Nach Gorleben: Neustart statt ungeeignetes Atommülllager im Schacht Konrad

Nach Gorleben: Neustart statt ungeeignetes Atommülllager im Schacht Konrad

Niemand käme heute mehr auf den Gedanken, Atommüll in einem Schacht Konrad in Salzgitter endlagern zu wollen. Es fehlt bis heute ein vernünftiges Auswahlverfahren. Ein Bergwerk für Atommüll, in dem zuvor bereits Rohstoffe abgebaut wurden, geht nach heutigen Kriterien eigentlich gar nicht. ASSE und Morsleben lassen grüßen. Kritik gibt es obendrein an einem nicht wirklich erbrachten Langzeitsicherheitsnachweis und nun machen Bürgerinitiativen, Verbände und auch Kommunen und Städte klar: Der sich immer weiter verzögernde Ausbau entspricht längst nicht mehr den Anforderungen von Wissenschaft und Forschung, ist in wichtigen Sicherheitsfragen veraltet und muss sofort eingestellt werden. Neuerlich untermauert wird das mit zwei Studien von Wolfgang Neumann und Jürgen Kreusch, in denen die Mängel wissenschaftlich dargestellt werden. Auch die 18. Atommüllkonferenz der Anti-Atom-Initiativen hatte jüngst auf der letzten coronabedingten Videokonferenz einen Neustart für die Suche nach einem Atommülllager für die leicht- und mittelradioaktiven Abfälle gefordert – so wie das nach jahrzehntelangen Versäumnissen für den ehemaligen Standort Gorleben bezogen auf hochradioaktiven Atommüll erfolgt ist. (Foto: Hoffnung der Bundesregierung und der Behörden)

Im Schacht Konrad soll ein Atommüllendlager für die leicht- und mittelradioaktiven Abfälle entstehen. Immer wieder ist es beim laufenden Ausbau zu Verzögerungen gekommen, weil die Anforderungen größer als geplant waren oder sich Schwachstellen zeigten, die nicht erwartet wurden. Wegen der Verzögerungen und dem inzwischen angelaufenen Atomausstieg entstehen an allen AKW-Standorten inzwischen neue Zwischenlager. Auch das Einlagerungskonzept für den Schacht Konrad wurde inzwischen grundlegend geändert. Deshalb soll weit entfernt vom Schacht Konrad ein bundesweites sogenanntes Bereitstellungslager bei Würgassen entstehen. Grund für die Entscheidung, ein von Konrad entferntes Lager zu suchen ist der Umstand, dass für den Schacht eine bestandskräftige Genehmigung vorliegt. Müsste der Planfeststellungsbeschluss noch einmal z.B. für ein solches Zwischenlager geöffnet werden, wären erneut Klagen möglich. Das würde dann nach Einschätzung auch der zuständigen Behörden das Aus für ein Atommülllager in Salzgitter bedeuten. Behörden und beteiligte Unternehmen bestreiten diesen Zusammenhang zwar immer wieder, aber sachlich wäre nicht nachzuvollziehen, warum das Eingangs- und Bereitstellungslager nicht direkt an den Schachtanlagen entstehen sollte.

Klagen gegen die Genehmigung von Konrad sind in den 2000er Jahren abgewickelt worden. Dabei hatte das zuständige Gericht den Betroffenen ein Klagerecht in Sachen Langzeitsicherheit und Generationenschutz abgesprochen. Jahrzehntelang dauern die Auseinandersetzungen um das Atommülllager im Schacht Konrad an, weil ebenso wie in Gorleben nicht ein Auswahlverfahren und wissenschaftliche Kriterien für die Standortwahl verantwortlich waren, sondern politische Belange prägend waren.

Dokumentation:

Bündnis fordert sofortigen Baustopp bei Schacht KONRAD

(Pressemitteilung 30.03.2021) Das Bündnis Salzgitter gegen KONRAD fordert einen sofortigen Baustopp des Atommüllprojektes Schacht KONRAD.

Oberbürgermeister Frank Klingebiel: „Solange nicht bewiesen ist, dass Schacht KONRAD den heutigen Anforderungen an ein tiefengeologisches Lager für radioaktive Abfälle entspricht, dürfen keine weiteren Fakten geschaffen und keine weiteren Gelder in der Tiefe versenkt werden.“

Der erhebliche Druck aus der Region und der lange Zeitraum zwischen den Nachweisführungen und der geplanten Inbetriebnahme des Endlagers haben den Betreiber veranlasst, die „Überprüfung der sicherheitstechnischen Anforderungen des Endlagers Konrad nach dem Stand von Wissenschaft und Technik (ÜsiKo)“ vorzunehmen. Das Bündnis gegen Schacht KONRAD beauftragte die beiden Experten, den Geologen Jürgen Kreusch und den Physiker Wolfgang Neumann, die 2020 veröffentlichten Ergebnisse der Phase 1 der ÜsiKo zu bewerten.

Wolfgang Neumann: Das Atomgesetz schreibt die Anwendung des Standes von Wissenschaft und Technik vor und das Bundesverfassungsgericht hat definiert, was der Stand von Wissenschaft und Technik ist. Dazu gehören die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse und Veröffentlichungen, auch wenn sie noch nicht in Gesetze oder Verordnungen gegossen sind, sowie ein breites Spektrum vertretbarer wissenschaftlicher Meinungen. Die Gutachter der BGE stützen ihre Bewertungen jedoch wesentlich auf die zum Zeitpunkt der Begutachtung gültigen Gesetze und Verordnungen sowie die längst überholten Sicherheitskriterien für die Endlagerung radioaktiver Abfälle von 1983. Dadurch werden die Ergebnisberichte zur ÜsiKo Phase 1 dem selbst gestellten Anspruch eines Vergleichs mit dem heutigen Stand von Wissenschaft und Technik nicht gerecht und gehen am Thema vorbei.

Beispielsweise hat sich seit dem Planfeststellungsbeschluss 2002 die Einschätzung des Gesundheitsrisikos durch Radon erhöht. Das Bundesamt für Strahlenschutz weist auf seiner Webseite darauf hin, dass rund fünf Prozent aller Todesfälle durch Lungenkrebs in der deutschen Bevölkerung natürlich vorkommenden Radon zugeschrieben werden können. Diese Bewertung durch das BfS wird in den Berichten gar nicht erwähnt. Die Neubewertung durch die Internationale Strahlenschutzkommission ICRP seien für die Bewertung gegenwärtig nicht relevant, so die ÜsiKo, weil es noch keine neuen rechtlichen Regelungen in Deutschland dazu gäbe.

Die Gutachten kranken außerdem daran, so Neumann, dass die Auswirkungen der Änderungen des Einlagerungskonzeptes, des Radionuklidinventars und weiterer Faktoren, die der Betreiber seit dem Planfeststellungsbeschluss vorgenommen hat, nicht betrachtet wurden. Sowohl Neumann als auch Kreusch kritisieren, dass ohne Prüfung davon ausgegangen wurde, dass die Unterlagen zum Zeitpunkt des Planfeststellungsbeschlusses dem damaligen Stand von W&T (2002) entsprochen hätten. Dies sei jedoch schon damals falsch gewesen.

Der Geologe Jürgen Kreusch kritisiert, dass die Gutachter der ÜsiKo sich nicht die naheliegende Frage gestellt haben, wie man nach heutigem Stand von Wissenschaft und Technik (W&T) beim Langzeitsicherheitsnachweis für das geplante Endlager Konrad vorgehen würde. Dann könnte man beispielsweise die bei Konrad seit Jahrzehnten umstrittene Frage nach Art, Anzahl, Repräsentativität und Aussagekraft der benötigten konkreten Daten für den Langzeitsicherheitsnachweis entsprechend W&T (damals und heute) beantworten. Es würde sich dann beispielsweise auch die Frage stellen, ob das bereits seit Beginn der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts vorliegende Modellgebiet die realen Verhältnisse ausreichend gut abbildet oder ob man zu einem realitätsnäheren Modellgebiet käme, wenn man beispielsweise die heute übliche hochauflösende 3-D-Seismik einsetzen würde. Und es würde sich die Frage nach der Aussagekraft der Materialproben aus den viele Jahrzehnte alten Explorationsbohrungen stellen, die eine ganz andere Zielsetzung hatten als Fragen der Langzeitsicherheit eines Endlagers Konrad zu beantworten. Bei KONRAD gibt es zudem keinen einschlusswirksamen Gebirgsbereich, wie er heute nach W&T gefordert wird, denn das geologische System ist nach Nordosten hin offen.

Kreusch kritisiert, dass im ÜsiKo-Gutachten am Bewertungsmaßstab von 0,3 mSv/a aus 1983 festgehalten wird, anstatt den neuen Maßstab des Bundesumweltministeriums von 0,01 mSv/a für wahrscheinliche und 0,1 mSv/a für weniger wahrscheinliche Entwicklungen des Endlagersystems (Szenarienanalyse) zugrunde zu legen. Kreusch: Es ist schon sehr verwunderlich, wenn für Abfälle mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung ein anderer Dosisgrenzwert gelten soll als für die wärmeentwickelnden Abfälle. Die Aufgabe eines gemeinsamen Grenzwertes für die radioaktive Strahlung von Endlagern mit unterschiedlichen Inventaren wäre ein Rückschritt, weil die radiologische Wirkung auf Mensch und Umwelt unabhängig vom Inventar des Endlagers abzuleiten ist. Zudem fehlt eine systematische Szenarienanalyse, wie sie heute nach Stand von W&T gefordert wird. Auch ein Verweis auf Unsicherheiten bei der Langzeitsicherheitsprognose, wie in der ÜsiKo, ist nicht hilfreich. Beim Endlager Konrad wurde beispielsweise eine Strahlenexposition (effektive Dosis) für einen Säugling von maximal 0,26 mSv/a berechnet. Bei der Genehmigung eines Endlagers ist der Bewertungsmaßstab für die radiologische Belastung von entscheidender Bedeutung, und er entscheidet wesentlich über Genehmigung oder Nichtgenehmigung. Konrad ist bei einem Grenzwert von 0,01 bzw. 0,1 mSv/a nicht genehmigungsfähig.

Ulrich Löhr, Vorsitzender des Landvolks Braunschweiger Land dazu: „Es ist schon absurd, wenn wir Landwirte nach häufig kaum evaluierten neuen Erkenntnissen zusätzliche Produktionseinschränkungen bekommen und zeitgleich für die Einlagerung in Schacht KONRAD die wissenschaftlichen Erkenntnisse und Anforderungen von 1983 gelten, obwohl es in den letzten 40 Jahren wichtige Fortschritte in diesem Bereich gegeben hat.“

Matthias Wilhelm, 1. Bevollmächtigter der IG Metall Salzgitter-Peine: Die Auswirkungen, die sich aus der Nähe zu den Großbetrieben in der Region mit ihren sich dynamisch entwickelnden Produktionsprozessen wie die Wasserstoff basierte Produktion bei der Salzgitter AG und die Batteriezellenfertigung bei VW ergeben, sind bisher überhaupt nicht untersucht worden, auch in der ÜsiKo nicht. Es ist absurd und verantwortungslos, ein Atommülllager mitten in einem Industriegebiet neben Störfallbetrieben errichten zu wollen.

Ludwig Wasmus, Vorstand Arbeitsgemeinschaft Schacht KONRAD e.V.: Im Zuge des Standortauswahlverfahrens wird überlegt, an dem Standort für hochradioaktive Abfälle auch einen Teil der schwach und mittelradioaktive Abfälle einzulagern. Dieses Lager soll den aktuellen Sicherheitsanforderungen entsprechen, Schacht KONRAD aber nicht. Das ist es nicht gerecht. Deshalb fordern wir, endlich das Projekt KONRAD aufzugeben und alle Arten radioaktiver Abfälle in das laufende Standortauswahlverfahren einzubeziehen oder eine eigene Standortsuche für schwach- und mittel radioaktive Abfälle zu starten.

Unter dem Link www.salzgitter.de/baustopp-konrad sind die Stellungnahmen von Jürgen Kreusch und Wolfgang Neumann einzusehen.

Für Rückfragen: Ursula Schönberger, Tel. 05341 / 63123, schoenberger@ag-schacht-konrad.de

Pressemitteilung als pdf

Dirk Seifert