Der Betrieb des AKW Tihange 2 ist rechtswidrig – Unabhängige Atom-Experten erheben schwere Vorwürfe gegen belgische Atomaufsicht

Der Betrieb des AKW Tihange 2 (und Doel 3) ist rechtswidrig. Die belgische Atomaufsicht verstößt gegen international anerkannte Grundsätze der Atomsicherheit. „Man könnte von einem Genehmigungs-Super-GAU sprechen“ und die Gefahr einer Katastrophe ist “nicht praktisch ausgeschlossen”. Das ist das alarmierende Fazit des ehemaligen Leiters der Abteilung Reaktorsicherheit, Strahlenschutz und Entsorgung des Bundesumweltministeriums, Wolfgang Renneberg, auf einer Fachtagung der Städteregion Aachen am vergangenen Samstag. Angesichts tausender Risse in den Druckbehältern von Tihange 2 und Doel 3 forderten zahlreiche unabhängige Atomexperten die umgehende Abschaltung dieser Reaktoren.

Renneberg erhebt schwere Vorwürfe gegen die belgische Atomaufsicht FANC. Auf Basis von internen FANC-Berichten kommt Renneberg zu der Auffassung, dass vorhandene Risse im Reaktorbehälter bereits bei der Genehmigung in den 1980er Jahren absichtlich ignoriert wurden, um jahrelange Bauverzögerungen zu verhindern. Renneberg und andere unabhängige Experten der International Nuclear Risk Assessment Group (INRAG) begründeten in Aachen in einer Erklärung (siehe unten) die dringliche Notwendigkeit einer Abschaltung der maroden Atomreaktoren unweit der deutschen Grenze zu NRW.

Bei dieser Einschätzung bekommt Renneberg auch von dem langjährigen Leiter der us-amerikanischen Atomaufsicht NRC (von 2005-2012), Gregory Jaczko, Unterstützung. Angesichts der zahlreichen ungeklärten Fragen über die mehr als 3000 Risse im Block 2 von Tihange und den mehr als 11.000 Rissen in Doel 3 machte er klar, dass diese Reaktoren in den USA abgeschaltet wären. Auch er kritisiert die Atomaufsicht in Belgien massiv, in dem er ihr wirtschaftliche und nicht sicherheitsgeleitete Motive vorwirft: “The overwhelming pressure is to restart the units for financial and energy needs” (Der überwältigende Druck besteht darin, die Anlagen für den Finanz- und Energiebedarf wieder in Betrieb zu nehmen.)

Vorwürfe einer mangelnden Unabhängigkeit der belgischen Atomaufsicht gibt es immer wieder. So war der jetzige Chef Jan Bens jahrelang beim belgisch/ französischen AKW-Betreiber Engie-Electrabel beschäftigt und Leiter des AKW Doel, bevor er zum obersten Atomaufseher in Belgien bestellt wurde.

Kritik gab es auf der Aachener Tagung auch an der deutschen Unterstützung des Betriebs der belgischen Atommeiler. Die deutschen Uranfabriken in Gronau und Lingen, beide vom Atomausstieg ausgenommen, liefern den Brennstoff, damit die AKWs weiter in Betrieb bleiben können. Anfragen des MdB Hubertus Zdebel hatten das vor einiger Zeit aufgedeckt. Auch in diesem Jahr gehen die Uran-Exporte weiter. (Siehe hier: Neue Uran-Lieferungen für belgische AKW aus Lingen – Uranfabriken stilllegen)

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU), Schirmherr der Veranstaltung in Aachen, fordert zwar die Stilllegung der belgischen Meiler und will angeblich diese Exporte stoppen, lehnt aber die Stilllegung der Uranfabriken bislang kategorisch ab. Das Bundesumweltministerium wiederum hält ein Exportverbot nicht für umsetzbar. Gutachten im Auftrag des BMU haben aufgezeigt, dass und wie die endgültige Stilllegung der Uranfabriken atomrechtlich machbar ist  Die Bundesregierung blockiert aber die Umsetzung. Entsprechende Anträge zur Stilllegung der Uranfabriken haben Hubertus Zdebel und die Fraktion DIE LINKE sowie die Grünen vor kurzem in den Bundestag eingebracht. Die Anträge sind Thema der nächsten – nichtöffentlichen – Sitzung des Umweltausschusses des Bundestages.

Dokumentation der Stellungnahme der INRAG:

“Die internationale Vereinigung unabhängiger Nuklearexperten “INRAG“ bewertet das Risiko des Betriebs von Tihange 2 wie folgt:

  1. Der Betrieb des Kernkraftwerks Tihange 2 widerspricht international anerkannten Bewertungsmaßstäben für die Sicherheit von Kernkraftwerken!
  2. Die Gefahr eines Versagens des Reaktordruckbehälters ist nach den vorliegenden Untersuchungen nicht praktisch ausgeschlossen.
  3. Eine Freisetzung von radioaktiven Stoffen aufgrund eines unterstellten Unfalls mit Versagen des Reaktordruckbehälters kann demnach zu einer weiträumigen Unbewohnbarkeit von Landstrichen – bis weit in die Aachener Region hinein – führen.
  4. Der Reaktor hätte mit den jetzt entdeckten Rissen am Reaktordruckbehälter bereits im Jahre 1983 nicht in Betrieb gehen dürfen, sofern diese Risse bereits bei der Herstellung vorhanden waren, wie von Betreiber und Aufsichtsbehörde unterstellt wird.
  5. Solange der Sicherheitsnachweis für den Reaktordruckbehälter nicht erbracht ist, darf der Reaktor nicht betrieben werden.

Der Reaktor muss deshalb nach dem jetzigen bekannten Stand der Untersuchungen einstweilig stillgelegt werden!

Begründung:

Ein Reaktordruckbehälter, der nicht zweifelsfrei die nach zahlreichen Regelwerken und Regeln der Internationalen Atomenergieorganisation erforderlichen Sicherheitseigenschaften aufweist, darf nach Auffassung der INRAG nicht in Betrieb genommen werden.

Auch nach Meinung der belgischen Sachverständigenorganisation (BEL V) und des deutschen Bundesumweltministeriums können die erforderliche Qualität und damit die Sicherheitsreserven des Reaktordruckbehälters auch nachträglich nicht mehr hergestellt werden.

  • Die aktuellen Materialeigenschaften des Reaktordruckbehälters sind nicht mit ausreichender Sicherheit abzuschätzen und nachträglich auch nicht mehr experimentell bestimmbar.
  • Der aktuelle Stand der Versprödung des Reaktordruckbehälters kann nicht mehr mit ausreichender Sicherheit beurteilt werden, weil es keine zweifelsfrei vergleichbaren Materialproben gibt, um den Verlauf der Versprödung ausreichend zuverlässig zu bestimmen. Die vorliegende Berechnung des Betreibers ist methodisch nicht abgesichert und enthält praktisch keine Sicherheitsreserven mehr.
  • Die Herkunft der Risse im Reaktordruckbehälter ist nicht mit ausreichender Sicherheit geklärt.
  • Ein Wachstum der Risse während des Betriebs kann nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden.
  • Das von der belgischen Aufsichtsbehörde FANC zugelassene Verfahren der Festigkeitsberechnung ist nicht validiert und birgt deshalb ein unzulässig hohes Risiko an Fehlern.
  • Es wurden nicht alle möglichen Störfallsituationen, die für das Kernkraftwerk Tihange 2 gefährlich werden könnten, untersucht.
  • In den Abschätzungen der belgischen Aufsichtsbehörde FANC und des Betreibers wurden bei sicherheitsrelevanten Unsicherheiten für den Nachweiserfolg günstige Materialkennwerte zugrunde gelegt.
  • Eine Risikoanalyse zur Widerstandsfähigkeit des Reaktordruckbehälters unter Zugrundelegung auch ungünstiger Werte wurde nicht durchgeführt.”

Dse4Zdebel

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