Lagerung hochradioaktiver Castoren: Sorgte das Bundesumweltministerium für geringere Sicherheitsanforderungen?

Atommülllagerung am AKW Brunsbüttel: Gericht hob die Genehmigung wegen fehlender oder falscher Sicherheitsnachweisen auf. Liegt die Verantwortung beim BMU? Foto: Dirk Seifert
Atommülllagerung am AKW Brunsbüttel: Gericht hob die Genehmigung wegen fehlender und falscher Sicherheitsnachweise auf. Liegt die Verantwortung beim BMU? Foto: Dirk Seifert

Das Bundesumweltministerium hat möglicherweise die zuständige Genehmigungsbehörde für die Castor-Standortlager mit hochradioaktivem Atommüll daran gehindert, für erforderlich gehaltene höhere Sicherheitsanforderungen umzusetzen. Dieser Verdacht drängt sich angesichts einer bereits im Juni 2013 veröffentlichten Stellungnahme des Bundesamts für Strahlenschutz (BfS) zum Urteil des Oberverwaltungsgerichts Schleswig über das Castor-Lager am Vattenfall-AKW in Brunsbüttel auf (die Stellungnahme ist unten auf dieser Seite vollständig wieder gegeben). Das Gericht hatte die Genehmigung für das Lager aufgehoben. Das BfS wollte offenbar mehr Sicherheit prüfen, durfte aber nicht!

In einem viel beachteten Urteil hob das Oberverwaltungsgericht Schleswig im Sommer 2013 die Genehmigung für das Castor-Lager am Vattenfall-AKW Brunsbüttel auf, weil zahlreiche Sicherheitsnachweise nicht ausreichend oder sogar falsch erbracht worden seien. In dem Verfahren ging es darum, ob die Genehmigungsbehörde – das besagte Bundesamt – in ausreichendem Maße die möglichen Auswirkungen von Terror-Angriffen auf das Castor-Lager berücksichtigt hat. Das BfS ist eine nachgeordnete Behörde des Bundesumweltministeriums und daher an Weisungen gebunden.

In der Stellungnahme des BfS zum Urteil des OVG Schleswig heißt es zunächst: „Das BfS hat bei der Genehmigung des Zwischenlagers Brunsbüttel das zum Genehmigungszeitpunkt geltende Regelwerk angewandt. Es ist bei der Prüfung des gezielten Flugzeugabsturzes nach dem 11. September 2001 gegen den Widerstand der Stromversorger sogar darüber hinaus gegangen (Hervorhebung umweltFAIRaendern). Bei allen Zwischenlagern wurde der gezielte Flugzeugabsturz bereits in den Genehmigungsverfahren berücksichtigt und mit überprüft.“

Aber offenbar nicht in dem Umfang, wie es das BfS bei der Genehmigung eigentlich für erforderlich gehalten hätte, denn das BfS berichtet weiter: „Die Bewertungsmaßstäbe und die zu betrachtenden Szenarien sind im untergesetzlichen Regelwerk festgelegt, das vom Bundesumweltministerium als zuständiger Regulierungsbehörde herausgegeben wird und in das unter anderem die Analysen der Sicherheitsbehörden einfließen. Das BfS wendet dieses Regelwerk an, legt es jedoch nicht selbst fest (Hervorhebung umweltFAIRaendern).“

Diese Formulierungen legen den Verdacht nahe, dass das BfS die Verantwortung für das Urteil beim Oberverwaltungsgericht sowohl bei dem Betreiber als auch beim Bundesumweltministerium sieht. Unterstellt werden muss dabei, dass das BfS offenbar höhere Anforderungen an die Sicherheitsnachweise für das Castor-Lager stellen wollte, dies aber vom BMU abgelehnt wurde und daher im Genehmigungsverfahren keine Berücksichtigung fand.

Dafür, dass diese Lesart der Stellungnahme des BfS zutreffend sein könnte, spricht auch, dass es in Fachkreisen kein Geheimnis ist, dass es seit langem zwischen dem von Wolfram König geführten Bundesamt und dem BMU immer wieder massive Differenzen in Sicherheitsfragen gegeben hat und gibt. Nicht zuletzt diese Differenzen sollen auch ein Grund dafür sein, dass im Rahmen der Debatte um einen Neustart bei der Suche nach einem Atommüll-Endlager für hochradioaktive Abfälle ein neues Bundesamt aus der Taufe gehoben werden soll, das Bundesamt für kerntechnische Entsorgung (BfE). Für Insider gilt dieses neues Bundesamt auch als Instrument, das Bundesamt für Strahlenschutz zu „entmachten“.

Das BfS und sein Präsident König sind auch bei den AKW-Betreibern ein „rotes Tuch“. Sie werfen dem BfS unter anderem vor, die Inbetriebnahme des Atommülllagers im Schacht Konrad zu hintertreiben.

Das Urteil des OVG Schleswig ist noch nicht rechtskräftig (siehe unten) und betrifft unmittelbar erst einmal nur das Lager in Brunsbüttel. Seine Brisanz geht aber weit darüber hinaus. Denn alle sogenannten Standort-Zwischenlager sind im Zeitraum zwischen 2002 – 2005 quasi in Serienfertigung genehmigt und gebaut worden, also kurz nach den Terroranschlägen am 11.9.2001 auf das World-Trade-Center in New York und das Pentagon in Washington. Insofern ist klar: Die in Brunsbüttel festgestellten Mängel bei den Sicherheitsnachweisen betreffen grundsätzlich auch alle anderen Castor-Lager an allen Standorten.

Derzeit versuchen die Genehmigungsbehörde (Bundesamt für Strahlenschutz) und der Betreiber Vattenfall das OVG-Urteil noch zu Fall zu bringen.

Die Stellungnahme des BfS gibt es gleich unten, weitere Informationen zu dem Urteil des OVG Schleswig und dessen mögliche Folgen auf umweltFAIRaendern:

Zum Urteil des Oberverwaltungsgerichts Schleswig über eine Klage gegen das Zwischenlager Brunsbüttel erklärt das Bundesamt für Strahlenschutz:
In seinem Urteil, zu dem bisher nur eine Pressemitteilung des Gerichts vorliegt, kritisiert das Gericht vor allem, dass im Verfahren „ein wesentlicher Teil der Unterlagen der Genehmigungsbehörde unter Berufung auf Geheimhaltung nicht vorgelegt worden“ war. Die Geheimhaltung sei vom Bundesverwaltungsgericht im sogenannten in-camera-Verfahren allerdings größtenteils bestätigt worden.In der mündlichen Verhandlung ging es um die Fragen, ob die möglichen Auswirkungen eines gezielten Flugzeugabsturzes und eines möglichen Beschusses mit panzerbrechenden Waffen im Genehmigungsverfahren ausreichend geprüft wurden. Aufgrund von Geheimhaltungsverpflichtungen konnte das BfS dem Gericht nicht in der gewünschten Detailtiefe darlegen, dass die Genehmigung für das Zwischenlager Brunsbüttel den nach dem Atomgesetz erforderlichen Schutz gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter gewährleistet. Welche Informationen vor Gericht vorgetragen werden können, hat das BfS mit dem Bundesumweltministerium mit Blick auf bestehende Geheimhaltungspflichten abgestimmt.Das BfS hat bei der Genehmigung des Zwischenlagers Brunsbüttel das zum Genehmigungszeitpunkt geltende Regelwerk angewandt. Es ist bei der Prüfung des gezielten Flugzeugabsturzes nach dem 11. September 2001 gegen den Widerstand der Stromversorger sogar darüber hinaus gegangen. Bei allen Zwischenlagern wurde der gezielte Flugzeugabsturz bereits in den Genehmigungsverfahren berücksichtigt und mit überprüft.Die Bewertungsmaßstäbe und die zu betrachtenden Szenarien sind im untergesetzlichen Regelwerk festgelegt, das vom Bundesumweltministerium als zuständiger Regulierungsbehörde herausgegeben wird und in das unter anderem die Analysen der Sicherheitsbehörden einfließen. Das BfS wendet dieses Regelwerk an, legt es jedoch nicht selbst fest.Das Gericht hat in seinem Urteil zwar kritisiert, das BfS habe es versäumt, bereits 2003 die Folgen eines Absturzes mit dem Airbus 380 auf ein Zwischenlager vor der Genehmigungserteilung zu ermitteln. Es betont jedoch, es habe es „offengelassen, ob dieses Ermittlungsdefizit durch eine nachträgliche Untersuchung der Behörde aus dem Jahr 2010 gegenstandslos geworden sei“. Das BfS hatte die Untersuchung für den Airbus 380, der zum Zeitpunkt der Genehmigung des Zwischenlagers noch nicht auf dem Markt war, 2010 nachgeholt.Das BfS wird die schriftliche Urteilsbegründung abwarten. Erst auf dieser Basis kann über das weitere Vorgehen, insbesondere das Einlegen einer Nichtzulassungsbeschwerde oder die Erweiterung bestehender Untersuchungen, entschieden werden. Die Genehmigung hat weiter Bestand, da das Urteil noch nichts rechtskäftig ist.


Weitere Informationen

Dirk Seifert

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