Rechtswidrige Uran-Exporte: Strafanzeigen gegen Uranfabrik Lingen – Thema auch im Bundestag
Nachdem der französische Betreiber der Uranfabrik in Lingen – Framatome – bereits im Dezember vermutlich rechtswidrig Uran-Brennelemente in die Schweiz exportiert hat, sind jetzt nach dem gleichen Schema auch drei Lieferungen an das belgische AKW in Doel verschoben worden. In beiden Fällen hatte die Advanced Nuclear Fuels (ANF) ignoriert, dass der für eine Umsetzung erforderliche Sofort-Vollzug der Exportgenehmigungen ausgesetzt war. Atomkraft-GegnerInnen haben in allen Fällen Strafanzeige gestellt. Eine Strafanzeige, die jetzt der BUND in NRW aufgrund der Exporte nach Belgien gestellt hat, richtet sich aber auch an die zuständige Genehmigungsbehörde, das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA).
- Die vom BUND verfasste Strafanzeige ist hier als PDF online. Die PM dazu ist unten als Dokumentation.
- Illegaler Uran-Export in die Schweiz? BUND mit Strafanzeige gegen Framatome Lingen
- BUND klagt gegen Uran-Exporte: Keine deutsche Beihilfe zum Betrieb maroder AKWs in Belgien oder anderswo
- Alles zum Thema Uran-Exporte auf umweltFAIRaendern.de
Die deutschen Uranfabriken in Gronau und Lingen sind vom Atomausstieg ausgenommen und beliefern weiterhin Atommeiler in aller Welt mit Brennstoff. Darunter auch uralte marode Reaktoren wie in Tihange und Doel. Kommt es dort zum Super-Gau wäre auch die Bevölkerung in der Bundesrepublik betroffen. Bis zu einer Entfernung von 170 Kilometern wären je nach Windrichtung Evakuierungen erforderlich. Daher hatte die Bundesregierung aufgrund des hohen Drucks erklärt, mindestens diese Lieferungen in grenznahe AKWs, wenn diese über 30 Jahre alt sind, gesetzlich zu untersagen. Die taz berichtete jüngst, dass dieser ohnehin nicht engagierte Plan inzwischen im Bundesumweltministerium beerdigt wurde. Dabei sprach man im BMU schon seit längeren ohnehin nur noch von Uranexporten aus der Anlage in Lingen. Die Uran-Exporte des Anreicherers URENCO, einer auch außen- und sicherheitspolitisch erheblich bedeutsameren Atomfabrik, die grundsätzlich auch waffenfähiges Uran herstellen könnte, waren schon still und leise ausgeklammert worden.
Um den Druck auf die Bundesregierung zu erhöhen, hatten AKW-Gegner daher die Exportgenehmigungen aufs Korn genommen und Klagen eingereicht. Die Ärzteorganisation IPPNW hatte Rechtsgutachten von Cornelia Ziehm anfertigen lassen, die die Grundlage lieferten. Das BMU widersprach den dort vorgetragenen Positionen, einigte sich aber mit der CDU darauf, eine „rechtssichere“ Lösung finden zu wollen, wie man mindestens diese umstrittenen Exporte in Nachbarländer unterbinden könnte. Eine Stilllegung der Uranfabrik stand nicht auf dem Programm der großen Koalition.
Im Dezember erreichten die Klagen einen ersten Erfolg, weil der Sofortvollzug der Exporte in die Schweiz vom BAFA als nicht mehr in Kraft erklärt wurden. Dazu berichtete die taz Anfang Januar. In einem weiteren Artikel berichtete die taz dann am 21. Januar: „Diese Aussage steht allerdings im klaren Widerspruch zu den Angaben der zuständigen Genehmigungsbehörde, des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA). Das Unternehmen sei am 16. Dezember schriftlich informiert worden, dass der Widerspruch des BUND „nicht offensichtlich unzulässig“ sei, stellte das BAFA auf taz-Anfrage klar. „Und das bedeutet damit, dass der Widerspruch aufschiebende Wirkung hat“, schreibt die Behörde. Auch das für das Widerspruchsverfahren zuständige Verwaltungsgericht Frankfurt hatte zuvor erklärt, dass von einer aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs auszugehen sei.“ Weiter schrieb Malte Kreutzfeldt: „Stattgefunden haben die fraglichen Transporte am 14. und am 28. Dezember. Zumindest der zweite wäre demnach nach dem Schreiben des BAFA durchgeführt worden – und wäre damit unzulässig gewesen. Der BUND hat daraufhin Strafanzeige wegen ungenehmigten Exports von Atombrennstoffen gestellt. Diese werde derzeit geprüft, erklärte die Staatsanwaltschaft Erlangen; dort hat Framatome Deutschland seinen Hauptsitz. Das BAFA hatte ebenfalls strafrechtliche Schritte angekündigt.“
Im Januar stieg dann der BUND NRW in das Verfahren zu einem Export von Lingen nach Belgien ein. Auch hier wurde damit der Sofortvollzug unwirksam. Dennoch hat die ANF Lingen – trotz der Vorgeschichte – 18., 20. und 21.01.2021 Brennelemente aus Lingen nach Doel in Belgien exportiert. Das wurde bekannt, nachdem Atomkraftgegner*innen die Transporteliste auswerteten, die das zuständige Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung BaSE regelmäßig veröffentlicht. (Siehe auch dazu neuerlich in der taz)
Die LINKE im Bundestag hatte per Berichtsbitte das Bundesumweltministerium im Umweltausschuss zum Rapport einbestellt. (Tagesordnungspunkt 10 (PDF). Bericht des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit zum Export von Uran-Brennstoffen aus bundesdeutschen Uranfabriken in gefährliche Atomkraftwerke im benachbarten Ausland mit Blick auf das laut Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD angestrebte Verbot solcher Exporte in Verbindung mit weiterhin erteilten Ausfuhrgenehmigungen durch das BAFA und der laufenden Klage vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt sowie möglicherweise rechtswidrig durchgeführter Transporte durch den Betreiber Framatome in die Schweiz auf Antrag der Fraktion DIE LINKE. vom 18. Januar 2021 Selbstbefassung 19(16)SB-190) In dem wie immer hinter verschlossenen Türen – bzw. unter Ausschluss der Öffentlichkeit – tagenden Ausschuss erklärte das BMU schriftlich zwar ausführlich und detailliert die komplexe Rechtslage und zeigte sich über das Vorgehen der ANF „verschnupft“ – wie es hieß. Aber konkrete Maßnahmen wurden nicht mitgeteilt. Eine weitere Schriftliche Frage des zuständigen Abgeordneten Hubertus Zdebel, die aus Anlass der Exporte in die Schweiz gestellt wurde, soll in der nächsten Woche beantwortet werden.
Dokumentationen:
- Pressemitteilung vom 28. Januar 2021
Illegaler Brennelementeexport für das belgische Atomkraftwerk Doel / BUND stellt Strafanzeige
Düsseldorf | Der nordrhein-westfälische Landesverband des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) hat jetzt bei der Staatsanwaltschaft Osnabrück Strafanzeige wegen des Verdachts des unerlaubten Umgangs mit radioaktiven Stoffen nach § 328 Absatz 1 Strafgesetzbuch gestellt. Die Anzeige richtet sich gegen die Verantwortlichen der Advanced Nuclear Fuels GmbH in Lingen/Ems sowie den Präsidenten des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) in Eschborn. Hintergrund ist, das die ANF einem Bericht der Tagezeitung taz zufolge zwischen dem 18. und 25. Januar Atombrennstäbe in das belgische Atomkraftwerk Doel geliefert hat. Dabei hatte der BUND am 7. Januar beim BAFA Widerspruch gegen die Exportgenehmigung eingelegt. Dieser hat aufschiebende Wirkung, womit die Exporte rechtswidrig sind.
„Das Vorgehen der ANF ist eine grobe Missachtung unseres Rechtsstaats und löst unkalkulierbare Risiken aus“, sagte BUND-Landesvorstandsmitglied Klaus Brunsmeier. „Mit den offensichtlich illegal exportierten Brennelementen wird ein marodes Atomkraftwerk am Leben gehalten, das ganz Nordrhein-Westfalen gefährdet. Die Bundesregierung muss den Betrieb in Lingen endlich dichtmachen.“
Über den Widerspruch des BUND ist bis heute nicht entschieden, allerdings gehen sowohl das BAFA sowie die in dieser Frage oberste Fachaufsicht, das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU), ebenfalls von einer aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs aus. Die ANF ist seitens des BAFA auch am 15. Januar 2021 und nochmals am 22. Januar 2021 über den Widerspruch und die dadurch bedingte aufschiebende Wirkung der Transportgenehmigung in Kenntnis gesetzt worden. Gleichwohl sind durch die ANF am 18., 19., 21. und 25. Januar 2021 Exporte auf Grundlage der nicht vollziehbaren Exportgenehmigung über die deutsch-belgische Grenze in das belgische Atomkraftwerk Doel erfolgt.
Der BUND sieht aber auch schwere Versäumnisse beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle. Es ist nicht auszuschließen, dass die Verantwortlichen beim BAFA von der Absicht der Durchführung der Exporte durch die ANF wussten und diese gleichwohl nicht unterbunden oder die zuständigen Zolldienststellen nicht entsprechend mit Blick auf mögliche rechtswidrige Exporte von Kernbrennstoffen durch die ANF in Kenntnis gesetzt haben. Sollte dies der Fall gewesen sein, ist ebenfalls eine Strafbarkeit nach § 328 Abs. 1 Strafgesetzbuch gegeben.
Der BUND appelliert zudem an die Fachaufsichtsbehörde des BAFA, das Bundesumweltministerium, bei der Behörde endlich für einen rechtskonformen Umgang mit dem BUND-Widerspruch zu sorgen. Eine entsprechende Anfrage des BUND bei Bundesumweltministerin Svenja Schulze vom 14. Januar blieb bis heute ohne Antwort.
Hinweis: Den Text der Strafanzeige senden wir ihnen auf Anfrage gerne zu. [Kontakt: dirk.jansen@bund.net]
Ansprechpartner:
- Klaus Brunsmeier, Vorstand BUND NRW,
- Dirk Jansen, Geschäftsleiter BUND NRW, T. 0211 / 30 200 522
Dokumentation 2: Lingen, 28. Januar 2021
Bündnis AgiEL – AtomkraftgegnerInnen im Emsland – Elternverein Restrisiko Emsland – Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen – Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg – AKU (Arbeitskreis Umwelt) Schüttorf – AKU (Arbeitskreis Umwelt) Gronau – SOFA (Sofortiger Atomausstieg) Münster – BBU (Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz)
Wirbel um unerlaubten Brennelementexport Lingen-Doel:
– Strafanzeige gegen Brennelementproduzent Framatome/ANF
– Umweltministerium muss Bundesamt Kompetenz entziehen
„Rechtsbruch muss zu Schließung in Lingen führen“
AtomkraftgegnerInnen aus dem Emsland, dem Wendland und dem Münsterland haben nach einem gestrigen Bericht in der „taz“ heute Mittag bei der Staatsanwaltschaft Osnabrück Strafanzeige gegen den Brennelementehersteller Framatome und seine Lingener Tochter ANF gestellt. Es besteht der dringende Verdacht der mehrfachen unerlaubten Ausfuhr von Brennelementen. Darauf stehen nach § 328 StGB bis zu fünf Jahre Haft.
Zudem fordern die Anti-Atomkraft-Initiativen vom Bundesumweltministerium, dem für Exportgenehmigungen zuständigen Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), wegen offensichtlicher Überforderung mit sofortiger Wirkung die Zuständigkeit für die Erteilung und Bearbeitung von Exportgenehmigungen im Atombereich zu entziehen. Als weitere Konsequenz aus den nun bekanntgewordenen Rechtsbrüchen müssen alle aktiven Export- und Transportgenehmigungen für Framatome/ANF sofort aufgehoben werden. Ziel muss die Schließung der Brennelementefabrik Lingen sein, da der Betreiber nicht die im Atomgesetz zwingend geforderte Zuverlässigkeit mit sich bringt.
Die „taz“ hatte gestern berichtet, dass Framatome/ANF am 18., 20. und 21. Januar und womöglich sogar noch am 25. Januar Brennelemente von Lingen zu den belgischen Pannenreaktoren Doel 1 und 2 geliefert hat. Das war ein klarer Rechtsbruch, weil der BUND NRW Anfang Januar beim BAFA als klageberechtigter Umweltverband einen Widerspruch gegen diesen Export eingelegt hat, der sofort aufschiebende Wirkung entfaltete.
Dass Framatome/ANF bereit ist, sich über die rechtlichen Schranken bedenkenlos hinwegzusetzen, zeigte sich schon im Dezember, als der Brennelementehersteller in einer ähnlichen Konstellation am 14. und 28. Dezember zwei Transporte von Lingen zum Schweizer AKW Leibstadt durchführte. In diesem Fall läuft derzeit ein von Framatome/ANF selbst angestrengtes Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt. Im Januar wurden aus Baden-Württemberg mehrere Strafanzeigen wegen der Leibstadt-Transporte gestellt. Daraufhin hatte Framatome laut taz vom 21. Januar die Exporte nach Leibstadt ausgesetzt.
Der Lingener Geschäftsführer von Framatome/ANF, Peter Reimann, war sich der Brisanz dieser Rechtsverletzungen schon im Oktober 2020 bewusst. Am 16.10. hieß es in der Lingener Tagespost mit Blick auf die Exporte von Lingen an die AKW Doel 1 und 2:
„ANF werde die bestehende Genehmigung vollziehen, sprich wie geplant mit der
Lieferung der Brennelemente nach Doel beginnen, falls das Verwaltungsgericht nicht in den nächsten Tagen über den Eilantrag entscheide. Trotzdem wäre Reimann eine Entscheidung recht: „Ich möchte nicht den Export unterschreiben und habe hinterher den Staatsanwalt am Hals.“
Zwei neue Exportgenehmigungen für Niederlande und Finnland
Anstatt die Exporte zu begrenzen und zu stoppen, hat das BAFA in den letzten Tagen der Framatome/ANF sogar zwei neue Exportgenehmigungen erteilt: für Brennelemente von Lingen nach Borssele/NL sowie Olkiluoto/Finnland. Diese Genehmigungen müssen in der jetzigen Situation sofort aufgehoben werden.
„Wir sind entsetzt, mit welcher Entschlossenheit sich die Framatome/ANF in Lingen über laufende Rechtsverfahren und rechtliche Beschränkungen hinwegsetzt. Völlig unverständlich ist, warum das Bundesumweltministerium und das BAFA diesem Treiben einfach so zuschauen. Und was macht eigentlich die Atomaufsicht in Niedersachsen? Klar ist, dass der Betreiber Framatome/ANF nicht mehr die nach dem Atomgesetz erforderliche Zuverlässigkeit besitzt, und dass das BAFA mit der Kontrolle der nuklearen Exporte völlig überfordert ist. Auch deshalb haben wir jetzt Strafanzeige gestellt. Was muss eigentlich noch geschehen, bevor es konkrete Konsequenzen gibt?“ fragte Alexander Vent vom Bündnis AgiEL – AtomkraftgegnerInnen im Emsland.
Verwendete Quellen-Links von taz, BMU und BASE:
https://taz.de/Brennelemente-von-Lingen-nach-Doel/!5743479/
https://taz.de/Umstrittene-Exporte-aus-Lingen/!5741985&s=Brennelemente/
Weitere Infos:
https://atomstadt-lingen.de, www.sofa-ms.de, www.bbu-online.de, www.bi-luechow-dannenberg.de
Kontakte:
Alexander Vent (Bündnis AgiEL): Tel. 0157-59690000
Kerstin Rudek (BI Lüchow-Dannenberg): Tel. 05882-987435
Matthias Eickhoff (Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen): Tel. 0176-64699023
Udo Buchholz (BBU): Tel. 02562-23125