Jülicher Atommüll: Bund setzt auf Transporte nach Ahaus – Land NRW will neues Zwischenlager
Was passiert mit dem hochradioaktiven Atommüll, der in Jülich bislang ohne ausreichende atomrechtliche Genehmigung lagert? Ein ehemals angestrebter Export der abgebrannten Brennelemente in die USA ist inzwischen abgeblasen. Darin sind sich jetzt Bundesregierung und das Land NRW sowie der staatliche Betreiber nach langem hin und her einig. Für die beteiligten Bundesbehörden ist die „Verbringung der Brennelemente in das Zwischenlager in Ahaus die grundsätzlich vorzugswürdige Option zur Umsetzung der Räumung des AVR-Behälterlagers“. So steht es in einem Bericht vom 20. September 2022 an den Haushaltsausschuss des Bundestag. Das Land NRW hingegen favorisiert laut Koalitionsvertrag den Neubau eines Zwischenlagers in Jülich selbst. Das Zwischenlager Ahaus wird vielfach auch sicherheitstechnisch kritisiert, vor allem aber läuft bereits Mitte der 2030er Jahre die Genehmigung für die Atommüll-Zwischenlagerung aus. Was dann passiert, ist derzeit noch offen. Eine weitere langfristige Zwischenlager erfordert sowohl eine vollständige Neu-Genehmigung und einen Bundestagsbeschluss. In dieser Situation aber noch mehr Atommüll nach Ahaus zu schaffen, hat immer wieder für Proteste gesorgt. Die Stadt Ahaus hat Klagen für diesen Fall angekündigt.
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Bund und NRW sind im Verhältnis 70-30 an den AVR-Abfällen (Arbeitsgemeinschaft Versuchs Reaktor Jülich) und den Entsorgungskosten der ehemaligen Atomforschungsanlage Jülich beteiligt. Heute ist für den Rückbau die „Jülicher Entsorgungsgesellschaft für Nuklearanlagen“ (JEN) zuständig, die zum Finanzministerium gehört. Laut dem Bericht werden für die Räumung des AVR-Behälterlagers „Gesamtausgaben des Bundes in Höhe von 212.230 TEURO“ (Tausend Euro, also 212 Millionen Euro) veranschlagt.
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Zuletzt hatte das Nationale Begleitgremium (NBG) bei der Endlagersuche dafür gesorgt, dass bei der Zwischenlagerung hochradioaktiver Abfälle rund um Ahaus mehr Licht und Information für die Öffentlichkeit zustande kam. Weil die Zwischenlagerung des Atommülls deutlich verlängert werden muss, bevor ein Endlager zur Verfügung stehen wird, müssen beide Themen miteinander disktuiert werden, um gute, transpartente und beteiligungsorientierte Lösungen für den weiteren Umgang mit den gefährlichen radioaktiven Abfälle zu erreichen, so das nicht unumstrittene Crede des NBG. Dazu hatte das NBG zu einer zweitägigen Veranstaltung nach Ahaus eingeladen (umweltFAIRaendern berichtete).
Der vom Finanzministerium verfasste „Bericht des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, des Bundesministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz sowie des Bundesministeriums der Finanzen zur Räumung des AVR-Behälterlagers in Jülich“ ist Ergebnis eines Beschlusses im Haushaltsausschuss vom 19. Mai 2022, der die Bundesbehörden und den (bundes- und landeseigenen) Betreiber JEN zu einer „gemeinsamen Entscheidung“ auffordert. Auch der Bundesrechnungshof hatte sich in die seit vielen Jahren andauernde Debatte eingemischt und Klarheit in dieser Hängepartie gefordert. Bereits im März hatte er sich laut dem Bericht des Finanzministeriums dafür ausgesprochen, endlich die US-Option abzusagen. Der Plan war, die über 150 Castor-Behälter mit hochradioaktivem Atommüll per LKW nach Nordenham und dann per Schiff in die USA zu verfrachten. Schon in der Endlagerkommission waren diese Atommüllexporte schwer in der Kritik. Einer der Gründe, warum Behörden und Betreiber einen Export dieses Atommülls in die USA nun stoppen: Die Terrorrisiken beim Transport sind derart hoch, dass sie praktisch kaum durchführbar wären. Vor allem der Umschlag im Hafen von Nordenham würde laut JEN zu hohe Sicherungsmaßnahmen erfordern. Außerdem würden aber auch die notwendigen technischen Behandlungs-Maßnahmen, die mit dem Atommüll in den USA erfolgen sollten, bislang nur eine „geringe(n) Realisierungswahrscheinlichkeit“ zeigen und bis ca. 2030 dann Kosten von über eine Milliarde Euro verursachen. „Alle mit der US-Option im Zusammenhang stehenden Aktivitäten sollen durch die JEN beendet werden“, heißt es in dem Bericht. Auch die JEN selbst hatte vor einigen Wochen sich schon in dieser Weise mehrfach öffentlich geäußert.
Mit Blick auf die Frage, ob es in Jülich angesichts der Sicherheitsmängel des bestehenden Zwischenlagers nun vor Ort zu einem Neubau oder aber zu Atomtransporte nach Ahaus kommen soll, heißt es in dem Bericht:
„Das BMBF, das BMUV, das BMF und die JEN (nachfolgend: die Beteiligten) sind sich einig, dass die weitere Verfolgung der sog. US-Option zur unverzüglichen Räumung des AVR-Behälterlagers nicht mehr erforderlich ist und durch die JEN beendet werden soll. Dies steht nicht im Widerspruch zur unverzüglichen Räumungsanordnung vom 2. Juli 2014.
Die Beteiligten sind sich ferner einig, dass die Verbringung der Brennelemente in das Zwischenlager in Ahaus die grundsätzlich vorzugswürdige Option zur Umsetzung der Räumung des AVR-Behälterlagers darstellt. In Anbetracht der noch verbliebenen offenen Realisierungsfragen bezüglich der Ahaus-Option ist es allerdings derzeit noch geboten, parallel zu dieser Option die Neubau-Option weiterzuverfolgen. Die Neubau-Option ist so bald wie möglich zu beenden. Nach dem gegenwärtigen Stand kann diese Entscheidung möglicherweise schon in 2024 nach der erfolgreichen Durchführung der ersten Transporte von Jülich nach Ahaus getroffen werden.“ (S.2f des Berichts vom Finanzministeriums vom 20. September 2022)
Laut dem Bericht wäre die Ahaus-Option die schnellste und „im Sinne eines wirtschaftlichen Mitteleinsatzes die vorzugswürdige Option gegen der Neubau-Option“. Weiter heißt es: „Im Sinne der Unverzüglichkeit der angeordneten Räumung könnte die Ahaus-Option nach aktuellem Stand rund sechs Jahre vor der Neubau-Option beendet werden. Das Transportgenehmigungsverfahren nach Ahaus befindet sich in einem fortgeschrittenen Stadium. Einem positiven Ausgang stehen nach aktueller fachlicher Bewertung keine unüberwindbaren Hindernisse entgegen. Erste Transporte der Kernbrennstoffe von Jülich nach Ahaus wären voraussichtlich ab Anfang
2024 möglich und sie könnten – vorbehaltlich der Ausräumung der noch bestehenden tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten – um das Jahr 2026 abgeschlossen werden.“
Demgegenüber wäre der Neubau einer Zwischenlagerhalle in Jülich nicht nur teurer – sondern vor allem langsamer. Laut den Bundesministerien wäre „nach dem aktuellen Stand der Planungen der Abschluss der Verbringung der Kernbrennstoffe aus dem bestehenden AVR-Behälterlager in einen Neubau dagegen frühestens ab 2032 zu erwarten.“ Zehn Jahre würde es brauchen, bis ein neues Zwischenlager in Jülich fertiggestellt wäre. Auf einer Veranstaltung des Nationalen Begleitgremiums hatte der Betreiber in Aussicht gestellt, dass es vielleicht auch schneller gehen könnte. Derzeit läuft ein Antrag des Betreibers, eine Lagerung des Atommülls für weitere neun Jahre bekommen. Eine Dauergenehmigung für das Lager ist aufgrund der bestehenden Mängel – vor allem im Bereich Terrorschutz – offenbar nicht möglich.
„Für die Errichtung, Verbringung und Lagerung in einem Zwischenlagerneubau am Standort Jülich belaufen sich die aktuellen Kostenschätzungen der JEN auf mindestens 450 Mio. € (beruhend auf einem 50-jährigen Betrachtungszeitraum), heißt es zu den Kosten. Demgegenüber sollen die Kosten für die Ahaus-Option nach „aktuellen Kostenschätzungen der JEN“ bei etwa 100 Millionen Euro liegen – ohne die Kosten für erforderlichen Sicherungsmaßnahmen durch die Polizei. Dabei sind nicht Demonstrationen gemeint, sondern vor allem auch die Terrorabwehr.
Die Bundesministerien kommen daher zu dem Fazit: „Die Beteiligten erachten es gleichwohl als notwendig, die Neubau-Option einstweilen noch parallel zur Ahaus-Option weiterzuverfolgen. Zwar stellt die Ahaus-Option im Sinne der Unverzüglichkeit der Räumungsanordnung nach derzeitiger Planung die „schnellste“ Möglichkeit zur Umsetzung der Räumung dar; auch sprechen starke wirtschaftliche Erwägungen für sie. Risiken, die der erfolgreichen Umsetzung entgegenstehen könnten, sind neben rechtlichen Unwägbarkeiten aufgrund seit Ende 2017 vor dem Oberverwaltungsgericht Münster durch die Stadt Ahaus und einer Privatperson anhängiger Klagen gegen die Genehmigung zur Aufbewahrung der Brennelemente im Transportbehälterlager Ahaus vom 21. Juli 2016 auch tatsächliche Unwägbarkeiten hinsichtlich der praktischen Durchführung der Transporte von Jülich nach Ahaus. Für die Durchführung der Transporte bedarf es eines breiten politischen Konsenses. Dieser ist auch vor dem Hintergrund der Festlegungen des Koalitionsvertrages der Regierungsparteien des Landes Nordrhein-Westfalen für 2022 bis 2027 (Zeilen 788 bis 791) zu betrachten. Die Regierungsparteien haben dort festgelegt: „Wir setzen uns für eine Minimierung von Atomtransporten ein. […] Im Fall der in Jülich lagernden Brennelemente bedeutet dies, dass wir die Option eines Neubaus eines Zwischenlagers in Jülich vorantreiben.“ Eine Aussage darüber, ob das Land NRW Mehrkosten finanzieren wird, findet sich dort nicht.“
Mit anderen Worten: Der Bund könnte bereit sein, auf eine kostengünstige Zwischenlagerung in Ahaus zu verzichten, dann aber stellt sich die Frage nach den Mehrkosten, die der Neubau einer Zwischenlagerung in Jülich zur Folge haben dürfte. Möglicherweise müsste dann NRW dafür einen größeren Anteil übernehmen.
Abschließend fasst der Bericht zusammen: „Die Beteiligten sind sich einig, dass die parallele Weiterverfolgung so bald wie möglich zu beenden ist. Nach dem gegenwärtigen Stand kann diese Entscheidung möglicherweise schon in 2024 nach der erfolgreichen Durchführung der ersten Transporte von Jülich nach Ahaus getroffen werden. Bis dahin ist es notwendig, die Neubau-Option parallel zur Ahaus-Option weiterzuverfolgen, um im Falle eines Scheiterns der Ahaus-Option, die – im Sinne der angeordneten unverzüglichen Räumung – baldige Verbringung in einen Lagerneubau dennoch gewährleisten zu können.“
Klar ist damit: Die ausstehenden Genehmigungen sowohl zur Einlagerung als auch zum Transport der hochaktiven Abfälle für Ahaus könnten in nächster Zeit erteilt werden. Wenn das der Fall ist, könnte der Abtransport aus Jülich umgesetzt werden. Die JEN hatte bereits mitgeteilt, dass die Sicherungsmaßnahmen auch unter den erhöhten Terrorschutzanforderungen umsetzbar wären. In Anhaus selbst wären noch Nachweise zur IT-Sicherheit erforderlich, ebenfalls im Rahmen des Terrorschutzes. Die Frage ist nun, ob das Land NRW und die Grünen nun an ihrem Versprechen festhalten werden.
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