Rückbau Atomkraftwerk Obrigheim: Wie aus Atommüll normaler Müll wird
Bei dem Rückbau der Atomkraftwerke fallen großen Mengen radioaktiver Abfälle an, für die es bis heute keine dauerhaft sicheren Lagermöglichkeiten gibt. Für die hoch radioaktiven Abfälle sind mangels Entsorgung an den AKW-Standorten so genannte Zwischenlager errichtet worden. Die leicht- und mittelaktiven Strahlenabfälle sollen in den Schacht Konrad in Salzgitter, aber auch hier gibt es etliche Sicherheitsmängel und die Inbetriebnahme verzögert sich immer weiter. Viele Tausend Tonnen von strahlendem Abfall – Betonabbruch und Stahlreste – werden jedoch nach einer „Freimessung“ einfach auf Hausmülldeponien, im Stahlrecycling oder auch im Straßenbau abgelagert oder genutzt. Offiziell werden diese niedrig strahlenden Abfälle als „unbedenklich“ deklariert – dauerhaft wird so die Radioaktivität in der Umwelt flächendeckend verteilt und erhöht.
Seit Jahren läuft in dem AKW Obrigheim in Baden-Württemberg der Rückbau, inzwischen unter einer grün-roten Landesregierung. Doch am Umgang mit Atommüll, mangelnder Transparenz und Beteiligung der Bevölkerung hat sich bislang wenig verändert. Die örtlichen Bürgerinitiativen haben inzwischen Klage eingereicht, um die weiteren Abbrucharbeiten zu stoppen: „Anwohner des stillgelegten Atomkraftwerks Obrigheim haben am Freitag einen Eilantrag zum sofortigen Stopp der Abbaumaßnahmen gestellt. Bereits Ende des vergangenen Jahres hatten sie beim Verwaltungsgerichtshof in Mannheim gegen den weiteren Abbau geklagt. Nun wollen sie verhindern, dass bis zur Verhandlung Fakten geschaffen werden“, berichtete die taz am 20. April 2012.
In der Klage geht es auch um die Freimessung, bei der Atommüll zu normalem Müll umgewandelt wird. Die Grünen haben inzwischen laut Rhein-Neckar-Zeitung gefordert: „Wir wollen einen klaren Nachweis, dass dieses Material ohne jegliche radioaktive Belastung ist.“ Uli Sckerl, Parlamentarischer Geschäftsführer der Landtagsfraktion der Grünen, ist skeptisch. Da müsse man sich doch Gedanken machen. „Wieso hat es der Neckar-Odenwald-Kreis abgelehnt, Abfälle aus Obrigheim auf seinen Deponien zu lagern?“ „Und was liegt da jetzt auf der Deponie in Sinsheim?““
In einer Pressemitteilung hat auch die Initiative AtomErbe Obrigheim heute ihre Kritik am Umgang mit den strahlenden Hinterlassenschaften der Atomenergie noch einmal bekräftigt:
„Die Initiative AtomErbe Obrigheim findet das „Freimessen“ von Abbaumaterial des Atomkraftwerk Obrigheim seit langem bedenklich. Schon seit einigen Jahren fordert sie von der Genehmigungsbehörde, dem baden-württembergischen Umweltministerium, einen transparenten Umgang mit diesem Thema. Denn für dieses Abbaumaterial gilt, dass es durch die „Freimessung“ zwar vom Atommüll zum „normalen“ Müll wird, aber weiterhin radioaktive Stoffe enthält. Die Beteuerung, dass alles unbelastet ist, kann die Initiative nicht nachvollziehen, denn nach der Strahlenschutzverordnung gibt es für diesen belasteten, aber „freigemessenen“ Müll zwei Kategorien: Bei geringerer radioaktiver Belastung ist eine freie Verwendung zugelassen, er kann weiterverwendet werden, z. B. als Beton im Straßenbau, als Metall für Kochtöpfe oder ähnliches.
Der stärker belastete Teil muss auf einer Deponie gelagert oder darf in einer Müllverbrennungsanlage verbrannt werden. Inzwischen wurde bekannt, dass entsprechender Müll aus dem AKW Obrigheim auf der Deponie in Sinsheim gelandet ist. Unklar bleibt weiterhin, wie viel von dieser Müllart in Obrigheim noch anfallen wird und auf welche anderen Deponien er gebracht werden soll. Insgesamt sollen im Laufe des Rückbaus aus dem Kontrollbereich des AKW Obrigheim mehr als 120.000 Tonnen „freigegeben“ werden wie die Initiative aus dem zur 1. Stilllegungs- und Abbaugenehmigung ausgelegten Sicherheitsbericht des Betreibers entnehmen konnte. Leider ist dieser nicht im Internet veröffentlicht.
Die Initiative bezweifelt, dass, um die Vorgaben der Strahlenschutzverordnung zu erfüllen, die dafür notwendigen aufwendigen Untersuchungen durchgeführt wurden. Denn die hochgiftigen und krebserregenden Alphastrahler, wie z. B. Plutonium, sind nicht mit den üblichen Strahlenmessgeräten zu entdecken. Ob der nach Sinsheim gebrachte Müll entsprechend untersucht wurde, ist eine Frage, die noch vom Kraftwerksbetreiber und der Genehmigungsbehörde zu beantworten ist.
Da von dem frei verwertbaren Müll aus der „Freimessung“ nicht bekannt ist, wo er verwendet wird, befürchtet die Initiative auch, dass radioaktive Stoffe aus Atomkraftwerken in der Umwelt mehr werden, zumal ja in den nächsten Jahren noch weitere Atomkraftwerke abgebaut werden.“
Initiative AtomErbe Obrigheim, Pressemitteilung 16. Dezember 2012
Kontakt: initiative(AT)atomerbe-obrigheim.de
Weitere Informationen unter http://atomerbe-obrigheim.de