dürfte die Antragsgegnerin zurecht darauf hinweisen, dass ein Abtransport der Behälter notfalls auch aufgrund einer verkehrsrechtlichen Sondervereinbarung gemäß § 1 Abs. 1 und 3 der Gefahrgutverordnung Straße, Eisenbahn und Binnenschifffahrt (GGVSEB) i. V. m. Ziff. 1.7.4 der Anlage A des Übereinkommens vom 30.09.1957 über die internationale Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße (ADR) bzw. Ziff. 1.7.4 der Anlage C – Ordnung für die internationale Eisenbahnbeförderung gefährlicher Güter (RID) – des Übereinkommens über den internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF) nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 AtG möglich ist (vgl. zum Gefahrgutrecht Näser/Paul in Theobald/Kühling, Energierecht, § 4 AtG Rn. 66 ff.).
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Dem Einwand der Antragsteller, dass es gegenwärtig bei einem außergewöhnlichen Ereignis wie zum Beispiel einem Erdbeben oder terroristischen Angriff nicht möglich sei, die Behälter kurzfristig außerplanmäßig abzutransportieren bzw. aus dem Gefahrenbereich zu entfernen, ist die Antragsgegnerin aller Voraussicht nach zurecht mit der Begründung entgegengetreten, die Abtransportierbarkeit beziehe sich allein auf die rechtliche Möglichkeit eines Beförderungsvorgangs im Sinne des Gefahrgutrechts. Die bisher fehlende verkehrsrechtliche Zulassung für einen Behälter der Bauart CASTOR HAW28M mit aufgeschweißtem Fügedeckel dürfte nichts darüber aussagen, ob der Transport technisch möglich ist bzw. hiermit Gefahren für geschützte Rechtsgüter verbunden sind. Da die Lastanschlagspunkte des Behälters nach dem Vortrag der Antragsgegnerin durch den Fügedeckel nicht beeinträchtigt werden und der Behälter schon allein durch den Sekundärdeckel technisch dicht ist, geht der Senat davon aus, dass ein Transport des Behälters auch mit aufgeschweißtem Fügedeckel tatsächlich möglich und sicher durchführbar ist, zumal die Antragssteller hiergegen nichts Konkretes vorgebracht haben. Im Übrigen ist weder vorgetragen noch aus dem sicherheitstechnischen Regelwert ersichtlich, dass bei einem Störfall, bei Störmaßnahmen oder bei einem auslegungsüberschreitenden Ereignis der kurzfristige Abtransport eines Behälters aus dem besonders gesicherten Zwischenlager vorgesehen ist oder vorgesehen werden müsste. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass der kurzfristige Abtransport in einem dieser Szenarien sicherer wäre als die – ggf. zusätzlich gesicherte – fortgesetzte Aufbewahrung im Zwischenlager.
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dd) Die Antragsteller dürften mit ihrer Rüge nicht durchdringen, das Szenario eines zufälligen Absturzes einer schnell fliegenden unbewaffneten Militärmaschine sei unzureichend betrachtet worden ((1)). Soweit sie kritisieren, dass die Antragsgegnerin den zufälligen Absturz einer schnell fliegenden bewaffneten Militärmaschine dem Restrisiko zugeordnet hat, sind die Erfolgsaussichten ihrer Klagen hingegen als offen anzusehen ((2)).
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Die erforderliche Vorsorge gegen Störfälle wird durch ein vierstufiges, deterministische und probabilistische Elemente enthaltendes Sicherheitskonzept realisiert (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 10.04.2008 – 7 C 39.07 – BVerwGE 131, 129 Rn. 29 ff.; BayVGH, Urteil vom 08.04.2024 – 22 A 17.40026 – juris Rn. 157 ff., 179 ff.; siehe auch BT- Drs. 15/3650 S. 65 f.): Die ersten beiden Sicherheitsebenen umfassen die Störfallverhinderung im Normalbetrieb der Anlage und bei Betriebsstörungen. Der Sicherheitsebene 3 ist die Beherrschung von auslegungsbestimmenden Störfällen („Auslegungsstörfällen“) zugeordnet. Die Sicherheitsebene 4 dient der „Risikominimierung“ von auslegungsüberschreitenden Unfällen, zu denen auch spezielle, sehr seltene zivilisationsbedingte Einwirkungen zählen (Ziff. 9.2 der ESK-Leitlinien). Aus dieser Zuordnung ergibt sich, dass nach heutigem Stand von Wissenschaft und Technik auch gegen auslegungsüberschreitende Ereignisse Vorsorgemaßnahmen verlangt werden können, die allerdings darauf beschränkt sind, unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit die Strahlenexposition im Ereignisfall zu „minimieren bzw. begrenzen“.
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Dass Schadensvorsorge auch Ereignisse in den Blick nehmen muss, für die eine kerntechnische Anlage nicht ausgelegt ist, ist die Konsequenz des Grundsatzes der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge. Mit diesem Grundsatz wird die erforderliche Schadensvorsorge von dem Restrisiko abgegrenzt, das als unentrinnbar hinzunehmen ist, weil seine Realisierung nach dem Stand von Wissenschaft und Technik praktisch ausgeschlossen erscheint, während bereits eine entfernte Wahrscheinlichkeit des Eintritts von Risiken die staatliche Schutzpflicht auslöst. Dem kann nur durch laufende Anpassung der für eine Risikobeurteilung maßgeblichen Umstände an den jeweils neuesten Erkenntnisstand genügt werden. Die Abgrenzung des durch Vorsorgemaßnahmen zu vermindernden Risikos auslegungsüberschreitender Ereignisse von dem hinzunehmenden Restrisiko erfolgt in den jeweiligen Verwaltungsverfahren, d. h. im Einzelfall (vgl. BVerwG, Urteile vom 10.04.2008 – 7 C 39.07 – BVerwGE 131, 129 Rn. 30 und vom 21.01.2021 – 7 C 4.19 – BVerwGE 171, 128 Rn. 29).
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Die Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts, wonach bei auslegungsüberschreitenden Ereignissen die Abgrenzung des durch Vorsorge verminderbaren Risikos vom sogenannten Restrisiko im Einzelfall zu erfolgen habe, betreffen jeweils das Szenario eines gelenkten Flugzeugabsturzes, also den Bereich der Störmaßnahmen oder sonstigen Einwirkungen Dritter gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 4 AtG; die maßgeblichen Erwägungen gelten aber gleichermaßen für den Bereich der Anlagensicherheit  nach § 6 Abs. 2 Nr. 2 AtG (vgl. BayVGH, Urteil vom 08.04.2024 – 22 A 17.40026 – juris Rn. 180). Denn das Gefährdungspotential, um dessen uneingeschränkte Beherrschung es dem Gesetzgeber geht, ist „ein und dasselbe“ (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.01.1989 – 7 C 31.87 – BVerwGE 81, 185 = juris Rn. 20).
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(1) Während die „Leitlinien der Reaktor-Sicherheitskommission für Druckwasserreaktoren“, Stand Dezember 1998 (RSK-Leitlinien für Druckwasserreaktoren) vorsehen, dass kerntechnische Einrichtungen auf Grundlage bestimmter Lastannahmen (S. 27) gegen zivilisationsbedingte Einwirkungen wie einen zufälligen Flugzeugabsturz auszulegen sind, stellt ein solcher Absturz auf ein Zwischenlager nach den ESK-Leitlinien in der Regel ein auslegungsüberschreitendes Ereignis dar (S. 19), für das ausgehend von den Lastannahmen aus den RSK-Leitlinien für Druckwasserreaktoren bzw. aus standortspezifischen Ermittlungen und von den eingelagerten Radionuklid-Inventaren sowie deren Freisetzungsverhalten Maßnahmen zur Schadensreduzierung zu betrachten sind. Die entsprechenden Lastannahmen werden in einem Stoßlast-Zeitdiagramm dargestellt, die maximal einwirkende Stoßlast beträgt hiernach 110 MN. Dem Gesichtspunkt der Reduzierung der Schadensauswirkung wird nach den ESK-Leitlinien (sowie den RSK-Leitlinien) dann genügt, wenn bei einem solchen Ereignis die unter realistischen Randbedingungen ermittelten radiologischen Auswirkungen einschneidende Maßnahmen des Katastrophenschutzes nicht erforderlich machen. Maßgeblich ist – wie ausgeführt – der sog. Evakuierungswert einer effektiven Folgedosis von 100 mSv bis zum 70. Lebensjahr als Summe von Inhalation und sieben Tagen äußerer Bestrahlung.
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Auch die Antragsgegnerin ordnet den zufälligen Absturz einer schnell fliegenden (unbewaffneten) Militärmaschine auf das SZL Philippsburg aufgrund der von ihr angenommenen sehr geringen Eintrittshäufigkeit als auslegungsüberschreitendes Ereignis ein und hat dessen Auswirkungen mehrfach untersuchen lassen:
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In dem „Gutachten zum Standort-Zwischenlager Philippsburg“ des TÜV NORD von Dezember 2003 wird in Ziff. 7.3.4 und Ziff. 7.4.2 ausgeführt, das Lagergebäude sei nicht gegen einen Flugzeugabsturz ausgelegt. Die Schutzfunktion gegen die Auswirkungen eines solchen Ereignisses übernehme der Behälter. Die Auslegung des Behälters beruhe auf der Annahme des Absturzes eines schnell fliegenden Militärflugzeuges und decke damit auch einen großen Teil möglicher Belastungen durch große zivile oder militärische Flugzeuge ab. Die Absturzhäufigkeit großer ziviler oder militärischer Flugzeuge auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland sei deutlich niedriger als die von schnell fliegenden Kampfflugzeugen. Als abdeckender Fall werde der vollständige Einsturz der Halle unterstellt. Abdeckend für die mechanische Belastung eines Transport- und Lagerbehälters sei beim Flugzeugabsturz der Lasteintrag durch den Aufprall einer Triebwerkswelle, eine Minderung der Einwirkung eines auftreffenden Militärflugzeuges auf die Behälter durch das Bauwerk werde bei dieser Betrachtung nicht berücksichtigt. Die Belastung der Behälterdeckel (anderer Bauart) sei durch Beschussversuche mit einem 1.000 kg schweren Geschoss abgedeckt. Unter diesen Randbedingungen seien die radiologischen Auswirkungen in der Umgebung so gering, dass die resultierenden Körperdosen weit unterhalb der in § 49 StrlSchV (jetzt: § 80 StrlSchG) genannten Grenzwerte lägen. Das gesamte mögliche Schadensausmaß werde durch zwei Behälter mit einer Leckagerate von 3,4 x 10-2 Pa m³/s abdeckend beschrieben; der eine Behälter sei hierbei derjenige, der durch das Triebwerk bzw. einen Dachbinder getroffen werde; der zweite stehe abdeckend bzw. stellvertretend für Behälter, die durch sonstige kleinere Trümmerlasten etwas erhöhte Leckageraten aufwiesen.
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In seinem „Gutachten zum Standort-Zwischenlager Philippsburg – Aufbewahrung von bestrahlten Brennelementen in Transport- und Lagerbehältern der Bauart CASTOR V/19 nach der 96er Zulassung“ von März 2014 stellt der TÜV NORD in Ziff. 9.4 fest, die mögliche gesamte Trefferfläche des Zwischenlagers sei so klein, dass die Eintrittshäufigkeit einer schnell fliegenden Militärmaschine deutlich unter 10-6/a liege. Die Trefferhäufigkeit für einen seitlichen Flugzeugtreffer auf einen Behälter betrage weniger als 10-8/a, ein solches Ereignis sei vom Bundesamt für Strahlenschutz dem Restrisiko zugeordnet worden. Bei Annahme einer Aktivitätsfreisetzung von zwei Behältern über sieben Tage seien Dosiswerte unterhalb von 1 mSv ermittelt worden.
Randnummer87
In dem im Rahmen des Verfahrens zur 9. Änderungsgenehmigung im Auftrag der Antragsgegnerin erstellten „Gutachten zum Standort-Zwischenlager Philippsburg (ZL-KKP) – Lagerspezifische Aspekte bei der Aufbewahrung von CSD-B-Glaskokillen der AREVA NC in Transport- und Lagerbehältern der Bauart CASTOR HAW28M“ des TÜV NORD von Juli 2021 wird in Ziff. 9.4 ausgeführt, die BAM habe im Genehmigungsverfahren zur Aufbewahrung von HAW-Glaskokillen in Behältern der Bauart CASTOR HAW28M im TBL Gorleben das Verhalten eines Behälters dieser Bauart bei einem senkrechten Aufprall eines Flugzeugs auf das Deckelsystem begutachtet. Aufgrund der geringen freisetzbaren Aktivität im Behälterschacht sei lediglich der Integritätserhalt des Behälters nachzuweisen; die BAM habe den Erhalt der Integrität des Behälterkörpers und des Primärdeckelsystems bestätigt. In dem Gutachten sei konservativ unterstellt worden, dass das Doppeldeckel-Dichtsystem versage, und festgestellt worden, dass die radiologischen Auswirkungen aufgrund der geringen freisetzbaren Aktivität in der Behälteratmosphäre gering seien. Bezüglich der radiologischen Auswirkungen sei das Gutachten aus März 2014 insoweit abdeckend, als das potenziell freisetzbare Inventar eines mit CSD-B-Glaskokillen beladenen Behälters der Bauart CASTOR HAW28M mehrere Größenordnungen unter demjenigen eines Behälters der Bauart CASTOR V/19 liege. Bei einer Expositionszeit von sieben Tagen und einer Entfernung von 300 m seien aufgrund des niedrigeren Aktivitätsinventars Dosiswerte unterhalb von 0,1 mSv ermittelt worden. Bei Berücksichtigung der Einlagerung von beladenen Behältern der Bauarten CASTOR HAW28M, CASTOR V/52 und CASTOR V/19 ergäben sich Dosiswerte unterhalb von 1 mSv.
Randnummer88
In dem für die Antragsgegnerin im Rahmen des Verfahrens zu 10. Änderungsgenehmigung erstellten „Gutachten zum Standort-Zwischenlager Philippsburg (ZL-KKP /BZP) – Lagerspezifische Aspekte bei der Aufbewahrung von CSD-V-Glaskokillen in Transport- und Lagerbehältern der Bauart CASTOR HAW28M“ des TÜV NORD von Juli 2023 wird in Ziff. 9.4 festgestellt, dass die zur 9. Änderungsgenehmigung erfolgte Bewertung der Auswirkungen eines zufälligen Absturzes einer schnell fliegenden Militärmaschine mit einem abdeckenden Inventar durchgeführt worden und deshalb weiterhin gültig sei.
Randnummer89
Auf Grundlage dieser nachvollziehbar begründeten Gutachten dürfte die Antragsgegnerin das Szenario des zufälligen Absturzes eines Flugzeugs auf das Zwischenlager hinreichend betrachtet und zurecht festgestellt haben, dass die Auswirkungen eines solchen Ereignisses weit unterhalb des Evakuierungswerts liegen und damit nicht zu einschneidenden Maßnahmen des Katastrophenschutzes führen würden.
Randnummer90
Soweit die Antragsteller einwenden, es sei nicht nachvollziehbar, wieso bei einem solchen Absturz maximal zwei Lagerbehälter beschädigt bzw. zerstört werden sollten, dürften sie sich mit der gutachterlichen Feststellung nicht hinreichend auseinandergesetzt haben, wonach das gesamte mögliche Schadensausmaß hierdurch abdeckend beschrieben werde, weil (nur) der Deckel eines Behälters durch ein Triebwerk bzw. einen Dachbinder ungebremst getroffen werde.
Randnummer91
Auch hinsichtlich ihres Einwands, es sei lediglich die Freisetzung aus der Behälteratmosphäre berücksichtigt worden, nicht jedoch die sich durch die Zerstörung bzw. Beschädigung der eingelagerten Brennelemente bzw. Glaskokillen zusätzlich ergebende Aktivität, übersehen sie, dass die BAM den Integritätserhalt eines durch einen senkrechten Aufprall getroffenen Behälters der Bauart CASTOR HAW28M gutachterlich bestätigt hat, weshalb eine zusätzliche Aktivitätsfreisetzung voraussichtlich zurecht nicht berücksichtigt wurde.
Randnummer92
(2) Im Rahmen des gegenständlichen vorläufigen Rechtsschutzverfahrens nicht abschließend aufzuklären und deshalb im Rechtssinne als offen anzusehen ist, ob die Antragsgegnerin das Szenario eines zufälligen Absturzes einer schnell fliegenden bewaffneten Militärmaschine – mit zusätzlicher Einwirkung durch die Detonation-/Brandlast der Bewaffnung – zu Recht dem unentrinnbaren Restrisiko zugeordnet hat, gegen das Schadensvorsorge nicht verlangt werden kann.
Randnummer93
Dabei dürfte es unerheblich sein, dass die Zuordnung zum Restrisiko wohl erst im Rahmen des Widerspruchsverfahrens erfolgt ist, jedenfalls aber zuvor nicht aktenkundig geworden ist. Insoweit dürfte genügen, wenn sich in irgendeiner Weise – etwa auch erst auf Grundlage behördlicher Stellungnahmen im gerichtlichen Verfahren (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.3.2012 – 7 C 1.11 – BVerwGE 142, 159 Rn. 22) – nachvollziehen lässt, dass und auf welcher Grundlage die Abgrenzung des durch Vorsorge verminderbaren Risikos vom Restrisiko erfolgt ist (vgl. BayVGH, Urteil vom 08.04.2024 – 22 A 17.40026 – juris Rn. 187).
Randnummer94
Auch dürfte die Einschätzung der Antragsgegnerin zutreffen, dass die Eintrittswahrscheinlichkeit des zufälligen Absturzes einer schnell fliegenden bewaffneten Militärmaschine gegenüber einem unbewaffneten Kampfflugzeug deutlich geringer ist. Sie hat sich dabei auf die Stellungnahme des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg) vom 19.06.2023 im Verfahren des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zum Standort-Zwischenlager Gundremmingen berufen, in der ausgeführt wird, der überwiegende Teil der Flugbewegungen von schnell fliegenden Militärmaschinen im deutschen Luftraum finde ohne Bewaffnung statt, in der Umgebung kerntechnischer Anlagen fänden in der Regel keine Flüge mit Bewaffnung statt. Übungen mit Luft-Boden-Waffen beschränkten sich in Deutschland grundsätzlich auf wenige Areale, die nicht in der Umgebung des Standorts Gundremmingen lägen. Die meisten Absturzereignisse seien auf wenige, besonders risikobehaftete Flugsituationen (z. B. Start, Landung, Luftkampfübung) zurückzuführen, die in der Umgebung von kerntechnischen Anlagen im Allgemeinen und dem Standort Gundremmingen im Besonderen nicht aufträten. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (Urteil vom 08.04.2024 – 22 A 17.40026 – juris Rn. 185 f.) hat zudem auf Grundlage einer – dem Senat nicht vorliegenden – Stellungnahme der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) vom Oktober 2023 festgestellt, dass Kampfflugzeuge mit einsatzfähiger Munition in der Regel lediglich mit Luft-Luft-Lenkflugkörpern mit einer maximalen Sprengstoffmasse von etwa 7 kg bestückt seien, nicht aber mit Luft-Boden-Raketen mit deutlich größeren Sprengstoffmassen.
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Vor diesem Hintergrund spricht zwar Vieles dafür, dass die Antragsgegnerin das Szenario eines zufälligen Absturzes einer schnell fliegenden bewaffneten Militärmaschine auf das SZL Phillipsburg mit einer über den Aufprall des Flugzeugs hinausgehenden signifikanten Lasteinwirkung durch die Gefechtsköpfe zurecht dem Restrisiko zugeordnet hat. Im Hinblick auf das Vorbringen der Antragsteller, dass die Frequenz der Flugzeugbewegungen zur Verteidigung des NATO-Luftraums zugenommen habe und immer häufiger und immer mehr Abfangjäger aufsteigen würden, und die westlich des Zwischenlagers gelegenen Einrichtungen der US-Luftwaffe eine wichtige Verbindung zwischen den USA und dem Nahen Osten darstellen würden, scheint hier aber eine weitere Sachaufklärung im Hauptsacheverfahren geboten, zumal die von der Antragsgegnerin in Bezug genommene Stellungnahme des BMVg im Zusammenhang mit dem SZL Gundremmingen erfolgt ist. Jedenfalls im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens ist eine abschließende Beurteilung, ob die Risikobewertung der Antragsgegnerin auf einer ausreichenden Datengrundlage beruht, nicht möglich.
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b) Aus dem gleichen Grund ist nach derzeitigem Kenntnisstand des Senats teilweise offen, ob die Antragsgegnerin den nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderlichen Schutz gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 4 AtG als gewährleistet ansehen durfte.
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Im Bereich der SEWD-Szenarien wird das Risiko des Schadenseintritts maßgeblich durch gleichermaßen zielgerichtetes wie schwer berechenbares Verhalten Dritter bestimmt. Dabei ist die Abwehr krimineller oder terroristischer Aktivitäten in erster Linie öffentliche Aufgabe der staatlichen Sicherheitsbehörden. Allerdings kann auch der Betreiber einer Anlage mit hohem Risikopotenzial – wie eine kerntechnische Anlage – im Rahmen der gesetzlichen Eigentumsinhaltsbestimmung gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG zu adäquaten Anstrengungen verpflichtet werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.01.1989 – 7 C 31.87 – BVerwGE 81, 185 = juris Rn. 14). Der erforderliche Schutz kerntechnischer Anlagen wird nach geltendem Recht (§ 41 AtG) durch aufeinander abgestimmte Sicherungsmaßnahmen des Genehmigungsinhabers und Schutzmaßnahmen des Staates nach einem integrierten Sicherungs- und Schutzkonzept gewährleistet (vgl. zur früheren Rechtslage BVerwG, Urteil vom 10.04.2008 – 7 C 39.07 – BVerwGE 131, 129 Rn. 27). § 6 Abs. 2 Nr. 4 AtG normiert eine die Aufgabenwahrnehmung der staatlichen Sicherheitsbehörden ergänzende Verpflichtung des Anlagenbetreibers zu eigenen Sicherungsmaßnahmen. Dabei obliegt es dem Betreiber, den Schutz der Anlage durch baulich-technische sowie durch personelle und organisatorische Maßnahmen bis zum Eintreffen der Polizei (sog. Verzugszeit) zu gewährleisten (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.01.1989 – 7 C 31.87 – BVerwGE 81, 185 = juris Rn. 14).
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Die Risikoabschätzung ist im Bereich der SEWD schwieriger als im Bereich der Anlagensicherheit. Denn hinsichtlich der Eintrittswahrscheinlichkeiten bestimmter Szenarien kann sich die Behörde nicht auf Berechnungen stützen, sondern muss prognostische Einschätzungen zur Sicherheitslage zu Grunde legen (BT-Drs. 19/27659, S. 10; vgl. BayVGH, Urteil vom 08.04.2024 – 22 A 17.40026 – juris Rn. 161). Deshalb werden die zu unterstellenden Störmaßnahmen oder sonstigen Einwirkungen Dritter gemäß § 44 Abs. 1 AtG auf Grundlage der Erkenntnisse und Bewertungen der Sicherheits-, Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden des Bundes und der Länder festgelegt (Lastannahmen). Ausgehend von diesen Lastannahmen werden gemäß § 44 Abs. 2 Satz 1 und 2 AtG allgemeine sowie anlagentyp- und tätigkeitsspezifische Anforderungen und Maßnahmen für den erforderlichen Schutz der kerntechnischen Anlagen und Tätigkeiten unter Berücksichtigung des jeweiligen Gefahrenpotenzials in Richtlinien für den Schutz gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter (SEWD-Richtlinien) festgelegt. Dabei ist nach § 44 Abs. 2 Satz 3 AtG eine effektive Folgedosis von 100 Millisievert bis zum 70. Lebensjahr als Summe von Inhalation und sieben Tagen äußerer Bestrahlung als Richtwert zugrunde zu legen.
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Es liegt auf der Hand, dass dem Funktionsvorbehalt der Exekutive hier besondere Bedeutung zukommt, denn er betrifft vor allem den Inhalt der Risikoabschätzung, der letztlich nur politisch verantwortet werden kann. Er erschöpft sich nicht in der Identifikation der vorsorgerelevanten Risikoszenarien, sondern umfasst auch die konkrete Ausgestaltung der erforderlichen Schutzmaßnahmen (vgl. BVerwG, Urteile vom 22.03.2012 – 7 C 1.11 – BVerwGE 142, 159 Rn. 20 und vom 14.01.1998 – 11 C 11.96 – BVerwGE 106, 115 Rn. 80). Die Notwendigkeit wertender Einordnung besteht nicht nur bei der Risikobewertung, sondern auch bei der Risikoermittlung, etwa soweit Unsicherheiten über Kausalzusammenhänge bestehen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 08.01.2015 – 7 B 25.13 – juris Rn. 13). Hierfür sind die Fachbehörden mit einer Vielzahl von Sachverständigen für Terrorismusabwehr einerseits und Kerntechnik andererseits besonders gerüstet (BT-Drs. 19/27659 S. 18; vgl. BayVGH, Urteil vom 02.01.2006 – 22 A 04.40016 – juris Rn. 53). Es ist nicht Sache der Gerichte, Prognosen der Genehmigungsbehörde über künftige Entwicklungen und Geschehensabläufe im Hinblick auf Situationen zu korrigieren, die allenfalls im Grenzbereich des nach praktischer Vernunft noch Möglichen liegen könnten (vgl. BVerwG, Urteile vom 19.01.1989 – BVerwG 7 C 31.87 – BVerwGE 81, 185 = juris Rn. 21 und vom 22.03.2012 – 7 C 1.11 – BVerwGE 142, 159 Rn. 25).
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Der in der Rechtsprechung entwickelte Funktionsvorbehalt der Exekutive ist für den Bereich der Störmaßnahmen und sonstigen Einwirkungen Dritter mit dem 17. Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes vom 10. August 2021 (BGBl I S. 3528, in Kraft getreten am 01.09.2021) in § 44 Abs. 3 AtG normiert worden. Danach ist der erforderliche Schutz gegen Störmaßnahmen und sonstige Einwirkungen Dritter u. a. nach § 6 Abs. 2 Nr. 4 AtG gegeben, wenn der Schutz der kerntechnischen Anlage nach der Bewertung der Genehmigungs- oder Aufsichtsbehörde durch die in der Genehmigung festgelegten Maßnahmen gegen die nach § 44 Abs. 1 AtG in den Lastannahmen zu unterstellenden Störmaßnahmen oder sonstigen Einwirkungen Dritter sichergestellt ist.
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Der Senat geht nicht davon aus, dass die Vorschrift den Funktionsvorbehalt der Exekutive über die bisher von der Rechtsprechung herausgearbeiteten Grundsätze hinaus erweitert. Zwar könnte der Wortlaut auch dahingehend verstanden werden, dass der erforderliche Schutz gegen SEWD durch die behördliche Bewertung fingiert und die gerichtliche Kontrolle gänzlich ausgeschlossen werden soll. Auch in der Entstehungsgeschichte der Vorschrift finden sich hierfür Anhaltspunkte (vgl. zu beidem Mann/Marquard, NVwZ 2023, 369; Leidinger in Frenz, Atomrecht, § 44 AtG Rn. 33). Der Gesetzesbegründung ist jedoch zu entnehmen, dass die jahrzehntelange gefestigte Rechtsprechung zum Funktionsvorbehalt „gesetzlich verankert“ werden soll, weil Gerichte in jüngeren Entscheidungen dazu tendiert hätten, trotz des anerkannten Funktionsvorbehalts der Exekutive eigene fachliche Bewertungen an die Stelle der Bewertungen der Behörden und deren hinzugezogene Sachverständigen zu setzen (vgl. BT-Drs. 19/27659, S. 1 f.). Dem dürfte auch der Wortlaut als Grenze der Auslegung nicht entgegenstehen.
Randnummer102
Ungeachtet dessen ist das Mindestmaß gerichtlicher Kontrolldichte im Hinblick auf den Funktionsvorbehalt der Exekutive an dem Gebot eines effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG zu messen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.11.2009 – 1 BvR 1178/07 – juris Rn. 67; BVerwG, Urteil vom 22.3.2012 – 7 C 1.11 – BVerwGE 142, 149 Rn. 42 ff). Deshalb wäre es verfassungsrechtlich bedenklich, den Bereich des Schutzes gegen SEWD der gerichtlichen Kontrolle vollständig zu entziehen (vgl. Mann/Marquard, NVwZ 2023, 369; a. A. Leidinger in Frenz, Atomrecht, § 44 AtG Rn. 45). Deshalb dürfte eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift dahin geboten sein, dass die von der Rechtsprechung entwickelten Maßstäbe zum Funktionsvorbehalt im Grundsatz auch weiterhin Anwendung finden (vgl. bereits Senatsbeschluss vom 27.04.2022 – 10 S 1870/21 – juris Rn. 18; siehe zu alldem mit ähnlicher Einschätzung auch BayVGH, Urteil vom 08.04.2024 – 22 A 17.40026 – juris Rn. 169 m. w. N.). Diese Maßstäbe legt der Senat im Folgenden zugrunde.
Randnummer103
Der Funktionsvorbehalt der Exekutive führt nicht zu einer Beweislastumkehr mit der Folge, dass die Antragsteller nachweisen müssen, dass die behördlichen Annahmen auf einer unzureichenden Datenbasis beruhen oder dem Stand von Wissenschaft und Technik nicht hinreichend Rechnung tragen. Das Gericht darf im Hauptsacheverfahren nicht von einer vollen Überzeugung ausgehen, wenn eine Beweisaufnahme veranlasst ist, weil die der verfahrensgegenständlichen Genehmigung zugrunde liegenden Annahmen und Bewertungen der Behörde im Hinblick auf den Stand von Wissenschaft und Technik als widerlegbar erscheinen. Dabei dürfen keine überzogenen Anforderungen an die Substantiierung von Einwendungen gestellt und die gerichtliche Prüfung auf eine Plausibilitätskontrolle reduziert werden, indem die Entscheidungserheblichkeit als geheimhaltungsbedürftig zurückgehaltener Unterlagen (pauschal) verneint wird. Es darf namentlich von den Drittbetroffenen kein Vortrag erwartet werden, den sie mangels Kenntnis der Entscheidungsgrundlage nicht liefern können. Die Substantiierungspflicht kann angesichts des Erfordernisses einer fairen Verfahrensgestaltung und des Gebotes des effektiven Rechtsschutzes nicht weitergehen, als sie vom Betroffenen nach dem jeweiligen Kenntnisstand erfüllt werden kann. Es ist Aufgabe der Verwaltungsgerichte, von Amts wegen aufzuklären, ob die behördliche Entscheidung auf einer ausreichend breiten Datenbasis und hinreichend konservativen Annahmen beruht. Auch wenn eine Reihe von Unterlagen, Gutachten etc. aus dem atomrechtlichen Genehmigungsverfahren aus guten Gründen geheimhaltungsbedürftig sind (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 28.06.2017 – 20 F 12.16 – juris Rn. 12 und vom 20.09.2010 – 20 F 9.10 – juris Rn. 11 f.), darf die Aufklärung des entscheidungserheblichen Streitstoffs nicht durch richterliche Überzeugungsbildung ersetzt werden (vgl. zu alldem BVerwG, Urteile vom 22.03.2012 – 7 C 1.11 – BVerwGE 142, 159 = juris Rn. 21, 37, 44 und vom 22.10.1987 – 7 C 4.85 – BVerwGE 78, 177 = juris Rn. 14). Für das gerichtliche Eilverfahren bedeutet dies, dass im Rahmen der allein möglichen und auch nur gebotenen summarischen Prüfung nicht von der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Genehmigungen ausgegangen werden kann, wenn die zugrunde liegenden Annahmen und Bewertungen der Behörde im Hinblick auf den Stand von Wissenschaft und Technik aufgrund hinreichend substantiierter Einwendungen der Antragsteller als widerlegbar erscheinen, oder wenn die Aufklärung des entscheidungserheblichen Streitstoffs aufgrund fehlender bzw. (teil-)geschwärzter Unterlagen noch nicht abschließend möglich ist (vgl. zum gerichtlichen Prüfungsprogramm Hoppe in Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, § 80 Rn. 90 ff.; siehe auch Hessischer VGH, Beschluss vom 21.10.2020 – 6 B 2381/20.T – juris Rn. 104).
Randnummer104
aa) Nach diesen Maßgaben dürfte die Frage, ob der erforderliche Schutz gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter gewährleistet ist, jedenfalls punktuell eine weitere Sachaufklärung im Hauptsacheverfahren erfordern.
Randnummer105
Die Antragsgegnerin hat in der Begründung der beiden Änderungsgenehmigungen ausgeführt, die der Beigeladenen obliegenden Sicherungsmaßnahmen seien auf Grundlage der „Lastannahmen zur Auslegung kerntechnischer Anlagen und Einrichtungen gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter (Lastannahmen Anlagen)“ in der Fassung vom 15.02.2019 (Revision 4.0) bestimmt worden, die Beigeladene habe nachgewiesen, dass die hieraus abgeleiteten Anforderungen der „Richtlinie zur Sicherung von Zwischenlagern gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter (SEWD)“ vom 10.05.2012 (SEWD-RL Zwischenlager) erfüllt seien.
Randnummer106
Die Lastannahmen Anlagen, die ausweislich der Bekanntmachung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz vom 10.01.2024 (GMBl. 2024, S. 415 ff.) neu gefasst worden sind (Revision 5.0), werden von der Antragsgegnerin mit dem Geheimhaltungsgrad VS-VERTRAULICH eingestuft und in gerichtlichen Verfahren wohl zurecht nicht vorgelegt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.06.2017 – 20 F 12.16 – juris Rn. 12). Nach der Bekanntmachung erhalten die Lastannahmen Anlagen in verschiedenen Abschnitten eine Beschreibung der zu unterstellenden Tatmuster (Ziele und Absichten der Täter), der potentiellen Täter (Art, Anzahl, Qualifikation, Motivation, Zugangsmöglichkeiten und die zu unterstellende Täterbewaffnung), der auch unter Berücksichtigung der Wirksamkeit der präventiven und repressiven staatlichen Verbrechens- und Terrorbekämpfung aus legalen und illegalen Quellen verfügbaren Hilfsmittel mit Leistungs- bzw. Mengenangaben unterteilt nach Kategorien (Sprengmittel einschließlich der von den Lastannahmen Anlagen erfassten militärischen Wirkmittel, thermische Hilfsmittel, mechanische Hilfsmittel, Fahrzeuge und Beförderungsmittel etc.) und die zu unterstellenden Vorgehensweisen und Tathandlungen. Die Festlegung der Lastannahmen beruht auf einer Risikoanalyse auf Grundlage einer Gefährdungsbewertung des Bundeskriminalamts (BKA) unter Einbeziehung weiterer Bundessicherheitsbehörden (BMI, BND, BfV) und der Landeskriminalämter, die in einem „Gefährdungslagebild für ortsfeste kerntechnische Einrichtungen“ zusammengefasst wird. Die notwendige Konkretisierung der zu unterstellenden Täterprofile, Tathandlungen und Hilfsmittel erfolgt anhand einsatztaktischer (Festlegung der Vorgehensweisen der Täter), kriminalistischer (Festlegung der möglichen Hilfsmittel) als auch technischen und radiologischen (Bewertung möglicher Tatfolgen) Aspekte.
Randnummer107
Soweit die Antragsteller geltend machen, dass seit dem Angriffskrieg von Russland auf die Ukraine sowie der Entwicklungen im Nahen Osten eine neue Gefährdungslage eingetreten und aus den Genehmigungsunterlagen nicht ersichtlich sei, ob hierauf im Rahmen der Lastannahmen reagiert worden sei, dürften gerade diese Entwicklungen in der Gefährdungsbewertung des BKA im Rahmen des der Revision 5.0 der Lastannahmen Anlagen vorgeschalteten Evaluationsprozesses betrachtet worden sein. Die Antragsgegnerin hat hierzu ausgeführt, dass sich vor dem Hintergrund des Angriffskriegs von Russland auf die Ukraine im Jahr 2022 keine Änderung der Gefährdungslage für kerntechnische Anlagen in Deutschland ergeben hätte. Nach dem von der Antragsgegnerin vorgelegten Schreiben des BKA vom 24.10.2024 liegen den Sicherheitsbehörden keine Hinweise auf eine konkrete Gefährdung ortsfester kerntechnischer Anlagen in Deutschland vor, im direkten Zusammenhang mit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine sowie den Ereignissen in Nahost ließen sich keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Gefährdungslage in Deutschland ableiten. Weil sich diese Einschätzung spezifisch auf – besonders gesicherte – ortsfeste kerntechnische Einrichtungen bezieht, dürfte sie auch nicht im Widerspruch zu der von den Antragstellern in Bezug genommenen aktuellen Warnung der Nachrichtendienste im Rahmen der Anhörung des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Deutschen Bundestags vor russischen Sabotageakten auf kritische Infrastruktur und militärische Einrichtungen stehen.
Randnummer108
Die von den Antragstellern als eine nicht (mehr) rein theoretische Möglichkeit erachtete kriegerische Auseinandersetzung zwischen der Russischen Föderation und der Bundesrepublik Deutschland dürfte nicht dazu führen, dass die Lastannahmen auf entsprechende Szenarien zu erweitern wären. Es kann dahinstehen, wie realistisch ein solches Geschehen ist bzw. wie die Sicherheitsbehörden dieses Risiko einschätzen. Denn unmittelbare Einwirkungen auf eine kerntechnische Anlage im Rahmen eines bewaffneten Konflikts zwischen Staaten oder vergleichbaren Akteuren unter Einsatz von Kombattanten dürften schon nicht Gegenstand des integrierten Sicherungs- und Schutzkonzept des § 41 AtG sein bzw. den Störmaßnahmen oder sonstigen Einwirkungen Dritter i. S. d. 43 Abs. 1 AtG unterfallen, gegen die der Genehmigungsinhaber gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 4 AtG den erforderlichen Schutz durch präventive und reaktive Maßnahmen sicherzustellen hat (vgl. BayVGH, Urteil vom 07.10.2004 – 22 A 03.40036 – juris Rn. 17; OVG Niedersachsen, Urteil vom 08.03.2006 – 7 KS 145/02 – juris Rn. 142; Leidinger in Frenz, Atomrecht, § 41 AtG Rn. 12 ff.; offengelassen von BVerwG, Urteil vom 10.04.2008 – 7 C 39.07 – BVerwGE 131, 129 Rn. 17). Dafür spricht zunächst der geschichtliche Zusammenhang, in dem das Atomgesetz 1959 beschlossen worden ist. Wenn der Gesetzgeber in der damaligen Lage, in der der Ausbruch eines Krieges nicht als ganz unwahrscheinlich angesehen werden konnte, Vorkehrungen gegen kriegerische Einwirkungen gefordert hätte, wäre die mit dem Gesetz bezweckte Errichtung von Kernkraftwerken von vornherein unmöglich gewesen. Kriegsbedingte Einwirkungen auf eine kerntechnische Anlage lassen sich beliebig stark denken und erreichen dabei unweigerlich eine Intensität, ab der ein hinreichender Schutz durch Sicherungsmaßnahmen des Anlagenbetreibers nicht mehr gewährleistet werden kann. Hiergegen kann – wie die Antragsteller selbst einräumen – letztlich nur die Bundeswehr, ggf. mit Unterstützung der Streitkräfte der Bündnispartner, wirksamen Schutz bieten, der von Verfassungs wegen gemäß Art. 87a Abs. 3 Satz 1 GG die Befugnis zukommt, zivile Objekte wie Zwischenlager im Spannungs- oder Verteidigungsfall zu schützen. Soweit denkbare kriegsbedingte Einwirkungen die Auslegung eines Zwischenlagers gegen SEWD-Szenarien und zivilisationsbedingte Ereignisse von außen (Erdbeben, Explosionsdruckwellen, Flugzeugabstürze usw.) überschreiten, dürften zusätzlichen Sicherungsmaßnahmen des Genehmigungsinhabers nicht zu fordern sein.
Randnummer109
Davon zu unterscheiden sind Szenarien terroristischer Anschläge, die mit kriegsbedingten Einwirkungen aus völkerrechtlicher Sicht, aus faktischen Gründen und mangels klarer begrifflicher Differenzierungskriterien auch dann nicht gleichzustellen sind, wenn sie im Rahmen einer sog. hybriden Kriegsführung auf Veranlassung eines Staats erfolgen, und die im Tatbestand des § 6 Abs. 2 Nr. 4 AtG enthalten sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.04.2008 – 7 C 39.07 – BVerwGE 131, 129 Rn. 17). Insoweit machen die Antragsteller geltend, es sei nicht erkennbar, dass die Antragsgegnerin im Rahmen der Lastannahmen alle verfügbaren Tatmittel ausreichend berücksichtigt habe.
Randnummer110
Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Nichtzulassungsbeschluss vom 08.01.2015 (- 7 B 25.13 – juris Rn. 7) ausgeführt, die Bestimmung der im Genehmigungsverfahren in den Blick zu nehmenden Waffentypen sei der gerichtlichen Kontrolle nicht entzogen. Der Funktionsvorbehalt stelle die Verwaltungsgerichte nicht von der Aufgabe frei zu prüfen, ob die Genehmigungsbehörde die Datenbasis, auf deren Grundlage sie entschieden hat, als ausreichend ansehen durfte und ob die damit verbundenen Bewertungen ihr als hinreichend konservativ erscheinen konnten; dies setzte einen Nachvollzug der gedanklichen Operationen der Genehmigungsbehörde voraus. Aus Sicht des erkennenden Senats dürfte die gerichtliche Prüfung dabei aber nicht die komplexe behördliche Aufgabe ersetzen, eine Grenze zu ziehen zwischen den im Hinblick auf Tätervorgehensweisen sowie Art und Anzahl von Waffen, Tätern und Hilfsmitteln zu unterstellenden SEWD und weitergehenden Szenarien, die nicht unterstellt zu werden brauchen, auch wenn sie nicht völlig ausgeschlossen sind. Im Bereich der SEWD ist ein „absoluter Schutz“ unmöglich (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.4.2008 – 7 C 39.07 – juris Rn. 23).  Diese Grenzziehung beruht in erster Linie auf fachlichen Wertungen der Sicherheitsbehörden auf der Basis ihrer Erkenntnisse und nicht auf der festgelegten Eintrittswahrscheinlichkeit krimineller oder terroristischer Handlungen (vgl. BT-Drs. 19/27659, S. 10, 17).
Randnummer111
Soweit die Antragsteller vorgetragen haben, es müsse auch ein terroristischer Anschlag auf das SZL Philippsburg mit sprengstofftragenden Drohnen unterstellt werden, die frei verfügbar seien und nicht nur massenhaft im Ukraine-Krieg, sondern etwa auch von der Hamas oder Drogenkartellen in Mexiko eingesetzt würden, dürfte dieses Szenario im Rahmen der Lastannahmen betrachtet worden sein. Denn die Antragsgegnerin hat ausgeführt, Anschlagsszenarien durch Dritte unter Verwendung von Drohnen seien bereits in dem im Zeitpunkt der Erteilung der beiden Änderungsgenehmigungen geltenden sicherungstechnischen Regelwerk (Revision 4.0) berücksichtigt. Die Lastannahmen seien im Rahmen des letzten Evaluationsprozesses insbesondere hinsichtlich dieses Aspekts vertieft geprüft und bewertet worden, infolgedessen hätten sich im Rahmen dieses Evaluationsprozesses auch Änderungen in Bezug auf den zu unterstellenden Einsatz von Drohnen ergeben.
Randnummer112
Auf den Einwand der Antragsteller, es sei nicht ersichtlich, inwiefern die Verwendung moderner panzerbrechende Waffen – ggf. sogar aus dem Luftraum heraus – oder bunkerbrechende Lenkflugkörper berücksichtigt worden seien, hat die Antragsgegnerin lediglich ausgeführt, in den Lastannahmen Anlagen würden keine einzelnen Waffenmodelle beschrieben, sondern die für ein SEWD-Szenario typischen und abdeckenden Leistungsmerkmale potentieller Tatmittel, wodurch sichergestellt werde, dass auch aktuellste Tatmittel und modernste Waffen einbezogen würden, wenn sie – basierend auf den Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden – für potenzielle Täter verfügbar seien. Zwar spricht schon wegen der Struktur des Evaluationsprozesses der Lastannahmen viel dafür, dass die Datengrundlage hinreichend ermittelt wurde und die Bewertung den behördlichen Beurteilungsspielraum nicht überschritten hat. Eine abschließende gerichtliche Beurteilung im Sinne eines Nachvollzugs der gedanklichen Operationen der Genehmigungsbehörde dürfte allein auf Grundlage der bisherigen Angaben der Antragsgegnerin aber nicht möglich sein. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Feststellungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (Urteil vom 08.04.2024 – 22 A 17.40026 – juris Rn. 264 f.), die Lastannahmen Anlagen enthielten panzerbrechende Waffen in Gestalt von Hohlladungsgeschossen sowie weitere Tatmittel, die in der Lage seien, die Baustrukturen eines Zwischenlagers des auch in Philippsburg vorhandenen Typs WTI, insbesondere dessen 70 cm dicke Stahlbetonwand, vollständig zu durchdringen.
Randnummer113
Allerdings dürfte es für die Frage, ob der nach § 6 Abs. 2 Nr. 4 AtG erforderliche Schutz gewährleistet ist, nicht auf die Lastannahmen an sich, sondern darauf ankommen, ob durch die von dem Anlagenbetreiber durchzuführenden Sicherungsmaßnahmen ein wirksamer Schutz der Anlage gegeben ist (vgl. BayVGH, Urteil vom 08.04.2024 – 22 A 17.40026 – juris Rn. 268). Die Lastannahmen dürften nur insoweit entscheidungserheblich sein, als Art und Umfang der erforderlichen Sicherungsmaßnahmen hieraus abgeleitet werden. Wenn diese Maßnahmen für die zu unterstellenden SEWD-Szenarien abdeckend sind, dürfte es nicht mehr darauf ankommen, ob die zu berücksichtigenden Tatmittel in den Lastannahmen ausdrücklich aufgeführt werden oder nicht.
Randnummer114
Aus diesem Grund dürfte sich entgegen dem Vorbringen der Antragsteller kein Rechtsfehler daraus ergeben, dass die Antragsgegnerin im Widerspruchsverfahren laut der Begründung ihrer Widerspruchsbescheide vom 30.07.2024 noch auf die Lastannahme Anlagen in der Fassung vom 15.02.2019 (Revision 4.0) abgestellt hat, obwohl die Neufassung der Lastannahmen (Revision 5.0) bereits am 10.01.2024 bekanntgegeben worden war. Denn nach ihren Angaben in der Antragserwiderung hat der Evaluationsprozess zwar zu inhaltlichen Änderungen der Lastannahmen in Form von z. B. Anpassungen der Leistungs- und Gewichtsparameter für einzelne zu unterstellende Hilfsmittel oder der Erweiterung des Anwendungsspektrums von zu unterstellenden Hilfsmitteln geführt. Zugleich sei aber festgestellt worden, dass die vorgenommenen Änderungen durch die in der SEWD-RL Zwischenlager festgeschriebenen Maßnahmen abgedeckt seien, weshalb eine Anpassung der Richtlinie durch Vorgabe ergänzender Sicherungsmaßnahmen nicht erforderlich gewesen sei. Dies bedeutet, dass bei Erfüllung der Anforderungen der SEWD-RL Zwischenlager der erforderliche Schutz auch Im Hinblick auf die in der Neufassung der Lastannahmen Anlagen enthaltenen Szenarien gewährleistet ist.
Randnummer115
Hinsichtlich des Einsatzes von Drohnen dürfte wirksamer Schutz vor allem dadurch erreicht werden, dass das Lagergebäude nach den Angaben der Antragsgegnerin als geschlossene Halle mit einer vorgegebenen Barrierequalität errichtet wurde und die im Lagerbereich bestehenden Lüftungsöffnungen mit Gittern verschlossen sind. Damit dürfte – worauf die Antragsgegnerin hinweist – ausgeschlossen sein, dass mit Sprengstoff beladene Drohnen in das Lagergebäude eindringen und in unmittelbarer Nähe eines oder mehrerer Behälter eine Explosion herbeiführen können.
Randnummer116
Auch eine unmittelbare Einwirkung auf die Behälter in Form eines direkten Beschusses mit panzerbrechenden Geschossen dürfte auf Grundlage der durchgeführten Sicherungsmaßnahmen nicht (mehr) zu befürchten sein. Denn nach Ziff. 4 der SEWD-RL Zwischenlager hat der Betreiber insbesondere zu verhindern, dass Täter innerhalb der Verzugszeit in das Lagergebäude eindringen, um mit Hilfsmitteln der Lastannahmen unmittelbar auf Lagerbehälter mit der Folge einer erheblichen Freisetzung einwirken, oder mit Hilfsmitteln der Lastannahmen von außerhalb des Lagergebäudes auf Lagerbehälter mit der Folge einer erheblichen Freisetzung einwirken. Dabei haben nach Ziff. 5 der SEWD-RL Zwischenlager bauliche und sonstige technische Maßnahmen grundsätzlich Vorrang vor personellen und organisatorischen Maßnahmen.
Randnummer117
Zur Umsetzung dieser Vorgaben wurden mit der 8. Änderungsgenehmigung verschiedene Maßnahmen zur Erweiterung des Schutzes des SZL Philippsburg gegen SEWD auf der Basis eines grundlegend geänderten Sicherungskonzepts genehmigt. Im Rahmen der sicherungstechnischen Nachrüstung ist unter anderem eine vierseitig umlaufende Barrierewand aus Stahlbeton mit einer Dicke von mindestens 0,85 m und einer Höhe von 10,50 m, die bis über die Oberkante der seitlichen Zuluftöffnungen des ca. 18,5 m hohen Lagergebäudes hinausreicht, der Einbau entsprechend ausgelegter Türen und eines entsprechend ausgelegten Tors, eine neue Personenvereinzelungsanlage als Gitterkonstruktion vor der Barrierewand sowie eine Anpassung des Durchfahrschutzes vorgesehen.
Randnummer118
Nach Auskunft des Ministeriums für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg vom 18.10.2024 sind die baulichen Maßnahmen aus der 8. Änderungsgenehmigung abgeschlossen, wobei noch eine Bestätigung der Aufsichtsbehörde fehlt; die technischen Maßnahmen befinden sich noch in der Umsetzung. Falls nicht bereits durch die genannten Baumaßnahmen, die schon durchgeführten technischen Maßnahmen wie die von der Antragsgegnerin genannte Erweiterung des vorhandenen Durchfahrschutzes und die vorgenommenen temporären Maßnahmen – hierfür nennt die Antragsgegnerin eine Verstärkung des Objektsicherungsdiensts und eine Erweiterung seiner Ausrüstung – ein Eindringen bewaffneter Tätergruppen in die Lagerhalle ausgeschlossen wird, dürfte jedenfalls mit Abschluss der Umrüstphase und damit voraussichtlich vor einer Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr von der Möglichkeit einer unmittelbaren Einwirkung auf die Behälter auszugehen sein.
Randnummer119
Soweit die Antragsteller geltend machen, dass durch den Einsatz panzerbrechender Waffen, mit Sprengstoff beladener Drohnen oder Boden-Boden-Raketen ein Eindringen in das Lagergebäude und damit ein direkter Beschuss der Behälter weiterhin möglich sei, dürfte ihr Vorbringen mit Blick auf die Ausführungen der Antragsgegnerin zu den baulich-technischen Schutzmaßnahmen nicht hinreichend substantiiert sein. Allerdings hat die Antragsgegnerin bisher auch noch keine konkreten Angaben etwa zur Widerstandsfähigkeit der Barrierewand oder zu den für die Überwindung der baulichen Barrieren in Frage kommenden Tatmitteln und Vorgehensweisen in den Lastannahmen gemacht. Entsprechendes gilt für den von den Antragstellern für möglich gehaltenen Beschuss des Gebäudes von außen etwa mit bunkerbrechenden Lenkflugkörpern mit der befürchteten Folge eines Integritätsverlusts der Behälter, denn diesbezüglich hat die Antragsgegnerin ebenfalls noch nicht zu den von den Lastannahmen Anlagen abgedeckten Waffensystemen – etwa zu möglicherweise verfügbaren ballistischen Raketen und Lenkwaffen – Stellung genommen. Insoweit erscheint eine weitere gerichtliche Sachaufklärung im Hauptsacheverfahren jedenfalls in Form einer Befragung der Genehmigungsbehörde geboten.
Randnummer120
Im Rahmen des Hauptsacheverfahrens dürfte auch der Frage nachzugehen sein, inwiefern die bisherigen bestandskräftigen Genehmigungen insbesondere hinsichtlich der baulich-technischen Schutzmaßnahmen die verbindliche Feststellung enthalten, dass die atomrechtlichen Genehmigungsvoraussetzungen in Form des erforderlichen Schutzes gegen SEWD – und damit auch die Anforderungen des sicherheitstechnischen Regelwerks – erfüllt sind (vgl. zum Umfang der Feststellungwirkung einer atomrechtlichen Genehmigung BVerwG, Urteile vom 22.01.1997 – 11 C 7.95 – BVerwGE 104, 36 = juris Rn. 24 f. und vom 07.06.1991 – 7 C 43.90 – BVerwGE 88, 286 = juris Rn. 13; Senatsurteil vom 30.10.2014 – 10 S 3450/11 – juris Rn. 109), bzw. ob die Änderungsgenehmigungen die Genehmigungsfrage insoweit überhaupt neu aufwerfen.
Randnummer121
bb) Die Antragsteller können voraussichtlich nicht mit Erfolg geltend machen, es sei nicht nachgewiesen, dass das Szenario eines gezielten Absturzes eines großen Verkehrsflugzeugs auf das Lagergebäude ausreichend betrachtet worden sei.
Randnummer122
Dieses Szenario ist in den Lastannahmen Anlagen nicht enthalten und wird damit auch in der SEWD-RL Zwischenlager nicht berücksichtigt. Dennoch ist ein solches Ereignis im Grundsatz nicht dem Restrisiko, sondern dem Bereich der Schadensvorsorge zuzuordnen (vgl. BVerwG, Urteile vom 22.03.2012 – 7 C 1.11 – BVerwGE 142, 159 Rn. 20 und vom 10.04.2008 – 7 C 39.07 – BVerwGE 131, 129 Rn. 34; siehe zu einer abweichenden Beurteilung für eine der vorübergehenden Lagerung von schwach- bis mittelradioaktivem Material dienenden Pufferlagerflächen BVerwG, Urteil vom 21.01.2021 – 7 C 4.19 – BVerwGE 171, 128 Rn. 29). Aufgrund der Parallele dieses Ereignisses zur Sicherheitsebene 4 im Bereich der Anlagensicherheit kommen auch hier Maßnahmen zur Minimierung bzw. Begrenzung der Strahlenexposition in Betracht.
Randnummer123
Die Antragsgegnerin hat die Auswirkungen eines gezielt herbeigeführten Absturzes eines großen Verkehrsflugzeugs gutachterlich geprüft und festgestellt, die in konservativer Weise ermittele maximale effektive Dosis für die Referenzperson an der ungünstigsten Einwirkstelle sei deutlich kleiner als der Richtwert von 100 mSv nach § 44 Abs. 2 Satz 3 AtG. Sie kommt deshalb zu dem Schluss, dass der gezielt herbeigeführte Absturz eines großen Verkehrsflugzeugs lediglich Folgen verursache, die der Genehmigung selbst dann nicht entgegenstünden, wenn es in den Lastannahmen enthalten wäre.
Randnummer124
Dieses Ergebnis findet sich auch in der „Zusammenfassung der gutachterlichen Stellungnahme zu den Auswirkungen eines gezielt herbeigeführten Flugzeugabsturzes auf das Standort-Zwischenlager Philippsburg für die Durchführung eines Genehmigungsverfahrens nach § 6 Atomgesetz hinsichtlich der Aufbewahrung von verglasten, hochradioaktiven Abfällen in Transport- und Lagerbehältern der Bauart CASTOR HAW28M“ des TÜV SÜD von August 2023 wieder. Die eigentliche gutachterliche „Stellungnahme zu den Auswirkungen eines gezielt herbeigeführten Flugzeugabsturzes auf das Standort-Zwischenlager Philippsburg für die Durchführung eines Genehmigungsverfahrens nach § 6 Atomgesetz hinsichtlich der Aufbewahrung von verglasten, hochradioaktiven Abfällen in Transport- und Lagerbehältern der Bauart CASTOR HAW28M“ des TÜV SÜD von Juli 2023 ist als „VS – Nur für den Dienstgebrauch“ klassifiziert und wurde bisher nicht vorgelegt.
Randnummer125
Entgegen der Vermutung der Antragsteller ist der Zusammenfassung zu entnehmen, dass der Airbus A 380 als größtes Verkehrsflugzeug berücksichtigt wurde. In Ziff.1.4.1 wird ausgeführt, es seien verschiedene Verkehrsflugzeugtypen zusammengestellt und nach leichten, mittelschweren, schweren und sehr schweren Maschinen kategorisiert worden. In der Regel führten schwere Flugzeugtypen zu höheren Belastungen des getroffenen Bauwerks und letztlich auch der Transport- und Lagerbehälter. Als größtes Verkehrsflugzeug sei der Airbus A 380 betrachtet worden.
Randnummer126
Auch soweit die Antragsteller einwenden, es sei nicht erkennbar, ob bei der Untersuchung lediglich die Zerstörung eines Behälters oder aller potenziell im Zwischenlager befindlichen Behälter unterstellt worden sei, lässt sich dies mit der Zusammenfassung des TÜV-Gutachtens beantworten. Dort wird unter Ziff. 2.3 ausgeführt, nach den angenommenen abdeckenden mechanischen Einwirkungen durch Dachbinder sowie durch seitlich anprallende Trümmer sei die strukturelle Integrität der Transport- und Lagerbehälter weiterhin gewährleistet. Hinsichtlich der thermischen Einwirkungen (insbesondere Kerosinbrand) sei konservativ ein vollständiger Verlust der Dichtwirkung des Doppeldeckeldichtsystems der betroffenen Behälter sowie ein Defekt der Stahlummantelungen aller Glaskokillen in den vier Behältern der Bauart CASTOR HAW28M unterstellt worden. Bei der Freisetzungsberechnung sei von einer Vollbelegung des Zwischenlagers sowie einer Belastung aller 152 Behälter ausgegangen worden. Unter Ziff. 3 wird ausgeführt, für die Ermittlung des Quellterms seien die (einschließlich der 10. Änderungsgenehmigung) maximal genehmigten Inventare und die hinsichtlich der radiologischen Folgen ungünstigste Lagerbelegung zugrunde gelegt worden. Es sei abdeckend eine vollständige Freisetzung des gesamten in der Glasmatrix der Kokillen der vier Behälter vorhandenen H-3, Kr-85 und I-129 in die Behälteratmosphäre unterstellt worden, zudem sei für die Freisetzung des Cäsiums (Cs-134 und Cs-137) in konservativer Weise unterstellt worden, dass das Cäsium in der Behälteratmosphäre vollständig als Cäsiumiodid vorliegt. Aufgrund des unterstellten vollständigen Funktionsverlusts des Doppeldeckeldichtsystems sei eine vollständige Freisetzung der in den Behälteratmosphären der vier Behälter der Bauart CASTOR HAW28M vorliegenden leichtflüchtigen radioaktiven Stoffe angenommen worden. Da der Quellterm für das mit der 5. Änderungsgenehmigung genehmigte Inventar der Behälter der Bauart CASTOR V/52 nach der 96er-Zulassung deutlich höher sei als für das Inventar der Behälter der Bauart CASTOR HAW28M mit HAW-Glaskokillen, sei dieser Quellterm als abdeckend herangezogen worden.
Randnummer127
Es ist nicht erkennbar, dass die dargestellte Datengrundlage unzutreffend sein, nicht dem Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen oder nicht hinreichend konservativ sein könnte. Auch die Antragsteller haben nichts vorgetragen, aus dem sich ergibt, dass die Annahmen und Bewertungen der Behörde bzw. der von ihr beauftragten Gutachter im Hinblick auf den Stand von Wissenschaft und Technik als widerlegbar erscheinen.
Randnummer128
cc) Soweit die Antragsteller geltend machen, für den Fall eines auslegungsüberschreitenden Ereignisses wie den gezielten Absturz eines großen Verkehrsflugzeugs auf das Zwischenlager sei die Einhaltung des maßgeblichen Grenzwerts an dem im Eigentum der Antragstellerin Ziff. 4 stehenden … (Flst. Nr. XXXX/X) nicht entsprechend der „Berechnungsgrundlage zur Ermittlung der Strahlenexposition infolge von Störmaßnahmen oder sonstigen Einwirkungen Dritter (SEWD) auf kerntechnische Anlagen und Einrichtungen“ vom 28.10.2024 (SEWD-Berechnungsgrundlage) nachgewiesen, dringen sie damit jedenfalls nicht mehr durch.
Randnummer129
Die Antragsgegnerin hat in ihren Widerspruchsbescheiden eingeräumt, dass eine solche Berechnung für den XXXXX nicht durchgeführt worden sei. In der Zusammenfassung der gutachterlichen Stellungnahme des TÜV SÜD von August 2023 wird ausgeführt, durch den Abbau der beiden Kühltürme im Jahr 2020 seien die früheren Ausbreitungsberechnungen im Hinblick auf die veränderten Strömungsbedingungen nicht mehr aktuell gewesen; stattdessen seien die am Standort geplanten bzw. zum Teil in Bau befindlichen Gebäude eines Umspannwerks im Bereich der früheren Kühltürme sowie ein geplantes Wach- und Funktionsgebäude nördlich des Zwischenlagers berücksichtigt worden. Als ungünstigste Einwirkungsstelle sei die Bebauung westnordwestlich vom Freisetzungsort in ca. 925 m Entfernung ermittelt worden; für andere Ort in anderen Richtungen sei überprüft worden, ob dort höhere Strahlenexpositionen aufgrund der gewählten Ausbreitungsszenarien möglich seien, was nicht der Fall gewesen sei. Entsprechend der SEWD-Berechnungsgrundlage sei zur Ermittlung der Strahlenexposition an der ungünstigsten Einwirkungsstelle für eine Wohnbebauung eine Expositionszeit von 168 Stunden und für eine Arbeitsstätte eine Expositionszeit von 40 Stunden angesetzt worden. Als Ergebnis dieser Berechnungen sei gezeigt worden, dass bei einem gezielt herbeigeführten Flugzeugabsturz auf das SZL Philippsburg die maximale effektive Dosis für Personen aller Altersgruppen an der ungünstigsten Einwirkungsstelle deutlich kleiner sei als der Richtwert nach § 44 Abs. 2 Satz 3 AtG sowie der SEWD-Berechnungsgrundlage.
Randnummer130
Im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens hat der TÜV SÜD im Auftrag der Antragsgegnerin („Stellungnahme zu den Auswirkungen eines gezielt herbeigeführten Flugzeugabsturzes auf das Standort-Zwischenlager Philippsburg hinsichtlich der radiologischen Auswirkungen am Aufpunkt „…“ unter Berücksichtigung der Aufbewahrung von verglasten, hochradioaktiven Abfällen in Transport- und Lagerbehältern der Bauart CASTOR HAW28M“ von Oktober 2024) für das beschriebene Szenario an dem Gebäude der Antragstellerin Ziff. 4 bei unterstellter Wohnbebauung anhand der SEWD-Berechnungsgrundlage eine maximale Strahlenexposition von 0,15 mSv ermittelt. Damit würde der Evakuierungswert auch an diesem Ort bei weitem nicht überschritten werden.
Randnummer131
Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass der … wohl nur als Arbeitsstätte und nicht als Wohnbebauung hätte berücksichtigt werden müssen. In der SEWD-Berechnungsgrundlage wird Wohnbebauung definiert als genehmigte Gebäude, die Personen als fester, dauerhafter Wohnsitz oder zum vorrübergehenden Bewohnen dienen. Dass eine derartige Nutzung auf dem Grundstück Flst. Nr. XXXX/X genehmigt ist, hat die Antragstellerin Ziff. 4 nicht dargelegt. Durch die von ihr vorgelegte Baugenehmigung vom 24.10.2023 ist lediglich die Errichtung und der Betrieb einer Pilzzucht in mehreren großen Lagerhallen östlich des … genehmigt worden. Die beabsichtigte Nutzung des derzeit unbenutzbaren historischen Hofgebäudes für Mitarbeiterwohnen ist im Moment weder genehmigt noch genehmigungsfähig, der dies ermöglichende vorhabenbezogene Bebauungsplan hat auch nach den Angaben der Antragsteller noch keine Planreife erreicht.
Randnummer132
4. Soweit der Erfolg der Klagen im Hinblick auf die oben dargestellte rechtliche Bewertung als offen anzusehen ist, überwiegt das öffentliche Interesse und das Interesse der Beigeladenen an der sofortigen Vollziehung der Genehmigung das entgegengesetzte Interesse der Antragsteller an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klagen (vgl. zu einer von den Erfolgsaussichten losgelösten Interessensabwägung in einer vergleichbaren Konstellation Hessischer VGH, Beschluss vom 21.10.2020 – 6 B 2381/20.T – juris Rn. 106 ff.).
Randnummer133
Dabei fällt ins Gewicht, dass die Erfolgsaussichten der Klagen im Hinblick auf die Zuordnung des Szenarios eines zufälligen Absturzes einer schnell fliegenden bewaffneten Militärmaschine zum Restrisiko sowie die Ermittlung der im Rahmen der SEWD-Lastannahmen zu betrachtenden Tatmittel nur deshalb als offen anzusehen sind, weil eine weitere gerichtliche Sachaufklärung geboten erscheint, nicht etwa weil konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die angegriffenen Änderungsgenehmigungen wegen eines dieser Gesichtspunkte rechtswidrig sein könnte.
Randnummer134
Bei der Interessenabwägung hat der Senat zudem in Rechnung gestellt, dass nach der gesetzlichen Regelung in § 6 Abs. 4 AtG eine Vermutung für das Vollzugsinteresse besteht. Dabei hatte der Gesetzgeber die vorliegende Fallgestaltung ausdrücklich vor Augen und in der Gesetzesbegründung dazu ausgeführt (BT-Drs. 17/14181, S. 29 f.): „Es bestehen bindende völkerrechtliche Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland, dass die noch ausstehenden, aus der Aufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe aus deutschen Kernkraftwerken im europäischen Ausland stammenden verfestigten Spaltproduktlösungen in fünf Großbehältern mit maximal 28 sogenannten Glaskokillen mit verglasten mittelradioaktiven Abfällen aus Frankreich sowie 20 oder 21 Großbehältern mit maximal 28 sogenannten Glaskokillen aus dem Vereinigten Königreich zurückgenommen werden. […] Die gesetzliche Anordnung der sofortigen Vollziehung für entsprechende Änderungsgenehmigungen im neuen § 6 Absatz 4 Satz 1 trägt dem Umstand Rechnung, dass die für die entsprechende Zwischenlagerung bestehenden Genehmigungen möglichst zügig angepasst werden. Nur so wird sichergestellt, dass die völkerrechtlichen Verpflichtungen zur Rücknahme dieser radioaktiven Abfälle zeitgerecht erfüllt werden können.“
Randnummer135
Eine solche Situation ist hier gegeben, denn die konkret bestehende Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik (Note verbal vom 01.09.2021) sieht einen Transport der radioaktiven Abfälle bis spätestens Ende 2024 vor. Das Interesse der Antragsgegnerin an der Erfüllung der Rücknahmeverpflichtung in diesem Zeitraum ist nicht von der Hand zu weisen. Es bestehen auch keine Zweifel daran, dass zur Durchführung des Transports langfristige zeitintensive Vorbereitungen getroffen worden sind. Hierzu dürfte, wie die Antragsgegnerin vorgetragen hat, der Einsatz mehrerer tausend Bundes- und Landespolizeibeamte, die Sicherung der geplanten Transportstrecke und die Bereitstellung spezieller Schienenfahrzeuge sowie die Koordination mit französischen Behörden zählen. Auch die Beigeladene dürfte erhebliche Dispositionen getätigt haben.
Randnummer136
Zudem werden durch den Vollzug der Genehmigungen keine irreversiblen Tatsachen geschaffen, denn eine Auslagerung im Falle eines späteren Obsiegens der Antragsteller ist sowohl tatsächlich als auch – jedenfalls bei intakter Primärdeckelbarriere – rechtlich jederzeit möglich. Sofern die Antragsteller auf das Zwischenlager Brunsbüttel verweisen und vortragen, dass dieses trotz gerichtlicher Aufhebung der Aufbewahrungsgenehmigung weiterbetrieben werde, kann die dortige Situation nicht einfach auf den vorliegenden Fall übertragen werden. Im Übrigen sind die aufsichtsrechtlichen Instrumente nach § 17 AtG auch Drittbetroffenen eröffnet, soweit ein Fehlen drittschützender Genehmigungsvoraussetzungen geltend gemacht wird (vgl. BVerwG, Urteile vom 22.1.1997 – 11 C 7.95 – BVerwGE 104, 36 = juris Rn. 22, 27 und vom 21.08.1996 – 11 C 9.95 – BVerwGE 101, 347 = juris Rn. 40).
Randnummer137
Der Senat übersieht nicht, dass die Antragsgegnerin für ihre Entscheidungen über die Widersprüche gegen die 9. Änderungsgenehmigung mehr als zwei Jahre und über die Widersprüche gegen die 10. Änderungsgenehmigung knapp ein Jahr benötigt hat. Allerdings haben die Antragsteller ihre Widersprüche erst am 24.05.2024 begründet und damit gleichermaßen dazu beigetragen, dass eine zügige Überprüfung in einem gerichtlichen Hauptsacheverfahren, zumindest aber eine ausführlichere Sachaufklärung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nicht möglich war.
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III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 159 Satz 1 VwGO i. V. m. § 100 Abs. 1 ZPO. Nachdem die Beigeladene einen Antrag gestellt und deswegen ein eigenes Prozesskostenrisiko übernommen hat (§ 154 Abs. 3 VwGO), entspricht es der Billigkeit, ihre außergerichtlichen Kosten gemäß § 162 Abs. 3 VwGO den Antragstellern aufzuerlegen.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 39 Abs. 1 Satz 1 sowie § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 GKG in Orientierung an die Empfehlungen in Nr. 6.3, Nr. 6.2. i. V. m. Nr. 2.2.2 und Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, unter § 163 VwGO). Dass es sich formal um zwei Änderungsgenehmigungen handelt, erachtet der Senat nicht für streitwerterhöhend, weil dies allein dem Ablauf des Verwaltungsverfahrens geschuldet war und die getroffene Regelung ohne weiteres auch in einer Änderungsgenehmigung hätte verfügt werden können.
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Aus diesem Grund war auch bei der Kostenentscheidung der Umstand zu vernachlässigen, dass sich der Antrag der Antragstellerin Ziff. 4 nur gegen die 10. Änderungsgenehmigung richtet.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

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Dirk Seifert

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