DIW legt Studie vor: Atomenergie ist nicht nachhaltig und zukunftungsfähig – Es braucht Klima- und Plutoniumneutralität!

DIW legt Studie vor: Atomenergie ist nicht nachhaltig und zukunftungsfähig – Es braucht Klima- und Plutoniumneutralität!

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat in seinem aktuellen Wochenbericht die Atomenergie ausführlich unter die Lupe genommen und kommt aus wirtschaftlichen und technischen Gründen dazu, dass diese Risikotechnologie nicht zukunftsfähig ist. Dabei warnen die Wissenschaftler:innen nicht nur mit Blick auf die Legende vom billigen Atomstrom. Von Anfang an habe man die Kosten und Umweltprobleme der Atomenergie immer wieder unterschätzt oder verharmlost. Neben der Klimaneuträlität, die alle zukunftsfähigen Energietechniken sicherstellen müssen, müsste immer auch Plutoniumneutralität garantiert werden. Allzu leicht könnte Plutonium für den Bau und Einsatz von Atomwaffen mißbraucht werden. Atomstromerzeugung ist nicht nur nur teuer und im Fall von Unfällen mit schweren Schäden für Mensch und Umwelt verbunden. Auch das Problem der Endlagerung bleibt ungelöst. Auch kurzfristig gibt es keinen Grund für eine nukleare Laufzeitverlängerung, so Hirschhausen und Kemfert vom DIW. Die letzten drei Atomkraftwerke können Mitte April ohne Probleme für die Stromerzeugung abgeschaltet werden.

Über die Veranstaltung und die Teilnehmer:innen informierte das DIW hier. Das Video der Veranstaltung ist bei Youtube online. An der Diskussion nahmen Wolfram König, (Bundesamt für die Sicherheit der kerntechnischen Entsorgung, Base); Judith Skudelny, (FDP-Bundestagsfraktion); Georg Zachmann, (Bruegel), Claudia Kemfert, (DIW), Christian von Hirschhausen, (DIW) und Petra Jasper (Moderation) teil.

Fukushima mahnt – Keine Atom-Laufzeitverlängerung – Bundesweiter Anti-Atom-Frühling für den Ausstieg

UmweltFAIRaendern dokumentiert:

Dokumentation der Pressemitteilung vom 7. März 2023 vom DIW:

DIW Wochenbericht beleuchtet Perspektiven der Atomenergie in Deutschland und weltweit – Laufende und geplante Projekte entbehren technischer und ökonomischer Grundlagen – Umdenken bei Modellierung von künftigem Energiemix – Erneuerbare Energien stärker in Fokus, Nukleartechnik geht zurück – Vertiefte Forschung in Atomenergie nicht sinnvoll – Endlagersuche sollte forciert werden

Die letzten drei deutschen Kernkraftwerke „Emsland“, „Isar-2“ und „Neckarwestheim-2“ gehen am 15. April vom Netz. Angesichts der Energie- und Klimakrise werden aber nicht nur in Deutschland zunehmend Stimmen laut, die Atomforschung voranzutreiben. Alle derzeit diskutierten neuen Kernkraftprojekte sind aber ökonomisch und technisch weder zukunftsfähig noch sinnvoll. Zu diesem Ergebnis kommt eine Analyse von Wissenschaftler*innen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). „Atomenergie war, ist und bleibt technologisch riskant und unrentabel. Daran ändern auch angeblich innovative Reaktorkonzepte nichts, die in Wirklichkeit ihren Ursprung in der Frühzeit der Atomenergie in den 1950/60er Jahren haben“, erläutert Christian von Hirschhausen, Forschungsdirekter der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt im DIW Berlin. Daher könne Atomenergie auch keinen kostengünstigen und zeitnahen Beitrag zum Klimaschutz leisten oder die Stromversorgung sichern. „Neben der Klimaneutralität brauchen wir auch eine Plutoniumneutralität, weil es nicht nur darum geht, CO2 zu reduzieren, sondern auch das gefährliche, langlebige Plutonium in den radioaktiven Abfällen.“

© DIW Berlin

Innovative Atomkonzepte mit alter, nicht bewährter Technologie?

Die DIW-Forscher*innen nehmen drei Reaktorkonzepte unter die Lupe, die aktuell die internationale Atomdebatte bestimmen: Leichtwasserreaktoren, SMR („Small Modular Reactors“) und schnelle Brüter. Kernkraftwerke der dritten Generation, Leichtwasserreaktoren mit einer elektrischen Leistung von 600 bis 1600 Megawatt, basieren auf einer Technologie der 1980er Jahre und werden noch heute gebaut. Als problematisch erweisen sich jedoch überbordende Kosten und Bauverzögerungen, wie sie seit ihrer Entwicklung in besonders eklatanter Weise in den USA und Europa beobachtet wurden.

Befürworter*innen von Kernkraftwerksneubauten sehen insbesondere SMR als Hoffnungsträger, wie sie unter anderem von Microsoft-Gründer Bill Gates propagiert werden. Es handelt sich um Leichtwasserreaktoren mit einer Kapazität in der Regel bis zu 300 Megawatt. Sie sind den Studienautor*innen zufolge allerdings keineswegs innovativ, sondern gehen auf die 1950er Jahre zurück, als Atomkraft als Antriebstechnologie für Militär-U-Boote nutzbar gemacht wurde. Bereits damals konnte sich die Technik wegen Kostennachteilen gegenüber leistungsfähigeren Reaktoren nicht durchsetzen. Heute gibt es einige Pilotprojekte, etwa in den USA, Kanada und Großbritannien, die jedoch Modellrechnungen zufolge wesentlich teurer werden dürften als herkömmliche Reaktoren. Noch dazu ist die Marktnachfrage gering. Trotz jahrzehntelanger Forschung konnte kaum ein Kernkraftwerk des Typs SMR den kommerziellen Leistungsbetrieb aufnehmen. Insbesondere besteht aber keine Perspektive, die erheblichen Größennachteile durch Massenproduktion wettzumachen. Hierfür wäre bei optimistischer Betrachtung der Bau von mehreren Tausend baugleichen Kernkraftwerken notwendig.

„Technisch sind bei Atomenergie keine signifikanten Durchbrüche absehbar.“ Claudia Kemfert

Auch schnelle Brüter und andere nicht leichtwassergekühlte Reaktoren sind auf absehbare Zeit nicht wettbewerbsfähig, wie die DIW-Forscher*innen in ihrer Studie aufzeigen. Die Technik stammt ebenfalls aus dem vergangenen Jahrhundert, die meisten angeschobenen Projekte wurden wegen sicherheitstechnischer Mängel und fehlender wirtschaftlicher Perspektiven gestoppt, so unter anderem der schnelle Brüter im nordrhein-westfälischen Kalkar, der niemals in Betrieb ging und heute zu einem Freizeitpark umgebaut wurde. Da bei schnellen Brütern viel spaltbares Material entsteht, gibt es auch ein größeres Proliferationsrisiko, also die Gefahr der Weitergabe zu Atomwaffenzwecken.

Erneuerbare um ein Vielfaches günstiger als Atomenergie

„Technisch sind bei der Atomenergie keine signifikanten Durchbrüche absehbar“, bilanziert Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt im DIW Berlin. „Atomkraft ist zudem die mit Abstand teuerste Energie – und bei Weitem teurer als Erneuerbare.“ Diese Erkenntnis habe sich inzwischen auch bei der Modellierung von Energiesystemen durchgesetzt. Während zuvor aufgrund überoptimistischer Annahmen immer ein wesentlicher Anteil an Atomenergie angenommen worden sei, richte sich der Fokus nun immer stärker auf Erneuerbare und weg von Kernkraft.

Staatlich geförderte Forschung sollte sich künftig auf die Bereiche konzentrieren, von denen substanzielle Beiträge zur Energiewende zu erwarten sind“, empfiehlt Kemfert. „Dies sind etwa erneuerbare Energien oder Speichermöglichkeiten und andere Flexibilitätsoptionen, Atomkraft gehört definitiv nicht dazu. Die Bundesregierung sollte auch davon absehen, mit Atomkraft erzeugter Energie ein grünes Label anzuhängen, wie es derzeit beim Wasserstoff diskutiert wird. Stattdessen sollte mit Hochdruck nach sicheren Zwischenlagern und einem Endlager gesucht werden, um das Atomkapitel endgültig abzuschließen.“

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Brauchen wir neue Atomkraftwerke? : Nachgeforscht bei Christian von Hirschhausen

Themen: Energiewirtschaft , Industrie , Klimapolitik

Petra Jasper, Pressesprecherin und stellvertretende Abteilungsleitung in der Abteilung Kommunikation

Dokumentation Nr. 2 des DIW Wochenberichts 

  • Studie untersucht Rentabilität und technologische Umsetzbarkeit von Reaktorkonzepten weltweit
  • Trotz bevorstehenden Atomaustiegs auch in Deutschland Debatte über neue Reaktorkonzepte
  • Bestehende und geplante Kraftwerksprojekte sind unwirtschaftlich, auch technischer Durchbruch nicht zu erwarten
  • Umdenken in Energiesystemanalyse zugunsten erneuerbarer Energien weg von Atomenergie
  • Forderungen in Deutschland nach Forschungsförderung für den Neubau von Kernkrafwerken sind Irrweg

Die Möglichkeit, Kernkraftwerke mit geringer Leistung zu bauen, ist seit den 1950er Jahren bekannt und stellt daher keine Innovation dar. Im Gegenteil: Der erste in den USA entwickelte SMR-Reaktor war ein für die US-Marine entwickelter Leichtwasserreaktor für den U-Boot-Einsatz. Nach seinem Einbau in das erste kommerzielle Kernkraftwerk in Shippingport, Pennsylvania, 1957 führte er zum Siegeszug der Leichtwasser-Technologie.info Jedoch wurden diese Reaktoren mit geringen Leistungen lediglich als Ausgangspunkt genommen, um rasch zum Bau von größer dimensionierten Kraftwerken mit höheren Leistungen überzugehen. Die Suche nach Größenvorteilen führte in der Folgezeit dazu, dass die durchschnittliche elektrische Leistung von Kernkraftwerken bereits in den 1970er Jahren auf 500 MW stieg; heute liegt sie über 1000 MW (Abbildung 2).

Tabelle: Historische Beispiele für Reaktoren mit schnellem Neutronenspektrum („Schnelle Brüter“)

Bau- und Betriebszeiten

Reaktorkonzept Land Leistung (MWth) Baubeginn Betrieb Stilllegung Noch aktiv (?) Durchschnittliche Kapazitätsauslastung
Experimentalreaktoren
Rhapsodie Frankreich 40 1962 1967 1983 Keine Angaben
KNK-II Deutschland 52 1975 1977 1991 17,10 Prozent
DFR Großbritannien 60 1954 1959 1977 33,80 Prozent
FBTR Indien 40 1972 1985 2022 Keine Angaben
PEC Italien 120 1974 2022 2022 Keine Angaben
JOYO Japan 140 1970 1977 2007 Keine Angaben
BR-10 Sowjetunion/Russland 55 1956 1959 2002 Keine Angaben
BOR-60 Sowjetunion/Russland 9 1958 1964 2022 Keine Angaben
EBR-I USA 1,2 1947 1951 1963 Keine Angaben
EBR-II USA 62,5 1958 1963 1994 Keine Angaben
Fermi USA 200 1956 1965 1972 Keine Angaben
FFTF USA 400 1970 1980 1992 Keine Angaben
CEFR China 65 2000 2010 Keine Angaben
Demonstratoren
SNR-300 Deutschland 762 1973 1991 Nie in Betrieb
Phoenix Frankreich 563 1968 1973 1983 Circa 50 Prozent
PFR Vereinigtes Königreich 650 1966 1974 1994 2022 7 Prozent
PFBR Indien 1250 2003 2012 2016 Keine Angaben
Monjou Japan 714 1985 1994 1999 Von 1996 bis 2010 wegen Unfall außer Betrieb
BN-350 Sowjetunion/Russland 750 1964 1972 2022 85 Prozent
BN-600 Sowjetunion/Russland 1470 1967 1980 2022 74 Prozent (1982 bis 2009)
BN-800 Russland 2100 2006 2016 19831 71 Prozent
CRBRP USA unbekannt 1982 Nie in Betrieb

1 Baubeginn 1983, keine Bautätigkeit zwischen 1986 bis 2006, dann Wiederaufnahme.

Quelle: Eigene Recherche.

Die Wettbewerbsfähigkeit dieser Reaktoren hängt von drei wesentlichen Parametern ab: dem Uranpreis, den Baukosten und den Entsorgungskosten. In keinem der drei Bereiche ist ein Kostenvorteil für die schnellen Reaktoren abzusehen. Eine Berechnung des Break-Even-Preises von Uran zeigt auf, bei welchem Preis der Betrieb eines hypothetischen schnellen Reaktors mit Wiederaufbereitung genauso teuer wäre wie ein Leichtwasserreaktor ohne Wiederaufbereitung. Überschlägige Berechnungen legen nahe, dass der Uranpreis um ein Vielfaches höher liegen müsste als jener, den man am Markt beobachten kann.info Die Baukosten für den in den USA geplanten Piloten sind nicht absehbar, dürften aber wesentlich höher liegen als die der leichtwasserbasierten Technologielinie, die ihrerseits weit teurer ist als andere Energiequellen. Auch bei den Entsorgungskosten ist von dem Pilotprojekt kein Vorteil absehbar.

Umdenken in der Energiesystemmodellierung hat begonnen

Das geringe Potenzial der Atomwirtschaft zur Entwicklung von wettbewerbsfähigen Reaktorkonzepten wird inzwischen auch in Fachkreisen der Energiesystemmodellierung und integrierter Assessment Modelle (IAM) reflektiert. Diese hatten bisher teilweise sehr hohe Anteile an Atomenergie in Klimaschutzszenarien errechnet. So war bis vor Kurzem zu beobachten, dass Atomenergie als kohlenstoffarme Technologie Berücksichtigung in Klimaszenarien fand – und dies unabhängig von deren offensichtlich fehlenden Wettbewerbsfähigkeit.info Im Mittel gehen Szenarien mit ansteigendem Anteil an Atomenergie davon aus, dass bis zum Jahr 2050 die jährliche weltweite Stromerzeugungsmenge aus Atomenergie etwa 5600 TWh beträgt – was mehr als einer Verdopplung der heutigen Stromerzeugung entspräche. Bei diesen Szenarien nahmen die Modellierer*innen bisher für Atomenergie niedrige Investitionskosten an. Gleichzeitig ging man für Erneuerbare aber von relativ hohen Kosten aus (insbesondere Solar) sowie von überhöhten Systemintegrationskosten für Erneuerbare bei gleichzeitiger Vernachlässigung der Systemkosten der Atomenergie.

Jedoch hat in den Fachkreisen vor wenigen Jahren ein Umdenkprozess begonnen. Dieser führt dazu, dass sich das Energiemodellierungs-Paradoxinfo abschwächt und einer stärker an realwirtschaftlichen technischen Entwicklungen orientierten Modellierung und zugrundeliegenden Annahmen weicht. Dies zeichnet sich insbesondere durch aktualisierte Kostenannahmen für erneuerbare Energien, insbesondere für die Photovoltaik und die Kosten der Energiesystemintegration aus.info Eine Vielzahl von Modellen identifiziert inzwischen nicht mehr Atomenergie, sondern erneuerbare Energien als den wesentlichen Treiber des zukünftigen Energiemix.

Vergleicht man die Energieszenarien des Berichts des Weltklimarats (IPCC) von 2018 mit dem im Jahr 2022, ist zu beobachten, dass die Anzahl von Szenarien mit einem starken Anstieg an Atomenergie (im Zeitraum zwischen 2020 und 2100) gesunken ist und sich der Anstieg an erneuerbaren Energien erhöht hat (Abbildung 5). Lag im Sonderbericht des IPCC zum 1,5-Grad-Ziel (2018) der Schwerpunkt noch bei zunehmenden Anteilen an Atomenergie (orange Punkte), so hat sich dieser im 6. Sachstandsbericht des IPCC (2022) in Richtung steigender Anteile Erneuerbarer und sinkender Anteile Atomenergie verschoben (grüne Punkte). Auch die Modellier*innen des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) weisen in einem kostenoptimalen Dekarbonisierungspfad darauf hin, dass Atomenergie in den nächsten Jahrzehnten weitgehend durch erneuerbare Energien ersetzt werden müsste.info

Dirk Seifert

3 Gedanken zu “DIW legt Studie vor: Atomenergie ist nicht nachhaltig und zukunftungsfähig – Es braucht Klima- und Plutoniumneutralität!

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