Spurensuche: Atomforschung in Celle, Nazi-Deutschland – Uran-Anreicherung und die Zentrifugen

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Uran-Zentrifugen im industriellen Einsatz – Die Forschung begann in Nazi-Deutschland, unter anderem in Celle.

„Kernenergieforschung in Celle 1944/45. Die geheimen Arbeiten zur Uranisotopentrennung im Seidenwerk Spinnhütte“. Das ist der Titel eines bereits 1995 veröffentlichen Buches von Hans-Friedrich Stumpf, in dem er die Aktivitäten einiger Wissenschaftler in Nazideutschland zum Ende des Zweiten Weltkriegs in Celle untersucht. Ihr Chef: Paul Harteck aus Hamburg. Ihr Ziel: Die deutsche Atombombe. Ihre Absicht: Mit der Entwicklung von Ultra-Gaszentrifugen das spaltbare Uran 235 so weit anzureichern, dass es entweder direkt zur Atombombenherstellung hätte eingesetzt werden können oder aber mit einer Anreicherung von 3-5 Prozent in einem mit normalem Wasser als Moderator betriebenen Reaktor zu Plutonium verwandelt, am Ende den gleichen Zweck hätte erfüllen sollen. Doch permanenter Material- und Ressourcenmangel und immer wieder Luftschläge der Alliierten verhinderten letztlich, dass diese Forschungen erfolgreich verliefen.

  • Auf dieses Buch hat mich dankenswerterweise Stefan Wenzel aufmerksam gemacht, der sich privat seit längerem mit der zivil-militärischen Geschichte der Atomenergienutzung in Deutschland auseinandersetzt und bei seinen Recherchen auch auf einen Artikel in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung stieß, der von der Einlagerung von „Uranabfällen“ aus dem Zweiten Weltkrieg in der Asse berichtete. Das ist auch dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss ASSE zu entnehmen, wo es heißt: „Der stellvertretende Betriebsleiter der Asse wurde am 29.07.1974 verblüffend offen in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ) mit den Worten zitiert: „Als wir 1967 mit der Einlagerung begannen, hat unsere Gesellschaft als erstes radioaktive Abfälle aus dem letzten Krieg versenkt, jene Uranabfälle, die bei der Vorbereitung der deutschen Atombombe anfielen.“327 “ Siehe hier und auch hier: Atommülllager ASSE: Strahlenschrott aus der Nazizeit und militärisches Erbe?
  • Über das Buch im Rahmen einer Schriftenreihe „Celler Beiträge zur Landes- und Kulturgeschichte“ informiert die Stadt Celle hier.
  • Spurensuche Hitlers Bombe – Atomforschung in Nazi-Deutschland – Video-Dokumentation

Auf der Homepage Celle im Nationalsozialismus heißt es in einer Rezension von Harry Klein über das Buch: „Hiroshima begann Ende 1938 in Berlin. Otto Hahn und Fritz Straßmann entdeckten im Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie in Berlin-Dahlem, daß ein Urankern, wenn er auf bestimmte Weise bestrahlt wird, in zwei Teile zerfällt. Rasch war klar, daß, wenn sich aus einer einzigen Spaltung eine Kettenreaktion machen ließe, gigantische Energiemengen freigesetzt würden. Der erste ‚Schritt zur Atombombe‘ war gemacht. Die deutsche Atombombenforschung, zunächst in Hamburg, Berlin und Leipzig angesiedelt, verlagert ihre Projekte in der zweiten Kriegshälfte aufgrund der Bombardements der Alliierten von den Zentren aufs Land. Im November 1944 wird ein Projektstrang, die Uranisotopentrennung, nach Celle verlagert. Diesem kurzen Kapitel deutscher Wissenschaftsgeschichte widmet sich ein jetzt erschienener Band in der „Schriftenreihe der Stadtarchivs und des Bomann-Museums Celle“: Stumpf, Hans-Friedrich: Kernenergieforschung in Celle 1944/45. Die geheimen Arbeiten zur Uranisotopentrennung im Seidenwerk Spinnhütte, Celle 1995″.

  • Der Rezensent auf der genannten Seite kritisiert das Buch als „reinste Weißwäscherei“, weil Fragen nach Schuld und Verantwortung in keinster Weise untersucht würden. Richtig ist, dass der Autor Stumpf fast schon in einer Art geselligem Plauderton und wenig kritisch die historischen Sachverhalte zusammenträgt. Basierend auch auf Interviews, die er noch mit beteiligten Zeitzeugen führen konnte, kann er zwar Fakten und einige (zu damaliger Zeit) neuere Erkenntnisse beisteuern. Aber der Autor steht der Atomenergieforschung doch so nahe, dass er z.B. die in seinem Buch dargestellte Ehrung der Nazi-Forscher in der späteren Bundesrepublik in keiner Weise kritisiert oder reflektiert. Vielleicht aber auch kein Wunder, denn Stumpf hat das Buch seinem „verehrten Lehrer, Prof. Dr. Fritz Straßmann, gewidmet“. Zu dem Thema, dass viele der Nazi-Atomwaffenforscher nach kurzer Unterbrechung ihre Forschungsarbeiten und Karrieren in der Bundesrepublik fortsetzten, siehe z.B. auch hier: Spurensuche: Auferstanden aus Verbrechen – Deutsche Atomschmiede in Karlsruhe und ein Whistleblower
  • Zum Thema Urananreicherung siehe grundsätzlich auch diesen Beitrag: Bundesrepublik und Atomwaffen: „Finger am Abzug“ – Spurensuche zur Geschichte der Urananreicherung. (In diesem Artikel sind viele Quellen angeführt und verlinkt).
  • Im großtechnischen Stil erfolgt die Urananreicherung seit den 70/80er Jahren im westfälischen Gronau unter dem Dach des trinationalen Konzerns URENCO. Hier wird Uran für den Einsatz in Atomkraftwerken auf 3-5 Prozent angereichert. Grundsätzlich könnte hier aber auch atomwaffenfähiges Uran mit den Ultra-Gaszentrifugen erzeugt werden. Durch internationale Kontrollverträge, unter anderem dem Vertrag von Almelo, soll ein solcher Missbrauch verhindert werden. Siehe dazu URENCO Gronau: Risiko Atomwaffen-Technik und die deutsche Atom-Politik und Uranfabrik Gronau: “Atomanlage, mit der die Bundesrepublik ihren Status als potenzielle Atommacht unterstreicht”.

Zu den Fakten bei Stumpf schreibt Klein weiter: „Nach einem anfänglichen wissenschaftlichen Fehlschlag setzte Harteck seit 1941 auf das sogenannte Ultrazentrifugenverfahren. Die Versuche liefen zunächst in Kiel, wo im August 1942 erstmals die Trennung der Uranisotope gelang. Im März 1943 wurde klar, daß mit der Hintereinanderschaltung mehrerer Zentrifugen die nötige Anreicherung von Uran-235 möglich würde. Im Juli 1943 wurden die Forschungsarbeiten nach Freiburg verlagert; von wo man wegen des Vormarschs der Alliierten in Frankreich im November 1944 nach Celle auswich. In Gebäuden der Seidenwerke Spinnhütte, wo für die Luftwaffe Fallschirme hergestellt wurden, installierte man eine Doppelzentralzentrifuge, die bei Versuchen Mitte März explodierte. Bis zum Einrücken der Briten wurde fieberhaft an der Reparatur gearbeitet.“

Stumpf setzt sich in seinem Buch auch mit Veröffentlichungen von Irving und Walker (Uranmaschine) auseinander und korrigiert teilweise deren Aussagen hinsichtlich der Verfügbarkeit der Doppel-Zentrifugen. (Stand 1995! Inwieweit diese zutreffend sind, kann ich derzeit nicht beurteilen.) Außerdem veröffentlicht Stumpf das Tagebuch des beteiligten Physikochemikers Klaus-Albert Suhr für den Zeitraum vom 9. September 1944 (mit Lücken) bis zum 27. März 1945. Mit ihm führte Stumpf auch ein Interview.

Von zwei Zentrifugen-Modellen ist in dem Buch die Rede: Zunächst die UZ 1 und dann deren Verbesserung, die Doppelzentrifuge UZ III A. Vor allem in Freiburg muss den Darstellungen zufolge, die UZ 1 einige Zeit gelaufen sein. „Die UZ I wurde so lange betrieben, bis in den benachbarten Fabrikationsräumen in der Habsburgerstraße, der damaligen Adolf-Hitler-Straße, die Doppelzentrifuge UZ III A fertiggestellt
war. Diese besaß längere Rotoren und hatte eine größere Antriebsleistung, die
höhere Umdrehungszahlen ermöglichte. Das Betriebsgelände an der Habsburgerstraße, eine ehemalige Skifabrik, war hinzugekauft worden und bot auch genügend Raum zur Aufstellung von Drehbänken und Werkzeugmaschinen. Dort waren die zehn Doppelzentrifugen aufgelegt worden, die das Heereswaffenamt Harteck genehmigt hatte, aber wegen der Kriegsereignisse nicht mehr fertiggestellt werden konnten. Nur die abgebildete UZ III A wurde aufgebaut und für Versuche genutzt.“

Interessant sind die Hinweise und Darstellungen im Zusammenhang mit der Firma Anschütz in Kiel: „Externe Mitarbeiter der Celler Forschergruppe waren Dr. Konrad Beyerle, der technische Entwicklungsdirektor der Firma Anschütz in Kiel, der die erste Ultrazentrifuge nach den Plänen von Groth gebaut hatte,* der Kieler Physikochemiker Professor Dr. Hans Martin, der mit seiner Theorie über thermisch gesteuerte Gaszentrifugen Harteck und Groth auf die Idee für diese Art von Isotopentrennung für das Uran-235 gebracht hatte, sowie der theoretische Physiker Prof. Dr. Johannes Jensen, Hannover, der Harteck die Berechnungen für die in Celle aufgestellte Doppelzentrifuge lieferte.“ (S. 17/18)

Update 07012015: Auf Wikipedia ist ein Beitrag über Konrad Beyerle. Dort ist unter anderem mit Bezug auf die Entscheidung, die Zentrifugen-Arbeiten in Celle fortzusetzen zu lesen: „… letztlich fiel die Entscheidung aber auf Celle (Seidenwerk Spinnhütte). Aufgebaut wurde dort aus Sicherheitsgründen aber nur die UZ III A.[2]:34 f Im November 1944 konnte die UZ III A in Celle wieder montiert werden[2]:39 und es gelang den Betrieb Anfang Februar 1945 wieder aufzunehmen, wobei bis zu 50 Gramm um 15 % angereichertes Uran pro Tag hergestellt wurden.[5] Doch kam es am 12. März 1945 infolge einer Explosion zu schweren Schäden an der Zentrifuge.[2]:45 Das Heranrücken der britischen Truppen stoppte schließlich die Produktion am 12. April 1945. Das bis dahin gewonnene angereicherte Uran blieb verschollen. Eine zweite Ultrazentrifuge, sowie die Bauteile für die weiteren, welche eine Produktion im größeren Maßstab erforderte, waren an einen unbekannten Ort verbracht worden, blieben nach Kriegsende aber ebenso unauffindbar.[5]“ Dort findet sich mit Bezug auf Stumpf auch der Hinweis, dass eine Zentrifuge Ende der 50er Jahre in Kiel zum Einsatz kam.

Im Nachkriegs-Deutschland: Eine Zentrifuge für Kiel

An anderer Stelle ergänzt Stumpf: „Beyerle konstruierte dann ab Mitte der fünfziger Jahre die weiter verbesserten Modelle ZG 3 und ZG 5, mit denen Groth, Bulang und Nann in den sechziger Jahren ausgezeichnete Trennleistungen im Institut für Physikalische Chemie an der Universität Bonn erreichten. Eine weitere Zentrifuge des Typs ZG 3 erhielt 1958 Prof. Martin in Kiel. Mit ihr wurden am dortigen Institut für Physikalische Chemie die Untersuchungen auf experimenteller Basis fortgesetzt. Deren Ergebnisse durften jedoch nicht veröffentlicht werden, da das Arbeitsgebiet der Gaszentrifuge mit Wirkung vom 26. August 1960 zum Staatsgeheimnis erklärt worden war, um militärischen Mißbrauch der inzwischen von Zippe bis zur industriellen Reife entwickelten Zentrifugentechnik auszuschließen.“ (S. 65)

Als Quelle für die Aussagen zur Lieferung einer Zentrifuge nach Kiel schreibt Stumpf in der Fußnote 23 zu dem Kapitel 5: „Auf dem Weg zur friedlichen Nutzung der Atomenergie“ folgendes: „Martin bestellte bei Beyerle 1954 eine Zentrifuge des Typs ZG 3, die dieser aber erst 1958 lieferte. – Interview mit Prof. Dr. Peter Koske. – Koske, Dissertation, Kiel 1962 (unveröff.). – Leime, Dissertation, Kiel 1967 (unveröff.). – Groth, Hans Martin zum 65. Geburtstag. – Cnotka“ (S. 111).

Die Ausführungen, dass Kiel über eine Ultrazentrifuge zur Urananreicherung verfügte, sind auch insofern interessant, weil nach dem Krieg Erich Bagge, der ebenfalls in Nazi-Deutschland an der Entwicklung der Urananreicherung gearbeitet hatte und nach dem Krieg gemeinsam mit Kurt Diebner die Atomforschungsanlage GKSS in Geesthacht gründete, in Kiel eine Professur antrat.

Paul Harteck und das Atomwaffenprogramm der Nazis

Paul Harteck, Chef der Arbeiten in Celle, gehörte mit zu den führenden Atomforschern in Nazi-Deutschland und machte nie einen Hehl daraus, dass diese Forschung die Atombombe zum Ziel hatte. Neben den Arbeiten zur Uran-Isotopen-Trennung war er auch – teilweise gemeinsam mit Kurt Diebner, dem „Koordinator“ des Uran-Vereins – federführend in der Technikentwicklung und Beschaffung des benötigten Schweren Wassers (aus Norwegen) tätig.

Schon direkt nach der Entdeckung der Atomspaltung und der dadurch freigesetzten Energien durch Otto Hahn und Fritz Straßmann hatte Harteck in einem Brief an das Heeres-Waffen-Amt auf die Möglichkeit einer Atombombe aufmerksam gemacht. Auch nach dem Krieg, als Harteck mit neun weiteren Atom-Spitzenforschern des Dritten Reichs in Farm-Hall/GB interniert war, sprach er unumwunden von diesem Zweck. Andere Nazi-Atom-Forscher wie Heisenberg und von Weizsäcker hingegen versuchten die Legende aufzubauen, dass sie Hitler letztlich die Atombombe nicht liefern wollten, was schlicht nicht zutreffend war.

Harteck hatte schon früh mit der Entwicklung von Verfahren zur Isotopentrennung bzw. Urananreicherung begonnen. Schnell hatte sich nach der Entdeckung der Kernspaltung gezeigt, dass vor allem das Uran 235 gespalten wurde und die gewaltige Energie erzeugte. Allerdings war es im natürlichen Uran nur mit einem Anteil von rund 0,7 Prozent enthalten. Daher brauchte es für eine Kettenreaktion mit Natururan neben einer ausreichend großen Menge Uran auch einen Moderator, z.B. Grafit oder schweres Wasser. Darauf konnte verzichtet werden, wenn es gelang, die unterschiedlich schweren Uranisotope 235 und 238 voneinander physikalisch zu trennen und das Uran 235 anzureichern. Verschiedene Verfahren dazu wurden entwickelt.

  • Die USA und später auch Frankreich setzten lange auf das sogenannte Diffusions-Verfahren. In der Sowjetunion, Deutschland und den Niederlanden wurde die Ultra-Gaszentrifuge weiter entwickelt und später z.B. in Gronau bei URENCO (siehe oben) zum industriellen Einsatz gebracht.

Auf der Homepage des Deutschen Museums ist u.a. zu lesen: „Ein Sonderprojekt Hartecks und Groths war seit ca. 1943 das Projekt der Doppelzentrifugen. Da in ersten Versuchen eine Anreicherung von 5 Prozent bei einer Tagesausbeute von 7,5 g Uran erreicht wurde, stellte Harteck die Versuche der einfachen Zentrifuge zugunsten der großen Ultrazentrifugen zurück. Allerdings konnten die geplanten 15 Ultrazentrifugen wegen der mehrfachen Auslagerungen nach Kandern und Celle nicht wie geplant in Betrieb gehen.“

  • Interessant dürfte sein, wie viel angereichertes Uran insgesamt bei den Versuchen mit einer Anreicherung von 5 Prozent Uran 235 und einer Tagesausbeute von 7,5 Gramm in Nazi-Deutschland erzeugt werden konnte, was damit gemacht wurde und wo es schließlich blieb. Diese Frage betrifft nicht nur den Einsatz der Doppelzentrifuge, sondern natürlich auch ihre Vorgänger. In vielen Darstellungen wird berichtet, dass die USA große Teile des Urans am Ende des Krieges beschlagnahmt und abtransportiert haben. Ob es systematische Darstellungen gibt, die auch mengenmäßig versucht haben eine Bilanz zu ziehen, wieviel Uran, angereichertes Uran und andere radioaktive Materialien (Beryllium etc.) Nazi-Deutschland zur Verfügung hatte, ist mir nicht bekannt.

Über das Hamburger Forschungszentrum hat das Deutsche Museum hier einige Informationen zusammengestellt. Zum Thema Harteck und das Schwere Wasser ist beim Deutschen Museum auch dieses zu finden: Bericht über einen Besuch von Esau und Harteck in Marlengo, 22.11.1943

Dirk Seifert

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