Latente Proliferation – Wie „friedlich“ ist die Atomenergie?

Latente Proliferation – Wie „friedlich“ ist die Atomenergie?

Es wird wieder über Atomwaffen debattiert. Über mehr, neue, modernisierte und die Frage, wer darüber verfügen darf. Und seitens der UN und einigen Friedensbewegten auch über einen weltweiten Bann dieser Waffen. Sogar über eine deutsche Nuklearbewaffnung wurde um den Regierungswechsel in den USA herum eine Diskussion geführt und die neue US-Regierung Trump will mächtig aufrüsten und fordert dies insbesondere auch von der EU. Die Aufregung ist irgendwie groß und moralische Entrüstung schnell auf dem Plan. In der EU sind Frankreich und Großbritannien Atomwaffenstaaten. Andere EU-Staaten betreiben demnach ein ausschließlich „ziviles“ Atomprogramm. Unter dem Stichwort „Dual-Use“ werden die Grenzen und Überschneidungen beschrieben, die der Atomenergietechnik inne sind. Dass eine solche Trennung von militärischer und ziviler Nutzung der Atomenergie nur schwerlich realitätstauglich ist, hatte Roland Kollert in seinem Buch „Politik der latenten Proliferation – Militärische Nutzung „friedlicher“ Kerntechnik in Westeuropa“ bereits 1994 anhand von Länderstudien aufgezeigt. Mit Genehmigung des Autors stellt umweltFAIRaendern dieses Buch nun als PDF komplett und in einer aktualisierten Fassung zum kostenlosen download zur Verfügung.

  • Den militärischen Interessen an der Atomenergie und ihrer Geschichte widmet sich umweltFAIRaendern immer wieder unter dem Stichwort „Spurensuche„.

Roland Kollert sorgte im Jahr 2000 für eine heftige Kontroverse rund um das 40-jährige Jubiläum der „Vereinigung Deutscher Wissenschaftler“ (VDW), als er mit einer Untersuchung das Dogma der ausschließlich friedlichen Atomenergie in Deutschland in Frage stellte.

Zur Veröffentlichung des Buches über die „latente Proliferation“ schrieb Prof. Dr. Wolf-Dieter Narr seinerzeit: „Die Studie belegt, wie stark die konkrete Utopie friedlicher Nutzung der Atomenergie alle militärischen Absichten der Atomprogramme in den Dunst menschheitsfördernder Aktionen einnebelte. Kollert argumentiert überzeugend, daß die Behauptung friedlicher Nutzbarkeit der Atomkraft von Anfang an vor allem dazu propagiert wurde, ihren militärischen Nutzen der öffentlichen Diskussion zu entziehen.“

Kollert widmet sich auf den über 300 Seiten der „Vorgeschichte“, also der Politik „Atoms for Peace“ und der nuklearen Prolifertation. Von hier aus unternimmt er detaillierte Länderbetrachtungen über Frankreich und Großbritannien, sowie Schweden und der  Schweiz und in knapper Form Spanien. Dabei setzt er sich umfangreich mit technischen Fragen und Reaktorkonzepten auseinander und betrachtet die jeweilige Politik und ihre Interessen dahinter. Dabei zeigt er auf, dass Außen- und Sicherheitspolitik auch bei den Nicht-Atomwaffen-Staaten maßgeblich Einfluss auf die jeweiligen Atomprogramme hatten. „Die Untersuchung ist geeignet, die wichtigste Studie über die zumeist ungenannte militärische Option im Bereich der Atomwirtschaft zu werden“, schrieb Prof. Dr. Ulrich Albrecht von der FU Berlin zur Veröffentlichung des Buches: „Ihre wesentliche Leistung liegt darin, die notorisch militärische Intention staatlicher Atompolitik bei einer Anzahl von Ländern mit geradezu infernalischem Fleiß nachgewiesen zu haben.“ Auch heute lohnt es sich, diese Studie von Kollert zu lesen!

Eingangs wurde Bezug genommen auf aktuelle Anlässe, die die intensivere Auseinandersetzung um Atomwaffen und Politik nahelegen. Hierzu der Hinweis auf zwei Beispiele, wie NGOs das Thema derzeit versuchen in eine größere Öffentlichkeit zu bekommen: Rund um den US-amerikanischen Stützpunkt in Büchel sind FriedensaktivistInnen bemüht, das weitgehende Schweigen über die hier stationierten und zur Modernisierung anstehenden Atomwaffen zu brechen. Andere – darunter z.B. die IPPNW und ICANW – bemühen sich, die laufenden Verhandlungen über einen Bann der Atomwaffen zum Politikum zu machen.

Dirk Seifert

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