Atommüll auf der Rückreise: Gericht lässt hochradioaktive Atomtransporte aus Frankreich nach Philippsburg zu

Atommüll auf der Rückreise: Gericht lässt hochradioaktive Atomtransporte aus Frankreich nach Philippsburg zu

Die Genehmigung für den  Rücktransport von Atommüll aus der Verarbeitung deutscher Uranbrennelemente zur Plutonium-Herstellung von Frankreich nach Philippsburg liegt schon vor. Nun hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (Az. 10 S 1555/24) im Eilverfahren den Weg für die noch in diesem Jahr geplanten Atomtransporte aus LaHague freigemacht. Eine Klage der Stadt gegen die entsprechende Einlagerungsgenehmigung ist jetzt im Eilverfahren abgewiesen worden.

Bis 2005 hatten Bundesregierungen und Atomkonzerne bestrahlte Brennelemente exportiert, um Plutonium zu separieren. Das galt bis 2005 als Nachweis für die Entsorgung von Atommüll, obwohl die Abfallmengen dadurch tatsächlich noch erhöht wurden. Für diesen Deal verpflichtete sich Deutschland, den Atommüll wieder zurückzunehmen. Weitere solcher Rücktransporte sollen noch aus Sellafield in Großbritannien erfolgen. Der dort lagernde Atommüll aus deutscher Herkunft soll dann in die Zwischenlager in Brokdorf und Isar/Ohu. Ein erster solcher Transporte hatte bereits nach Biblis stattgefunden.

Das Urteil ist in gewisser Weise pikant: „Neue Castor-Behälter dürfen vorerst in Philippsburg eingelagert werden“ berichtet das Jura-Portal „Beck-Online„. Dort heißt es weiter: „Im Standort-Zwischenlager Philippsburg dürfen neue Castor-Behälter mit radioaktivem Abfall aus der Wiederaufbereitungsanlage La Hague eingelagert werden. Das gilt zumindest vorerst, nachdem die Stadt und mehrere Grundstückseigentümer mit ihren dagegen gerichteten Eilanträgen gescheitert sind.“

Da der Transport noch in diesem Jahr erfolgen wird, heißt das natürlich: Ein späteres Hauptsacheverfahren würde dann entscheiden müssen, dass der Atommüll, der dann in Philippsburg steht, für den Fall, dass die Kläger Recht bekommen, zurück nach Frankreich oder anderswo hin. Wo ist der Fehler?

Aber: Die Gerichte folgen inzwischen der Neuregelung, die mit der 17. Atomgesetznovelle vorgenommen wurde. Mit dieser Novelle reagierten Behörden und schließlich der Bundestag auf das Urteil des OVG Schleswig. Das Gericht hatte seinerzeit die Genehmigung für das Standort-Zwischenlager in Brunsbüttel aufgehoben, weil es Nachweisdefizite und Mängel festgestellt hatte. Als Reaktion wurden mit der ATG Novelle dann alle Frage hinsichtlich Terrorschutz – SEWD in der Amtsprache – der Überprüfung durch die Gerichte entzogen. Der Geheimschutz ist damit maximal gestärkt worden und wird nun von Gerichten nicht mehr betrachtet. Damit erhalten die Behörden gegenüber Gericht und Bürger:innen deutlich mehr Macht im Atomrecht.

Die Einrichtung von sogenannten In-Camera-Verfahren lehnte der Bundestag seinerzeit ab. Ein solches Verfahren hätte ermöglicht, dass Richter:innen die staatlichen Behauptungen überprüfen könnten.

Das Gericht in Mannheim sieht laut einer Mitteilung auf der Seite des Landtags Baden-Württemberg mit Bezug auf eine dpa-Meldung „Punktuell weiterer Aufklärungsbedarf„. Denn: „Inwiefern moderne Waffensysteme bei den Szenarien berücksichtigt wurden und ob der zufällige Absturz eines bewaffneten Kampfflugzeugs praktisch ausgeschlossen und deshalb von der Genehmigungsbehörde zu Recht dem sogenannten Restrisiko zugeordnet wurde, ließ der VGH offen. Hier sieht er «punktuell weiteren Aufklärungsbedarf» im Hauptsacheverfahren.

Dort, auf der Seite des Landtags BaWü ist über das Urteil auch zu lesen: „Das letzte Wort ist nicht gesprochen“. Verwiesen wird darauf: „Der VGH wies darauf hin, dass sich Deutschland gegenüber Frankreich zur Rücknahme der Behälter bis Ende 2024 vertraglich verpflichtet hat. Der Transport sei langfristig vorbereitet worden. Eine zusätzliche radioaktive Exposition der Bevölkerung sei damit nicht verbunden, die maßgeblichen Grenzwerte würden weiterhin deutlich unterschritten. Die Behälter dürfen bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren eingelagert werden. Doch das Gericht betonte: Mit der Genehmigung des Transports würden keine irreversiblen Tatsachen geschaffen: Denn eine Auslagerung der Behälter im Fall eines Erfolgs der Klage sei jederzeit möglich (Az. 10 S 1555/24). Der Beschluss ist unanfechtbar.“

Und bei Beck-Online ist in diesem Kontexxt zu lesen: „Unberücksichtigt ließ der VGH mögliche kriegsbedingte Einwirkungen, die die Antragsteller wegen des Ukraine-Konflikts befürchten. Denn diese ließen sich beliebig stark denken und ein wirksamer Schutz könne letztlich nur die Bundeswehr gewährleisten, argumentierten die Richterinnen und Richter. Davon abzugrenzen seien Szenarien terroristischer Anschläge, auch wenn sie im Rahmen einer „hybriden“ Kriegsführung auf Veranlassung eines Staats erfolgen. Allerdings gebe es derzeit keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass das Zwischenlager gegen Sabotageakte oder terroristische Anschläge nicht hinreichend gesichert sei.“ Allerddings verweist das Portal auch darauf: „Trotz offener Fragen: Interessenabwägung streitet für Einlagerung –  Allerdings sah der VGH punktuell weiteren Aufklärungsbedarf im Hauptsacheverfahren. Es gehe um die Fragen, inwiefern moderne Waffensysteme bei den zu unterstellenden Szenarien berücksichtigt wurden und ob der zufällige Absturz eines bewaffneten Kampfflugzeugs praktisch ausgeschlossen worden ist. Zu klären sei, ob solche Szenarien dem sogenannten Restrisiko zugeordnet werden durften, gegen das keine Schadensvorsorge verlangt werden könnte.“

Dokumentation VGH-BaWü:

Mit den Beteiligten soeben bekanntgegebenem Beschluss hat der Verwaltungsgerichtshof (VGH) die Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klagen gegen die 9. und 10. Änderungsgenehmigung zur Aufbewahrung von Kernbrennstoffen im Standort-Zwischenlager Philippsburg abgelehnt.

Auf dem Gelände der mittlerweile stillgelegten Kernkraftwerke Philippsburg werden seit dem Jahr 2007 in einem im Jahr 2003 genehmigten Zwischenlager radioaktive Abfälle in Form bestrahlter Brennelemente aus der Kernspaltung aufbewahrt. Durch die 9. und 10. Änderungsgenehmigung des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) wird erstmals auch die Einlagerung von radioaktiven Abfallprodukten aus der Wiederaufbereitung der Kernbrennstoffe in La Hague in Form von Glaskokillen in dafür vorgesehenen Behältern der Bauart CASTOR® HAW28M gestattet. Dagegen haben die Stadt Philippsburg und mehrere Eigentümer privater Grundstücke in der Nähe des Zwischenlagers Klage (10 S 1314/24) erhoben. Wegen des bis Jahresende geplanten Transports der Behälter von der Wiederaufbereitungsanlage in La Hague/Frankreich nach Philippsburg haben sie Anfang Oktober 2024 um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht.

Der VGH hat die Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klagen gegen die Änderungsgenehmigungen abgelehnt. Bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren dürfen die CASTOR-Behälter eingelagert werden.

Zur Begründung führt der 10. Senat aus, mit den angegriffenen Änderungsgenehmigungen wird die Anzahl der in Philippsburg bereits bisher zur Aufbewahrung genehmigten 152 CASTOR-Behälter nicht erweitert, sondern ein anderes radioaktives Inventar in Behältern anderer Bauart gestattet. Eine zusätzliche Exposition der Bevölkerung durch Direktstrahlung oder Ableitungen radioaktiver Stoffe ist mit den Änderungsgenehmigungen nicht verbunden, die maßgeblichen Grenzwerte werden weiterhin deutlich unterschritten.

Das von den Antragstellern gerügte Reparaturkonzept für die Behälter der Bauart CASTOR® HAW28M genügt den Anforderungen an die erforderliche Schadensvorsorge.

Die von den Antragstellern befürchteten kriegsbedingten Einwirkungen im Rahmen einer militärischen Auseinandersetzung mit Russland sind bei der Auslegung kerntechnischer Anlagen nicht zu berücksichtigen, weil sich diese beliebig stark denken lassen und wirksamer Schutz letztlich nur durch die Bundeswehr gewährleistet werden kann. Davon zu unterscheiden sind Szenarien terroristischer Anschläge, auch wenn sie im Rahmen einer sog. hybriden Kriegsführung auf Veranlassung eines Staats erfolgen. Aus Sicht des Senats bestehen nach den derzeitigen Erkenntnissen keine konkreten Anhaltspunkte, dass das Zwischenlager gegen Sabotageakte oder terroristische Anschläge nicht hinreichend gesichert ist. Das Risiko derartiger Szenarien wird durch die Sicherheitsbehörden regelmäßig bewertet, im Rahmen eines geänderten Sicherheitskonzepts werden aktuell mehrere baulich-technische Maßnahmen umgesetzt.

Auch die Auswirkungen eines gezielten Absturzes eines großen Verkehrsflugzeugs wie des Typs Boeing A 380 sowie das im Genehmigungsverfahren zu prüfende Szenario eines zufälligen Absturzes einer schnell fliegenden Militärmaschine auf das Zwischenlager sind voraussichtlich rechtsfehlerfrei untersucht worden.

Hinsichtlich der Fragen inwiefern moderne Waffensysteme, deren Einsatz die Antragsteller geltend gemacht haben, bei den zu unterstellenden Szenarien berücksichtigt wurden und ob der zufällige Absturz eines bewaffneten Kampfflugzeugs – mit zusätzlicher Einwirkung durch die Bewaffnung – praktisch ausgeschlossen und deshalb von der Genehmigungsbehörde zu Recht dem sog. Restrisiko zugeordnet worden ist, gegen das Schadensvorsorge nicht verlangt werden könnte, sieht der Senat punktuell weiteren Aufklärungsbedarf im Hauptsacheverfahren. Insoweit hat eine Interessensabwägung zur Ablehnung der Eilanträge geführt. Der Senat wies darauf hin, dass sich die Bundesrepublik Deutschland gegenüber Frankreich zur Rücknahme der Behälter bis Ende 2024 vertraglich verpflichtet hat. Auch sind zur Durchführung des Transports langfristige zeitintensive Vorbereitungen getroffen worden. Zudem werden durch den Vollzug der Genehmigungen keine irreversiblen Tatsachen geschaffen, denn eine Auslagerung der Behälter im Fall eines Erfolgs der Klage ist jedenfalls bei intaktem Deckelsystem jederzeit möglich.

Der Beschluss des VGH ist unanfechtbar (Az. 10 S 1555/24).

Dirk Seifert

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