Genehmigung Atomtransporte Jülich – Ahaus: Erteilt Bundesamt Sofort-Vollzug oder nicht?

Genehmigung Atomtransporte Jülich – Ahaus: Erteilt Bundesamt Sofort-Vollzug oder nicht?

Die Gewerkschaft der Polizei bezeichnet die möglicherweise bevorstehenden über 150 Atomtransporte mit hoch radioaktivem Material als „unverhältnismäßig“. Anti-Atom-Gruppen und Umweltverbände wie der BUND halten die Transporte für unverantwortlich. Der BUND NRW hat Klage angekündigt, sollte eine Transportgenehmigung erfolgen. Dennoch bereiten Bundes- und die Landesbehörden in NRW einen Abtransport der brisanten Atomfracht von Jülich nach Ahaus vor, ohne dass ernsthaft ein Nachweis erfolgt ist, wie damit die Sicherheit erhöht werden könnte. Von Bedeutung sein wird: Erteilt das zuständige Bundesamt den sogenannten Sofort-Vollzug, obwohl das Problem nun seit Jahrzehnten besteht, ein Sicherheitsgewinn durch die Verlagerung nicht ersichtlich und ein unmittelbares Umsetzungsinteresse daher nicht plausibel ist. Pikant in jedem Fall: Auf allen Ebenen sind *grün-geführte Ministerien maßgeblich verantwortlich, die öffentlich eigentlich „unnötige“ Atomtransporte minimieren wollen, sie aber dennoch vorbereiten. (Foto: JEN)

Die Transportgenehmigung des „Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung“ (BaSE) im Zuständigkeitsbereich des BMUV liegt im Entwurf vor. Das Wirtschaftsministerium NRW hat dazu Ende März intern Stellung genommen. Alles Geheimsache, wie die Grünen in NRW und im Bund erklären. Der neue Linke Bundestagsabgeordnete Fabian Fahl (Aachen) hat daher grad eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung (PDF) auf den Weg gebracht. Außerdem hatte er schriftlich bei der Bundesregierung nachgefragt, wie es mit dem erforderlichen Grundstück für ein Zwischenlager in Jülich aussieht. Zuletzt hatte der Linke Fahl per Brief ein Moratorium vom *grünen Chef des BaSE, Christian Kühn, gefordert. Die Antwort aus der Genehmigungsbehörde steht noch aus.

(*Hinweis: Die Pressestelle vom BaSE bittet um folgende „Korrektur“: „Fakt ist: Da Herr Kühn seit Amtsantritt als Präsident des BASE im Februar 2024 kein (Grünen)Politiker mehr ist, bitte wir Sie diese Zuordnung zeitnah anzupassen oder sie entfallen zu lassen.“ Dieser Bitte komme ich mit diesem Hinweis hoffentlich ausreichend im Sinne einer Anpassung nach. Zur Ergänzung hier die Angaben von Wikipedia: „Christian „Chris“ Kühn …ist ein deutscher Politiker (Bündnis 90/Die Grünen). Seit Februar 2024 ist er Präsident des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung. Zuvor war er von 2013 bis 2024 Mitglied des Deutschen Bundestages und von 2021 bis 2024 Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz. Von 2009 bis 2013 war er Landesvorsitzender des Landesverbands Baden-Württemberg der Grünen.“) (Link zu Wikipedia)

Entscheidend wird jetzt sein, ob BaSE  – wie es das zum Atomkonzern Orano gehörende Transportunternehmen aus Hanau im Auftrag des Betreibers JEN fordert, den Sofort-Vollzug erteilt oder nicht. Ohne Sofort-Vollzug hätte eine Klage vom BUND NRW oder anderen Klagenden aufschiebende Wirkung. Das würde bedeuten: Die Atomtransporte könnten erst dann stattfinden, wenn es im Verfahren zu einem Urteil gekommen ist. Wird der Sofort-Vollzug jedoch erteilt, hätte der Betreiber JEN bzw. Orano die Möglichkeit, die Transporte durchzuführen. Dann müsste im sogenannten Eilverfahren geklagt werden, dass ein Verwaltungsgericht den Sofort-Vollzug außer Kraft setzt und damit die aufschiebende Wirkung herstellt.

Das ist nicht nur extrem schwierig, sondern auch extrem teuer. So wäre der Sofort-Vollzug also auch unter demokratischen Gesichtspunkten von hoher Relevanz, denn ein Kläger würde es sich sehr gründlich überlegen, ob er nach einem möglicherweise gescheiterten Eilverfahren dann überhaupt noch in das Hauptsacheverfahren einsteigt. Gerade für spenden- und beitragsfinanzierte Organisationen wie Umweltverbände eine extreme „Herausforderung“.

Zuletzt musste sich der 10. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg mit der Problematik Sofort-Vollzug im Zusammenhang mit einem (grenzüberschreitenden) Castor-Transport mit hochaktivem Abfall von LaHague in Frankreich ins Zwischenlager Philippsburg befassen. In diesem Fall hatte BaSE als Genehmigungsbehörde den Sofort-Vollzug mit der Transportgenehmigung erteilt. Daher musste die Kommune per Eilverfahren auf Aussetzung des Sofort-Vollzugs klagen. (In dem Verfahren spielten, anders als im Fall der Transporte von Jülich nach Ahaus, aber auch völkerrechtlich verbindliche Verträge eine Rolle.)

Bei dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs kam es zu einer mehr als erstaunlichen Feststellung. Das Gericht lehnte den Eilantrag, den Sofort-Vollzug auszusetzen, ab: Die gefährliche Atomfracht könnte ohne weiteres ja wieder nach Frankreich zurücktransportiert werden, wenn sich im (möglicherweise) anschließenden Hauptsacheverfahren herausstellen sollte, das die von dem Kläger vorgebrachten Sicherheitsbedenken am Ende doch zutreffend wären.  Im Satz (136) des Urteils heißt es: „Zudem werden durch den Vollzug der Genehmigungen keine irreversiblen Tatsachen geschaffen, denn eine Auslagerung im Falle eines späteren Obsiegens der Antragsteller ist sowohl tatsächlich als auch – jedenfalls bei intakter Primärdeckelbarriere – rechtlich jederzeit möglich…“.

Das Gericht ist also der Meinung,  dass ein Sofort-Vollzug im besagten Fall nicht aufzuheben war, auch wenn sich später herausstellen sollte, dass die Sicherheitsbedenken der Kläger zutreffend wären, weil dann ja einfach ein Rücktransport des Atommülls möglich wäre. Rechtsstaat in Aktion!

Aber genau diese „Ansage“ könnte für das Verfahren um die Atomtransportgenehmigung für die strahlende Fracht von Jülich nach Ahaus eine Blaupause sein, um den Sofort-Vollzug gegen jede Vernunft und mit massiven Sicherheitsrisiken dennoch durchzusetzen. Die Gewerkschaft der Polizei hatte die Transporte schon vorher als „unverhältnismäßig“ bezeichnet und sowohl auf die hohe Belastung der Beamt:innen verwiesen als auch die maroden Straßen in NRW in Erinnerung gebracht. Die Beamt:innen dürften es sicher nicht besonders humorvoll finden, wenn BaSE nun auf genau diese Rechtsprechung bezug nimmt und den Sofort-Vollzug für Jülich – Ahaus erteilt, weil ein Rücktransport ja weiterhin möglich wäre.

Man muss sich das noch mal klarmachen: Der Atommüll in Jülich ist nicht nur hoch radioaktiv, sondern auch Atomwaffen-tauglich. Ein Transport findet in einem Umfeld nicht nur erhöhter Terrorschutz-Anforderungen statt, sondern auch unter den enormen Sicherheitsrisiken einer hybriden Kriegsführung infolge der Kampfhandlungen in der Ukraine durch Russland. Schon konventionelle panzerbrechende Waffen stellen eine enorme Herausforderung für die Zwischenlagerung hoch aktiver Atomabfälle dar und haben in den letzten Jahren zu erheblichen Nachrüstungen an den Standorten und bei der Sicherung der Umgebung von Atomanlagen geführt. Besonders brisant sind natürlich die schwer zu sichernden Transporte mit radioaktiven Stoffen.

Dabei spielen auch neuartige Drohnen und KI-unterstütze Anschläge eine Rolle. Die Maßnahmen zum Schutz gegen Störmaßnahmen und sonstige Einwirkungen Dritter (SEWD) sind in den letzten Jahren massiv ausgeweitet worden. Das hat dazu geführt, dass zuletzt geplante Atomtransport aus Jülich per Schiene und Schiff in die USA – neben anderen Gründen – sicherungsmäßig gar nicht mehr möglich waren und deshalb abgesagt wurden. Auch die jetzt per LKW geplanten Transporte mit gepanzerten Spezial-Fahrzeugen bewegen sich technisch am äußersten Maximum, wie ein Verantwortlicher bei JEN das mal bezeichnet hatte. Die LKW samt Aufleger sind technisch gesehen eine Handarbeit der Superlative, aber natürlich alles strikt unter Geheimhaltung. (Es gibt vier Transportfahrzeuge dieser Art in Deutschland, deren Entwicklung und Konstruktion eine hohe mehrstellige Millionensumme gekostet habe. Sie sollen später auch für Atomtransporte vom Forschungsreaktor FRM II München Garching nach Ahaus zum Einsatz kommen.)

Dokumentation:

Schriftliche Frage vom 14. April 2025 mit den Antworten der Bundesregierung Drucksache 21/42, Siehe Frage 60. (PDF)

60. Abgeordneter Dr. Fabian Fahl (Die Linke): „Mit welchem Ergebnis hat die Bundesregierung den Erwerb ihr von der Landesregierung Nordrhein-Westfalens angebotenen und gesicherten Flächen für den Neubau eines mögliches atomaren Zwischenlagers für die rund 300.000 gebrauchten Brennelemente aus dem Forschungsreaktor Jülich am Standort Jülich erörtert (vgl. www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/atommuell-transporte-nrw-ahaus-juelich-100.amp), und wie sind die weiteren Planungen der Bundesregierung zum Umgang mit den atomaren Abfällen aus dem Zwischenlager Jülich in Hinsicht auf Unterzeichnung notwendiger Verträge zum Flächenerwerb zum Neubau eines Zwischenlagers und dem Verbleib der radioaktiven Abfälle am Standort Jülich?“

Antwort der Parlamentarischen Staatssekretärin Claudia Müller vom 17. April 2025: „Mit dem Neubau eines Zwischenlagers in Jülich und dem Transport der bestrahlten Brennelemente nach Ahaus gibt es zwei Optionen für den Umgang mit den AVR-Brennelementen am Standort Jülich. Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages wurde im Bericht des Bundesministeriums der Finanzen, des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung vom 7. September 2022 (Ausschussdrucksache 20(8)1649) darüber informiert, dass die Beteiligten die Räumungsoption der Verbringung der Brennelemente in das Zwischenlager nach Ahaus aus wirtschaftlichen und zeitlichen Gründen als grundsätzlich vorzugswürdig einordnen. Darüber hinaus fordert der Haushaltsausschuss in seinem Maßgabebeschluss vom 30. November
2022 (Ausschussdrucksache 20(8)3443) die kostengünstigere Verbringung der Brennelemente nach Ahaus zu verfolgen, falls das Land Nordrhein-Westfalen (NRW) die Mehrkosten eines Neubaus in Jülich nicht tragen möchte. Eine solche Absichtserklärung seitens des Landes NRW ist der Bundesregierung nicht bekannt.“

Dirk Seifert

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