Volksentscheid untergräbt die Macht der Handelskammer. Wie Demokratie zur Gefahr wird

Handelskammer und Senat: Vorderseite und Rückseite des Hamburger Rathauses. Foto: Dirk Seifert
Handelskammer Hamburg: Bedrohte Macht. Foto: Dirk Seifert

Der erfolgreiche Hamburger Volksentscheid „Unser Hamburg – Unser Netz“ für die vollständige Rekommunalisierung der Energienetze von Vattenfall und E.on hat nicht nur für die beiden Konzerne gravierende Folgen und erhebliche Gestaltungsmöglichkeiten in der Energiepolitik zurück in die Stadt geholt. Auch die Hamburger Handelskammer bekommt jetzt zu spüren, dass mehr Mitbestimmung und mehr Transparenz ganz weit oben auf der Tagesordnung stehen. Die massive Gegen-Kampagne zum Volksentscheid könnte zu einem unliebsamen Bummerang-Effekt werden. Rekommunalisierung mit teurem Geld nicht verhindert und nun auch noch einen Kreis von Opponenten als Plenumsmitglieder. Total dumm gelaufen. Für das Hamburger Abendblatt ist klar: „Der Kammer steht ein Machtkampf zwischen alten und neuen Kräften bevor. Dabei steht viel auf dem Spiel – mehr als in anderen Städten, in denen Reformer in die Industrie- und Handelskammern drängen.“

Keine Frage, es steht schlimm. Warnte der Handelskammer-Chef noch zum Jahreswechsel, dass immer mehr Volksentscheide (und Gerichte) die Parlamente untergraben, droht nun: Der Volksentscheid untergräbt nun auch noch die Kammer selbst. Armes Abendland.

Bei den letzten Plenarwahlen hat ein Kreis von kleineren Unternehmen unter dem Logo „Die Kammer sind wir“ kandidiert. Viele von ihnen hatten zuvor aktiv den Volksentscheid unterstützt und sich über die massive Kampagne der Handelskammer geärgert und eine Gegenkampagne initiiert. Und jetzt hat die Kammer den Salat.

Die „gefährdete Macht der Hamburger Handelskammer“, die das Abendblatt offenbar mit Sorge sieht, hat seinen Grund in dem Ergebnis der Wahlen zum Plenum der Handelskammer. Von den 56 gewählten VertreterInnen im Plenum sind nun 12 KandidatInnen der „Wir“-Initiative. Außerdem gibt es im Plenum noch zehn sogenannte „kooptierte Mitglieder“, die vom Plenum ernannt bzw. gewählt werden. Diese zehn sind am gestrigen Donnerstag bestimmt worden (hier die PM mit den Namen/Unternehmen in einer PM der Handelskammer). Das Plenum der Handelskammer besteht also aus insgesamt 66 Personen.

Das Abendblatt beschreibt, welche Macht die Hamburger Handelskammer hat und wie kurz die Wege zwischen den Wirtschaftslobbyisten und der Politik ist. Vorn das Rathaus, hinten die Kammer – so ist das in einem Gebäude untergebracht (Gibt es eigentlich Türen zwischen dem Senats- und Bürgerschaftsbereich direkt innerhalb des Gebäudes zur Handelskammer oder umgekehrt?). Die Handelskammer ist nicht nur Lobby, sondern selbst an zahlreichen Unternehmen beteiligt, hat gesetzlich geregelte Aufgaben und betreibt eine eigene Akademie.

„50 Millionen Euro Rücklagen sichern die Kampagnen-Fähigkeit der Wirtschaftsvertretung. Und da jedes Unternehmen zur Mitgliedschaft verpflichtet ist und seine Beiträge quasi zwangsweise erhoben werden, ist ein kontinuierlicher Geldmittelzufluss gesichert. Das alles verschafft der Kammer erhebliche Macht.“ Mit einem kleineren Betrag aus der Kriegskasse hatte sich die Kammer denn auch mit einer massiven Kampagne gegen den Volksentscheid zur Rekommunalisierung der Energienetze gestellt.

Das Abendblatt nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es berichtet, wie die Handelskammer in der Lage ist, demokratisch gewählte Institutionen wie Senat und Bürgerschaft an die Wand zu nageln: „Liefen in der Vergangenheit Dinge nach Ansicht der Kammer falsch, konnte sie mit einem Veto der Hamburger Unternehmerschaft manche Kursänderung des Senats einleiten.“ Einige schillernde Beispiele führt das Abendblatt an. Bedeutsam wäre aber sicher auch der Hinweis: Wenn nicht aus eigener Überzeugung, so doch im Wissen um diese Macht der Handelskammer, vermeiden (große) Teile von Bürgerschaft und Senat bereits im Voraus bestimmtes Handeln.

Das Abendblatt schreibt weiter: „Das oppositionelle Bündnis „Die Kammer sind Wir!“ ist angetreten, um die Institution zu modernisieren und für neue Entwicklungen zu öffnen. Ihrer Meinung nach hat sich der Machtapparat vom Adolphsplatz in den vergangenen Jahrzehnten verselbstständigt und von den wahren Bedürfnissen der Hamburger Wirtschaft zusehends entfernt.“ Das ist nicht sonderlich aussagekräftig. Modern, neue Entwicklungen, ok, klingt immer gut. Und was genau mit Verselbstständigung gemeint ist oder die „wahren“ Bedürfnisse „der“ Hamburger Wirtschaft wären – Mediensprache ohne viel Inhalt.

„Kungelei mit Senat verbieten“

Interessanter wird es, wenn das Abendblatt dann die konkreten Themenfelder darstellt, die die „Wir“-Mitglieder in der Kammer auf die Tagesordnung setzen wollen: „“Das Bündnis stellt vieles infrage, was die Kammer bisher ausgemacht hat: Die finanziellen Rücklagen sollen durch Teilerstattung der Kammerbeiträge abgeschmolzen werden. Die politische Richtung soll nicht mehr von der Kammerführung bestimmt, sondern von einer Mehrheit im Plenum vorgegeben werden. Dabei soll sich die Kammer mehr um die Belange der kleinen und mittelständischen Unternehmen als um die große Politik kümmern. Und vor allem fordern die Reformer Transparenz: Kungelei mit dem Senat würde verboten. Bergmann sagt: „Die Kammer muss sich öffnen und erneuern, sonst ist sie irgendwann selbst überholt und nicht mehr zeitgemäß.“ Er will jetzt als Vizepräses kandidieren.“

Weiter nennt das Abendblatt: „Zudem steht die Pflichtmitgliedschaft auf dem Prüfstand“ und stellt im Anschluss die Auseinandersetzungen zu diesem Thema, u.a. eine laufende Klage, dar. Außerdem heißt es, die „Wir“ wollen die geringe Beteiligung der rund 166.000 Unternehmen, die von der Kammer vertreten werden, verbessern. Derzeit hätten „gerade einmal zehn Prozent an den Plenarwahlen teilgenommen“ und die meisten wüssten gar nicht so genau, was die Kammer eigentlich macht. „Deshalb wollen wir jetzt auch die Gründung einer Kommission zur Stärkung und Revitalisierung der Selbstverwaltung in der Kammer vorschlagen“, sagt Tobias Bergmann, Sprecher des Bündnisses „Die Kammer sind Wir!“

Viele weitere Hintergründe und kommende Auseinandersetzungen werden außerdem in dem Abendblatt-Artikel ausführlich dargestellt. Auf der Homepage von „Die Kammer sind Wir“ ist mehr über die konkreten Forderungen nachzulesen.

Es ist sicherlich nicht übertrieben: Der Volksentscheid „Unser Hamburg – Unser Netz“ stellt nicht nur unmittelbar im Bereich der Energieversorgung einen gravierenden Impuls eines gesellschaftlichen Umbruchs dar. Eingewoben in die dezentrale und bürgergetragene Energiewende geht es nicht nur um einen Umbruch bei den Strommärkten (der die großen Konzerne schwer erschüttert). Die Rekommunalisierung stellt auch einen wichtigen Demokratisierungsimpuls dar, sorgt für mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten in der Energiepolitik dieser Stadt – und offenbar weit darüber hinaus. Es ist sicher kein Fehler, bei allen Schwierigkeiten und bei aller Kritik, sich in diesen Umbrüchen und anstehenden Neugestaltungen, diesen wichtigen Erfolg immer wieder klar zu machen.

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Dirk Seifert

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